S 11 KR 349/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 KR 349/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 4.677,83 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die wegen Aufrechnung vorenthaltene Vergütung des Klägers in Höhe von 4.677,83 Euro streitig.

Am 29.03.2012 erschien die bei der Beklagten versicherte F. A. beim Kläger und legte ein Rezept der Universitätsklinik D-Stadt vom 28.03.2012 vor. Daraufhin gab der Kläger das rezeptierte Medikament an die F. A. ab. Nach Rechnungsstellung durch den Kläger bezahlte die Beklagte dem Kläger die Vergütung in Höhe von 4.677,83 Euro. Da das von der Universitätsklinik D-Stadt ausgestellte Rezept vom verordnenden Arzt nicht unterzeichnet worden war, beanstandete die Beklagte mit Schriftsatz vom 08.03.2013 die Abrechnung der Vergütung gemäß § 9 des Arzneimittelversorgungsvertrages Bayern (AV-Bay) und rechnete den Betrag in Höhe von 4.677,83 Euro im Juni 2013 mit weiteren unstreitigen Zahlungsansprüchen des Klägers gegen die Beklagte auf. Mit Schriftsatz vom 19.03.2013 erhob der Kläger gegen die Retaxation Einspruch und begründete ihn im Wesentlichen damit, dass der verordnende Arzt das Rezept zwar versehentlich nicht unterzeichnet habe, die Verordnung des Medikaments und die Ausstellung des Rezepts jedoch durch einen hierzu befugten Arzt, nämlich Herrn Oberarzt Prof. Dr. M., Medizinische Klinik des Universitätsklinikums D-Stadt, erfolgt sei, was dieser ihm am 15.03.2013 auch schriftlich bestätigt habe. Mit Schriftsatz vom 09.04.2013 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers zurück. Da zwischenzeitlich der streitgegenständliche Betrag gegen weitere unstreitige Forderungen des Klägers aufgerechnet worden war, forderte der Kläger die Beklagte mit Schriftsatz vom 27.06.2013 unter Fristsetzung zum 12.07.2013 zur Bezahlung des streitgegenständlichen Betrags auf. Eine Zahlung erfolgte jedoch nicht.

Am 19.08.2013 hat der Kläger zum Sozialgericht Nürnberg (SG) Leistungsklage erhoben (Schriftsatz vom 13.08.2013) und zur Begründung mit Schriftsätzen vom 13.08.2013 und 22.10.2013, in der nichtöffentlichen Sitzung vom 27.05.2014 sowie mit Schriftsätzen vom 03.06.2014, 26.06.2014, 05.08.2014, 07.10.2014 und 11.11.2014 insbesondere vorgetragen, dass sein Anspruch gemäß § 129 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i. V. m. dem AV-Bay begründet sei. Zwar sei es zutreffend, dass die Unterschrift des verordnenden Arztes grundsätzlich Voraussetzung für einen Zahlungsanspruch sei. Die Beanstandung durch die Beklagte sei insoweit zu Recht erfolgt. Der ursprünglich vorhandene Fehler sei jedoch im Rahmen des gemäß § 9 AV-Bay vorgesehenen Verfahrens beseitigt worden, da nachgewiesen worden sei, dass die Verordnung des Medikaments sowie die Ausstellung des entsprechenden Rezepts tatsächlich durch einen hierzu berechtigten Arzt erfolgt sei. Die Verordnung des Medikaments sowie die Ausstellung des Rezepts sei durch Frau Dr. C. M. erfolgt. Die bereits vorgelegte Bestätigung über die Korrektheit der Verordnung vom 28.03.2012 sei durch M. ausgestellt worden. C. M. habe nochmals schriftlich bestätigt, dass die Verordnung der Medikamente Tasigna 200 mg 4x 28 Hartkapseln und Zofran 4 mg 10 Ftb gemäß dem Rezept vom 28.03.2012 durch sie persönlich erfolgt sei ebenso wie die Ausstellung des entsprechenden Rezepts vom 28.03.2012 (siehe die beigefügte Bestätigung der C. M.). Dies habe sie ergänzend auch dadurch bestätigt, dass sie einen Nachdruck des Rezepts vom 28.03.2012 nochmals persönlich unterzeichnet habe (siehe beglaubigte Kopie in der Anlage). Daher stehe die Identität des ausstellenden Arztes sowie die Tatsache, dass das Rezept durch einen hierzu berechtigten Arzt ausgestellt worden sei, außer Frage. Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung gehe damit ins Leere. Maßgeblich sei insbesondere, dass der AV-Bay selbst in § 9 ein Verfahren zur Behandlung von Beanstandungen fehlerhafter Verordnungen vorsehe, das auch die Möglichkeit beinhalte, aufgetretene Fehler im Abrechnungsverfahren zu beseitigen. Unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten wäre das vorgesehene Einspruchsverfahren gemäß § 9 AV-Bay überflüssig. Die von der Beklagten bezeichneten Ziffern eröffneten dem Apotheker die Möglichkeit, selbst die Korrekturen vorzunehmen, während dies bei der fehlenden Unterschrift des verordnenden Arztes nicht möglich sei, sodass im letzteren Fall das Einspruchsverfahren zum Tragen komme.

Zwar sei das im Arzneimittelversorgungsvertrag geregelte Einspruchsverfahren dem öffentlich-rechtlichen Widerspruchsverfahren nachempfunden. Hieraus ergebe sich jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten (Schriftsatz vom 24.06.2014) genau die umgekehrte Konsequenz, nämlich die, dass eine Heilungsmöglichkeit bestehe. Dies sei deshalb der Fall, da die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich sei. Damit seien bei der Entscheidung des Gerichts auch etwaige nachträgliche Korrekturen zu berücksichtigen. Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 09.09.2014 nunmehr die Auffassung vertrete, dass das im Arzneimittelversorgungsvertrag geregelte Einspruchsverfahren mit einem Verwaltungsverfahren nach dem SGB X nicht vergleichbar sei, setze sie sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Vorbringen.

Die Entscheidung des SG Hannover vom 01.11.2011 (S 19 KR 362/10) beschäftige sich exakt mit der gleichen Frage, die im vorliegenden Fall streitig sei. Dies sei die Frage, ob die fehlende Arztunterschrift auf dem Verordnungsblatt durch einen nachträglichen Nachweis im Rahmen des Einspruchsverfahrens, dass die Verordnung tatsächlich durch einen Arzt erfolgt sei, beseitigt werden könne. Der einzige Unterschied sei der, dass ein anderer Arzneimittelversorgungsvertrag zugrunde liege. Dies sei jedoch de facto kein wirklicher Unterschied in den Sachverhalten, da die Regelungen in den beiden Verträgen im Ergebnis inhaltsgleich seien.

Zu der von der Beklagten zitierten Entscheidung des LSG Niedersachsen Bremen vom 20.03.2013 (L 4 KR 77/12) sei festzuhalten, dass diese ebenfalls unzutreffend sei. Dies insbesondere deshalb, da sich die Entscheidung zu Unrecht auf rein formale Argumente stütze, obwohl in der Entscheidung - insoweit richtig - mehrfach ausgeführt werde, dass für die Frage, ob ein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse bestehe, maßgeblich sei, ob eine ärztliche Verordnung für die Abgabe des Medikaments vorliege. Das LSG stelle insoweit unzutreffend maßgeblich darauf ab, ob das Formblatt fehlerfrei ausgefüllt sei und es sich bei den Abrechnungen zwischen Apothekern und Krankenkassen jeweils um Massenverfahren handele, die eine Überprüfung im Einzelfall nicht zuließen. Dieses Argument sei allerdings vollständig unzutreffend, da trotz der Vielzahl von Abrechnungen, die insgesamt zwischen Apothekern und Krankenkassen stattfänden, Überprüfungen von Einzelfällen durchgeführt würden.

Abschließend sei noch festzuhalten, dass die Argumentation der Beklagten mit formalen Fehlern der Abrechnung jedenfalls treuwidrig sei. Dies sei der Fall, da Überprüfungen auf formale Fehler des Verordnungsblattes praktisch ausschließlich bei hochpreisigen Medikamenten erfolgten. Die Frage, welche Risiken ein Medikament in sich birge, sei jedoch vom Preis eines Medikaments völlig unabhängig, auch geringpreisige Medikamente könnten ein hohes Gefährdungspotenzial haben. Dies zeige jedoch deutlich, dass es bei den Überprüfungen der Abrechnungen durch die Beklagte in keiner Weise um die Medikamenten- bzw. Patientensicherheit gehe, sondern ausschließlich darum, die berechtigten Vergütungen der Apotheker zu kürzen. Letztendlich führe jedoch dies zu einer Gefährdung der Arzneimittelsicherheit, da hierdurch die notwendige finanzielle Absicherung der Apotheker gefährdet werde. Zu beachten sei hierbei nicht zuletzt, dass die Gewinnspanne des Klägers für das vorliegend streitige Medikament unter 5 % liege, sodass er aufgrund der eigenen Zahlungspflicht gegenüber dem Lieferanten des Medikaments einen ganz erheblichen Schaden erleiden würde, während sich die Beklagte durch die Retaxation ihrer Verpflichtung gegenüber dem Versicherten zur Versorgung mit Medikamenten in Form von Sachleistungen entziehe.

Der Kläger beantragt (Schriftsatz vom 13.08.2013):
1. Die Beklagte wird verurteilt, an ihn 4.677,83 Euro zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Hingegen beantragt die Beklagte (Schriftsatz vom 23.09.2013):
Die Klage wird abgewiesen.

Zur Klageerwiderung trägt die Beklagte mit Schriftsatz vom 23.09.2013, in der nichtöffentlichen Sitzung vom 27.05.2014 sowie mit Schriftsätzen vom 24.06.2014, 09.09.2014, 31.10.2014 und 01.12.2015 insbesondere Folgendes vor:

Der Kläger sei Mitglied im Bayerischen Apothekerverband e. V. (BAV). Gemäß § 2 Abs. 2 AV-Bay habe der Vertrag Rechtswirkungen für öffentliche Apotheken, deren Inhaber dem BAV angehörten. Ein Vertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke komme für vertragsgegenständliche Produkte durch die Annahme einer ordnungsgemäßen gültigen vertragsärztlichen Verordnung durch die Apotheke zustande (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AV-Bay). Sei eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, bestehe kein vertraglicher Zahlungsanspruch gegenüber der Krankenkasse (§ 3 Abs. 2 AV-Bay). Ordnungsgemäß sei eine vertragsärztliche Verordnung, wenn sie auf einem zwischen den Partnern des Bundesmanteltarifvertrags Ärzte nach § 87 SGB V vereinbarten (Muster 16 a) bzw. einem amtlichen (Muster 16) Verordnungsblatt ausgestellt sei und die Unterschrift des Vertragsarztes enthalte. Durch die hier fehlende Unterschrift handele es sich bei der vorliegenden Verordnung um keine ordnungsgemäß ausgestellte Verordnung. Somit bestehe auch kein vertraglicher Zahlungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten.

Da sich das Urteil des SG Hannover, auf das sich der Kläger berufe, auf den Ersatzkassenvertrag beziehe und die vertraglichen Vereinbarungen im Ersatzkassenvertrag von den hier maßgeblichen erheblich abwichen, sei eine Übertragbarkeit ausgeschlossen. Das Urteil des SG Hannover vom 01.11.2011 (S 19 KR 362/10) sei durch das LSG Niedersachsen Bremen mit Urteil vom 20.03.2013 (L 4 KR 77/12) aufgehoben worden. Das LSG habe bestätigt, dass der Apotheker bei fehlender Unterschrift keinen Vergütungsanspruch habe. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Apothekers zum BSG sei mit Beschluss vom 26.02.2014 (B 1 KR 45/13 B) verworfen worden. Somit sei das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen rechtskräftig.

Bei den Buchstaben a bis e des Absatzes 2 des § 3 AV-Bay sei eine nachträgliche Korrekturmöglichkeit gegeben, während beim Buchstaben f "Unterschrift des Vertragsarztes" eine nachträgliche Korrekturmöglichkeit nicht vorgesehen sei. Daher sei ein entsprechender Vertrag nicht zustande gekommen. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass die Einspruchsmöglichkeit im AV-Bay nicht dazu diene, Abgabefehler der Apotheke nachträglich zu heilen oder zu korrigieren. Das Einspruchsverfahren sei ein dem Widerspruchsverfahren nachempfundenes Verfahren, das lediglich dazu diene, nach einer Absetzung der Krankenkasse und vor einer Klageerhebung durch den Apotheker der Kasse nochmals die Möglichkeit zu geben, ihre Entscheidung zu überprüfen. Abgabefehler könnten jedoch nach der erfolgten Arzneimittelabgabe nicht mehr korrigiert werden. Die gesetzlichen, untergesetzlichen und vertraglichen Arzneimittelabgaberegelungen dienten gerade dazu, die Sicherheit der Patienten vor der Aushändigung der Arzneimittel an diese sicher zu stellen. Eine fehlende Unterschrift auf dem Rezept sei eines der schwersten Fehler, die eine Verordnung aufweisen könne und die zur Unwirksamkeit der Verordnung führe. Die Legitimation für die Verordnung fehle. Mit der Unterschrift werde vom Arzt bestätigt, dass er das Arzneimittel tatsächlich habe verordnen wollen und dafür auch haftungsrechtlich einstehe. Wenn nun der Apotheker eine Verordnung ohne Unterschrift einlöse, sei das gleichzusetzen mit einer Abgabe ohne Verordnung. Ein Nachholen der Unterschrift nach der Abgabe oder eine Bestätigung durch den Arzt könne die Schutzfunktion der Unterschrift nicht mehr erfüllen und sei daher in keinem Falle zulässig. Ergänzend werde mitgeteilt, dass es sich beim Arzneimittelversorgungsvertrag um eine vertragliche Regelung handele und das Verfahren somit nicht mit den Grundsätzen eines Verwaltungsverfahrens nach dem SGB X vergleichbar sei. Es werde auf den rechtskräftigen Gerichtsbescheid des SG München vom 28.10.2013 (S 29 KR 1270/12) verwiesen.

Das Gericht hat die Akte der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte und der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG auch im Übrigen zulässig (§§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG, 54 Abs. 5 SGG, 57 Abs. 1). Eines Vorverfahrens gemäß § 78 ff SGG bedurfte es nicht, sodass auch keine Klagefrist einzuhalten war (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 54 Rn. 41).

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung aus der Verordnung vom 28.03.2012 in Höhe von 4.677,83 Euro. Die Aufrechnung in Höhe dieses Betrags mit späteren Vergütungsansprüchen des Klägers gegen die Beklagte erfolgte zu Recht. Denn ein Vergütungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte in Höhe von 4.677,83 Euro ist aufgrund fehlender Unterschrift des verordnenden Arztes auf der ärztlichen Verordnung vom 28.03.2012 nicht entstanden.

Der Vergütungsanspruch bestimmt sich nach § 129 SGB V i. V. m. dem nach § 129 Abs. 2 SGB V abgeschlossenen Rahmenvertrag. Nach § 129 SGB V geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträge (§ 129 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 SGB V (vergleiche auch § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V)) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung ab. Diese Vorschrift begründet in Verbindung mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird (st Rspr, BSG, Urteil vom 03.07.2012, B 1 KR 16/11 R, Juris Rn. 9; vom 06.03.2012, B 1 KR 14/11 R; BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 12 f; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 5, Rn. 15).

Die Beklagte hat zu Recht analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegen die vermeintliche und bereits beglichene Vergütungsforderung des Klägers in Höhe von 4.677,83 Euro mit weiteren unstreitigen Zahlungsansprüchen des Klägers gegen die Beklagte aufgerechnet. Die Voraussetzungen des Gegenanspruchs der Beklagten aus öffentlich-rechtlicher Erstattung waren zum Zeitpunkt der Aufrechnung erfüllt, weil die Beklagte dem Kläger ohne Rechtsgrund 4.677,83 Euro gezahlt hatte. Die Beklagte durfte mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung gegen die Hauptforderung aufrechnen (vgl. allgemein z. B. BSG, Urteil vom 06.03.2012, B 1 KR 14/11 R; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17 b Nr. 2, Rn. 10 f m. w. N.; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr. 3 Rn. 15). Der vermeintliche Vergütungsanspruch des Klägers und der von der Beklagten geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erfüllten die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war auch fällig und der Vergütungsanspruch des Klägers erfüllbar.

Die Beklagte hatte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Kläger, weil sie ihm ohne Rechtsgrund 4.677,83 Euro gezahlt hatte. Denn ein Vergütungsanspruch des Klägers war wegen fehlender Unterschrift des Arztes auf der ärztlichen Verordnung vom 28.03.2012 nicht entstanden.

Die sich aus der Erbringung von Leistungen für nach dem SGB V Versicherte ergebenden Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern sind öffentlich-rechtlicher Natur (vgl. BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 11 ff m. w. N.). Bei derartigen öffentlich-rechtlichen geprägten Rechtsbeziehungen tritt an die Stelle des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs nach § 812 BGB der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl. BSG, Urteil vom 03.07.2012, B 1 KR 16/11 R; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17 b Nr. 2, Rn. 9, 11 f m. w. N.).

Der Kläger ist Mitglied im Bayerischen Apothekerverband e. V. (BAV). Gemäß § 2 Abs. 2 Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bay) in der Fassung vom 27.02.2012 hat der Vertrag Rechtswirkung für öffentliche Apotheken, deren Inhaber dem BAV angehören. Die Beklagte ist u. a. Vertragspartnerin des AV-Bay. Somit sind die Beteiligten an den AV-Bay vertraglich gebunden.

Ein Vertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke kommt für vertragsgegenständliche Produkte durch die Annahme einer ordnungsgemäßen gültigen vertragsärztlichen Verordnung durch die Apotheke zustande (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AV-Bay a. a. O.). Ist eine dieser Voraussetzungen (die Voraussetzungen werden im Vertrag nachstehend aufgeführt) nicht erfüllt, besteht kein vertraglicher Zahlungsanspruch gegenüber der Krankenkasse (§ 3 Abs. 1 Satz 3 AV-Bay a. a. O.).

Ordnungsgemäß ist eine vertragsärztliche Verordnung u. a. dann, wenn sie die Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes enthält (§ 3 Abs. 2 Buchst. f AV-Bay, a. a. O.).

Im vorliegenden Fall hat auf dem Verordnungsblatt jedoch - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - die Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes (C. M.) gefehlt. Durch die fehlende Unterschrift handelt es sich bei der vorliegenden Verordnung um keine ordnungsgemäß ausgestellte Verordnung. Somit ist zwischen den Beteiligten ein Vertrag nicht zustande gekommen und auch ein vertraglicher Zahlungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten nicht entstanden.

Zur Überzeugung des Gerichts steht auch fest, dass eine sogenannte "Heilung" der fehlenden Unterschrift im Einspruchsverfahren im AV-Bay (a. a. O.) nicht vorgesehen und rechtlich nicht möglich ist. Dies ergibt sich aus der grammatikalischen, systematischen und teleologischen Interpretation der §§ 3 Abs. 2 Buchst. f, 9 AV-Bay (a. a. O.). Während nach § 3 Abs. 2 Buchst. a bis e des AV-Bay (a. a. O.) bestimmte fehlende Angaben vom Apotheker ergänzt werden müssen (siehe § 3 Abs. 2 Buchst. d: Fehlende Angabe der Betriebsstättennummer bzw. Nebenbetriebsstättennummer (BSNR bzw. NBSNR) im Versichertenfeld muss vom Apotheker mit der BSNR bzw. NBSNR aus der Codierzeile ergänzt werden; fehlende Angabe der LANR (lebenslange Arztnummer) im Versichertenfeld muss vom Apotheker aufgrund einer Rücksprache mit dem Vertragsarzt ergänzt werden; ein fehlendes oder ein offensichtlich falsches Ausstellungsdatum der Verordnung darf vom Apotheker aufgrund einer Rücksprache mit dem Vertragsarzt ergänzt bzw. korrigiert werden, § 3 Abs. 2 Buchst. e AV-Bay, a. a. O.) enthält die Regelung des § 3 Abs. 2 Buchst. f. "Unterschrift des Vertragsarztes" gerade keinen Hinweis auf eine Verpflichtung bzw. Möglichkeit des Apothekers, die fehlende Unterschrift des Vertragsarztes nach Rücksprache mit dem Vertragsarzt zu ergänzen bzw. nachzuholen. Daraus ist ersichtlich, dass die Unterschrift des Vertragsarztes wesentlicher Bestandteil einer ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Verordnung ist und zum Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels vorliegen muss, was eine Nachholung einer fehlenden Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes ausschließt.

Zu Unrecht vertritt der Kläger in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass gerade die fehlende Verpflichtung bzw. Möglichkeit des Apothekers, eine fehlende Unterschrift des verordnenden Vertragsarztes zu ergänzen bzw. nachzuholen, durch das Einspruchsverfahren gemäß § 9 Abs. 4 bis 6 AV-Bay (a. a. O.) geheilt werden könne, weil andernfalls das Einspruchsverfahren sinnlos wäre. § 9 Abs. 4 bis 6 AV-Bay (a. a. O.) regelt den Verfahrensablauf einschließlich einzuhaltender Fristen, wenn der Apotheker gegen eine Beanstandung der Krankenkasse Einspruch erhebt. Die dargelegte Argumentation des Klägers vermag das Gericht schon deshalb nicht zu überzeugen, weil das Einspruchsverfahren gemäß § 9 Abs. 4 bis 6 AV-Bay (a. a. O.) lediglich eine Abhilfe- bzw. Korrekturmöglichkeit für die Krankenkasse eröffnet, nicht jedoch eine Korrekturmöglichkeit für den Apotheker durch nachträgliche Ergänzung des Sachverhalts, hier durch Ergänzung fehlender Angaben aufgrund Nachholung der Unterschrift des verordnenden Arztes. Für die Rechtsauffassung des Klägers ergeben sich weder aus dem Wortlaut der §§ 3 Abs. 2 Buchst. a bis f, 9 Abs. 4 bis 6 AV-Bay (a. a. O.) noch aus der Systematik der genannten Vorschriften Anhaltspunkte.

Nur diese Auslegung wird dem Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschriften des AV-Bay (a. a. O.), insbesondere § 3 Abs. 2 Buchst. f gerecht. Denn die Unterschrift des verordnenden Arztes auf einem Rezept ist kein bloßer formaler Vorgang, sondern dient der Patientensicherheit und soll Leben und körperliche Unversehrtheit der Patienten schützen (so zu Recht auch SG München, Gerichtsbescheid vom 28.10.2013, S 29 KR 1270/12). Nicht zuletzt deswegen sieht auch die Arzneimittelverschreibungsverordnung die eigenhändige Unterschrift bzw. die qualifizierte elektronische Signatur der verschreibenden Person vor (SG München, a.a.O., Rn. 3). Eine ärztliche Verordnung ohne Unterschrift des verordnenden Arztes gibt nicht zu erkennen, dass der ausstellende Arzt der Verordnung die entscheidende Gültigkeit verliehen hat. Dass Rezeptentwürfe ohne ärztliche Unterschrift zu Abgaben von Arzneimitteln an die Patienten führen, ist ausnahmslos zu verhindern. Die Patientensicherheit im Sinne des Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Patienten (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG) ist ein hohes Gut, das es vorrangig zu schützen gilt und die finanziellen Interessen des Apothekers überwiegt. Denn nur dann, wenn zum Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels eine gültige Unterschrift des verordnenden Arztes vorliegt, ist eine Garantie dafür gegeben, dass die Patienten Medikamente erhalten, die im Rahmen der ärztlich vorgesehen Therapie verschrieben worden sind und unter ärztlicher Verantwortung stehen. Wenn die Ausgabe von Medikamenten an den Patienten bereits ohne ausreichende unterschriftliche Legitimation durch den Arzt erfolgt ist und dieser das Medikament verwendet, kann dies zu unkalkulierbaren gesundheitlichen Risiken für Leben und Gesundheit der Patienten führen. Zu Recht vertritt die Beklagte in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass die Abgabe eines Medikaments aufgrund einer Verordnung ohne Unterschrift des verordnenden Arztes dem Fall gleichzusetzen ist, dass ein Medikament ohne ärztliche Verordnung abgegeben wird.

Nachträgliche Bestätigungen der behandelnden Ärzte, das Arzneimittel tatsächlich verschrieben zu haben, können die fehlende Unterschrift nicht heilen, weil die Berechtigung zur Abgabe eines Arzneimittels nicht im Nachhinein, sondern zum Schutz der Patienten und - letztlich auch zum Schutz der Apotheker - ausschließlich vor Abgabe des Arzneimittels eindeutig geklärt sein muss. Die Bestätigung der behandelnden Ärztin C. M., dass sie die ärztliche Verordnung ausgestellt hat, ist daher ohne rechtliche Relevanz. Der Pa-tientenschutz ist nur dann gewährleistet, wenn eine nachträgliche Einzelfallprüfung im Nachhinein nicht möglich ist. Ob das Einspruchsverfahren ein dem Widerspruchsverfahren nachempfundenes Verfahren ist oder es sich insoweit lediglich um vertragliche Regelungen handelt, kann daher dahinstehen.

Aus den dargelegten Gründen vermag das Gericht der Auffassung des SG Hannover im Urteil vom 01.11.2011 (S 19 KR 362/10) nicht zu folgen, dass die in anderen Konstellationen regelmäßig zu besorgenden Beweisschwierigkeiten im Fall fehlender Arztunterschrift nicht bestünden und deshalb eine Heilung im Einspruchsverfahren möglich sei. Der dargestellte Schutzzweck der zitierten maßgeblichen Vorschriften des AV-Bay (a. a. O.) lässt es gerade nicht zu, die Problematik darauf zu reduzieren, ob Beweisschwierigkeiten vorliegen und tatsächlich eine Verordnung durch einen Vertragsarzt ausgestellt worden ist.

Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich nicht aus der Argumentation des Klägers, es bestehe eine Heilungsmöglichkeit, weil die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich sei. Denn streitgegenständlich ist hier die Frage, ob ein Vertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten zustande gekommen ist, d. h. maßgeblich ist der Zeitpunkt der Abgabe des streitgegenständlichen Medikaments durch den Kläger.

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist die Argumentation der Beklagten auch nicht treuwidrig, weil es sich hier lediglich "um formale Fehler der Abrechnung" handele. Vielmehr stellt die fehlende Unterschrift des verordnenden Arztes aus den dargelegten Gründen einen schweren inhaltlichen Fehler dar, der dem Fall fehlender ärztlicher Verordnung gleichzustellen ist.

Eines Hinweises darauf, dass eine andere Betrachtungsweise zu einer erheblichen und mit den Erfordernissen einer Massenverwaltung nicht zu vereinbarenden Erschwerung der Abrechnungsverfahren führen würde (so LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.03.2013, L 4 KR 77/12), bedarf es aufgrund des eindeutigen Ergebnisses grammatikalischer, systematischer und teleologischer Interpretation der zitierten maßgeblichen Vorschriften des AV-Bay (a. a. O.), deren vorrangiger Schutzzweck die Patientensicherheit ist, nicht.

Die in den zitierten vertraglichen Vorschriften enthaltenen Berufsausübungsregelungen gemäß Art. 12 Abs. 1 GG sind im Hinblick auf die höher zu bewertenden Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zulässig und schränken Art. 12 Abs. 1 GG nicht rechtswidrig ein. Ein Verstoß gegen andere Grundrechte ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

Dem Kläger steht auch kein Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu, weil andernfalls die dargestellte überragend wichtige Steuerungsfunktion des Leistungserbringungsrechts zu Nichte gemacht würde (siehe BSG, Urteil vom 17.03.2005, B 3 KR 2/05 R Juris Rn. 32).

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Kläger durch die von der Beklagten vorgenommenen Retaxationen und die dadurch bedingten Aufrechnungen nicht in seinen Rechten verletzt wurde, sodass die Klage mit der Kostenfolge aus § 197 a Abs. 1 SGG i. V. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) abzuweisen war. Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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