L 8 AS 675/16 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 23 AS 1121/16 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 675/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
schlüssiges Konzept - Stadt Leipzig

1. Das der Richtlinie der Stadt Leipzig vom 18.12.2014 zugrunde liegende Konzept genügt nach der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung den vom BSG aufgestellten Anforderungen an ein schlüssiges Konzept.
2. Wird in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die (vorläufige) Gewährung höherer Leistungen für die Unterkunft begehrt, ist hinsichtlich des Anordnungsgrundes auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob der Erhalt der Wohnung als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet ist.
3. Wird im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens (§ 44 SGB X) hinsichtlich eines bestandskräftigen Bescheids Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, ist es dem Antragsteller in der Regel zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungsverfahren oder in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten. Eine einstweilige Anordnung kann in solchen Fällen nur ergehen, wenn massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz dargelegt werden und die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Bescheids offensichtlich und deshalb mit einem für den Antragsteller positiven Ausgang des Überprüfungsverfahrens zu rechnen ist.
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts L ... vom 27. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung höherer Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.05.2016 bis 28.02.2017.

Der 1966 geborene erwerbsfähige Kläger bezieht als Alleinstehender seit seinem Zuzug aus Brandenburg in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners im August 2012 von diesem laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Er bewohnt eine Zweizimmerwohnung in A ... (53 qm), für die monatliche Aufwendungen in Höhe von insgesamt 445,00 EUR (318,00 EUR Grundmiete + 127,00 EUR Vorauszahlung für Nebenkosten) anfallen. Der Antragsgegner übernahm diese Aufwendungen – eine Zusicherung vor dem Bezug der Wohnung war nicht erteilt worden – von Beginn an nicht in voller Höhe, sondern begrenzte die Leistungen für die KdU auf den aus seiner Sicht angemessenen Höchstbetrag gemäß seiner jeweils geltenden KdU-Richtlinie. Mehrere Anträge des Antragstellers auf Gewährung gerichtlichen Eilrechtsschutzes waren in der Vergangenheit insoweit erfolgreich, als ihm im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen für KdU (gemäß Wohngeldgesetz) gewährt wurden.

Für die Zeit vom 01.03.2016 bis 28.02.2017 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 29.01.2016 Leistungen in Höhe von monatlich 732,00 EUR. Auf die KdU entfiel hierbei ein Betrag von 328,00 EUR (269,57 EUR Grundmiete und kalte Betriebskosten zzgl. 58,43 EUR [46 % von 127,00 EUR] Heizkosten). Zur Begründung für die Kürzung der KdU verwies der Antragsgegner auf die in seiner Richtlinie vom 18.12.2014 festgeschriebenen Angemessenheitsobergrenzen. Der Bescheid vom 29.01.2016 wurde bestandskräftig, nachdem er vom Antragsteller nicht mit dem Widerspruch angefochten wurde. Mit Schreiben vom 18.04.2016 beantragte der Antragsteller gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Überprüfung des Bescheids hinsichtlich der Höhe der gewährten Leistungen für KdU.

Am 02.05.2016 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) A ... die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes begehrt und beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig für die Zeit vom 01.05.2016 bis 28.02.2017 Leistungen für KdU in Höhe der tatsächlichen Mietkosten von monatlich 445,00 EUR zu erbringen. Der Richtlinie des Antragsgegners vom 18.12.2014 liege kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zugrunde. Wohnraum innerhalb der Angemessenheitsgrenzen der Richtlinie stehe in A ... nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Entsprechende Wohnungen seien im Wesentlichen nur in drei Stadtbezirken (A-Stadt West, A ... Ost, A ... Nordost) zu finden. Damit werde die Bildung von "Hartz-IV-Bezirken" vorangetrieben. Zudem habe das Wohnungsangebot für 1-Personen-Bedarfsgemeinschaften erheblich abgenommen. Hier stünden SGB II-Leistungsbezieher in Konkurrenz zu SGB XII-Leistungsbeziehern, Asylbewerbern und Geringverdienern. Das in diesem Bereich vorhandene Wohnungsangebot konzentriere sich auf Wohnungen mit einer Größe von bis zu 35 qm (75-80 %) bzw. bis zu 40 qm (90 %). Eine Überprüfung und Bewertung der vom Antragsgegner zugrunde gelegten Angemessenheitsobergrenze könne erst nach Vorlage und Auswertung der der Richtlinie zugrunde liegenden (Roh-)Daten erfolgen. Diese habe der Antragsgegner bisher nicht offen gelegt. Seine – des Antragstellers – Bemühungen, anderen Wohnraum zu finden, seien ohne Erfolg geblieben. Ihm sei es nicht zuzumuten, die Differenz zwischen den tatsächlichen Mietkosten und den bewilligten KdU aus seiner Regelleistung aufzubringen.

Mit Beschluss vom 27.05.2016 hat das SG die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Der Antrag sei bereits unzulässig. Der Bescheid vom 29.01.2016 sei, nachdem er nicht mit dem Widerspruch angefochten worden sei, bindend geworden (§ 77 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Das nachfolgend eingeleitete Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X vermöge an der eingetretenen Bestandskraft nichts zu ändern. Damit fehle es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung an einem streitigen Rechtsverhältnis im Sinne des § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG (Verweis auf Landessozialgericht [LSG] Saarland, Beschluss vom 11.08.2005 – L 9 B 4/05 AS – juris RdNr. 24). Zudem sei der Antrag unbegründet, weil kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sei. Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren (lediglich) vorzunehmenden summarischen Prüfung sei die zum 18.12.2014 in Kraft getretene KdU-Richtlinie mit den darin festgeschriebenen Angemessenheitsobergrenzen rechtmäßig. Zu Recht habe der Antragsgegner ausgehend von der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Verbraucherschutz zur Regelung von Wohnflächenhöchstgrenzen zu § 18 AGSGB (VwV Wohnflächenhöchstgrenzen) vom 07.06.2010 seinem Konzept eine abstrakt angemessene Wohnfläche von 45 qm für einen 1-Personen-Haushalt zugrunde gelegt und als örtlichen Vergleichsraum das Gebiet der Stadt L ... herangezogen. Auch die ermittelte Referenzmiete von 269,57 EUR für eine 1-Personen-Bedarfsgemeinschaft (4,6002 EUR Nettokaltmiete + 1,3902 EUR kalte Betriebskosten x 45 qm) sei nicht zu beanstanden. Die diesbezüglichen Vorgaben des BSG zum sog. schlüssigen Konzept seien erfüllt. Die Angemessenheitsobergrenze sei unter Heranziehung der dem L ...er Mietspiegel 2014 zugrunde liegenden Daten sowie der Daten aus der Broschüre "Betriebskosten in A ... 2012 – Berichtsjahr 2014" ermittelt worden, wobei der Gegenstand der Beobachtung in der Richtlinie genau und in sich schlüssig definiert sei. Angaben zum Beobachtungszeitraum fänden sich ebenso wie Festlegungen zur Art und Weise der Datenerhebung. Auch Validität und Repräsentativität der Datenerhebung seien gesichert. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der (einfache) L ...er Mietspiegel hinsichtlich der Datenerhebung bereits wesentliche Elemente eines qualifizierten Mietspiegels aufweise und sich mit einer Ergebnisstichprobe von mehr als 1 % als repräsentativ im Sinne der Vorgaben für die Erstellung von Mietspiegeln (Verweis auf die Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln, herausgegeben vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2. Aufl. 2014, veröffentlicht unter www.bbsr.bund.de) erweise. Grundsicherungsrechtlich sei die Anlehnung hinsichtlich des Stichprobenumfangs und der Auswertung an die für Mietspiegel geltende Standards nicht zu beanstanden. Repräsentativität und Validität der Datenerhebung für einen Mietspiegel seien auch im Rahmen des schlüssigen Konzepts regelmäßig als ausreichend anzusehen (Verweis auf BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R – juris sowie BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R – juris). Hieraus folge, dass auch in absoluter Hinsicht geringe Fallzahlen grundsicherungsrechtlich keinen Bedenken begegneten (Verweis auf BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R – juris RdNr. 32 für lediglich 243 Wohnungen für 1-Personen-Haushalte aus einer Erhebung für einen qualifizierten Mietspiegel der Stadt München). Die Repräsentativität der Untersuchung der Angebotsmieten sei durch die durchgeführte Vollerhebung der Wohnungsinserate aus den drei ausgewählten Internetportalen gewährleistet, in denen sowohl Inserate der kommunalen und der genossenschaftlichen Vermieter als auch Anzeigen privater Eigentümer, beauftragter Hausverwaltungen und Makler vertreten seien. Die seitens des Antragstellers geforderte Überprüfung der dem Konzept zugrunde liegenden Rohdaten sei nicht veranlasst. Die Aufgabe der gerichtlichen Überprüfung beschränke sich auf die methodische Schlüssigkeit des Konzepts. Auch die Datenauswertung sei, wie vom BSG gefordert, unter Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze erfolgt und die gezogenen Schüsse, insbesondere hinsichtlich der Bestimmung der Kappungsgrenze, seien nachvollziehbar dargestellt. Das in Ansatz gebrachte 33 1/3-Perzentil sie methodisch gut begründet und empirisch abgesichert. Plausibel sei, dass die Definition des "einfachen Standards" am ehesten über den Mietpreis gelingen könne. In der Konsequenz dieses marktbezogenen Ansatzes sei es dann sachgerecht – und auch vom BSG gebilligt (Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R – juris RdNr. 37) –, dass sich die Mietobergrenzen am tatsächlichen Umfang der Nachfrager nach preiswertem Wohnraum, differenziert nach der jeweiligen Größe der Bedarfsgemeinschaft bzw. den ihnen zustehenden angemessenen Wohnungsgrößenklassen orientierten. Schließlich könne sich der Antragsteller auch nicht auf das Fehlen einer konkreten Unterkunftsalternative berufen. Dies folge bereits aus der Auswertung der Wohnungsangebote in den Internetportalen. Insoweit sei zu beachten, dass es keinesfalls für jeden kostenunangemessen wohnenden Leistungsbezieher zu jedem Zeitpunkt einer kostenangemessenen Wohnung bedürfe. Erforderlich und ausreichend sei vielmehr ein kontinuierlich vorhandenes Angebot. Ein solches liege vorliegend – auch nach den vom Antragsteller selbst durchgeführten Recherchen – vor. Da zudem Wohnungsangebote in allen Stadtbezirken vorhanden seien, bestehe das Risiko einer Ghettobildung nicht, wobei die vom Antragsteller beanstandete Konzentration der angemessenen Wohnungsangebote auf drei Stadtteile unschädlich sei, da ausweislich der vom Antragsgegner vorgelegten Auswertung auch auf die anderen Stadtteile (mit Ausnahme von A ... Mitte) noch bis zu 5 % der Wohnungsangebote entfielen. Im Übrigen sei ein Einzelnachweis einer hinreichenden Zahl freier Wohnungen vorliegend auch deshalb entbehrlich, weil der L ...er Mietspiegel hinsichtlich der Datenerhebung wesentliche Elemente eines qualifizierten Mietspiegels aufweise, so dass unterstellt werden könne, dass im örtlichen Vergleichsraum in ausreichendem Maße freier Wohnraum zu dem abstrakt angemessenen Quadratmeterpreis vorhanden sei (Verweis auf BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R – juris RdNr. 38). Gründe, die einen Umzug des Antragstellers als unzumutbar erscheinen lassen würden, seien weder dargetan noch ersichtlich.

Gegen den Beschluss vom 27.05.2016 hat der Antragsteller am 16.06.2016 Beschwerde eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 27. Mai 2016 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 01.05.2016 bis 28.02.2017 vorläufig Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 445,00 EUR zu erbringen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Mit Bescheid vom 29.06.2016 hat der Antragsgegner eine Abänderung des Bescheids vom 29.01.2016 abgelehnt.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (Blatt 1-590) sowie die Gerichtsakten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens vorgelegen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet. Zu Recht hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

Voraussetzung für den Erlass der vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Der Anordnungsanspruch bezeichnet hierbei den materiell-rechtlichen Rechtsanspruch, auf den das Begehren sich stützt, während der Anordnungsgrund Ausdruck der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung ist. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung).

1. Vorliegend ist bereits ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

a) Welche Anforderungen in einem Streit um SGB II-Leistungen für laufende KdU an den Anordnungsgrund zu stellen sind, ist in der Rechtsprechung umstritten. Teilweise wird vertreten, dass ein Anordnungsgrund erst dann vorliege, wenn Obdachlosigkeit drohe bzw. der Vermieter Räumungsklage erhoben habe (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.09.2014 – L 7 AS 1385/14 B ER – juris RdNr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 28.03.2014 – L 7 AS 802/13 B ER – juris RdNr. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.11.2010 – L 5 AS 2025/10 B ER – juris RdNr. 3). Nach anderer Ansicht ist ausreichend, dass jedenfalls die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung vorliegen, auch wenn eine solche noch nicht ausgesprochen und eine Räumungsklage nicht erhoben wurde (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.07.2014 – L 10 AS 1393/14 B ER – juris RdNr. 5). Zum Teil wurden Leistungen auch in solchen Fällen zugesprochen, in denen die Voraussetzungen für eine vermieterseitige Kündigung wegen Mietrückständen noch nicht vorlagen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.10.2011 – L 11 AS 1063/11 B ER – juris).

Richtigerweise ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.05.2015 – L 6 AS 369/15 B ER – juris Rdnr. 33; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.07.2015 – L 13 AS 205/15 B ER – juris RdNr. 14). Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist – im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – geboten, wenn das Abwarten einer Entscheidung im grundsätzlich vorrangigen Hauptsacheverfahren aufgrund des Zeitablaufs zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschluss vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 – juris RdNr. 7). Für den Streit um laufende Leistungen für KdU bedeutet dies, dass entscheidend ist, ob der Erhalt der Wohnung als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet ist. Denn den Leistungen für KdU nach § 22 SGB II liegt der Zweck des Schutzes der Wohnung zur Erfüllung des Grundbedürfnisses "Wohnen" und als eines räumlichen Lebensmittelpunkts zugrunde (st.Rspr., zuletzt BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 14 AS 13/14 R – juris RdNr. 19 m.w.N.). Damit dienen die Leistungen für KdU unmittelbar der Sicherstellung der physischen Existenz des Menschen und sind Teil des verfassungsrechtlich verbürgten Leistungsanspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – juris RdNr. 135). Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls geboten, wobei nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch solche in Bezug auf die Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein können, wie etwa die örtliche Situation auf dem Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten einer Räumungsklage, Umzugskosten, ggf. Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindung etc. (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.05.2015 – L 6 AS 369/15 B ER – juris RdNr. 33).

Dies zugrunde legend fehlt es vorliegend an einem Anordnungsgrund. Allein der Hinweis auf eine (nicht unerhebliche) Deckungslücke bei den KdU reicht zur Begründung eines Anordnungsgrundes nicht aus. Vorliegend ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass der Erhalt der Wohnung als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet wäre. Der Antragsteller deckt den fehlenden Anteil an den Unterkunftskosten durch Einsparungen aus der Regelleistung; einen Umzug beabsichtigt er offenbar nicht. Dass Mietrückstände aufgelaufen wären oder gar eine Kündigung drohen würde, hat der Antragsteller nicht behauptet. Ein aktuell drohender Verlust der Wohnung ist somit nicht glaubhaft gemacht.

b) Hinzu tritt vorliegend, dass der Bewilligungsbescheid vom 29.01.2016 bestandskräftig geworden ist, nachdem er vom Antragsteller nicht mit dem Widerspruch angefochten wurde. Zwar ist inzwischen hinsichtlich des Bescheids ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X eingeleitet worden. Jedoch sind, wenn im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt wird, besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen. Soll ein bestandskräftiger Bescheid in einem solchen Verfahren zurückgenommen werden, so ist es dem Antragsteller im Regelfall zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungsverfahren bzw. in einem anschießenden gerichtlichen Hauptsachverfahren abzuwarten (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.04.2011 – L 5 AS 342/10 B ER – juris RdNr. 19; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.05.2013 – L 19 AS 638/13 B ER – juris RdNr. 12). Zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist es in diesem Fall erforderlich, dass massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden (Thüringer LSG, Beschluss vom 14.09.2011 – L 10 AL 434/10 ER – juris RdNr. 33). Darüber hinaus kann eine einstweilige Anordnung in derartigen Fällen nur ergehen, wenn die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Bescheids offensichtlich ist und deshalb mit einem für den Antragsteller positiven Ausgang des Überprüfungsverfahrens zu rechnen ist (Bayerisches LSG, Beschluss vom 11.09.2015 – L 16 AS 510/15 B ER – juris RdNr. 21; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.11.2013 – L 9 KR 254/13 B ER – juris RdNr. 4). Dies ist jedoch vorliegend – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt – nicht der Fall.

2. Auch ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der Gewährung höherer Unterkunftskosten ist nicht glaubhaft gemacht.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Vor Abschluss eines Vertrags über eine neue Unterkunft soll die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen (§ 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II). Unterbleibt – wie hier – die Einholung einer Zusicherung, hat dies bei einem Umzug über die Grenzen des kommunalen Vergleichsraums hinaus zur Folge, dass – ohne den befristeten Bestandsschutz nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II – nur die angemessenen Aufwendungen übernommen werden (Luik in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 22 RdNr. 153).

Die Angemessenheit der Aufwendungen ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG unter Zugrundelegung der sog. Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu konkretisieren (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 – B 14 AS 60/12 R – juris RdNr. 18): Zunächst ist zu überprüfen, ob die tatsächlichen Aufwendungen des Leistungsberechtigten für seine Unterkunft dem entsprechen, was für eine nach abstrakten Kriterien als angemessen geltende Wohnung auf dem maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzubringen ist (abstrakte Angemessenheitsprüfung). Übersteigen die tatsächlich aufzubringenden Wohnkosten die abstrakt ermittelte Referenzmiete, ist zu überprüfen, ob eine Wohnung, die den abstrakten Kriterien entspricht, für den Leistungsberechtigten auf dem Mietmarkt tatsächlich verfügbar und konkret anmietbar ist, es ihm also konkret möglich ist, die Kosten für die Unterkunft auf das abstrakt angemessene Maß zu senken (konkrete Angemessenheit). Zur Konkretisierung der (abstrakten) Angemessenheitsgrenze wird in einem ersten Schritt die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard bestimmt sowie in einem zweiten Schritt festgelegt, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab (Vergleichsraum) für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. In einem dritten Schritt ist zu ermitteln, wie viel auf diesem Wohnungsmarkt für eine Wohnung einfachen Standards aufzuwenden ist (Referenzmiete), indem eine Datenerhebung und Datenauswertung durch den kommunalen Träger bzw. das Jobcenter erfolgt. Ziel dieser Ermittlungen ist es, einen Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards zu ermitteln, um diesen nach Maßgabe der Produkttheorie mit der dem Hilfeempfänger zugestandenen Quadratmeterzahl zu multiplizieren und so die angemessene Miete feststellen zu können (sog. schlüssiges Konzept – BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R – juris RdNr. 28).

Hierbei ist zu beachten, dass im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung (siehe hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b RdNr. 16c) eine Beweisaufnahme, im Rahmen derer die zur Erstellung des Konzepts verwendeten Daten und die daraus folgenden Berechnungen – unter Umständen mit Hilfe weiterer Erläuterungen durch Gutachter – nachvollzogen und ggf. um ungeeignete, nicht repräsentative oder nicht valide Daten bereinigt werden, regelmäßig nicht in Betracht kommt (Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.05.2012 – L 7 AS 24/12 B ER – juris RdNr. 43). Geboten – aber auch ausreichend – im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ist allein die Prüfung, ob das vom Antragsgegner zugrunde gelegte Konzept den Vorgaben des BSG entspricht, die für die Schlüssigkeit derartiger Konzepte (siehe hierzu insbesondere BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R – juris RdNr. 19) aufgestellt wurden. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass im Stadtgebiet von A ... für ihn keine Wohnung zu finden sei, die den Vorgaben des Antragsgegners entspreche. Seine pauschale Behauptung, seine Bemühungen (welche?), eine Wohnung zu finden, seien ohne Erfolg geblieben, reicht insoweit nicht aus. In der seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beigefügten eidesstattlichen Versicherung behauptet der Antragsteller lediglich, die L ...er Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) habe ihm auf Anfrage mitgeteilt, dass es "kaum noch" Wohnraum für Alg II-Bezieher gebe. Hieraus folgt indes, dass entsprechender Wohnraum – wenn auch u.U. nicht in der vom Antragsteller erwarteten Angebotsvielfalt – durchaus vorhanden ist. Die Zweifel des Antragstellers an der Schlüssigkeit des Konzepts betreffen folglich in erster Linie die abstrakte Angemessenheit, indem in Frage gestellt wird, dass für alle Bedürftigen in allen Stadtgebieten/Ortsteilen der Stadt L ... ausreichend Wohnraum innerhalb der festgelegten Angemessenheitsobergrenzen verfügbar ist.

Diesbezüglich ist jedoch festzustellen, dass der Antragsgegner bei der Erstellung des Konzepts die vom BSG aufgestellten Grundsätze zur Schlüssigkeit (BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R – juris RdNr. 19; Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R – juris RdNr. 28) beachtet hat. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des SG wird insoweit Bezug genommen. Zu den Einwänden des Antragstellers ist ergänzend Folgendes auszuführen:

a) Gegen die Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße (45 qm für einen 1-Personen-Haushalt) auf der Grundlage der VwV Wohnflächenhöchstgrenzen bestehen keine Bedenken. Da der Freistaat Sachsen keine Ausführungsbestimmungen zu § 10 Wohnraumförderungsgesetz erlassen hat, bedarf es mit Rücksicht auf Rechtssicherheit und Praktikabilität der Heranziehung anderweitiger aktueller Verwaltungsregelungen zur Festlegung der angemessenen Wohnungsgröße. Dem trägt – auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit – die genannten Verwaltungsvorschrift Rechnung (BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 9/14 R – juris RdNr. 15 ff.). Soweit der Antragsteller moniert, dass sich Leistungsempfänger in einem 1-Personen-Haushalt nach dem Konzept des Antragsgegners auch mit wesentlich geringeren Wohnflächen als 45 qm zufrieden geben müssten, da die insoweit zur Verfügung stehenden Wohnungen nur zu einem geringen Teil Wohnungsgrößen von 40 qm erreichten, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Das BSG hat bereits entschieden, dass – im Hinblick auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung regionaler Umstände – keine Einwände gegen die Einbeziehung bestimmter Wohnungstypen bestehen, die schon durch ihre Häufigkeit als prägend für einfache, bescheidene, aber gleichwohl zumutbare Wohnbedürfnisse im Vergleichsraum angesehen werden können (BSG, a.a.O., RdNr. 26). Auch das Sächsische LSG hat darauf hingewiesen, dass es sich bei in Plattenbauweise errichteten 1-Raum-Wohnungen um einen Wohnungstyp handelt, der im gesamten Freistaat Sachsen weit verbreitet ist und der – angesichts des standardisierten günstigen Zuschnitts dieser Wohnungen – auch von Nichtleistungsempfängern bewohnt wird und der einfachen und grundlegenden Wohnbedürfnissen genügt (Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 – L 7 AS 637/12 – juris RdNr. 156).

b) Ebenfalls keine Bedenken bestehen dagegen, das gesamte Stadtgebiet der Stadt L ... als Vergleichsraum zu bestimmen, da dieses einen homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R – juris RdNr. 22 ["München"]; Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 – L 7 AS 637/12 – juris RdNr. 102 m.w.N. ["Dresden"]).

c) Hinsichtlich der Ermittlung der Angemessenheitsobergrenze (Referenzmiete) hat das SG zutreffend auf die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R – juris RdNr. 19) zu erfüllenden Mindestvoraussetzungen verwiesen: die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung); es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen: Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße; Angaben über den Beobachtungszeitraum; Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel); Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten; Validität der Datenerhebung; Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung; Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze). Ebenso zutreffend hat das SG darauf verwiesen, dass sich die Aufgabe der gerichtlichen Prüfung auf die methodische Schlüssigkeit des Konzepts beschränkt (siehe hierzu Knickrehm in: SozSich 2015, 287, 289). Soweit der Antragsteller beanstandet, dass nicht in allen Stadtgebieten/Ortsteilen von A ... angemessener Wohnraum zur Verfügung stehe, so dass sich in dieser Folge die Armut auf einzelne Ortsteile konzentriere ("Ghettoisierung"), hat der vom Antragsgegner durchgeführte Abgleich mit den Angebotsmieten der drei wichtigsten Internetportale ergeben, dass angemessene Wohnungsangebote (in unterschiedlichem Umfang) in fast allen L ...er Stadtteilen vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund ist, da – wie vom BSG gefordert – die dem Konzept zugrunde liegenden Daten über das gesamte Stadtgebiet erhoben wurden, die Gefahr einer Ghettoisierung nicht gegeben (BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 9/14 R – juris RdNr. 27 ["Dresden"]; BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 77/12 R – juris RdNr. 29 ["München"]). Soweit sich eine räumliche Häufung des Bestandes angemessener Wohnung in einzelnen Stadtteilen zeigt, ist im Übrigen zu beachten, dass insoweit ein Spannungsverhältnis zum Wohnstandard besteht. Denn die Forderung nach einer stärkeren Verteilung der angemessenen Wohnungen über das Stadtgebiet wäre mit einer Überschreitung des einfachen Standards verbunden (Knickrehm in: SozSich 2015, 287, 291). Eine (deutliche) Überschreitung des vom BSG propagierten einfachen Standards würde sich indes zu Lasten von nicht im Leistungsbezug stehenden Mitbewerbern um Wohnungen einfachen Standards auswirken, und kommt daher bereits vor diesem Hintergrund nicht in Betracht (Knickrehm, a.a.O.). Vielmehr sind im Rahmen der Prüfung der Schlüssigkeit des jeweiligen Konzepts die unterschiedlichen regionalen Verhältnisse zu berücksichtigen, wie sie sich in Ostdeutschland insbesondere aus einem großen Anteil an Wohnungen in sog. Plattenbauweise ergeben können (Knickrehm, a.a.O, bzgl. der Struktur des Wohnungsbestandes in Dresden). Zutreffend verweist das SG daher darauf, dass die Schlüssigkeit eines Konzeptes nicht voraussetzt, dass für jeden kostenunangemessen wohnenden Leistungsempfänger zu jedem Zeitpunkt eine kostenangemessene Wohnung in jedem Stadt-/Ortsteil vorhanden sein muss. Erforderlich – aber auch ausreichend – ist vielmehr, dass, unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der jeweiligen regionalen Verhältnisse, kontinuierlich ein ausreichendes Wohnungsangebot vorhanden ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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