L 6 AS 407/16 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 450/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 407/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerden der Antragsteller und der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 24.02.2016 geändert. Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 03.02.2016 bis zum 31.07.2016, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Bescheid des Beigeladenen vom 09.03.2016, vorläufig Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Höhe von monatlich 1758,47 EUR zu zahlen. Die Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L, F beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), hilfsweise Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.

Die Antragsteller sind bulgarische Staatsangehörige. Die am 00.00.1984 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der am 00.00.2001 und am 00.00.2000 geborenen Antragsteller zu 2) und zu 3). Die Antragsteller zu 1) und zu 3) sind seit dem 01.01.2015 in F gemeldet. Der Antragsteller zu 2) zog am 23.11.2015 aus Bulgarien zu. Für ihre Wohnung in F haben sie eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe von 535,00 EUR zzgl. 85,00 EUR Heizkosten zu zahlen.

Am 19.01.2015 beantragten die Antragsteller zu 1) bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Dazu gab sie an, dass sie sich seit Oktober 2010 in Deutschland aufhalte, hier noch nie gearbeitet habe und von ihrem Lebensgefährten finanziell unterstützt worden sei. Mit Bescheid vom 29.01.2015 lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit der Begründung ab, dass sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe und sie daher gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Den dagegen eingelegten Widerspruch nahm die Antragstellerin zu 1) später zurück.

Am 06.03.2015 stellte sie erneut einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 01.04.2015 gab sie an, dass sie von 2010 bis Oktober 2013 in H gelebt habe, anschließend habe sie sich bis Dezember 2014 in der Schweiz und Bulgarien aufgehalten. Seit Januar 2015 sei sie wieder in Deutschland und in F gemeldet. Ihr Lebensgefährte sei derzeit in Haft, voraussichtlich bis September 2015.

Mit Bescheid vom 17.04.2015 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit von Januar 2015 bis Juni 2015 in Höhe des Regelbedarfs und der Kosten der Unterkunft für die Antragstellerinnen zu 1) und zu 3). Mit Bescheid vom 29.05.2015 bewilligte sie außerdem Leistungen für die Zeit von Juli 2015 bis Dezember 2015.

Mit dem Weiterbewilligungsantrag vom 27.11.2015 teilte die Antragstellerin zu 1) mit, dass der Antragsteller zu 2) bei ihr eingezogen sei. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 30.11.2015 mit der Begründung ab, dass die Antragsteller gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien. Die Antragstellerin zu 1) erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Arbeitnehmereigenschaft. Sie habe bei ihrer persönlichen Vorsprache am 29.01.2015 angegeben, dass sie noch nie in Deutschland gearbeitet habe.

Mit Schreiben vom 02.12.2015 legten die Antragsteller dagegen Widerspruch ein.

Am 03.02.2016 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Duisburg (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie haben damit die Zahlung von 1758,47 EUR monatlich begehrt. Zur Begründung tragen sie vor, die Antragstellerin zu 1) lebe mindestens seit dem 15.08.2010 in Deutschland. Die Angabe, sie habe sich in der Zeit von Oktober 2013 bis Dezember 2014 in der Schweiz und in Bulgarien aufgehalten, treffe nicht zu. Der vormalige Lebensgefährte der Antragstellerin zu 1) habe sich vielmehr dort aufgehalten und die Antragstellerin zu 1) habe diesen dort lediglich besucht. So habe die Antragstellerin zu 3) durchgehend die Schule besucht, zunächst die K-Grundschule in H, anschließend die B-Grundschule in H. Dann sei sie auf die H-Gesamtschule in H gewechselt. Seit dem Umzug nach F besuche sie das dortige M-Gymnasium. Die Antragstellerin zu 1) sei in den Jahren 2010 und 2011 für insgesamt eineinhalb Jahre selbstständig gewesen. Sie habe einen Kiosk in H betrieben. Außerdem habe sie im Jahr 2014 als Putzhilfe in einem Kebabhaus gearbeitet.

Mit Beschluss vom 24.02.2016 hat das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 03.02.2016 bis zum 29.02.2016 vorläufig Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Höhe der Regelbedarfe und des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 3 SGB XII abzüglich anzurechnenden Einkommens i.H.v. 190,00 EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten, da sie gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien. Die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügigkeitsG/EU zu verfügen. Es sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin zu 1) sich erst seit dem Jahr 2010 in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte und nicht, wie im gerichtlichen Eilverfahren angegeben, bereits seit dem Jahr 2007. Zudem sei der Aufenthalt der Antragsteller durch eine Ausreise in die Schweiz und anschließend nach Bulgarien von Oktober 2013 bis Dezember 2014 unterbrochen worden. Die gegenteiligen Angaben seien angesichts ihres außergerichtlichen Vortrags unglaubwürdig. Auch ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin bzw. Selbstständige bestehe nicht. Da auch nie eine Arbeitnehmereigenschaft bestanden habe, könne sich die Antragstellerin zu 3) auch nicht auf ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 berufen. Jedoch sei der Hilfsantrag hinsichtlich der begehrten Leistungen nach dem SGB XII in Bezug auf die Regelleistung begründet. Das SG ist dabei der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R) gefolgt. Allerdings hätten die Antragsteller hinsichtlich der Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da konkret keine Wohnungslosigkeit oder eine vergleichbare Notlage drohe.

Am 01.03.2016 hat der Antragsgegner, am 03.03.2016 haben die Antragsteller Beschwerde dagegen eingelegt.

Die Antragsteller machen weitere Leistungen in Form der Kosten der Unterkunft und Heizung und sämtliche Leistungen auch über den 29.02.2016 hinaus geltend.

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 24.02.2016 zu ändern und den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1758,47 EUR monatlich zu zahlen,

hilfsweise den Beilgeladenen zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von 1758,47 EUR monatlich zu zahlen, sowie die Beschwerde des Antragsgegner zurückzuweisen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgericht Duisburg vom 24.02.2016 zu ändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen sowie die Beschwerde der Antragsteller zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

II.

Sowohl die Beschwerde der Antragsgegnerin, als auch die der Antragsteller ist zulässig und begründet. Das SG hat zu Unrecht den Antragsgegner statt der Beilgeladenen zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB XII verpflichtet. Zugunsten der Antragsteller war der Beigeladene jedoch auch zur Zahlung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung zu verpflichten. Darüber hinaus hat der Senat den Verpflichtungszeitraum auf sechs Monate verlängert.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG v. 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).

Nicht gegen die Antragsgegnerin, sondern gegen die Beigeladene besteht ein Anordnungsanspruch, auch ein Anordnungsgrund ist gegeben.

Die Hauptsache hat unter Berücksichtigung der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sicher Aussicht auf Erfolg (BSG Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, B 4 AS 59/13 R - juris und vom 16.12.2015 - B 14 AS 33/14 R - juris; s auch Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R; vgl. auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014 Stand 30.03.2016, § 21 Rn. 63 ff). Die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung maßgeblichen Voraussetzungen des Anspruchs sieht der Senat als glaubhaft gemacht an. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsteller sozialhilfeberechtigt sind, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht im Sinne des § 19 Abs. 1 SGB XII iVm § 27 Abs. 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten und können. Bis zum 31.12.2015 haben die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II bezogen. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsteller über zu berücksichtigendes Einkommen i.S.v. §§ 82 ff. SGB XII oder anrechenbares Vermögen i.S.v. §§ 90 ff. SGB XII verfügen.

Die Antragsteller sind auch nicht nach § 21 Abs. 1 S. 1 SGB XII vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Die Antragsteller sind nicht i.S.d. § 21 Abs. 1 S. 1 SGB XII als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, denn sie unterfallen § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und sind damit von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - juris; Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 33/14 R - juris).

Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen Prüfungsdichte liegen die Voraussetzungen der Aufenthaltsrechte aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU nicht vor. Die Antragsteller sind weder als Arbeitnehmer beschäftigt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) noch üben sie eine selbstständige Erwerbstätigkeit aus (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU). Die Voraussetzungen für ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 FreizügG/EU liegen nicht vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Der Antragsteller halten sich auch nicht zu dem Zwecke auf, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU). Sie sind auch nicht einem freizügigkeitsberechtigten Familienmitglied nachgezogen (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 FreizügG/EU). Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU) nicht gegeben. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss verwiesen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass für die Annahme eines solchen Daueraufenthaltsrechts durchgehend die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllt sein müssen (BVerwG Urteil vom 16.07.2015 - 1 C 22/14 - NVwZ 2015, 1678), was hier angesichts des Antrags auf Leistungen nach dem SGB II im Januar 2015 bereits an den erforderlichen ausreichenden Existenzmittel scheitern dürfte. Ob die Antragstellerin zu 1) über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU verfügt, kann dahinstehen. Denn dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfallen sowohl Unionsbürger mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche als auch ohne materielles Aufenthaltsrecht (BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - juris; Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 33/14 R - juris).

§ 23 Abs. 3 SGB XII steht einem Leistungsanspruch der Antragsteller nicht entgegen (vgl. BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris). Selbst wenn es sich bei den Antragstellern um Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht handelt, haben sie zwar im Hinblick auf die Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB XII keinen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII, jedoch steht ihnen ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt als Ermessensleistung nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII zu (BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - juris RdNr 40ff; Urteil vom 16.12,2016 - B 14 AS 33/14 R - juris RdNr 35; LSG NRW Beschluss vom 24.02.2016 - L 19 AS 1834/15 B ER - juris; a.A. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.02.2016 - L 3 AS 668/15 B ER - juris, SG Dortmund, Beschluss vom 11.02.2016 - S 35 AS 5396/15 ER - juris). Das Ermessen der Beigeladenen ist im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes der Antragsteller von jedenfalls mehr als einem Jahr auf null reduziert (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - juris RdNr 53; Urteil vom 16.12,2016 - B 14 AS 33/14 R - juris RdNr 37). Denn im Hinblick auf die Dauer ihres Aufenthalts und fehlende Anhaltspunkte, dafür dass die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet hat bzw. auch nur vorbereitet, haben die Antragsteller einen bereits verfestigten Aufenthalt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - juris RdNr 56 ff).

Die Beigeladene ist als örtlicher Sozialhilfeträger für die Gewährung der Hilfe nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zuständig, da die Antragsteller sich in ihrem Zuständigkeitsbereich tatsächlich aufhalten (§ 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII).

Für die Verpflichtung der Beigeladenen besteht auch ein Anordnungsgrund. Den Antragstellern drohen ohne einstweiligen Rechtsschutz schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können. Für den Regelbedarf folgt dies für die in der Vergangenheit hingenommenen und in der Zukunft abzuwendenden Beeinträchtigungen aus dem unmittelbaren Grundrechtseingriff (Art 1 Abs. 1 GG), der durch die Verweigerung der zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entsteht.

Der Senat sieht auch hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung den Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht an, denn den Antragstellern drohen ohne einstweilige Anordnung auch bezüglich der Mietwohnung schwerwiegende Nachteile, die durch das anhängige Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden könnten.

Anders als das SG ist der Senat nicht der Auffassung, dass ein Anordnungsgrund regelmäßig frühestens erst mit der Erhebung der Räumungsklage anzunehmen sei, da erst dann konkret Wohnungslosigkeit drohe, die in einem bestimmten Zeitfenster des Klageverfahrens durch die vorläufige Gewährung (auch) von Kosten der Unterkunft (vgl. §§ 543 Abs. 2 S. 2; 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) abgewendet werden könne. Die Fokussierung auf diesen Zeitabschnitt hält das Gericht für unzureichend, da schon zu einem früheren (oder auch noch späteren) Zeitpunkt - entscheidend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls - wesentliche Nachteile zu gewärtigen sein können, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 13.05.2015 - L 6 AS 369/15 B ER). Maßstab kann hier entgegen der Auffassung des SG auch nicht nur der rechtliche Rahmen einer fristlosen Kündigung sein. Wenn auch die Zahlung von Unterkunftskosten zur Abwendung der außerordentlichen Kündigung noch nach Erhebung der Räumungsklage möglich ist, gilt dies doch nicht mit vergleichbar zuverlässiger Vorhersehbarkeit für die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Durch die Nachzahlung der Rückstände wird die Kündigung nicht unwirksam, da §§ 543 Abs. 2 S. 2, 569 Ab. 3 Nr. 2 BGB im Rahmen dieser Kündigung nicht anwendbar ist (BGH Urteil vom 10.10.2012 - VIII ZR 107/12). Die danach entscheidende Frage, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, indem er in einem zur fristlosen Kündigung berechtigendem Ausmaß mit der Mietzahlung deshalb in Verzug ist, weil die Kosten der Unterkunft nicht (rechtzeitig) vom Jobcenter gezahlt worden sind (vgl. hierzu AG Lichtenberg Urteil vom 19.12.2013 - 17 C 33/13 - Rdnr 22; BGH Urteil vom 21.10.2009 - VIII ZR 64/09 - juris; LSG NRW Beschluss vom 19.05.2014 - L 19 AS 805/14 B ER - juris mwN; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.07.2014 - L 10 AS 1393/14 B ER - juris), ist jüngst vom BGH dahingehend beantwortet worden, dass das Ausbleiben existenznotwendiger Sozialleistungen dem Verzug des Mieters nicht entgegensteht (Urteil vom 04.02.2015 - VIII ZR 175/14). Angesichts der regelmäßig kurzen Kündigungsfrist nach § 573c Abs. 1 BGB droht hier bereits innerhalb weniger Wochen ein Wohnungsverlust. Die Rechtsverteidigung gegenüber einer Räumungsklage ist zudem dadurch erschwert, dass die dort beklagten Antragsteller grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe erhalten können, da der geltend gemachte Zahlungsrückstand ja besteht. Der Leistungsträger dürfte sich aber regelmäßig nicht in der Pflicht sehen, die Kosten der Rechtsverteidigung zu übernehmen. Ist damit die Gefahr des Wohnungsverlustes nicht abgewendet, wird hier auch die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie unter dem Blickwinkel der eigenbestimmten Gestaltung von Rechtsverhältnissen gefährdet.

Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Gericht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, den wesentlichen Nachteil als Anordnungsgrund unabhängig von einem bestimmten Zeit- und Verfahrensfenster unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei können nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei der Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein, wie etwa die allgemeine Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten der (einer) Räumungsklage, Umzugskosten ggfs Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindungen uVm.

Der Anordnungsgrund folgt hier aus dem Umstand, dass aufgrund des mehrmonatigen Zahlungsverzugs der Antragsteller vom Vermieter bereits eine fristlose Kündigung mit Räumungsaufforderung ausgesprochen worden ist. Der Vermieter hat außerdem einer stillschweigenden Verlängerung des Mietverhältnisses gemäß § 545 BGB widersprochen. Darüber hinaus ist er auch berechtigt, das Mietverhältnis jederzeit fristgerecht zu kündigen, was mit den dargestellten Gefahren eines unwiederbringlichen Verlustes der Wohnung verbunden ist. Insbesondere aber im Hinblick auf das sichere Vorliegen eines Anordnungsanspruchs auch in Bezug auf die Kosten der Unterkunft und Heizung sind an den anzuwendenden wesentlichen Nachteil geringere Anforderungen zu stellen. Für ausreichend hält der Senat insoweit bereits, dass die Beigeladene durch die Verweigerung der den Antragstellern unzweifelhaft zustehenden Leistungen einen rechtswidrigen Zustand aufrecht erhält (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 18.04.2016 - L 6 AS 2249/15 B ER).

Der Senat hat die vorläufige Leistungsverpflichtung der Beigeladenen trotz des bei Leistungen nach dem Dritten Kapitel geltenden Monatsprinzips auf den Zeitraum vom Wegfall der Leistungen nach dem SGB II bis zum 31.07.2016 erstreckt. Nachdem der Antragsgegner (Optionskommune) auf die für die Zeit bis zum 29.02.2016 beschränkte Verpflichtung über diesen Zeitpunkt hinaus nicht weiter beachtet und Leistungen auch für den anschließenden Zeitraum nicht vorläufig bewilligt hat, geht der Senat nicht davon aus, dass die Beilgeladene der Entscheidung im Eilverfahren folgend auch weiterhin Leistungen über das Ende des Monats nach der Entscheidung des LSG hinaus vorläufig gewähren wird. Deswegen hält der Senat es ausnahmsweise im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes und zur Vermeidung weiterer einstweiliger Rechtsschutzverfahren für sachgerecht und angemessen, die Beigeladene in Anlehnung an § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II bis zum 31.07.2016 zu verpflichten. Im Übrigen werden die finanziellen Interessen der Beigeladenen als örtlicher Sozialhilfeträger durch 102 ff. SGB X gewahrt. Des Weiteren hat die Beigeladene die Möglichkeit, die Antragstellerin zu 1) auf die Arbeitsvermittlung nach §§ 35 ff. SGB III durch die Bundesagentur für Arbeit zu verweisen. Sobald sie den Status einer Arbeitnehmerin i.S.d. Gemeinschaftsrechts der Europäischen Union erlangt hat, entfällt der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und sie unterfällt dem Regime des SGB II (LSG NRW Beschluss vom 24.02.2016 - L 19 AS 1834/15 B ER).

Die Kostenentscheidung folgt einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved