L 16 RJ 72/97

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 J 543/94
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RJ 72/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juli 1997 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit statt Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht.

Die im Dezember 1934 geborene Klägerin ist griechische Staatsbürgerin. Ab Januar 1971 war sie mit Unterbrechungen in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Zuletzt arbeitete sie als Raumpflegerin. Im November 1989 wurde sie arbeitsunfähig krank und bezog Krankengeld bis zum 6. Juni 1991. Anschließend stand sie im Leistungsbezug des Arbeitsamtes und bezog ab November 1991 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von dem Be-zirksamt Steglitz von Berlin. Seit April 1995 lebt die Klägerin wieder in Griechenland.

Im April 1991 stellte die Klägerin einen Rentenantrag. Diesen lehnte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 3. Juni 1992 ab. Die Klägerin sei weder berufs- noch erwerbsunfähig.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte einen Befundbericht der behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 20. Juli 1992 und ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie R. ein. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 5. Dezember 1992 fest, bei der Klägerin liege im Wesentlichen eine destabilisierte Charakterneurose mit depressiv-resignativer Entwicklung und starker Somatisierungstendenz vor. Das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin sei auf Dauer aufgehoben. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin im Februar 1993 mit, ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit werde anerkannt. Ob Erwerbsunfähigkeit bestehe sei nicht geklärt, da selbständige Tätigkeit im Frage stehe.

Mit Bescheid vom 12. März 1993 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. Mai 1991 Rente “vorerst nur wegen Berufsunfähigkeit”.

Nachdem die Klägerin Untätigkeitsklage erhoben hatte (Sozialgericht - SG - Berlin - S 29 J 206/93) und das SG die Beklagte mit Urteil vom 9. November 1993 verurteilt hatte, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu entscheiden, erging der Widerspruchsbescheid vom 13. April 1994, mit dem die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. Juni 1992 zurückwies, soweit er über das Teilanerkenntnis vom 1. Februar 1993 (ausgeführt durch Bescheid vom 12. März 1993) hinausgehe. Es sei ungeklärt, ob Erwerbsunfähigkeit vorliege, da eine selbständige Tätigkeit in der griechischen Landwirtschaft ausgeübt worden sei. Die Klägerin habe landwirtschaftliches Eigentum in Griechenland.

Zu diesem Zeitpunkt lagen der Beklagten über den Landbesitz in Griechenland folgende Unterlagen vor:

1) Formblatt - Auskunft des griechischen Trägers der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (OGA) ohne Datum, übersetzt im Juli 1992, in der ausgeführt wird, die Klägerin sei seit 1971 in der Bundesrepublik Deutschland. Es sei ein Besitz von 20 Stremmata landwirtschaftlicher Fläche im Heimatort Exaplatanos vorhanden, zur Hälfte mit Pfirsichbäumen und zur Hälfte mit Weizen bebaut; die Fläche nutze zur Zeit der Sohn.

2) Fragebögen vom 29. August 1991 und 13. August 1992, in denen die Klägerin angibt, sie sei nicht Mitinhaberin oder Eigentümerin eines Betriebes und habe keine Grundstücke verpachtet.

3) Bescheinigung der OGA vom 30. April 1993, die Klägerin habe keinen landwirtschaftlichen Besitz, die Familie habe ca. 10 Stremmata verpachtet.

4) Bescheinigung der OGA vom 8. Juni 1993, die Klägerin habe kein Land, weitere Formblattfragen nicht ausgefüllt.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte, die für diesen Umstand die Beweislast trage, habe eine selbständige Erwerbstätigkeit nicht belegt. Insbesondere könne nicht von einer Ehegattengesellschaft/Innengesellschaft ausgegangen werden, da sie keine landwirtschaftlichen Gründstücke mit ihrem Ehemann zusammen bewirtschafte; zudem halte sie sich in der Bundesrepublik Deutschland auf bzw. habe sich hier aufgehalten. Die Klägerin hat eine eigene als eidesstattliche Versicherung bezeichnete Erklärung vom 5. April 1995 abgegeben, in der sie erklärt, die Angabe in der ersten Erklärung der OGA, sie habe Grundbesitz im Umfang von 20 Stremmata, sei unzutreffend. Sie beruhe wohl darauf, dass ihr Ehemann bis 1980 20 Stremmata bearbeitet habe (von dem ihm 5 und seinem Vater 15 gehört hätten). Seit 1980 bearbeite der Sohn K. diese Fläche.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin sei, wie der ersten Auskunft der OGA zu entnehmen sei, Eigentümerin einer landwirtschaftlichen Fläche, bezüglich derer sie weder Verkauf noch Verpachtung nachgewiesen habe. Dass sie dort nicht arbeite, hindere die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht. Soweit der Ehemann die Fläche bewirtschaftet habe, ergebe sich daraus nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen auch die Selbständigkeit der Ehefrau. Auf die Höhe der Einkünfte komme es nicht an. Eine Obstanbaufläche von 5000 qm übersteige den in Anlehnung an das Gesetz über die Altersversorgung der Landwirte (ALG) zu bestimmenden Selbstbehalt. Eine Ehegattengesellschaft bestehe immer, wenn erzielbare Erträge dem Gesamtgut der Ehegatten zuzurechnen seien.

Während des Klageverfahrens ist eine weitere Bescheinigung der OGA vom 19. Mai 1995 eingegangen. Darin wird angegeben, der Ehemann habe einen Grundbesitz von 5000 qm, der mit Obstbäu-men bepflanzt sei. Das Areal werde von einem Sohn genutzt.

Das SG Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 8. Juli 1997 verurteilt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. Mai 1991 zu gewähren. Anzuwenden sei das Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin sei nicht durch selbständige Erwerbstätigkeit ausgeschlossen, da sie keine Unternehmerin sei. Nach den vorliegenden Auskünften würden weder von ihr noch von ihrem Ehemann landwirtschaftliche Flächen bewirtschaftet.


Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, die Klägerin sei unter Beachtung gesellschaftsrechtlicher Grundsätze selbständig tätig gewesen. Es müsse eine Grundbuchauskunft in Griechenland eingeholt werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juli 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin Grundbuchauskünfte über die ihrem Ehemann gehörenden Grundstücke sowie einen Pachtvertrag über landwirtschaftliche Fläche (Verpachtung) an den Sohn aus dem Jahre 1998 beigebracht. Darauf wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Ein Aktenkonvolut der Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. Mai 1991. Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Anspruch Zeiträume vor dem 1. Januar 1992 - Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) - umfasst. Streitbefangen ist nach den Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung der Rentenanspruch bis zur Gewährung von Regelaltersrente an die Klägerin mit Vollendung des 65. Lebensjahres.

Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält der Versicherte, der erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Erwerbsunfähig ist der Versicherte, der infolge von Krankheit oder andren Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit von gewisser Regelmäßigkeit nicht ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte aus Erwerbstätigkeit erzielen kann (§ 1247 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 RVO). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin erfüllt die Wartezeit; sie war zuletzt vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit versicherungspflichtig beschäftigt (§ 1247 Abs. 2 a i.V. m. § 1246 Abs. 2 a RVO) und eine vollständige Aufhebung es beruflichen Leistungsvermögens, die Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 1247 Abs. 2 Satz 1 RVO bedingt, hat im streitbefangenen Zeitraum bestanden. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie R. und ist zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit.

Dem Anspruch steht auch nicht § 1247 Abs. 2 Satz 3 RVO entgegen, wonach nicht erwerbsunfähig ist, wer eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, denn die Klägerin hat dies während dieses streitigen Zeitraumes nicht getan.

Ein Versicherter übt eine selbständige Erwerbstätigkeit aus, wenn er im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erwerbstätig ist. Es muss eine unternehmerische Tätigkeit vorliegen, die in Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Weise der Ver-sicherte nach außen oder innen in dem Geschäftsbetrieb tätig ist und ob tatsächlich Gewinn erzielt wird, solange auf den Geschäftsbetrieb gerichtete Handlungen in seinem Namen vorgenommen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 19; zur Gewinnerzielung insbesondere BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 32).

Das SG hat ausführlich und zutreffend dargelegt, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Dazu ist Folgendes zu ergänzen. Die Klägerin hat in ihrer Erklärung vom 5. April 1995 angegeben, sie sei nicht Eigentümerin landwirtschaftlicher Flächen in Griechenland. Ihr Ehemann sei Eigentümer von 5 Stremmata (5000 qm), ihr Schwiegervater von 15 Stremmata. Diese Flächen habe ihr Ehemann bis 1980 bewirtschaftet; seit diesem Zeitpunkt bewirtschafte ein gemeinsamer Sohn das Areal. Dieser Sachverhalt ist der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, da kein Anlass besteht, die Klägerin, allein weil sie Anspruchsstellerin ist, für unglaubwürdig zu halten. Zudem werden ihre Ausführungen durch die Auskunft der OGA im Wesentlichen bestätigt und durch die vorgelegten Grundbuchauszüge nicht widerlegt. Soweit in der ersten Bescheinigung der OGA - übersetzt im Juli 1992 - mehrfach von “ihren” (der Klägerin) landwirtschaftlichen Flächen die Rede ist, ist durch die weiteren Auskünfte der OGA und die Grundbuchauskünfte deutlich geworden, dass damit offensichtlich keine Aussage zu den Eigentumsverhältnissen gemacht wird. Vielmehr wird ersichtlich daran angeknüpft, dass die Flächen vor der Übersiedlung der Klägerin in die Bundesrepublik im Jahre 1971 von dem Ehepaar K. gemeinschaftlich bewirtschaftet wurden.

Die so zu beschreibende Beziehung der Klägerin zu der in Griechenland gelegenen Ackerfläche - die Klägerin hielt sich bis März 1995 in der Bundesrepublik auf, die Flächen gehörten dem Ehemann oder einem Rechtsvorgänger und wurden vom Sohn bewirtschaftet, dem sie 1998 auch verpachtet wurden - begründet für die Person der Klägerin keine selbständige Erwerbstätigkeit. Es besteht kein Anhaltspunkt, dass im Namen der Klägerin und auf ihre Rechnung auf “den Betrieb” gerichtete Handlungen vorgenommen wurden. Die Beklagte hat nichts aufgezeigt, was auf irgendwie gearbeitete Geschäftstätigkeit der Klägerin bzw. Tätigkeiten in ihrem Namen hindeutet. Dagegen sprechen die Sachverhaltsumstände. Die Klägerin hielt sich zum Beginn des streitbefangenen Zeitraums bereits seit 20 Jahren nicht mehr in Griechenland auf und bei dem “Betrieb” handelt es sich um eine kleinere landwirtschaftliche Fläche, deren Bewirtschaftung eine weitere Mitwirkung der Klägerin weder bezüglich der tatsächlichen landwirtschaftlichen Arbeitsleistung noch im Sinne einer Beteiligung an der “Füh-rung der Geschäfte” bedurfte. Dies gilt auch für die Zeit nach der Rückkehr der Klägerin nach Griechenland, wobei zudem das Lebensalter der Klägerin und ihr Gesundheitszustand, wie ihn der Neurologe und Psychiater R. dargestellt hat, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ausschießt.

Die Klägerin war im streitbefangenen Zeitraum auch nicht deshalb selbständig erwerbstätig im Sinne des § 1247 Abs. 2 Satz 3 RVO, weil sie die Ehefrau des Eigentümers der landwirtschaftlichen Flächen ist. Auch insoweit wäre erforderlich, dass die Klägerin “eine gewisse Unternehmerinitiative hätte entfalten können und ein Unternehmerrisiko getragen hätte” (so BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 39). Dies war indes nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht der Fall. Allein eine Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg oder am Misserfolg “des Betriebes” kraft einer güterrechtlichen Verbundenheit zum Eigentümer würde (sofern sie hier im Tatsächlichen überhaupt gegeben war) keine selbstständige Erwerbstätigkeit begründen (BSG a.a.0, zur weitergehenden Kritik an der Übertragung unterhalts-rechtlicher Überlegungen auf § 1247 Abs. 2 Satz 2 RVO vgl. Kasseler Kommentar - Niesel, § 44 SGB VI RdNr. 30).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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