L 19 AS 721/16 B ER und L 19 AS 782/16 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 1097/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 721/16 B ER und L 19 AS 782/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.03.2016 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren. Der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.03.2016 hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird geändert. Den Antragstellern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L, I, beigeordnet. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L, I, beigeordnet.

Gründe:

I.

Der 1973 geborene Antragsteller zu 1) und die 1974 geborene Antragstellerin zu 2) sind rumänische Staatsbürger und Eltern der in den Jahren 2002 bis 2008 geborenen Antragstellern zu 3) bis 7). Sie bewohnen eine mit Mietvertrag vom 15.06.2015 / 05.07.2015 angemietete Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners.

Am 22.07.2015 beantragten die Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ergänzend zu Einkünften des Antragstellers zu 1) aus abhängiger Beschäftigung. Hierzu wurde eine Anmeldung zur Sozialversicherung aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV) ab dem 13.07.2015, eine Abrechnung für den Zeitraum vom 13.07. bis 29.07. 2016 über 31,5 geleistete Arbeitsstunden mit einem Verdienst von 255,00 EUR und eine Arbeitsvertrag vom 13.07.2015 über eine am 13.07.2015 aufzunehmende Beschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von 12 Stunden zu 450,00 EUR (monatlich), befristet auf zehn Monate vorgelegt. Nach den Bestimmungen des Vertrages richtet sich die Arbeitsleistung nach Abruf bei einer Einsatzdauer von mindestens 1 Stunde an einem Arbeitstag in der Woche. Werde die voraussichtliche Wochenarbeitszeit bis maximal 25 % überschritten oder maximal 20 % unterschritten, verändere sich der Lohn entsprechend.

Mit Bescheid vom 03.09.2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab und wies den Widerspruch hiergegen mit Bescheid vom 23.09.2015 zurück mit der Begründung, bei einer Mindestarbeitszeit von 1 Stunde arbeitstäglich auf Abruf nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag sei Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu 1) nicht belegt, weshalb der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für Ausländer mit dem alleinigen Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitsuche greife. Gegen diese Entscheidung haben die Antragsteller im Verfahren S 35 AS 4286/15, SG Dortmund, Klage erhoben.

Mit Antrag an das Sozialgericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes S 35 AS 4341/15 ER haben die Antragsteller die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ab Juli 2015 begehrt.

Mit Beschluss vom 17.11.2015 hat das Sozialgericht den Antragsgegner unter Ablehnung des Antrags im Übrigen vorläufig verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum vom 19.10.2015 bis 30.04.2016 den Regelbedarf nach § 20 SGB II zu erbringen. Nach dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit den vorgelegten Verdienstbescheinigungen für die Monate August, September und Oktober 2015 habe der Antragsteller zu 1) seine Arbeitnehmereigenschaft belegt; ein Anordnungsgrund für die Zuerkennung auch von Leistungen für Bedarfe der Unterkunft und Heizung i.S.v. § 22 SGB II sei mangels Räumungsklage nicht gegeben.

In Ausführung dieses Beschlusses hat der Antragsgegner den Antragstellern mit Bescheid vom 20.11.2015 Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 19.10.2015 bis 30.04.2016 vorläufig bewilligt, im Hinblick auf zwischenzeitlich vorgelegte weitere Arbeitszeit- und Entlohnungsnachweise mit Bescheid vom 25.02.2016 dann endgültig Regelbedarfe und Leistungen für Bedarfe der Unterkunft und Heizung für Juli und September 2015.

Mit Antrag an das Sozialgericht im vorliegenden Verfahren vom 08.03.2016 haben die Antragsteller die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Wohnkosten der Antragsteller vom 01.08.2015 an begehrt und darauf hingewiesen, dass der Vermieter der Antragsteller im Verfahren des Amtsgerichts I 15 C 18/16 am 01.02.2016 Räumungsklage wegen Mietrückstandes und hierauf gestützter Kündigung vom 01.12.2015 erhoben habe.

Mit Beschluss vom 22.03.2016 hat das Sozialgericht sowohl den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung als auch den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren abgelehnt. Aufgrund der vorläufigen Bewilligung durch Bescheid vom 25.02.2016 i.V.m. der Mitteilung des Antragsgegners, er mache die Weiterbewilligung von der Vorlage weiterer Unterlagen abhängig, fehle es am Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes. Dieses könne erst dann wieder aufleben, wenn der Antragsgegner trotz Vorlage der erforderten Unterlagen nicht bewillige. Zweifelhaft sei auch das Bestehen des Anordnungsgrundes im Hinblick auf ein Positivsaldo des Kontos der Antragsteller von 4.311,90 EUR zum 01.03.2016 und einen weiteren Zahlungseingang i.H.v. 425,00 EUR am 04.03.2016.

Gegen den am 23.03.2016 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsteller vom 06.04.2016, mit der sie sich sowohl gegen die Ablehnung des Antrags auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners als auch des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wenden und für das Beschwerdeverfahren zugleich Prozesskostenhilfe beantragen. Zu Unrecht verweise das Sozialgericht auf die Zahlungseingänge Anfang März 2016. Die zugeflossenen 4.446,64 EUR reichten bereits nicht aus, um die angefallenen Mietrückstände von 5.040,00 EUR auszugleichen. Auch sei das Geld dringend zum Ausgleich der in der Vergangenheit entstandenen Defizite benötigt und ausgegeben worden. Mit der Beschwerde haben die Antragsteller weitere Lohnabrechnungen und Stundenaufstellungen vorgelegt, der Antragsgegner daraufhin mit Bescheid vom 05.04.2016 Regelleistungen und Leistungen für Bedarfe der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 01.10.2015 bis 31.01.2016 bewilligt, später dann mit Bescheid vom 21.04.2016 Leistungen beider Leistungsarten für Februar und März 2016.

Daraufhin haben die Antragsteller ihr Begehren auf den Zeitraum ab dem 01.02.2016 beschränkt. Mit Schreiben vom 30.05.2016 hat das Amtsgericht I die Rücknahme der Räumungsklage 15 C 18/16 mitgeteilt.

II.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer Regelungsanordnung ist unbegründet (A). Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren und die Hälfte ihrer Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten (B). Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sowie der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren sind begründet (C).

A. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer Regelungsanordnung ist unbegründet.

Nach Rücknahme der Räumungsklage 15 C 18/16, Amtsgericht I fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für die einstweilige Zuerkennung von unterkunftsbezogenen Leistungen i.S.v. § 22 SGB II. Ein solcher kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur bejaht werden, wenn dem jeweiligen Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236 m.w.N.). Schutzgut der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II ist die Deckung des elementaren Bedarfes, eine Unterkunft zu haben. Der Anordnungsgrund bei der einstweiligen Zuerkennung von unterkunftsbezogenen Grundsicherungsleistungen nach § 86b Abs.2 SGG ergibt sich demzufolge weder aus der Vermeidung von Mietschulden/Mehrkosten noch aus dem Risiko einer im Zeitablauf schwieriger werdenden Abwendung eines Wohnungsverlustes, sondern aus der konkret und zeitnah drohenden Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit (vgl. hierzu etwa Beschluss des Senats vom 05.05.2014 - L 19 AS 632/14 B ER m.w.N.). Ein Anordnungsgrund ist damit im Regelfall erst bei Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine fristlose Kündigung reicht für die Bejahung der Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht aus (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 02.09.2015 - L 19 AS 1382/15 B ER m.w.N.). Dies ist im Hinblick auf den gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2007 - 1 BvR 535/07 unter Hinweis auf § 22 Abs. 5 S. 1 und 2, Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, seither § 22 Abs. 9 SGB II; vgl. auch §§ 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB).

B. Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Hälfte der außergerichtlichen Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Beteiligten des Verfahrens einander Kosten zu erstatten haben, erfolgt nach sachgemäßem bzw. billigem Ermessen. Dabei steht grundsätzlich der nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu beurteilende Verfahrenserfolg im Vordergrund (BSG, Beschluss vom 01.04.2010 - B 13 R 233/09 B m.w.N.). Darüber hinaus hat das Gericht auch alle anderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und insbesondere die Gründe für die Antragstellung und die Erledigung zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.10.2009 - 1 BvR 1969/09 - m.w.N.). Die Änderung der Sach- und Rechtslage während des Verfahrens kann eine vom Verfahrensausgang abweichende Kostenregelung rechtfertigen, wobei der Veranlassungsgrundsatz mit heranzuziehen ist (BSG, Beschluss vom 01.04.2010 - B 13 R 233/09 B m.w.N.)

Hiernach ist es billig, dem Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren und die Hälfte der Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren aufzuerlegen.

Die Antragsteller haben im Beschwerdeverfahren der zu Ihren Ungunsten eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage - Wegfall des Anordnungsgrundes infolge Rücknahme der Räumungsklage - nicht umgehend durch Abgabe einer Erledigungserklärung Rechnung getragen, sondern das Beschwerdeverfahren fortgeführt. Insoweit ist es billig, dass sie die Hälfte ihrer Kosten des Beschwerdeverfahrens selbst tragen. Die Nichtbescheidung eines Prozesskostenhilfeantrags rechtfertigt nicht die Fortführung eines einstweiligen Rechtschutzverfahrens. Denn bei entscheidungsreifem Prozesskostenhilfeantrags vor Abgabe einer Erledigungserklärung- wie im vorliegenden Fall - steht die Erledigung eines Verfahrens einer nachfolgenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen. Auch kann das Kosteninteresse der Antragsteller durch eine Antragstellung nach § 193 Abs. 1 S. 3 SGG gewahrt werden.

Im Hinblick darauf, dass vor Änderung der Sach- und Rechtslage durch die Rücknahme der Räumungsklage seitens des Vermieters das einstweilige Rechtschutzverfahren erfolgreich gewesen wäre, ist eine Kostentragung des Antragsgegners geboten. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab dem 01.08.2015 glaubhaft gemacht. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II haben vorgelegen. Der Leistungsauschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift nicht ein. Der Antragsteller zu 1) hat ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und die übrigen Antragsteller als Familienangehörige eines Arbeitnehmers i.S.v. § 3 FreizügG/EU.

Der Arbeitnehmerbegriff des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist weder im engeren nationalrechtlichen Sinne arbeitsrechtlich noch sozialrechtlich und damit auch nicht grundsicherungsrechtlich zu verstehen; er ist vielmehr ausschließlich im Lichte des Unionsrechts, hier speziell im Sinne des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts auszulegen (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 43 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 19.04.2012 - 1 C 10/11 - BVerwGE 143, 38). Abzustellen ist auf den unionsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Art. 45 AEUV. Die Arbeitnehmereigenschaft wird nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen. Dies ist gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen (EuGH, Urteile vom 6.11.2003 - C-413/01 - Ninni-Orasche und vom 21.02.2013 -C-46/12). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Auch bei "geringfügig Beschäftigten" ist zu prüfen, ob die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung - trotz der geringen Arbeitszeiten - als "tatsächlich und echt" angesehen werden kann (Arbeitnehmereigenschaft bejahend bei einer Arbeitsleistung von 5,5 Stunden wöchentlich und einem Verdienst von 175,00 EUR monatlich: EuGH, Urteil vom 04.02.2010 - C-14/09 - Genc; zu einem Fall ohne vertragliche Mindestarbeitsleistung: EuGH, Urteil vom 26.02.1992 - C-357/89 - Raulin). Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH, Urteil vom 04.02.2010 - C-14/09 - Genc ; vgl. zusammenfassend: BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R). Allein von einer bestimmten geringen Wochen- oder Monatsarbeitszeit, einem nicht existenzsichernden Lohn oder dem Umstand, dass der Beschäftigte seine Arbeitskraft "auf Abruf" zu erbringen hat, kann noch nicht auf eine völlig untergeordnete oder unwesentliche Tätigkeit geschlossen werden (vgl. EuGH, Urteile vom 26.02.1992 - C-357/89 - Raulin, vom 14.12.1995 - C-444/93 - und vom 18.07.2007 - C-213/05 - Geven; vgl. auch LSG Hessen, Beschluss vom 07.01. 2015 - L 6 AS 815/14 B ER). Erst wenn im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung mehrere Umstände bezüglich der Dauer(-haftigkeit) und des wöchentlichen oder monatlichen Umfangs, u.U. auch umfangspezifische Ausprägungen des Über-/ Unterordnungsverhältnisses oder des Entgelts eine entsprechende Atypik aufweisen, kann von einer völlig untergeordneten und unwesentlichen Tätigkeit ausgegangen werden, z.B. bei Zusammentreffen von Unregelmäßigkeit und von vornherein beschränkter Dauer (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 07.01. 2015 - L 6 AS 815/14 B ER).

Entgegen der im Ablehnungsbescheid vom 03.09.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2015 - 911/15 - vertretenen Auffassung des Antragsgegners folgt aus dem Arbeitsvertrag des Antragstellers keineswegs, dass er sich nur zu einer Arbeitsleistung von mindestens 1 Stunde pro Woche bei einem ungefähren Monatseinkommen von 36,81 EUR verpflichtet hat (Ablehnungsbescheid vom 03.09.2015). Dies ist schon nach dem Wortlaut des Vertrages rechnerisch und ohne Beachtung der Rechtsprechung des BAG falsch, weil sich die Vergütung nach der klaren Formulierung des Vertrages nur "entsprechend" der auf 20 % begrenzten Beschränkung der Regelarbeitszeit allenfalls auf 80 % der Regelvergütung von 450 EUR monatlich, minimal daher auf 400 EUR mindern kann.

Insbesondere jedoch lassen sich unter Beachtung gesetzlicher Regelungen und hierzu ergangener Rechtsprechung des BAG aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag sowohl hinsichtlich der Arbeitszeit als auch hinsichtlich des Entgeltes Werte ermitteln, die keinen Zweifel daran zulassen, dass der Antragsteller zu 1) - bei tatsächlicher Durchführung der vertraglichen Vereinbarung - Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne ist.

Bei der geringfügigen Beschäftigung des Antragstellers zu 1) handelt es sich um eine befristete Arbeit auf Abruf i.S.v. § 12 TzBfG. In seinem Arbeitsvertrag sind eine Arbeitszeit von 12 Stunden wöchentlich bei Abruf der Arbeitsleistung für eine Einsatzdauer von mindestens einer Stunde an einem Arbeitstag in der Woche sowie ein regelmäßiger Monatslohn von 450,00 EUR vereinbart. Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsvertrag zudem berechtigt, die Arbeitsleistung des Mitarbeiters in einem Umfang abzurufen, der die Wochenarbeitszeit von 12 Stunden bis maximal 25% überschreitet oder maximal 20% unterschreitet, wobei sich die Vergütung ausgehend vom vereinbarten Entgelt von 450,00 EUR entsprechend bemisst.

Diese Vereinbarungen entsprechen noch insoweit den Regelungen in § 12 Abs. 1 TzBfG, als die Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf bei einer Teilzeitbeschäftigung grundsätzlich zulässig ist (§ 12 Abs. 1 S.1 TzBfG). In diesem Fall muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festgelegt werden (§ 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG). Die Nichtvereinbarung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit bedingt allerdings nicht die Unwirksamkeit der Abrede insgesamt, führt vielmehr dazu, dass die zum Schutze des Arbeitnehmers gesetzlich fingierten Arbeitszeiten gelten (BAG, Urteil vom 24.09.2014 - 5 AZR 1024/12 m.w.N.), d. h. eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG als vereinbart gilt und der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 1 S. 4 TzBfG die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch nehmen muss.

Vorliegend haben der Antragsgegner zu 1) und seine Arbeitgeberin von § 12 Abs. 1 S. 3 und S. 4 TzBfG abweichende Vereinbarungen getroffen. In der getroffenen Vereinbarung einer Unter-/Überschreitung der vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit von 12 Stunden um 20% bzw. 25 % durch den Arbeitgeber liegt eine Unterschreitung des Maßes aus § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG, wonach eine Mindestarbeitszeit von 10 Stunden wöchentlich gelten soll. Denn ausgehend von regelmäßig 12 Stunden wöchentlich ergibt sich eine Schwankungsbreite von 9,6 Stunden bis zu 15 Stunden. Zudem besteht wegen der Festlegung einer täglichen Mindesteinsatzdauer von 1 Stunde auch eine von § 12 Abs. 1 S. 4 TzBfG (3 aufeinander folgende Arbeitsstunden) abweichende Regelung. Damit steht die Arbeitszeit des Antragstellers zu 1) entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht im Ermessen des Arbeitgebers (Widerspruchsbescheid vom 23.09.2015), sondern ein zeitlicher Rahmen der wöchentlich Arbeitszeit, in der Folge auch der Mindestverdienst sind vorgegeben und zu ermitteln. Unter Zugrundelegung des vereinbarten monatlichen Entgelts von 450,00 EUR bei 12 Stunden wöchentlich ergibt sich ein Stundenlohn von 8,50 EUR, der dem Mindestlohn entspricht. Damit ist vertraglich vereinbart, dass der Antragsteller zu 1) wöchentlich ein Mindestentgelt von 81,60 EUR (9,6 Stunden x 8,50 EUR) bis zu 127,50 EUR (15 Stunden x 8,50 EUR) erzielen kann. Dies ergibt einen monatlichen Mindestlohn von ca. 350,00 EUR (81,6 EUR x 4,33 = 353,33 EUR).

Es sprechen sonach weder Arbeitszeit noch Arbeitslohn des Antragstellers zu 1) für eine völlig untergeordnete oder unwesentliche Tätigkeit. Ein Hinweis hierauf ergibt sich auch nicht aus der vereinbarten Dauer des Arbeitsverhältnisses von 10 Monaten. Denn auch auf teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer i.S.v. § 2 TzBfG sind die Vorschriften des Lohnfortzahlungsgesetzes und des Bundesurlaubsgesetzes anwendbar.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts haben die Antragsteller auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht war eine Räumungsklage, beruhend auf Mietrückständen seit dem 01.08.2015, bereits anhängig. Die Antragsteller waren auch unter Berücksichtigung der Ende Februar 2016 zugeflossenen Nachzahlung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom 01.07.2015 bis zum 30.09.2015 nicht in der Lage, die aufgelaufenen Mietrückstände vollständig zu tilgen.

Soweit sich der Antragsgegner behauptet hat, er sei wegen Nichtvorlage der Lohnabrechnungen bzw. Stundenzettel im Februar 2016 nicht in der Lage gewesen sei, über den 30.09.2015 hinaus zu bewilligen, verkennt er seine Handlungsoptionen und hat deswegen Veranlassung zur Einleitung eines einstweiligen Rechtschutzverfahrens gegeben.

Nach § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III kann der Leistungsträger über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entscheiden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruches eines Hilfebedürftigen auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Hilfebedürftige die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat. Diese Voraussetzungen sind insbesondere dann gegeben, wenn ein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung - wie im vorliegenden Fall - nach den vertraglichen Vereinbarungen schwankend ist. Es sind keine Gründe ersichtlich, die gegen eine vorläufige Bewilligung gesprochen hätten.

Insbesondere war nach dem vereinbarten Monatslohn (s.o.) und bei 7 Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft offensichtlich, dass das Einkommen des Antragstellers zu 1) nicht den Hilfebedarf der Bedarfsgemeinschaft vollständig decken würde, insbesondere nicht die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Auch insoweit wäre eine prognostische Ermittlung des anzurechnenden Einkommens unter Zugrundelegung der Angaben im Arbeitsvertrag möglich gewesen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86). Maßgeblich für die Prognose sind die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannten und erkennbaren Umstände sowie die Angaben der Antragsteller im Leistungsantrag.

Selbst wenn der Antragsgegner noch bei Einleitung des einstweiligen Rechtschutzverfahrens die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu 1) als nicht geklärt angesehen hat, stand ihm gleichwohl die vorläufige Bewilligung nach § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III bzw. § 43 SGB I, verbunden mit Erstattungsansprüchen gegenüber dem Sozialhilfeträger zur Verfügung. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dienen der Deckung eines aktuellen Bedarfs und sollen jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs.1 S.4 SGB II)

C. Nach Vorstehendem hat hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach §§ 73a SGG, 114 ZPO bestanden, sodass den Antragstellern nach ihren glaubhaft gemachten Verhältnissen für die nicht mutwillige Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe für beide Rechtszüge zusteht.

Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig, §§ 73 a Abs. 1 s. 1 SGG, §127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved