S 5 SB 1082/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 SB 1082/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 09.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2015 verurteilt, an die Klägerin für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens weitere 21,00 Euro zu zahlen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, in welcher Höhe Kosten für die erfolgreiche Durchführung eines Widerspruchsverfahrens von dem Beklagten zu erstatten sind.

Die 1938 geborene Klägerin hatte im Oktober 2013 einen Antrag auf Neufeststellung und Bewertung der bei ihr vorliegenden Behinderungen nach dem Sozialgesetzbuch, 9. Buch (SGB IX) gestellt. Mit Bescheid vom 16.01.2014 wurde nach gutachtlicher Stellungnahme der Antrag abgelehnt. Der Grad der Behinderung wurde zwar mit 100 bewertet. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die ebenfalls beantragten Merkzeichen aG und RF wurde jedoch nicht angenommen. Hiergegen hatte der Sozialverband Deutschland, Landesverband Niedersachsen e.V., bei dem die Klägerin Mitglied ist, Widerspruch erhoben und auf weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen hingewiesen. Nach einer erneuten gutachtlichen Stellungnahme des beklagten Kreises erteilte dieser am 20.08.2014 einen Abhilfebescheid und nahm die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG an. Die Kosten des Verfahrens sollten, sofern sie der Klägerin entstanden sind, zu 3/4 erstattet werden.

Mit Schreiben vom 07.10.2014 wies die Bevollmächtigte der Klägerin darauf hin, dass sich die Klägerin mit einem Eigenanteil in Form eines pauschalen Auslagenersatzes i.H.v. 50,00 EUR an den Kosten des Widerspruchsverfahren zu beteiligen habe. Sie machte daher für das Mitglied die Erstattung der notwendigen Kosten in Höhe von 37,50 EUR geltend.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.10.2014 erstattete die Beklagte der Klägerin einen Betrag i.H.v. 16,50 EUR. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass ausgehend von einem Gesamtbetrag i.H.v. 22,00 EUR ein Anteil von 75 % zu erstatten sei. Vor diesem Hintergrund betrage der Erstattungsbetrag lediglich 16,50 EUR. Der Beklagte berief sich dabei offenbar auf eine Weisung, die einen Beschluss der 88. Arbeits- und Sozialminister-Konferenz aus dem Jahr 2011 zum Gegenstand hat, wonach in der Sitzung vom 23./24.11.2011 die Pauschalerstattungen für Behindertenverbände für die Durchführung von Widersprüchen und Gerichtsverfahren angepasst wurden. Als üblicher Gebührensatz gelte danach ein Betrag von 22,00 EUR für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie führte zur Begründung aus, der Sozialverband sei aufgrund seiner Satzungsbestimmungen berechtigt, eine Kostenbeteiligung in der genannten Höhe zu erheben. Dies ergebe sich auch aus einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.09.2014. Sie machte vor diesem Hintergrund den noch fehlenden Restbetrag i.H.v. 21,00 EUR geltend.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.2015 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte aus, nach der aktuellen Weisungslage des Ministeriums bestehe keine Möglichkeit für die Zugrundelegung einer höheren Pauschale.

Hiergegen richtet sich die am 07.09.2015 erhobene Klage, mit der die Klägerin die Erstattung der Kosten für das Widerspruchsverfahren unter Berücksichtigung einer Kostenpauschale von 50 EUR begehrt. Die Klägerin führt hierzu aus, die außergerichtlichen Kosten seien in der geltend gemachten Höhe grundsätzlich erstattungsfähig. Rechtsgrundlage hierfür sei § 63 Sozialgesetzbuch, 10. Buch (SGB X). Diese Vorschrift könne nicht durch eine Weisung eines Landesministeriums eingeschränkt bzw. geändert werden.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 09.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2015 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, weitere 21,00 EUR an außergerichtlichen Kosten an die Klägerin zu zahlen.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt zur Begründung aus, die Höhe des Grundbetrages, welcher der Berechnung der Kostenerstattung zu Grunde zu legen sei, sei durch eine ministerielle Weisung geregelt. Danach sei festgelegt, dass den Behindertenverbänden bei der Vertretung von Berechtigten nach dem Schwerbehindertengesetz im Vorverfahren nach § 63 SGB X ein Pauschalbetrag i.H.v. 22,00 EUR erstattet werden kann. Diese Weisung erlaube es nicht, eine darüber hinausgehende Anerkennung der vom Behindertenverband satzungsgemäß zugrundegelegten Pauschale i.H.v. 50,00 EUR zu akzeptieren. Dies würde zu einer Ungleichbehandlung der verschiedenen Sozialverbände in Nordrhein-Westfalen führen. Bislang sei noch nicht geklärt, ob aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung eine Änderung beabsichtigt sei.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis gegeben haben (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 09.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 SGG, denn der Bescheid ist rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung weiterer außergerichtlicher Kosten für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 21,00 EUR gegenüber dem Beklagten.

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 63 Abs 1 S 1 SGB X. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Der Widerspruch der Klägerin gegen den ursprünglichen Feststellungsbescheid war teilweise erfolgreich, da die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG festgestellt worden sind. Die Kostenerstattungspflicht dem Grunde nach hat der Beklagte im Abhilfebescheid vom 20.08.2014 anerkannt. Zwischen den Beteiligten ist im Übrigen unstrittig, dass der Klägerin die Kosten für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens satzungsgemäß entstanden und von ihr beglichen worden sind.

§ 63 Abs 2 SGB X findet vorliegend keine Anwendung. Von dieser Regelung sind nämlich nur die darin angesprochenen Bevollmächtigten erfasst, deren Gebührenerhebung auf gesetzlicher Grundlage beruht (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2007, B 9 A SB 03/05 R, BSGE 98, 183). An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend, da die Vertreter des Sozialverbandes nicht nach einer gesetzlichen Gebührenordnung abrechnen.

Allerdings ist der Kostenaufwand, den die Klägerin entsprechend der Satzung des Sozialverbandes zu leisten hat, als Aufwendung im Sinne des § 63 Abs 1 S 1 SGB X zu verstehen. Zu den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen in diesem Sinne können auch die streitigen Kosten einer sogenannten Verbandsvertretung gehören. Im Rahmen einer erlaubten Verfahrensvertretung zulässigerweise erhobene Kosten eines bevollmächtigten Verbandsvertreters, die das Verbandsmitglied zu tragen hat, können auf dieser Rechtsgrundlage als notwendige Aufwendungen im Widerspruchsverfahren erstattungsfähig sein (BSG, Urteil vom 18.09.2014, B 14 AS 5/14 R, BSGE 117, 37 ff.; BSG, Urteil vom 29.03.2007, B 9 A SB 3/05 R, BSGE 98, 183).

Nach dieser Rechtsprechung setzt der Erstattungsanspruch für Kosten einer Verbandsvertretung voraus, dass die zu Grunde liegende Kostenforderung in einer satzungsrechtlichen Grundlage wurzelt, die satzungsmäßige Verbandsvertretung rechtmäßig ist und den Erstattungsberechtigten hierfür eine endgültige Kostentragungspflicht trifft (vgl. BSG, Urteil vom 18.09.2014, B 14 AS 5/14 R, aaO).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Nach § 5 Abs.1 der Satzung des SoVD-Landesverbandes Niedersachsen gewährt der Verband seinen Mitgliedern im Rahmen des gesetzlich zulässigen bei Bedarf Auskunft, Beratung und Hilfe bei der Fertigung von Anträgen, Verfolgung von Ansprüchen auf den speziellen Gebieten des Sozialrechts sowie des Verwaltungs- und Arbeitsrechts. Nach § 5 Abs. 2 der Satzung haben die Mitglieder einen pauschalen Kostenbetrag aufgrund der durch die Vertretung entstehenden Kosten zu entrichten. Das nähere, insbesondere die Höhe des Kostenbetrages wird in der Leistungsordnung geregelt.

In der maßgeblichen Leistungsordnung ist zu Ziffer 4 die Kostenbeteiligung geregelt. Danach beträgt die Kostenbeteiligung für Antragsverfahren 10,00 EUR, für Widerspruchsverfahrens 50,00 EUR, für die Durchführung von Gerichtsverfahren in der 1. Instanz 100,00 EUR (80,00 EUR wenn das vorangegangene Verfahren bereits vom SoVD betrieben wurde) und in der 2. Instanz 120,00 EUR (bzw. 90,00 EUR).

Diese Regelungen bilden eine ausreichende Grundlage für eine Kostenforderung. Aus ihnen ist sowohl für die Mitglieder als auch für außenstehende Dritte deutlich erkennbar, unter welchen Voraussetzungen sowie in welcher Höhe die Kostenforderung entsteht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Konkretisierung des Kostenbetrages in einer von Landesvorstand beschlossenen Leistungsordnung geregelt ist. Denn die Grundlagen hierfür sind eindeutig in § 5 Abs 2 der Satzung festgelegt.

Der Kostenforderung stehen andere Wirksamkeitshindernisse nicht entgegen. Es liegt eine erlaubte Verfahrensvertretung vor und die Kostenforderung übersteigt nicht die einer Rechtsanwaltsvergütung.

Insbesondere ist die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen - wie hier die Vertretung im Widerspruchsverfahren - nach § 3 RDG zulässig. Nach § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RDG sind Rechtsdienstleistungen erlaubt, die berufliche oder andere zur Wahrung gemeinschaftlicher Interessen gegründete Vereinigungen und deren Zusammenschlüsse im Rahmen ihres satzungsmäßigen Aufgabenbereichs für ihre Mitglieder oder für die Mitglieder der ihnen angehörenden Vereinigungen oder Einrichtungen erbringen, soweit sie gegenüber der Erfüllung ihrer übrigen satzungsmäßigen Aufgaben nicht von übergeordneter Bedeutung sind.

Der SoVD-Landesverband Niedersachsen ist eine Vereinigung im Sinne des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RDG. Er erbringt im Sinne dieser Vorschrift nach seiner Satzung Rechtsdienstleistungen für seine Mitglieder, wobei dies nicht der einzige oder übergeordnete Zweck des Verbandes ist. Vielmehr ergibt sich aus § 3 der Satzung, dass der Verband ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke im Sinne des Abschnittes "Steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung verfolgt. Zweck des SoVD Niedersachsen ist dabei unter anderem die Förderung der Jugend- und Altenhilfe, des Wohlfahrtswesens,die Förderung der Hilfe für Kriegsopfer und Kriegshinterbliebene, die Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zugunsten gemeinnütziger und mildtätiger Zwecke. Die daneben bestehende Vertretung zur Verfolgung von Ansprüchen ist in Anbetracht der vielfältigen gemeinnützigen Ziele von untergeordneter Bedeutung (vgl. BSG, Urteil vom 18.09.20014 - B 14 AS 5/14 R -, BSGE 117, 37-47).

Der Beklagte kann sich nicht auf eine in Nordrhein-Westfalen existierende Weisungslage berufen, nach der Mitglieder des SoVD Nordrhein-Westfalen für die Durchführung von Widerspruchsverfahren lediglich einen Betrag von 22,00 EUR erstattet bekommen. Die Leistungsordnung, die Gegenstand der Satzung des SoVD-Nordrhein-Westfalen e.V. ist, sieht ebenfalls einen pauschalen Kostenbetrag für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens vor, der über diesem Betrag liegt (26,00 EUR). Der Beklagte hat nichts dazu vorgetragen, aus welchen Gründen die Weisungen des Ministeriums oder anderslautende Vereinbarungen vorliegend zur Anwendung kommen sollten. Das Argument, Mitglieder anderer Sozialverbände seien im Hinblick auf die Erstattung von Kostenpauschalen genauso zu behandeln wie Mitglieder des SoVD-Nordrhein-Westfalen, greift nach Auffassung der Kammer nicht. Der SoVD ist zwar überregional organisiert, dennoch erfolgt der Beitritt grundsätzlich zu einem Landesverband, dessen Regelungen für die konkrete Mitgliedschaft Anwendung finden. § 63 Abs. 1 SGB X sieht die Erstattung der entstandenen Kosten ausdrücklich vor. Eine konkretisierende oder abweichende Regelung für die Fälle, in denen der Widerspruchsführer oder Kläger durch einen Verband vertreten wird, existiert nicht. Insofern muss es bei der Anwendung der Vorschrift des § 63 Abs. 1 SGB X bleiben, unabhängig davon, bei welchem Verband die Mitgliedschaft besteht. Die Kostenforderung des SoVD ist auch in ihrer Höhe rechtlich unbedenklich. Das vom BSG insoweit geforderte "Abstandsgebot" wurde gewahrt. Danach wurde die Notwendigkeit der entstandenen Kosten der Höhe nach jedenfalls dann angenommen, wenn der Bevollmächtigte für seine Vertretungstätigkeit Kosten berechnet hat, die unter den Rechtsanwaltsgebühren liegen. Die Kosten sind allenfalls bis zu der Höhe erstattungsfähig, in der sie nach Maßgabe des § 63 Abs 2 SGB X erstattungsfähig wären (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 3/05 R - BSGE 98, 183; BGH Urteil vom 30.11.1954 - I ZR 147/53, BGHZ 15, 315, 320 ff). Dieser Abstand wurde vorliegend eingehalten. Nach der Satzung des SoVD-Landesverbandes ist die Klägerin zur Zahlung eines pauschalen Kostensatzes für die Durchführung von Widerspruchsverfahren verpflichtet, der 50,00 Euro beträgt. Dieser Betrag liegt deutlich unter potentiellen Anwaltsgebühren, die nach dem RVG entstanden wären.

Bedenken gegen die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Satzung bestehen nicht und wurden auch nicht erhoben. Entsprechende Anhaltspunkte bietet der Sachverhalt nicht.

Vor diesem Hintergrund war der Klage stattzugeben.

Die Kostentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Zulassung der Berufung beruht auf § 144 Abs 2 Nr.1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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