L 9 AS 318/16 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 27 AS 1158/14
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 318/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.Wenn sich der Leistungsberechtigte gegen eine Meldeaufforderung nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wendet, handelt es sich nicht um eine Klage, die im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen darauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft (aA LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Januar 2015 – L 7 AS 1306/14 -, nach juris). Die Bedeutung der Meldeaufforderung erschöpft sich nicht in der Vorbereitung einer späteren Sanktion.
2. § 59 SGB II i.V.m. § 309 Abs. 2 SGB III setzt nicht voraus, dass der Hilfebedürftige tatsächlich keinerlei Erwerbstätigkeit nachgeht, mithin arbeitslos ist.
Beschluss vom 20. Juni 2016
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 16. Februar 2016 (Ablehnung von Prozesskostenhilfe) wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Meldeaufforderung.

Die 1967 geborene Klägerin, ihr 1957 geborener Ehemann und die 1998 geborene Tochter beziehen laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Die Klägerin ist seit 2013 im Haupterwerb selbst-ständig im Bereich Dienstleistungen im Internet, Webdesign und Kundenbetreuung tätig. Sie erzielte hieraus Einkommen in schwankender, nicht bedarfsdeckender Höhe.

Mit Schreiben vom 22. April 2014 lud der Beklagte die Klägerin zu einem Termin am 19. Mai 2014 im Jobcenter L. N. ein. Die Sachbearbeiterin Frau R. wolle mit ihr über die aktuelle berufliche Situation sprechen. Der Bescheid enthielt eine Belehrung über die Rechtsfolgen, die bei einem Nichterscheinen zum Termin eintreten. So wurde die Klägerin u.a. darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass sie ohne wichtigen Grund der Einladung nicht Folge leiste, das ihr zustehende Arbeitslosengeld II um 10 Prozent des für sie maßgebenden Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II für die Dauer von drei Monaten gemindert werde. Wegen des weiteren Inhalts wird auf den Bescheid verwiesen.

Am 29. April 2014 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 22. April 2014 Widerspruch. Sie sei hauptberuflich selbstständig und in Vollzeit tätig. Daher müsse sie auch in den Büro- und Telefonzeiten erreichbar sein. Sie sei ständig bemüht das Einkommen zu steigern und führe fast täglich Gespräche mit potenziellen Kunden. Ihr Bestreben liege darin, das Einkommen aus der jetzigen selbstständigen Tätigkeit zu erzielen und nicht darin, sich um weitere Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bemühen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Einladung sei rechtzeitig vor dem Meldetermin erfolgt, sodass die Klägerin in der Lage gewesen sei, sich auf den Termin einzustellen. Das Einkommen decke weder den Bedarf der Klägerin, noch den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft. Sie habe sich daher zu bemühen, evtl. durch Aufnahme einer anderen Beschäftigung, das Einkommen zu erhöhen.

Den Termin am 19. Mai 2014 nahm die Klägerin dennoch wahr.

Die Klägerin hat am 23. Mai 2014 Klage vor dem Sozialgericht Nordhausen erhoben und begehrt die Feststellung, dass die Aufforderung zum Meldetermin am 19. Mai 2014 rechtswidrig gewesen ist.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 16. Februar 2016 mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Begehrens abgelehnt. Die erhobene Feststel-lungsklage biete mangels Rechtsschutzbedürfnisses keine Aussicht auf Erfolg.

Dagegen hat die Klägerin unter dem 24. Februar 2016 Beschwerde eingelegt. Sie erhalte re-gelmäßig Meldeaufforderungen. Eine Sanktion könne sie wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht riskieren, weshalb sie den Meldeaufforderungen grundsätzlich nachkomme. Dabei entstehe regelmäßig Streit, ob von ihr eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben sei. Der Rechtsweg könne ihr nicht nur dann zugestanden werden, wenn sie gewollt der Melde-aufforderung nicht nachkomme, um eine Sanktion zu erhalten, um sodann im Rahmen der rechtlichen Prüfung dieser die Zulässigkeit der zugrundeliegenden Meldeaufforderung zu prüfen.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 16. Februar 2016 (S 27 AS 1158/14) aufzuheben und ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K. zu gewähren.

Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt.

Er hält die angegriffene Entscheidung für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Be-teiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Gerichtsakten und die Verwal-tungsakten des Beklagten lagen vor und waren Gegenstand der Beratung.

II.

Die Beschwerde ist form- und fristgerecht i.S.v. § 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein-gelegt worden. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2b SGG unstatthaft, denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung nicht der Zulassung. Wenn sich der Leistungsberechtigte gegen eine Meldeaufforderung nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wendet, handelt es sich nicht um eine Klage, die im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen darauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft. Mithin kommt es auf den Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht an.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 29. Januar 2015 – L 7 AS 1306/14 -, nach juris), wonach eine Meldeaufforderung nach § 59 SGB II auf eine Geldleistung gerichtet ist, weil die einzige Rechtsfolge bei Nichtbefolgung eine Sanktion sein kann, und deshalb an § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zu messen ist. Denn diese Sichtweise lässt außer Acht, dass schon mit der bloßen Aufforderung zu einem Termin zu erscheinen, mindestens eine Obliegenheit zur Teilnahme begründet wird, welche die subjektiven Rechte bereits in nicht nur unerheblichem Ausmaß beeinträchtigt. Die Meldeaufforderung geht insgesamt über eine nur vorbereitende Handlung hinaus (vgl. Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 59, Rn. 11). Zweck der Meldepflicht ist, dem Grundsicherungsträger die Durchführung seiner Aufgaben durch ein persönliches Erscheinen des Leistungsberechtigten zu erleichtern oder Ermittlungen erst zu ermöglichen (Fahlbusch in BeckOK SozR SGB II, § 59, Rn. 3). Der SGB-II-Leistungsträger soll insbesondere prüfen können, ob und ggf. welche Leistungen im Einzelfall sachdienlich und erforderlich sind, des Weiteren, ob die Voraussetzungen für die jeweilige Leistung verwirklicht sind. Ohne eine persönliche Meldung und damit ohne einen persönlichen Kontakt wäre dies kaum möglich (Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 32 Rn. 9). Sie stellt eine besondere Mitwirkungspflicht des Hilfebedürftigen dar und legt ihm bestimmte Handlungspflichten auf. Damit sind alle Voraussetzungen eines Verwaltungsakts im Sinne von § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuchs (SGB X) erfüllt (vgl. nur BSG Beschluss vom 19. Dezember 2011 - B 14 AS 146/11 B - juris - mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Die Klägerin lehnt vorliegend generell die Aufforderungen durch den Beklagten, zu Meldeterminen zu erscheinen, ab. Auch hieraus wird ersichtlich, dass sich die Bedeutung der Zu-weisungsentscheidung nicht in der Vorbereitung einer späteren Sanktion und damit eines auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakts im Sinne von § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG erschöpft. Vielmehr hat der Bescheid eine eigenständige, darüber hinausgehende Bedeutung.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Gewährung von Prozess-kostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit den §§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO) wird Prozesskostenhilfe gewährt, wenn ein Beteiligter nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur in Raten auf-bringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

Hier bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die streitgegenständlichen Bescheide des Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung derer Rechtswidrigkeit.

Die von der Klägerin erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG hier die richtige Klageart. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr bestehen.

Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwal-tungsaktes unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 – B 7b AS 40/06 R -). Vorliegend war eine solche Wiederholungsgefahr nach Auffassung des Senats gegeben, denn nach den Einlassungen des Beklagten hat dieser mehrfach Meldeaufforderungen an die Klägerin gerichtet mit dem Ziel, Eingliederungsvereinbarungen mit dieser abzuschließen. Dabei übte die Klägerin unverändert hauptberuflich ihre selbstständige Tätigkeit aus. Es besteht daher eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit, dass auch in der nachfolgenden Zeit weitere Meldeaufforderungen zu erwarten sind.

Zudem hat die Klägerin bei ihrem Vorbringen klar zum Ausdruck gebracht, dass sie sich generell gegen Einladungen zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung bzw. zur Besprechung ihrer beruflichen Situation wendet. Auch hieraus ergibt sich die für eine Fortsetzungsfeststellungsklage notwendige Wiederholungsgefahr, da der Beklagte gesetzlich verpflichtet ist, der Klägerin Hilfe bei ihrer Eingliederung zu leisten und dies durch Eingliederungsvereinbarungen oder Eingliederungsverwaltungsakte zu unterstützen. Dabei ist zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung eine persönliche Kontaktaufnahme mit der Klägerin unausweichlich, so dass es ohne weiteres wieder zu einer Einladung kommen kann.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch unbegründet.

§ 59 SGB II i.V.m. § 309 Abs. 2 SGB III ermöglicht die Aufforderung zur Meldung zum Zwecke der Berufsberatung, Vermittlung in Ausbildung und Arbeit, Vorbereitung aktiver Arbeitsförderungsleistungen, Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren und die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch. Dabei ist, entgegen der Auffassung der Klägerin, nicht erforderlich, dass der Hilfebedürftige tatsächlich keinerlei Erwerbstätigkeit nachgeht, mithin arbeitslos ist. Insoweit ist die Vorschrift des § 309 SGB III nach § 59 SGB II entsprechend anzuwenden. Dies bedeutet, dass die Rechtsfolgen dieser Normen im Anwendungsbereich des SGB II entsprechend gelten sollen. Die Notwendigkeit der entsprechenden Anpassung des § 309 SGB III im Bereich des SGB II ergibt sich schon daraus, dass das SGB II Leistungen weder von Arbeitslosigkeit noch von Verfügbarkeit i.S.d. SGB III abhängig macht und erwerbsfähige und erwerbsunfähige Personen zusammenfasst. Folglich ist unter anderem die Bezeichnung des "Arbeitslosen" in § 309 SGB III "auszutauschen" gegen die des Leistungsberechtigten i.S.v. § 7 SGB II (vgl. Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 59, Rn. 5).

Dieser gesetzlichen Pflicht unterliegt auch die Klägerin, solange sie im Leistungsbezug nach dem SGB II ist. Die Einladung zur Besprechung der beruflichen Situation ist unter Hinweis auf die obigen Ausführungen auch eine zulässige Maßnahmen i.S.d. § 59 SGB i.V.m. § 309 Abs. 2 SGB III. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Vorschrift sind von der Klägerin nicht substantiiert vorgetragen und nicht ersichtlich. Der Beklagte war damit berechtigt, die Klägerin zu einem Termin einzuladen und tat dies in nicht zu beanstandender Weise.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Sozialge-richtsgesetz (SGG).

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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