L 2 AS 84/16 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 5 AS 4299/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 84/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 22. Januar 2016 wird abgeändert.

Der Antragsgegner wird vorläufig, längstens aber bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über den Leistungsantrag, verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 14. bis 31. Dezember 2015 für die Antragsteller zu 1. und 2. in Höhe von jeweils 259,50 EUR, für den Antragsteller zu 3. in Höhe von 203,70 EUR und für die Antragstellerin zu 4. in Höhe von 183,90 EUR und für den Zeitraum 1. Januar bis 29. Februar 2016 für die Antragsteller zu 1. und 2. in Höhe von monatlich 436,50 EUR, für den Antragsteller zu 3. in Höhe von monatlich 342,50 EUR und für die Antragstellerin zu 4. in Höhe von monatlich 309,50 EUR zu zahlen.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) vom 14. Dezember 2015 bis zum 29. Februar 2016 zu zahlen sind.

Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Nach ihrem Vortrag sind sie im Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Der am 20. Juli 1988 geborene Antragsteller zu 1. ist seit Juni 2014 mit der am 18. Januar 1990 geborenen Antragstellerin zu 2. verheiratet. Die Eheleute haben zwei gemeinsame Kinder, den am 19. Februar 2007 geborenen Antragsteller zu 3. und die am 12. Dezember 2011 geborenen Antragstellerin zu 4. Der Antragsteller zu 3. besucht seit Beginn des Schuljahres 2015/2016 die Grundschule. Für die Antragsteller zu 3. und 4. ist Kindergeld beantragt.

Am 18. September 2015 stellten die Antragsteller einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bei dem Antragsgegner. Sie gaben an, ab dem 1. September 2015 zur Untermiete bei C. (dem Bruder der Antragstellerin zu 2.) und L. S. in der Straße des F ... in M. zu wohnen. Der Vermieter des Ehepaares S. bestätigte die Vereinbarung eines Untermietverhältnisses. Im Hauptmietvertrag ist eine monatliche Miete von 400 EUR und 180 EUR Betriebskosten vereinbart. Bei der Meldebehörde meldeten sich die Antragsteller zum 24. Juli 2015 rückwirkend zum 1. Mai 2015 unter dieser Anschrift an.

Der Antragsteller zu 1. hat ein selbständiges Gewerbe angemeldet: "Bauhelfer, Trockenbau". Er gab an, von Mai bis September 2015 hieraus 770 EUR (durchschnittlich 154 EUR mtl.) hieraus zu erzielen. Die Antragstellerin zu 2. erzielt keine Einkünfte.

Mit Bescheid vom 10. November 2015 lehnte der Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II ab: Anhand der eingereichten Unterlagen könne nur von einer völlig untergeordneten Tätigkeit gesprochen werden. Aus der Selbständigkeit ergebe sich daher kein Freizügigkeitsrecht, weshalb der Antrag nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II abzulehnen sei.

Hiergegen legten die Antragsteller am 4. Dezember 2015 Widerspruch ein.

Am 14. Dezember 2015 haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Sozialgericht Halle (SG) beantragt. Sie haben vorgetragen: Entgegen der Auffassung des Antragsgegners handele es sich bei der Tätigkeit des Antragstellers zu 1. nicht nur um eine untergeordnete Tätigkeit, es müsse berücksichtigt werden, dass diese erst im Mai 2015 begonnen wurde. Von den gesamten Wohnkosten entfielen 290 EUR auf die Antragsteller.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2015 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragsteller über die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. September 2015 bis zum 29. Februar 2016 als unbegründet zurück: Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller zu 1. selbständig erwerbstätig sei. Es fehle eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit, welche dauerhaft die Existenz sichern solle.

Das SG hat den Antrag der Antragsteller mit Beschluss vom 22. Januar 2016 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Antragsteller hätten bereits ihre Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht. Die behauptete Tätigkeit des Antragstellers, so sie denn überhaupt im behaupteten Umfang ausgeübt werden sollte, sei völlig untergeordnet und unwesentlich. Die Einnahmen reichten nicht einmal aus, die nach eigenen Angaben der Antragsteller in bar zu zahlende Miete in Höhe von 290 EUR zu zahlen. Den Antragstellern stehe allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche zur Seite. Selbst wenn, was die Kammer ablehne, ein Anspruch nach dem SGB XII in Betracht kommen sollte, fehle es an der Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für einen solchen Anspruch. Es sei nicht nachvollziehbar wie die Antragsteller ihren Lebensunterhalt bestritten und die Miete bezahlen würden.

Gegen den ihnen am 4. Februar 2016 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten am 17. Februar 2016 Beschwerde beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt.

Zur Begründung tragen sie vor: Nach der Rechtsprechung des EuGH gebe es keinen Schwellenwert unterhalb dessen nicht mehr von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen werden könne. Das erzielte Einkommen von 150 bis 170 EUR monatlich reiche aus, eine freizügigkeitsberechtigende selbständige Tätigkeit anzunehmen.

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 22. Januar 2016 abzuändern und den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern vom 14. Dezember 2015 bis zum 29. Februar 2016 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, es gebe auch in Bezug auf Investitionen usw. keine Anhaltspunkte für ein vernünftiges wirtschaftliches Handeln. Demnach liege eine belastbare Beschäftigungssituation analog zur Arbeitnehmerschaft nicht vor.

Auf die Fragen des Berichterstatters zu der ausgeübten selbständigen Tätigkeit haben die Antragsteller mitgeteilt, die Vermittlung der Arbeitseinsätze sei über Herrn K. H., einem ehemaligen Bauleiter mit vielen Kontakten erfolgt. Dieser habe regelmäßig einen Landsmann der Antragsteller über die Einsätze benachrichtigt, der wiederum die benötigten Bauhelfer informierte. Mit PKW oder Kleinbus seien die Helfer dann auf die jeweiligen Baustellen gebracht und dort eingesetzt worden. Seit Januar 2016 übe der Antragsteller zu 1. sein Gewerbe nicht mehr aus. Aus den beigefügten Quittungen ergeben sich folgende Einkünfte für "Helferarbeiten Trockenbau" bzw. "Pauschalarbeiten Bauhelfer"

15. Mai 2015 150,00 EUR von der Fa. S.

12. Juni 2015 150,00 EUR s. o.

28. Juli 2015 170,00 EUR s. o.

14. August 2015 150,00 EUR s. o.

24. September 2015 180,00 EUR s. o.

21. Oktober 2015 150,00 EUR s. o.

19. November 2015 150,00 EUR s. o.

Auf die Nachfrage des Berichterstatters zu den Gründen der Aufgabe der Tätigkeit des Antragstellers zu 1. ab dem 1. Januar 2016 (unter Hinweis auf die Notwendigkeit die Unfreiwilligkeit der Aufgabe der Tätigkeit zu prüfen) hat dieser erwidert, die Gesamtumstände der vormals ausgeübten Tätigkeit, insbesondere die fehlende Akzeptanz des Antragsgegners hinsichtlich des Freizügigkeitsrechts bzw. eines Leistungsanspruches, hätten zu einer Aufgabe der Tätigkeit geführt.

Mit Beschluss vom 7. April 2016 hat der Berichterstatter den Landkreis Saalekreis zum Verfahren beigeladen.

Der Beigeladene hält einen Anspruch nicht für glaubhaft gemacht.

Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 22. Januar 2016 ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2b Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung keiner Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 750,00 EUR übersteigt, §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG.

Die Beschwerde ist auch begründet. Unter Berücksichtigung der neu vorgelegten Unterlagen zu der Erwerbstätigkeit ist dem einstweiligen Rechtsschutzantrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum vom 14. Dezember 2015 bis zum 29. Februar 2016 gegen den Antragsgegner stattzugeben.

Verfahrensrechtliche Grundlage für eine Verpflichtung des Antragsgegners ist in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, in denen es – wie hier – nicht um die Geltendmachung einer bereits gewährten, zwischenzeitlich aber aberkannten Rechtsposition geht, der Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs (der hinrei-chenden Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leis-tungsanspruchs) und eines Anordnungsgrunds (der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile).

Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs haben die Antragsteller glaubhaft gemacht.

Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn eine Vorausbeurteilung der Hauptsache nach summarischer Prüfung ergibt, dass das Obsiegen eines Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) stellt aber besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - juris) dürfen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für Anfechtungs- und (wie hier) Vornahmesachen daher auch auf eine Folgenabwägung gestützt werden.

Vorliegend entscheidet das Gericht nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache. Als Ergebnis dieser Prüfung besteht nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ein Leistungsanspruch der Antragsteller nach dem SGB II gegen den Antragsgegner.

1. Die Antragsteller erfüllen grundsätzlich die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Dem steht § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht entgegen. Denn die Antragsteller verfügen aller Voraussicht nach über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU, abgeleitet von der Tätigkeit des Antragstellers zu 1. als Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU bzw. nach Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 abgeleitet vom Ausbildungsrecht des Antragstellers zu 3 bzw. aus humanitären Gründen.

a) Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,

2. erwerbsfähig sind,

3. hilfebedürftig sind und

4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind ausgeschlossen vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Darüber hinaus sind im Wege des "Erst-Recht-Schlusses" nicht zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II berechtigt Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - juris, Rn. 19 ff.).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfordert die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zur Umsetzung des Willens des Gesetzgebers bei Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes beziehungsweise der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris, Rn. 23; Urteil vom 25. Januar 2012

- B 14 AS 138/11 R - juris, Rn. 20; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. November 2013 - L 2 AS 841/13 B ER - juris, Rn. 29).

Als mögliches Aufenthalts- beziehungsweise Freizügigkeitsrecht kommt hier die unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung des Antragstellers zu 1. nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU in Betracht (dazu unter aa). Von diesem Freizügigkeitsrecht abgeleitet werden gemäß § 3 Abs. 1 FreizügG/EU die Freizügigkeitsberechtigungen der Antragsteller zu 2. bis 4. als Familienangehörige des Antragstellers zu 1), die diesen begleitet haben. Nach der Beendigung der Tätigkeit des Antragstellers zu 1. kommt ab dem 1. Januar 2016 das Aufenthaltsrecht wegen fortdauernder Ausbildung des Antragstellers zu 3. durch seine während der Zeit der abhängigen Beschäftigung seines Vaters wahrgenommene Schulbildung zur Anwendung (dazu unter cc).

aa). Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige) bzw. nach Abs. 2 Nr. 1, wenn es sich um Arbeitnehmer handelt.

Selbständig ist eine Tätigkeit, wenn sie nicht im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses in Bezug auf die Wahl dieser Tätigkeit, die Arbeitsbedingungen und das Entgelt, in eigener Verantwortung und gegen ein Entgelt, das dem Tätigen vollständig und unmittelbar gezahlt wird, ausgeübt wird (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Urteil vom 20. November 2001 in der Rechtssache Jany ua - C-268/99 - juris, Rn. 71). Entscheidend ist, ob der Antragsteller zu 1. im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Dies ist unter Zugrundelegung der geschilderten Tätigkeit des Antragstellers zu 1. und dem Zustandekommen der Arbeitseinsätze nicht der Fall. Vielmehr spricht die dargestellte Tätigkeit für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis als Tagelöhner auf verschiedenen Baustellen für einen Subunternehmer. So bescheinigte immer die gleiche Firma die Zahlungen an den Antragsteller zu 1. Der eigene Entscheidungsbereich in Bezug auf die Wahl der Tätigkeit und die eigene Gestaltungsmöglichkeiten der Einwerbung usw. sind nicht erkennbar. Schon die Bezeichnung im Gewerberegister mit "Bauhelfer, Trockenbau" ist ohne Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation schwer vorstellbar. Es handelt sich um eine klassische angeleitete Hilfstätigkeit ohne großen eigenen Entscheidungsspielraum. Die endgültige Einordnung kann letztlich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend vorgenommen werden. In der Hauptsache müsste auch geprüft werden, ob der Vortrag der Antragsteller sich als wahr erweist und die Firma St. über Mittelsmänner tatsächlich den Antragsteller zu 1. als Pauschalkraft (Tagelöhner) beschäftigt hat. Diese Ermittlungen können jedoch nicht in das einstweilige Rechtsschutzverfahren vorgezogen werden.

Bei Arbeitnehmern müssen Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juli 1986 in der Rechtsache Lawrie-Blum, - C-66/85 - juris, Rn. 17; Urteil vom 4. Februar 2010 in der Rechtssache Genc - C-14/09 - Slg. 2010, I-931, Rn. 19). Der Antragsteller zu 1. hat während der ausgeübten Tätigkeit regelmäßig einen Verdienst erzielt, dieser lag bei durchschnittlich 157,14 EUR im Monat für den Zeitraum 1. Mai bis 30. November 2015. Dies ist als nicht völlig unwesentlich zu bezeichnen. Nach der Darstellung des Antragstellers zu 1. hat er regelmäßig für viele Stunden die Pauschaltätigkeit ausgeübt und hierfür einen sehr geringen Lohn bekommen. Die Ausnutzung von Billigarbeitskräften und die Zahlung eines ggf. sittenwidrig niedrigen Lohnes ändert nichts daran, dass der Antragsteller zu 1. am Erwerbsleben teilnimmt und dies regelmäßig und in zeitlich nicht geringen Umfang, um Entgelt zu erzielen. Ob daneben noch "schwarz" Zahlungen geflossen sind, muss ggf. im Hauptsacheverfahren aufgeklärt werden. Hierfür gibt es zunächst keine Anhaltspunkte.

bb) Nach der Beendigung der Tätigkeit des Antragstellers zu 1. am 31. Dezember 2015 ist es nicht glaubhaft gemacht, dass sein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU erhalten geblieben ist. Danach bleibt das Recht aus Abs. 1 bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Hierbei gilt, dass das Recht nach § 2 Abs. 1 für Arbeitnehmer für die Zeit zwischen Beginn der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit und Bestätigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit des Eintretens der Arbeitslosigkeit bestehen bleibt (vgl. Ziffer 2.3.1.2 in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU - AVV zum FreizügG/EU vom 3. Februar 2016 – GMBL 2016 S. 86). Vorliegend haben die Antragsteller mitgeteilt, der Antragsteller zu 1. habe die Tätigkeit beendet, weil sie von dem Antragsgegner nicht als ausreichend für die Begründung eines Freizügigkeitsrechts angesehen wurde. Dies spricht nicht für eine Aufgabe wegen äußerer Bedingungen oder äußerer Zwänge. Weder haben die Auftraggeber das Tätigkeitsverhältnis beendet noch gab es andere äußere Zwänge. Die selbstbestimmte Aufgabe der Tätigkeit hingegen führt nicht zu einer Fortdauer des Freizügigkeitsrechts.

Von dem Freizügigkeitsrecht des Antragstellers zu 1. nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU für den Monat Dezember 2015 abgeleitet werden gemäß § 3 Abs. 1 FreizügG/EU die Freizügigkeitsberechtigungen der Antragsteller zu 2. bis 4. als Familienangehörige des Antragstellers zu 1., die diesen begleitet haben. Zum Antragsteller zu 1. steht die Antragstellerin zu 2. in der in § 3 Abs. 2 Nr. 1 Variante 1 FreizügG/EU benannten Rechtsbeziehung eines Ehegatten. Die Antragsteller zu 3. bis 4. sind als noch nicht 21 Jahre alte Kinder des Antragstellers zu 1. von § 3 Abs. 2 Nr. 1 Variante 3 FreizügG/EU erfasst.

cc) Der Antragsteller zu 3. verfügt aufgrund seines Schulbesuchs ab dem Schuljahr 2015/2016 vorliegend über ein materielles Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27. Mai 2011, S. 1), das wegen der Regelung über den Rechtssetzungsakt einer Verordnung nicht umsetzungsbedürftig ist. Die VO (EU) Nr. 492/2011 gilt für Wanderarbeitnehmer. Nach Art. 10 dieser VO können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Staates wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Dieses Ausbildungsrecht des Kindes setzt damit jedenfalls voraus, dass dieses Kind "in Ausbildung" mit seinen Eltern oder einem Elternteil in einem Mitgliedstaat in der Zeit lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R – zitiert nach juris). Diese Voraussetzungen sind hier erfolgt. Wie oben dargestellt ist davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1. abhängig beschäftigt von Mai bis November 2015 Entgelt erzielt hat und diese Tätigkeit nicht völlig unbedeutend und unwesentlich war. In dieser Zeit ist der Antragsteller zu 3. zur Schule gekommen und besucht aktuell die Grundschule.

Soweit und solange die minderjährigen Kinder eines Arbeitnehmers oder ehemaligen Arbeitnehmers für die Wahrnehmung ihrer Ausbildungsrechte aus Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um die Ausbildung fortzusetzen, besteht darüber hinaus in gleicher Weise für die Eltern, die das Sorgerecht wahrnehmen, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus dieser Regelung.

Der Senat geht für die Antragstellerin zu 4. im Rahmen einer summarischen Prüfung davon aus, dass ihr ein Freizügigkeitsrecht aus anderen Gründen zusteht. Direkt über § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann sie kein Freizügigkeitsrecht herleiten, weil die Vorschrift sich nur auf abgeleitete Freizügigkeitsrechte aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 – 5 FreizügG/EU bezieht; auch Art. 10 VO EU Nr. 492/2011 gibt den Geschwistern des Auszubildenden kein eigenständiges Freizügigkeitsrecht (insoweit missverständlich: Senatsbeschluss vom 21. Januar 2016 – L 2 AS 624/15 B ER – zitiert nach juris). Der Antragstellerin zu 4. dürfte jedoch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen zustehen. Nach § 11 Abs. 11 letzter Satz FreizügG/EU findet das Aufenthaltsgesetz Anwendung, wenn es dem Betroffenen eine günstigere Rechtsposition vermittelt. Es liegt nahe, dass für die Antragstellerin zu 4. ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen zu berücksichtigen ist, welches aus dem Zusammenhalt als Familie gem. Art. 6 des Grundgesetzes und der §§ 27 ff. AufenthaltsG folgt. Es liegt ein Ausnahmefall vor, bei dem sehr nahe liegt, dass die Antragstellerin zu 4. als minderjähriges vierjähriges Geschwisterkind von dem Auszubildenden wie seine Eltern und sein Bruder für die Dauer der Ausbildung aufenthaltsberechtigt in Deutschland bleibt (zu den Grenzen eines Aufenthaltsrechts zum Schutz der Familie, Beschluss des Senates vom 13. April 2016 – L 2 AS 37/16 B ER – zitiert nach juris).

Ihre Hilfebedürftigkeit minderndes Einkommen erzielten die Antragsteller nach den vorgelegten Unterlagen in den Monaten Dezember 2015 bis Februar 2016 nicht.

b) In Bezug auf die Leistungshöhe ist antragsgemäß von den anteiligen Bedarfen für den Zeitraum 14. bis 31. Dezember 2015 auszugehen. Gem. § 41 Abs. 1 SGB II ist die Monatsleistung durch 30 zu teilen und mit der Zahl der zu leistenden Tage zu multiplizieren (hier 18 Tage). Für die übrigen Monate entspricht der Bedarf bereits der Leistungshöhe. Es ist von einem Bedarf bei den Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem Untermietvertrag nach Angaben der Antragsteller in der Antragsschrift von 290 EUR monatlich auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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