S 62 SO 403/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
62
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 62 SO 403/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.)

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Verpflichtung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu gewähren.

Die 1979 in Beirut/ Libanon geborene Antragstellerin ist libanesische und britische Staatsangehörige. Sie absolvierte nach eigenen Angaben eine "Highschool-Ausbildung", schloss in der Folge aber keine Berufsausbildung ab und war auch nicht mehr berufstätig. Auf der Grundlage einer Heiratserlaubnis des Schariarichters von Beirut vom 08.08.1998 war sie seit dem 13.08.1998 mit dem 1966 geborenen M verheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei in den Jahren 2002 und 2008 geborene Kinder hervor. Jedenfalls zuletzt lebten die Antragstellerin und Herr M in Großbritannien. Die gemeinsame Ehe wurde - gemäß von der Antragstellerin beigefügtem Schreiben - durch Scheidungserlaubnis des Schariarichters von Beirut am 11.04.2015 geschieden.

Die Antragstellerin reiste am 21.09.2015 aus Großbritannien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie zog in der Folge zu ihrem neuen Lebensgefährten, dem am 01.01.1993 syrischen Staatsbürger Mohammad L, in die Wohnung Lstr. in E. Herr L stand zu diesem Zeitpunkt im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Jobcenter Dortmund. In einer Veränderungsmitteilung gaben Herr L und die Antragstellerin den Einzug beim Jobcenter Dortmund an. Mit an Herrn L adressiertem Bescheid "zur Aufhebung, Erstattung und Aufrechnung" vom 18.02.2016 führte die Antragsgegnerin aus, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II habe, weil sie vom Leistungsausschluss des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II erfasst sei. Gleichwohl berücksichtigte das Jobcenter Dortmund zugunsten des Herrn L nur noch den Regelsatz für Partner und seine anteiligen Kosten der Unterkunft. Gegen diesen Bescheid erhob Herr L am 03.03.2016 Widerspruch. Ebenfalls am 03.03.2016 beantragte die Antragstellerin beim Jobcenter Dortmund die Überprüfung der früheren Bewilligungsbescheide vom 07.12.2015 und 21.01.2016 gemäß § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuchs (SGB X). Auch ihr seien für den Zeitraum ab dem 24.09.2015 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Das Jobcenter Dortmund hat diesen Antrag nach dem Stand der Akte bislang noch nicht entschieden.

Am 09.03.2016 beantragte sie bei der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB XII. Sie gab in diesem Zusammenhang an, dass Grund der Einreise der gewünschte Zuzug zu ihrem neuen Lebensgefährten gewesen sei. Mit Bescheid vom 12.05.2016 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Die Antragstellerin sei als erwerbsfähige Hilfebedürftige gemäß § 21 Satz 1 SGB XII von den Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen. Mit Bescheid ebenfalls vom 12.05.2016 änderte das Jobcenter Dortmund die Bewilligung des Herrn L dahingehend ab, dass es nunmehr die Regelleistung für Alleinstehende und die vollen Kosten der Unterkunft berücksichtigte. Am 20.05.2016 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 12.05.2016. Sie nahm Bezug auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 03.12.2015 zu den Aktenzeichen B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 59/13 R. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2016 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Sie bezog sich auf die Begründung des Ausgangsbescheids.

Am 08.07.2016 erhob die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 12.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2016. Diese Klage wird bei der erkennenden Kammer unter dem Aktenzeichen S 62 SO 404/16 geführt. Ebenfalls am 08.07.2016 hat die Antragstellerin einen Antrag auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

Die Antragstellerin nimmt wiederum Bezug auf diverse jüngere Urteile des Bundessozialgerichts, die sich mit dem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II und einer möglichen Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII in diesem Fall befassen. Auch sofern man die Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts nicht teile, seien jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des sicheren Obsiegens in der Hauptsache und einer möglichen Folgenabwägung Leistungen zu gewähren. Auch gründe sich ihr Aufenthaltsrecht nicht nur auf den Zweck der Arbeitsuche, sondern auch auf ihr Interesse an einem familienähnlichen Zusammenleben mit ihrem Lebensgefährten.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihr für den Zeitraum ab dem 08.07.2016 vorläufig im Hinblick auf eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren S 62 SO 404/16 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren,hilfsweise das Jobcenter Dortmund beizuladen und diesem im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihr für den Zeitraum ab dem 08.07.2016 vorläufig im Hinblick auf eine rechtskräftige Entscheidung in einem möglichen Hauptsacheverfahren Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie geht weiter davon aus, dass die Antragstellerin gemäß § 21 Satz 1 SGB XII als Erwerbsfähige vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sei und bezieht sich in diesem Zusammenhang maßgeblich auf den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 07.03.2016, L 12 SO 79/16 B ER.

Während des laufenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hat die Antragstellerin sich über längere Zeit in London aufgehalten, um Unterlagen für die Anerkennung der Scheidung von Herrn M zu beschaffen. Bereits am 08.02.2016 hatte Herr L für die Antragstellerin beim Oberlandesgericht Düsseldorf die Anerkennung der islamischen Scheidung der Antragstellerin gestellt. Dieses Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 346E3.112-16 geführt. Mit Schreiben vom 05.04.2016 hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf Herrn L darauf hingewiesen, dass er zur Stellung des Antrags nur berechtigt sei, sofern die Anmeldung einer Eheschließung zwischen ihm und der Antragstellerin bereits erfolgt sei. Dem Antrag sei das Scheidungsdokument vom 11.04.2015 beizufügen. Sofern die Anmeldung zur Eheschließung noch nicht erfolgt sei, sei der Antrag durch die Antragstellerin selbst zu stellen. Die Scheidung der Ehe unterliege nach Art. 8 a Rom III-VO britischem Recht. Eine Scheidung nach islamischem Recht entfalte hiernach nur Wirksamkeit, wenn keiner der Ehepartner innerhalb eines Jahres vor der Ehescheidung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Großbritannien gehabt habe. Aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts beider Ehepartner in Großbritannien vor dem Zeitpunkt der Scheidung sei diese weder nach deutschem noch nach britischem Recht anzuerkennen. Es werde angeregt, einen Antrag auf Nichtanerkennung der islamischen Scheidung zu stellen, um dann das Scheidungsverfahren vor dem zuständigen europäischen Zivilgericht durchführen zu können. Die Antragstellerin hat nunmehr eine Bescheinigung des stellvertretenden Hauptstandesbeamten des Distrikts Enfield (Großbritannien) über ihre Ehefähigkeit eingeholt. Hiernach sei die Anmeldung der Eheschließung am 14.07.2016 in das Buch des Distrikts für Anmeldungen zur Eheschließung eingetragen worden. Es sei kein Hinderungsgrund für die beantragte Eheschließung vorgelegt worden. In Reaktion auf ein nochmaliges Schreiben des Herrn L, dem dieser die nunmehr von der Antragstellerin eingeholte Bescheinigung beigefügt hat, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Schreiben vom 25.08.2016 darauf hingewiesen, dass eine Anerkennung der Ehescheidung nur möglich sei, wenn diese in Großbritannien vom zuständigen High Court oder Country Court förmlich anerkannt sei. Eine solche Entscheidung liege dem Schreiben nicht bei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakte, die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie auf die gefertigten Kopien aus der Leistungsakte des Herrn L beim Jobcenter Dortmund Bezug genommen.

II.)

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet.

Eine einstweilige Anordnung kann gemäß § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG hat der Antragsteller im Sinne von § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen, dass ihm der umstrittene und zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) zusteht und die Regelung eines vorläufigen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund).

Im vorliegenden Fall fehlt es sowohl im Hinblick auf den Haupt- als auch auf den Hilfsantrag aber bereits an einem Anordnungsanspruch.

Die Antragstellerin hat zunächst keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Die Antragstellerin ist nämlich als - unstreitig - Erwerbsfähige gemäß § 21 Satz 1 SGB XII vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen. Dieses von der Sichtweise des BSG in seinen Urteilen vom 03.12.2015 (B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R), 16.12.2015 (B 4 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R) und 20.01.2016 (B 14 AS 15/15 R, B 14 AS 35/15 R) abweichende Ergebnis der Kammer folgt aus dem Wortlaut und Aufbau des § 21 SGB XII, der Gesetzesbegründung sowie dem vom BSG in weiteren Urteilen aufgezeigten systematischen Wechselspiel von SGB II und SGB XII und der in diesem Zusammenhang angenommenen abgrenzenden Funktion des § 21 SGB XII und der in § 7 SGB II vertretenen Leistungsausschlüsse (vgl. zu der Gesamtargumentation SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016 – S 35 AS 5396/15 ER –, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER –, juris; SG Dortmund, Beschluss vom 18.03.2016, S 19 AS 91/16 ER, noch nicht veröffentlicht; SG Dortmund, Beschluss vom 18. April 2016 – S 32 AS 380/16 ER –, juris; SG Düsseldorf, Beschluss vom 30.03.2016, S 18 AS 791/16 ER, noch nicht veröffentlicht ).

Bereits der Wortlaut des § 21 Satz 1 SGB XII spricht gegen die vom BSG angenommene Möglichkeit, einem Hilfebedürftigen, dessen mangelnde Anspruchsberechtigung auf Leistungen nach dem SGB II nicht aus dem Merkmal der (ggf. auch "fingierten") Erwerbsunfähigkeit resultiert, Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Gemäß § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber auf eine Leistungsberechtigung "als Erwerbsfähiger" "dem Grunde nach" abstellt, zeigt für die Kammer aber, dass bereits die positive Feststellung der Anspruchsvoraussetzung des § 7 Abs.1 Satz1 Nr.2 ("erwerbsfähig sind") dazu führen soll, dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII ausscheidet. Sowohl das Tatbestandsmerkmal "als Erwerbsfähige" wie auch das Tatbestandsmerkmal "dem Grunde nach" wären nämlich überflüssig, wenn es nicht um das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit als zentrales Ausschlusskriterium, sondern um die tatsächliche Leistungsberechtigung bzw. den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ginge. Dann hätte vielmehr der bloße Verweis eben auf diese Leistungsberechtigung oder diesen Anspruch nahegelegen. Auch das Vorliegen eines Leistungsausschlusses (so auch gemäß § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II) lässt die Leistungsberechtigung "als Erwerbsfähiger" "dem Grunde nach" nach der Systematik der Norm im Übrigen nicht entfallen, denn während § 7 Abs.1 Satz 1 SGB II die (positiv formulierten) Tatbestandsvoraussetzungen ("dem Grunde nach") für einen Bezug von Leistungen nach dem SGB II benennt, schließen die Regelungen des § 7 Abs.1 Satz 2 SGB II ("ausgenommen sind" ") nach § 7 Abs.1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigte Personengruppen wieder vom Leistungsbezug nach dem SGB II aus. Die Voraussetzung eines weiteren Aufenthaltsrechts als "positive Tatbestandsvoraussetzung" hat der Gesetzgeber gerade nicht vorgenommen.

Für die Auslegung der Kammer spricht auch die weitere Systematik des § 21 SGB XII:

Gemäß § 21 Satz 2 SGB XII können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, abweichend von Satz 1 Leistungen nach § 36 (SGB XII) erhalten. Auch diese Regelung wäre aber überflüssig, wenn allein die fehlende Leistungsberechtigung nach dem SGB II (unabhängig vom Kriterium der Erwerbsfähigkeit) den Weg in einen Leistungsbezug nach dem SGB XII eröffnen könnte. Schon das Fehlen der in § 7 Abs.1 Satz 1 Nr.3 SGB II als positive Tatbestandsvoraussetzung benannten (und in § 9 SGB II näher definierten) Hilfebedürftigkeit ließe nämlich die Leistungsberechtigung nach dem SGB II entfallen. In § 21 Satz 2 SGB XII ließe sich dann keine Abweichung zu § 21 Satz 1 SGB XII erkennen (so aber der Gesetzeswortlaut).

Weiter beschreibt § 21 Satz 3 SGB XII das zwischen den Trägern von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII anzuwendende Verfahren, wenn zwischen diesen unterschiedliche Auffassungen über die Zuständigkeit bestehen. Diesbezüglich ist der Träger von Leistungen nach dem SGB XII an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs.2 Satz des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuchs (SGB VI) und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit gemäß § 44 a Abs.1 SGB II gebunden. Dieses Instrumentarium vermittelt die Auffassung des Gesetzgebers, dass allein die unterschiedliche Einschätzung der Erwerbsfähigkeit als entscheidendes Abgrenzungskriterium zu Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den Trägern führen kann. Einen Mechanismus für die Bewältigung weiterer möglicher Abgrenzungsfragen (so z.B. für die nach der neuen Rechtsprechung des BSG erforderliche Klärung, ob neben dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche noch ein weiteres Aufenthaltsrecht vorliegt) sieht § 21 SGB XII nicht vor.

Auch die Gesetzesbegründung zu § 21 SGB XII (BT Drs. 15/1514, S. 57) spricht dafür, dass Erwerbsfähigen der Weg zu Leistungen nach dem SGB XII nicht eröffnet werden soll. Hier heißt es: "Die Regelung setzt nicht voraus, dass jemand tatsächlich Leistungen des anderen Sozialleistungsträgers erhält oder voll erhält, sondern knüpft an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren im Zweiten Buch näher bezeichneten Angehörigen an" (vgl. hierzu überzeugend SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015, S 149 AS 7191/13, - juris).

Dass das Tatbestandsmerkmal der Erwerbsfähigkeit entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen den Leistungssystemen von SGB II und SGB XII sein soll (so auch Eicher in juris-PK zu § 21 SGB XII, Rn.10, der § 21 SGB XII eine systemabgrenzende Funktion beimisst) führt das BSG auch in seiner Entscheidung vom 03. Dezember 2015 – (Rn.41, - juris) aus. Hier heißt es: "Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird."

Diese Bedeutung der Erwerbsfähigkeit und der Arbeitsmarktnähe des Hilfebedürftigen für seine Zuweisung zu dem seiner ursprünglichen Konzeption nach erwerbszentrierten und arbeitsmarktnahen System des SGB II und dem "arbeitsmarktfernen" System des SGB XII hat das BSG auch in mehreren Entscheidungen herausgearbeitet, auf die es in seinem Urteil vom 03.12.2015 nunmehr zur Begründung seiner Prämisse verweist, dass im Falle des Ausschlusses eines erwerbsfähigen Ausländers von Leistungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nach dem SGB II ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII grundsätzlich möglich bleibe (Zitat: "Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift" Rn.42 (juris)) Eine differenzierte Betrachtung der Leistungsausschlüsse sei erforderlich.

Im Einzelnen nennt das BSG in diesem Zusammenhang folgende Urteile, die alle einen Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs.4 SGB II zum Gegenstand haben:

BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20 (Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs.4 SGB II wegen Bezugs einer litauischen Altersrente)

BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24 (Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs.4 wegen Unterbringung in einer Klinik)

BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger)

In dem erstgenannten Urteil vom 16.05.2012 (B 4 AS 105/11 R, Rn.23, - juris) führt das BSG zum Hintergrund des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs.4 Satz 1 SGB II und im Hinblick auf die Zuordnung der Empfängerin einer ausländischen Rente zum Leistungssystem nach dem SGB XII exemplarisch aus:

"Anspruch auf Leistungen haben allerdings grundsätzlich nur erwerbsfähige Hilfebedürftige. Nicht leistungsberechtigt ist, wer nicht erwerbsfähig iS des § 8 Abs 1 SGB II ist. Letzteres ist bei Personen in einer stationären Einrichtung (BSGE 99, 88 = SozR 4-4200 § 7 Nr 7, RdNr 13 f; SozR 4-4200 § 7 Nr 24, RdNr 20) und beim Bezug einer Altersrente (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 71) nicht unbedingt der Fall. Bei Beziehern von Altersrenten vor Erreichen des Regelrentenalters - danach sind sie bereits aus Gründen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II nicht mehr leistungsberechtigt - wird jedoch nach der Begründung zur Regelung des § 7 Abs 4 S 1 SGB II typisierend angenommen, sie seien endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und müssten daher nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden (vgl BT-Drucks 15/1749, S 31). Sie benötigen aus diesem Grunde keine Leistungen aus dem System des SGB II mehr. " Weiter heißt es: "( ) denn Erwerbsfähigkeit schließt Leistungen nach dem System des SGB XII gemäß § 21 S 1 SGB XII grundsätzlich aus. Nach § 21 S 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Wenn jedoch vor dem Hintergrund des systematischen "Wechselspiels" zwischen SGB II und SGB XII Altersrentner vor Vollendung des Regelrentenalters nach deutschem Recht nicht als Erwerbsfähige leistungsberechtigt iS des SGB II sind, kann unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten für Bezieher ausländischer Altersrenten nichts Anderes gelten."

Warum im Hinblick auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II nichts anderes gilt als in Bezug auf die in den vorgenannten Urteilen streitgegenständlichen Leistungsausschlüsse des § 7 Abs.4 SGB II (so BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 44 AS 15 R, Rn.43,- juris), ist nicht ohne Weiteres zu erkennen: Sämtliche der in den früheren zitierten Urteilen des BSG behandelten Fallkonstellationen sind nämlich solche, in denen der Leistungsausschluss des BSG auf einer "fingierten Erwerbsunfähigkeit" beruht. So führt Eicher in juris-PK zu § 21 SGB XII zu den Fallkonstellationen des § 7 Abs.4 SGB II aus: "Nach der Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei dieser Norm, soweit es die Unterbringung in Einrichtungen betrifft, um eine "verkappte" Regelung der Erwerbsunfähigkeit. Auch bei den übrigen Varianten ist von einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben auszugehen."

Dass die "fingierte Erwerbsunfähigkeit" maßgeblicher Hintergrund der Leistungsausschlüsse des § 7 Abs.4 SGB II ist, ergibt sich plastisch aus der "Unterausnahme" des § 7 Abs.4 Satz 3 Nr.2 SGB II: Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, die einen wöchentlichen Umfang von mindestens 15 Stunden erreicht, hebt die "typisierende Annahme" der Erwerbsunfähigkeit nämlich auch für in einer stationären Einrichtung untergebrachte Hilfebedürftige wieder auf.

Liegen die in § 7 Abs.4 SGB II geregelten Leistungsausschlüsse vor, erscheint es vor dem Hintergrund der vorab dargestellten Systemzusammenhangs von SGB und SGB XII auch der erkennenden Kammer geboten, von ihnen erfasste Hilfebedürftige im Rahmen einer teleologischen Reduktion nicht als "Erwerbsfähige" im Sinne von § 21 Satz 1 SGB XII zu behandeln. Maßgebliche Funktion dieser Leistungsausschlüsse ist es nämlich, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehende Personen nicht dem nach seiner ursprünglichen Zielsetzung auf Aktivierung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausgerichteten System des SGB II zuzuordnen, sondern in das hiervon unabhängige Grundsicherungssystem des SGB XII zu integrieren. Dieser Hintergrund kann aber für den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht angenommen werden. Eine Fiktion der Erwerbsunfähigkeit ist aus einem Freizügigkeitsrecht zum Zweck der Arbeitsuche gerade nicht herauszulesen. Vielmehr sollte der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eine leistungsrechtliche Hürde für den Zugang zu Sozialleistungen schaffen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Norm nämlich von der Option des Art.24 der RL 2004/38 EG Gebrauch machen, die vorgenannten Personengruppen vom Anspruch auf Sozialhilfe- mithin Leistungen nach dem SGB XII und dem SGB XII - auszuschließen (vgl. hierzu eindringlich und überzeugend BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 44 AS 15 R, Rn.21-24 und Rn.48-50, juris). Der Leistungsausschluss sollte in beiden Systemen gleichermaßen greifen (BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 44 AS 15 R, Rn.50,- juris). Vor dem Hintergrund dieser sozialpolitischen Zielsetzung hat der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II anders als in den Fällen des § 7 Abs.4 SGB II keine systemabgrenzende, sondern eine "systemausschließende" Funktion. Anders als in den Fällen des § 7 Abs.4 SGB II erscheint es dann aber wenig sachgerecht, von diesem Leistungsausschluss Betroffene dem zu "bedingungslosen" Leistungen zur Grundsicherung führenden Leistungssystem des SGB XII zuzuweisen.

Dass aufgrund der Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII grundsätzlich auch Erwerbsfähigen der Zugang zum SGB XII eröffnet werden sollte, kann auch nicht damit begründet werden, dass die Leistungsausschlüsse der §§ 22 Abs.1, 23 Abs.3 Satz 2 SGB XII ansonsten "leerliefen":

Im Hinblick auf § 22 Abs.1 SGB XII, der Auszubildende, deren Ausbildung nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) und des Dritten Buch Sozialgesetzbuchs (SGB III) grundsätzlich förderungsfähig ist, vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausschließt, ergibt sich dies daraus, dass die Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums nicht zwangsläufig eine Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB II voraussetzt, so dass für diese der Norm des § 7 Abs.5 SGB II entsprechende und aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übernommene Vorschrift auch bei einer Einordnung des § 21 SGB XII als "Anwendungssperre" für Erwerbsfähige ein eigenständiger Regelungsgehalt verbleibt. Dass § 22 Abs.1 SGB XII sich auf nicht erwerbsfähige Auszubildende beziehen soll, hat das BSG in seinem Urteil vom 06.09.2007 (B 14/7b As 36/06 R,-juris) auch ausdrücklich dargestellt. Hier heißt es: "Soweit der Kläger meint, Auszubildende würden nach dem SGB II schlechter gestellt als nach dem SGB XII, weil die Leistungen im besonderen Härtefall nach dem SGB II nur als Darlehen, nach § 22 Abs.1 Satz 2 SGB XII jedoch auch als Beihilfe gewährt werden können, führt dieses ebenfalls nicht zur Erforderlichkeit einer vom SGB XII abweichenden Anwendung des § 7 Abs.5 Satz 1 SGB II. Grund für die unterschiedlichen Leistungsarten ist die Zuordnung zu dem einen oder anderen System, differenziert nach der Erwerbsfähigkeit. Bei dem Erwerbsfähigen kann erwartet werden, dass er die Leistung nach Beendigung der Ausbildung und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zurückzahlen kann. Diese Aussicht besteht bei dem SGB XII-Leistungsempfänger nicht ohne weiteres, so dass die Leistungsgewährung in Form der Beihilfe berechtigt erscheint." Die gebotene Differenzierung zwischen erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Auszubildenden, die die (früher) ungleiche Konzeption der Leistungsausschlüsse der §§ 7 Abs.5 Satz 1 SGB II und 22 Abs.1 Satz 2 SGB XII rechtfertige, wird auch vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 03.09.2014, 1 BvR 1768/11 aufgegriffen.

Auch aus der der Norm des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II entsprechenden 2. Alternative des § 23 Abs.3 Satz 1 SGB XII (Leistungsausschluss für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt) lässt sich kein Argument gegen eine solche Auslegung der Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII ableiten. Zunächst ist es nach Auffassung der Kammer bereits dem Grunde nach nicht zulässig, aus der Einführung der auf dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.09.2006 beruhenden Norm des § 23 Abs.3 Satz 1 SGB XII auf den gesetzgeberischen Willen bei der Konzeption der Norm des § 21 Satz 1 SGB XII (vom 27.12.2003) zu schließen.

Überdies führt Coseriu im juris-PK zu § 23 SGB II zur Entstehungsgeschichte des § 23 Abs.3 Satz 1 2.Alt.SGB XII (Rn. 64) aus:

"Der zunächst im SGB XII noch nicht vorgesehene Ausschluss von Leistungen nach dem SGB XII ist mit Wirkung vom 07.12.2006 durch das Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 02.12.2006 eingeführt worden und sollte im Hinblick auf die entsprechende Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sicherstellen, dass der von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene Ausländer keinen Leistungsanspruch nach dem SGB XII herleiten kann. Dies hatte etwa das LSG NRW zu Recht mit der Begründung angenommen, der Ausländer habe dem Grunde nach keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II; deshalb greife der Leistungsausschluss des § 21 Abs. 1 SGB XII nicht." Sofern die Einführung des § 23 Abs.3 Satz 1 2. Alt. SGB XII aber als "sicherstellende" gesetzgeberische Reaktion auf eine bereits in der damaligen Rechtsprechung vertretene Auffassung, die über die Anwendung des SGB XII eine faktische Aufhebung des vom Gesetzgeber durch § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II gewünschten Ausschlusses bestimmter Personengruppen vom Sozialleistungsbezug bewirkte, zu verstehen ist, lässt sie sich nicht argumentativ gegen die Auslegung des § 21 Satz 1 SGB XII als "Anwendungssperre" für Erwerbsfähige ins Feld führen. In der Gesetzesbegründung des aufgrund des Gesetzes zur 2. Änderung des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuchs vom 24.03.2006 eingeführten § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (BT Drs. 16/688, S. 13) heißt es zudem: "Auch wenn bei Ausländern die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, das heißt sie zwischen 15 und unter 65 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, können dennoch die Leistungen nach diesem Buch durch den neugefassten Satz 2 ausgeschlossen sein. Darüber hinaus kommen dann für diese Personengruppe auch Leistungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist." Jedenfalls auch zu diesem Zeitpunkt ist der Gesetzgeber mithin noch davon ausgegangen, dass Erwerbsfähige aufgrund der Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII keine Leistungen nach dem SGB XII beziehen konnten. Aus demselben Grund kann auch die von Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII, Rn. 63.22 geäußerte Auffassung, dass "gerade der Referentenentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II und in der Sozialhilfe nach dem SGB XII ( ) dokumentier(e), dass eine pauschale Abgrenzung nach der Erwerbsfähigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers falsch" sei, weil ansonsten auch eine Änderung des § 21 SGB XII geboten gewesen sei, nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Auch in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens bei der Schaffung einer bereits bestehenden Norm unter Heranziehung eines späteren (hier: wiederum als Reaktion auf sozialgerichtliche Rechtsprechung erfolgten (!)) gesetzgeberischen Akts zur Überzeugung der Kammer unzulässig ist. In der Begründung zu Art.2 (Nr.1) des Referentenentwurfs der Bundesregierung zum Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch , Stand 28.04.2016, heißt es diesbezüglich zudem: "Da das BSG jedoch die in § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 und 2 SGB II ausgenommenen Ausländer dem SGB XII zugeordnet hat, musste § 23 Absatz 3 SGB XII um eine § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 SGB II entsprechende Regelung ergänzt werden." Diese Formulierung deutet zwar daraufhin, dass die Bundesregierung die nach bisherigem Rechtsverständnis vom Gesetz zu regelnde "Zuordnung" einzelner Personengruppen zu bestimmten Leistungssystemen dem Bundessozialgericht überlässt und ihre weiteren Entscheidungen auf dieser Prämisse aufbaut, sagt jedoch über die Funktion des § 21 Satz 1 SGB XII bei der Abgrenzung der Grundsicherungssysteme des SGB II und des SGB XII unter Berücksichtigung des bei seiner Einführung maßgeblichen gesetzgeberischen Willens wenig aus. Der weitere von Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII, Rn. 63.11 geäußerte Hinweis "Würde § 23 SGB XII nur auf erwerbsunfähige Ausländer Anwendung finden, wäre der Inhalt der gesamten Norm nicht nachvollziehbar, weil dieser Personenkreis ohnehin Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII beanspruchen kann. Die Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB XII bleiben nämlich nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII unberührt" berücksichtigt nach Auffassung der Kammer jedenfalls nicht hinreichend, dass eine Leistungsgewährung nach § 41 Abs.1 Satz 1 SGB XII nicht allen Erwerbsunfähigen, sondern nur dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen offensteht. Dauerhaft voll erwerbsgemindert ist aber nur derjenige, bei dem unwahrscheinlich ist, dass seine volle Erwerbsminderung voraussichtlich innerhalb von drei Jahren behoben werden kann (Blüggel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 41 SGB XII, Rn. 72; hier wird auch die Möglichkeit angesprochen, in Anlehnung an die Regelung von § 102 Abs.2 Satz 5 SGB VI einen Zeitrahmen von neun Jahren anzusetzen). Bereits die Prognose einer vollen Erwerbsminderung für sechs Monate ( anknüpfend an § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) führt aber dazu, dass Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs.1 SGB II zu verneinen ist (Hackethal in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 8, Rn. 20). Die Auffassung, dass sämtliche Erwerbsunfähigen ohnehin Leistungen nach den §§ 41 SGB XII beanspruchen können und dass das Dritte Kapitel des SGB XII im Ergebnis nur ein Auffangsystem für von Leistungsausschlüssen nach dem SGB II erfasste Erwerbsfähige darstellt, teilt die Kammer vor diesem Hintergrund nicht.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich auch im Hinblick auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4a SGB II Folgeprobleme und Wertungswidersprüche ergeben, wenn man § 21 Satz 1 SGB XII nicht als Anwendungssperre für erwerbsfähige Hilfebedürftige begreift, und die in § 7 SGB II geregelten Leistungsausschlüsse so versteht, dass sie zu einem Entfallen der Leistungsberechtigung nach dem SGB II "dem Grunde nach" führen. So erhalten gemäß § 7 Abs.4 a Abs.1 SGB II erwerbsfähige Leistungsberechtigte keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers nach diesem Buch außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Das SGB XII kennt eine solche Regelung nicht; § 23 Abs.1 SGB XII knüpft für Ausländer nur an den "tatsächlichen Aufenthalt im Inland" an, § 24 SGB XII ermöglicht - unter engen Voraussetzungen - auch den Leistungsbezug im Ausland. Auch diese unterschiedliche Wertung in beiden Leistungssystemen dürfte dem Abgrenzungskriterium der Erwerbsfähigkeit geschuldet sein. § 7 Abs.4 a SGB II stellt ausdrücklich auf die Verfügbarkeit für eine "Eingliederung in Arbeit" ab; diese Eingliederung des erwerbsfähige Hilfebedürftigen soll nicht durch seine mangelnde Erreichbarkeit im Falle eines Vermittlungsvorschlags beeinträchtigt werden. Da das auf den Personenkreis der nicht Erwerbsfähigen zugeschnittene SGB XII diese "Verfügbarkeit" nicht benötigt, sind die entsprechenden Normen hier "großzügiger". Diese Wertung würde ausgehebelt, wenn der gemäß § 7 Abs.4a SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossene Hilfebedürftige die Hürde des § 21 S.1 SGB XII "überspringen" und die im Wesentlichen gleichwertigen Leistungen nach dem SGB XII in Anspruch nehmen könnte.

Da das Leistungssystem des SGB XII für die Antragstellerin bereits aufgrund der Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII verschlossen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Antragstellerin (als Staatsangehörige des EFA-Mitgliedsstaats Großbritannien und aufgrund des Gleichbehandlungsgebots in Art.1 EFA) im Falle eines grundsätzlichen Leistungsanspruchs nach dem SGB XII ein "gebundener" Anspruch oder ein Anspruch auf eine Entscheidung des Leistungsträgers nach dem SGB XII auf die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nach § 23 Abs.1 Satz 3 SGB XII zur Seite stünde. Das Gericht weist in diesem Zusammenhang aber daraufhin, dass es im Falle der Annahme eines Leistungsausschlusses gemäß § 23 Abs.3 Satz 1 2. Alt. SGB XII keinen Raum mehr für die Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs.1 Satz 3 SGB XII sieht. Es verweist insoweit auf die überzeugende Argumentation in den Beschlüssen des SG Dortmund vom 11. Februar 2016 – S 35 AS 5396/15 ER –, Rn. 46-52, juris und des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen 07. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER –, Rn. 27-33, juris; nunmehr auch Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 07. Juli 2016 – L 9 SO 12/16 B ER, L 9 SO 13/16 B PKH –, Rn. 2, juris). Dieses Ergebnis folgt maßgeblich aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 23 SGB XII, der Annahme, dass die Begrifflichkeit des "Anspruchs" in § 23 Abs.3 Satz 1 2. Alt. SGB XII auch den Anspruch aus einer eine Ermessensleistung bewilligende Entscheidung erfasst, und daraus, dass die Einführung des Leistungsausschlusses des § 23 Abs.3 Satz 1 2.Alt. SGB XII sicherstellen sollte, dass von einem Leistungsausschluss nach dem SGB II erfasste Ausländer auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten konnten. Dieses gesetzgeberische Ziel würde unter Berücksichtigung der nunmehr vom BSG gewählten Auslegung der Norm nur eingeschränkt erreicht. Die Kammer verweist ergänzend auf die im Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 18.04.2016, S 32 AS 380/16 ER - juris (Rn.151), überzeugend dargelegten untragbaren leistungsrechtlichen Konsequenzen die sich aus der vom Bundessozialgericht gewählten Betrachtungsweise der Regelung des § 23 SGB XII, insbesondere der angenommenen Ermessensreduzierung auf Null nach einem Aufenthalt von sechs Monaten, ergeben. § 23 Abs.3 SGB XII enthält nämlich keinen der Regelung des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts. Die 32.Kammer des Sozialgerichts Dortmund führt zu der hieraus entstehenden Problematik aus: "Infolge der BSG-Rechtsprechung wäre daher mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass in den ersten drei Monaten mangels gesetzlichen Leistungsausschlusses ein "gebundener" Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlichem Umfang nach §§ 23 Abs. 1 Satz 1, 27 ff. SGB XII besteht, in den Monaten 4-6 nur ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung nach § 23 Abs.1 Satz 3 SGB XII und nach Ablauf von insgesamt 6 Monaten, also ab dem 7. Monat, dann wieder eine Quasi-Bindung in Richtung einer Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlichem Umfang nach §§ 27 ff. SGB XII aufgrund Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen von § 23 Abs.1 Satz 3 SGB XII. Eine solche "Achterbahnfahrt" wäre kaum nachvollziehbar. Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet während des voraussetzungslos zulässigen Aufenthalts in den ersten drei Monaten, in denen von einer "Aufenthaltsverfestigung" keine Rede sein kann, ein Anspruch nach dem SGB XII bestehen sollte, und es erscheint fraglich, mit welchen Ermessenserwägungen sich bei dieser Ausgangslage in den Monaten 4-6 plötzlich eine Leistungsablehnung oder auch nur eine der Form oder Höhe nach eingeschränkte Leistungsgewährung rechtfertigen lassen könnten."

Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg.

Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Das Jobcenter Dortmund als Träger von Leistungen nach dem SGB II kam nicht als leistungspflichtig im Sinne von § 75 Abs.2 SGG in Betracht, so dass es nicht beizuladen war. Die Antragstellerin ist vom Leistungsausschluss des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II erfasst. Ausgenommen vom Leistungsanspruch gemäß § 7 SGB II sind danach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Ein anderweitiges Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ist aber nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich aus der von der Antragstellerin vorgetragenen Heirat mit Herrn L kein Aufenthaltsrecht aus § 7 Abs. 1 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) oder § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Ein solches würde in jedem Fall voraussetzen, dass sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die Eheschließung zeitnah bevorsteht, d.h. dass der Eheschließungstermin feststehen oder jedenfalls verbindlich bestimmbar sein muss (vgl. hierzu Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31. Mai 2016 – L 6 AS 173/16 B ER –, Rn. 35, juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 30.11.2012 – 10 CS 12.1563, Rn.9- juris). Dies ist hier nicht der Fall. Aus dem von der Antragstellerin übersandten Schriftwechsel mit dem Oberlandesgericht Düsseldorf geht hervor, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal die Voraussetzungen für eine Anerkennung der vom Schariarichter von Beirut genehmigten Scheidung der Ehe der Antragstellerin von Herrn M vorliegen. Das Oberlandesgericht hat noch mit Schreiben vom 25.08.2016 darauf hingewiesen, dass die von der Antragstellerin eingeholte Bescheinigung des stellvertretenden Hauptstandesbeamten des Distrikts Enfield über ihre Ehefähigkeit nicht ausreiche, sondern vielmehr eine Anerkennung der Scheidung durch den britischen High Court oder Country Court vorliegen müsse. Da eine solche Anerkennung nach dem Aktenstand in Großbritannien bislang nicht einmal beantragt ist, kann von einem Feststehen oder von einer verbindlichen Bestimmbarkeit des Eheschließungstermins mit Herrn L nicht die Rede sein. Ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs.1 FreizügG/EU (nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt) kann aufgrund der Einreise des Antragstellerin am 21.09.2015 frühestens am 21.09.2020 entstehen.

Auch die Frage, ob der Antragstellerin momentan ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche gemäß § 2 Abs.2 Nr.1a FreizügG/EU zusteht , bedarf keiner weiteren Klärung. Danach sind Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden, freizügigkeitsberechtigt. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird sie in Anbetracht des Fehlens eines weiteren Aufenthaltsrechts nämlich "erst recht" vom Leistungsausschluss des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II erfasst. Zu diesem Ergebnis kommen nunmehr auch die mit dem Recht der Grundsicherung befassten Senate des Landessozialgerichts, das in seinem Urteil vom 03. Dezember 2015 B 4 AS 44/15 R in Rn.21- juris, zum Hintergrund der Vorschrift des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II ausführt: "Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38 EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065, S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs.1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten." Im Hinblick auf die weitere Argumentation zur Verknüpfung des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II mit Art 24 Abs 2 RL 2004/38 EG wird vollumfänglich auf die überzeugenden Ausführungen des BSG in dem vorgenannten Urteil vom 03.Dezember 2015- B 4 AS 44/15 R in Rn.21 - juris verwiesen. Zweifel an der Europarechtskonformität des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II - auch nach Maßgaben der vorgenannten Auslegung - bestehen nach den Urteilen des EuGH in den Rechtssachen Dano (vom 11.11.2014, C 333/13) und Alimanovic (vom 15.09.2015, C 67/14) nicht mehr. In diesen Rechtssachen hat der EuGH in der Sache entschieden, dass ein Mitgliedsstaat Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten vom Zugang zu Sozialhilfeleistungen ausschließen kann, wenn ihnen gar kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38 EG zusteht (Dano) oder wenn ihr Aufenthaltsrecht sich nur aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (Alimanovic) (vgl. ausführlicher zu der Problematik BSG, Urteil vom 03.Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R, Rn.35, juris).Auch im Hinblick auf die Wirksamkeit des von der Bundesregierung in Bezug auf die Leistungen nach dem SGB II erklärten Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen hegt die Kammer keine Bedenken (so auch BSG, Urteil vom 03.Dezember 2015, B 4 AS 59/13 R , juris). Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass der Ausschluss von Ausländern, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, von den Grundsicherungssystemen des SGB II und des SGB XII gegen die Art.1 Abs.1, Art.20 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) verstößt (vgl. hierzu umfassend und überzeugend Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 23.11.2015, S 30 AS 3827/15 ER,- juris; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05. November 2015 – L 3 AS 479/15 B ER –, juris; vgl. weiter auch hierzu SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016 – S 35 AS 5396/15 ER –, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07. März 2016 – L 12 SO 79/16 B ER –, juris; SG Dortmund, Beschluss vom 18.03.2016, S 19 AS 91/16 ER, noch nicht veröffentlicht). Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05. November 2015 – L 3 AS 479/15 B ER –Rn.26 , juris).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1BvL 2/11, juris). Gegenstand dieser Entscheidung ist die Frage, inwiefern der Gesetzgeber bei der Ermittlung der Höhe von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums (dort: Höhe der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Vergleich zu den Leistungen nach dem SGB II und SGB XII) unterschiedliche Bedarfe festsetzen und sich bei dieser Differenzierung am Aufenthaltsstatus der Hilfebedürftigen orientieren darf. Das BVerfG führt in diesem Zusammenhang in Rn.74 (juris) aus: "Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann" In Rn.75 (juris) heißt es: "Ob und in welchem Umfang der Bedarf existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland ( ) bestimmt werden kann, hängt allein davon ab, ob wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können" Das Urteil enthält dagegen keine Aussage darüber, inwiefern es dem Gesetzgeber möglich ist, Personen ohne Aufenthaltsrecht Sozialleistungen zu verwehren (in Rn.74 knüpft es vielmehr an ein bestehendes Aufenthaltsrecht an) oder Personen mit einem bestimmten, näher definierten Aufenthaltsrecht (hier: dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche) vom Bezug von Sozialleistungen auszuschließen.

Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Situation eines Asylbewerbers nicht mit der eines EU-Bürgers vergleichbar ist, der von seinem Freizügigkeitsrecht zum Zweck der Arbeitsuche Gebrauch gemacht hat und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Während ein Asylbewerber, der sich auf eine politische Verfolgung in seinem Heimatland beruft, regelmäßig nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann, ist dies der hier betroffenen Personengruppe grundsätzlich ohne Weiteres möglich. Diese Rückkehr in das Heimatland stellt auch ein zumutbares Mittel zur Selbsthilfe dar, dessen Einforderung das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletzt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer gegen den Leistungsausschluss des § 7 Abs.5 Satz 1 SGB II (Leistungsausschluss für Auszubildende) gerichteten Verfassungsbeschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (Beschluss vom 08.10.2014, 1 BvR 886/11 (juris)). Es hat in diesem Zusammenhang in Rn.13 ausgeführt: "Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.1 Abs.1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs.1 GG ( ) ist nicht verletzt. Nach § 2 Abs.2 Satz 2 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einsetzen; dies tut der Beschwerdeführer nicht, wenn er studiert. Daher schließt § 7 Abs.5 Satz 1 SGB a.F. im Fall des Beschwerdeführers die Gewährung dieser Grundsicherungsleistungen aus." In Rn.14 heißt es weiter: "Der faktische Zwang, ein Studium abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen zur Verfügung stehen, berührt zwar die teilhaberechtliche Dimension des Art.12 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.1 GG und dem Sozialstaatsgebot des Art.20 Abs.1 GG ( ) Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes jedoch ein besonderes Sozialleistungssystem zur individuellen Förderung der Hochschulausbildung durch den Staat geschaffen, das diese Teilhabe sichern soll." Die erkennende Kammer entnimmt diesen Ausführungen, dass das Bundesverfassungsgericht keinen von dem Hilfebedürftigen möglichen Mitwirkungshandlungen losgelösten, allein aus der Hilfebedürftigkeit und dem tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet resultierenden Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums annimmt. Der faktische Zwang, die bisherige Lebensführung zur Sicherung des Existenzminimums ändern zu müssen, führt danach nicht zur Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sondern berührt vielmehr das Grundrecht, das diese vom Hilfebedürftigen anvisierte Lebensgestaltung schützt (im Fall 1 BvR 886/11 die dort genannten Grundrechte, hier ggf. Art.2 Abs.1 GG). Nach diesen Maßgaben sieht die Kammer keine Verpflichtung des Gesetzgebers, einen Aufenthalt des Hilfebedürftigen im Bundesgebiet trotz einer ihm möglichen Rückkehr in sein Heimatland durch die Gewährung von Sozialleistungen zu ermöglichen, wenn der Hilfebedürftige über gar kein Aufenthaltsrecht oder nur über ein solches verfügt, dessen Gewährung der nationale Gesetzgeber originär - europarechtlich zulässig - mit der Versagung von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums verknüpft hat.

Eine Prüfung, inwiefern ein Hilfebedürftiger in seinem Herkunftsland das Existenzminimum nach deutschen Maßstäben sichern kann, ist in diesem Zusammenhang nicht anzustellen. Im Ausländerrecht ist die nachteilige wirtschaftliche Situation im Herkunftsland nämlich kein Maßstab, der zur Gewährung eines Aufenthaltsrechts oder dem Schutz vor einer Abschiebung führen kann. Sofern wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Beurteilung einer Abschiebung ins Herkunftsland nicht die Annahme der Unzumutbarkeit einer Rückkehr rechtfertigen können (vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 06.09.2007, 11 A 633/05 A, Rn.28-32 (juris) zur Zumutbarkeit einer Abschiebung nach Sierra Leone trotz völlig fehlender sozialer Sicherungssysteme und einer Arbeitslosenquote von 70 %), erscheint es zur Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung des Gedankens der Einheit der Rechtsordnung auch nicht gangbar, solche nachteiligen Lebensumstände im Herkunftsland bei der Prüfung der sozialrechtlichen Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Feld zu führen. Der Vollständigkeit halber ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin gemäß ihren eigenen Angaben schon in Großbritannien Sozialhilfe bezogen hat.

Der Antragstellerin waren im vorliegenden Verfahren auch keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf der Grundlage einer Folgenabwägung zuzusprechen. Die Kammer verweist insofern auf die Ausführungen im Beschluss des SG Dortmund vom 20. Juli 2016 – S 32 AS 3037/16 ER –, Rn. 68, juris mit einer vergleichbaren zugrundeliegenden Fallkoonstellation, denen sie sich ausdrücklich anschließt:

"Die Kammer hält die in jüngerer Zeit verschiedentlich sinngemäß (so oder ähnlich) vertretene Auffassung, in einstweiligen Rechtsschutzverfahren wie dem vorliegenden müssten die Instanzgerichte – etwa auf der Grundlage einer Folgenabwägung bzw., weil in der Hauptsache spätestens in der Revisionsinstanz das Rechtsschutzbegehren sicher Erfolg haben werde – im Ergebnis, trotz aller Zweifel, möglicherweise sogar entgegen der eigenen richterlichen Überzeugung davon, was geltendem Recht entspricht, entscheiden und auf der Grundlage der o. g. Rechtsprechung des BSG Leistungen nach dem SGB XII zusprechen (vgl. insbesondere LSG NRW, Beschluss vom 18.04.2016 – L 6 AS 2249/15 B ER, L 6 AS 21/16 B – juris (Rn. 22 ff.) und Beschluss vom 21.04.2016 – L 6 AS 389/16 B ER – juris (Rn. 24 ff.)) zwar im Ansatzpunkt für nachvollziehbar, im Ergebnis aber nicht für überzeugend. Der 6. Senat des LSG NRW hat in dem Beschluss vom 21. April 2016 – L 6 AS 389/16 B ER – u. a. folgendes ausgeführt (Rn. 26): "Die Versagung vorläufiger Leistungen schon wegen Verneinung eines materiellen Leistungsanspruchs widerspräche dem Anspruch aus Art 19 Abs. 4 GG. Hier würde ein rechtswidriger Zustand geschaffen und aufrechterhalten, indem dem Antragsteller Leistungen vorenthalten werden, die ihm nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG offensichtlich zustehen und sicher durchsetzbar sind. Dabei handelt es sich um Leistungen, die wegen ihres an Art 1 GG zu messenden existenzsichernden Charakters der unmittelbaren Befriedigung eines aktuellen Bedarfs zu dienen bestimmt sind. Damit würde für die Dauer des Hauptsacheverfahrens ein Zustand geschaffen, der mit Art 1 GG nicht in Einklang steht." Dies überzeugt die Kammer nicht. Ein "rechtswidriger Zustand", der mit Art. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG nicht im Einklang steht, kann nicht allein daraus folgen, dass ein unabhängiges Gericht einer (hier sogar von Beginn an hoch umstrittenen) Rechtsprechung des BSG zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Erbringung von existenzsichernden Leistungen dem Grunde nach nicht folgt; erforderlich wäre zusätzlich, dass diese Rechtsprechung ihrerseits sowohl verfassungsrechtlich geboten als auch verfassungsrechtlich zulässig ist. Die Rechtsauffassung des BSG, nach der offenbar – allerdings streng genommen ohne vollständige Prüfung eines Verfassungsverstoßes durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (bei isolierter Betrachtung) – eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 21, 23 SGB XII erfolgen muss, darf nicht mit geltendem Recht gleich gesetzt werden. Für eine Folgenabwägung ist kein Raum, wenn nach der Auffassung des mit dem Eilverfahren und auch – entweder gleichzeitig oder zukünftig (voraussichtlich) als erstes mit der Hauptsache befassten Gerichts keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen, keine offene, im Eilverfahren nicht abschließend zu klärende Sach- und Rechtslage vorliegt und noch dazu die vermeintlich aufgrund von Art. 1, 20 GG verfassungsrechtlich gebotene Gesetzesauslegung ihrerseits wegen Verletzung der Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und der Vorlagepflicht gem. Art. 100 GG und damit der Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungswidrig ist, wovon die Kammer ausgeht (vgl. hierzu insbesondere Bernsdorff in: "Sozialhilfe für nichterwerbstätige Unionsbürger - Kassel locuta, causa finita?", NVwZ 2016, 633 (insbes. S. 636 f.); vgl. ferner LSG NRW, Beschluss vom 23.05.2016 – L 20 SO 139/16 B ER – juris (insbes. Rn. 44 ff.) m. N. auf BVerfG, Beschluss vom 16.12.2014 – 1 BvR 2142/11BVerfGE 138, 64-102 = juris; kritisch auch Thym, NZS 2016, 441 (insbes. S. 443 f.)). Es kann in einer solchen Situation nicht in erster Linie und schon gar nicht zwingend auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache nach der Rechtsauffassung eines anderen Gerichts, und sei es auch die des höchsten Fachgerichts, abzustellen sein. Abgesehen davon ist die Annahme, "der vom Gericht im Eilverfahren verneinte materiell-rechtliche Leistungsanspruch" sei "im Hauptsacheverfahren bei Ausschöpfung des Rechtsweges sicher durchzusetzen" (so LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2016 – L 6 AS 389/16 B ER – juris (Rn. 25)) keinesfalls zwingend, weil durchaus in Betracht kommt, dass das BSG seine Auffassung angesichts der massiven Kritik in Rechtsprechung und Literatur nochmals überdenken und ggf. korrigieren wird."

Hinzuzufügen ist:

Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung maßgebliche § 86 b Abs.2 SGG verweist in Satz 3 darauf, dass die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend gelten. § 920 Abs.2 ZPO führt aus, dass der Anspruch und der Arrestgrund glaubhaft zu machen sind. Diese gesetzlichen Vorgaben führen bei der Prüfung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dazu, dass der Anordnungsanspruch (der verfolgte materiell-rechtliche Anspruch) und der Anordnungsgrund (die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung) zu prüfen sind (Lutz Wehrhahn in: Breitkreuz/Fichte, § 86b, Rn. 57). Regelmäßig findet nur eine summarische Prüfung des Anordnungsanspruchs statt. Die Begrifflichkeit der "summarischen Prüfung" bedeutet, dass keine vollständige und erschöpfende Aufklärung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen ist, wie dies in einem Hauptsacheverfahren der Fall ist (Lutz Wehrhahn in: Breitkreuz/Fichte, § 86b, Rn. 65). Diese "herabgesetzte" Anforderung an die Aufklärung der Sach- und Rechtslage folgt daraus, dass dem erkennenden Gericht im Eilverfahren im Vergleich zum Hauptsacheverfahren nur eine deutlich kürzere Zeitspanne zur Verfügung steht. Ist für die abschließende Klärung der Sach- und Rechtslage ein Zeitaufwand erforderlich, durch dessen Inanspruchnahme das dem Wesen des Eilrechtsschutzes immanente Bedürfnis nach einer schnellen Entscheidung vereitelt würde, kann und muss das Gericht zunächst auch ohne eine vollständige Entscheidungsgrundlage eine vorläufige Entscheidung treffen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang in verschiedenen Beschlüssen herausgearbeitet, unter welchen Umständen die gerichtliche Entscheidung in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf Art.19 Abs. 4 GG abweichend von den vorstehenden Maßstäben nicht auf der Grundlage einer abschließenden oder summarischen Prüfung von Anordnungsanspruch und - grund, sondern auf der Grundlage einer sogenannten Folgenabwägung, nämlich der Gegenüberstellung der durch den im Eilverfahren betroffenen grundrechtlichen Belange der Prozessbeteiligten, erfolgen darf.

Hierzu heißt es exemplarisch im stattgebenden Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 –, Rn. 26, juris):"Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden."

Im Nichtannahmebeschluss des B Verf G vom 06. Februar 2013 – 1 BvR 2366/12 –, Rn. 3, juris, wird ausgeführt: "Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfGE 79, 69 (75)). Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt."

Weiter führt das BVerfG im Nichtannahmebeschluss vom 06. August 2014 – 1 BvR 1453/12 –, Rn. 12, juris, aus: "Das Landessozialgericht hat die Erfolgsaussichten der Hauptsache summarisch geprüft und verneint, so dass für eine Folgenabwägung kein Raum verblieb. Insoweit es davon ausging, dass der Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei, hat es die Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG an den Eilrechtsschutz nicht verkannt."

Sämtliche dieser - nur exemplarisch dargestellten - Ausführungen haben miteinander gemeinsam, dass für eine von der Grundkonzeption des § 86 b Abs.2 SGG Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur Raum verbleibt, wenn dem Gericht eine Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist. Dies betrifft zur Überzeugung der Kammer maßgeblich Fallgestaltungen, in denen eine aufwändige Sachverhaltsaufklärung (Zeugenvernehmung, Beziehung von Unterlagen) erforderlich, diese Aufklärung aber mit dem Erfordernis schnellen Rechtsschutzes nicht in Einklang zu bringen wäre. Bei geklärtem Sachverhalt ist eine Folgenabwägung nur in Ausnahmefällen zulässig , z.B. wenn sich für den entscheidenden Spruchkörper eine neuartige, durch kurzfristige Recherche nicht zu lösende Rechtsfrage stellt, und der für die Einarbeitung erforderliche Zeitaufwand auch hier nicht mit dem Erfordernis schnellen Rechtsschutzes vereinbar ist. Stellt sich dieselbe Rechtsfrage dem Spruchkörper in verschiedenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren aber immer wieder, ist ihm eine Meinungsbildung in der Rechtsfrage auch dann möglich, wenn er immer wieder kurzfristig über diese zu befinden hat. Es ist dagegen nach den vorab dargestellten Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Überzeugung der Kammer nicht zulässig, gegebenenfalls über Jahre hinweg die Möglichkeit der Klärung derselben Rechtsfrage unter Bezugnahme auf die Erforderlichkeit der Gewährung zügigen Rechtsschutzes zu verneinen und im Wege eines "Automatismus" unter Bezugnahme auf eine Folgenabwägung Leistungen zuzusprechen.

Im vorliegenden Verfahren verbleibt nach dem Vorstehenden für eine Folgenabwägung kein Raum: Zur Überzeugung der Kammer besteht - bei insoweit geklärter Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall weder ein Anspruch der Antragstellerin auf die Gewährung laufender Leistungen nach dem SGB XII noch auf die Gewährung laufender Leistungen nach dem SGB II.

Die Kammer hält es im Lichte von Art.97 Abs.1 GG auch weder für geboten noch für vertretbar, einen Anordnungsanspruch entgegen dem Ergebnis ihrer eigenen rechtlichen Prüfung deshalb anzunehmen, weil die Antragstellerin nach dem jetzigen Sachstand mit ihrem Begehren jedenfalls in einem möglichen Revisionsverfahren in der Hauptsache durchdringen dürfte:

Der mit einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren befasste Spruchkörper führt die Prüfung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund in eigener Zuständigkeit durch. Gemäß Art. 97 Abs.1 GG ist er hierbei unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. Auch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung entfaltet eine solche Gesetzeskraft nicht. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 –, BVerfGE 84, 212-232, Rn. 42, ausdrücklich ausgeführt: "Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Von ihnen abzuweichen, verstößt grundsätzlich nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Ihr Geltungsanspruch über den Einzelfall hinaus beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts."

Weiter hat es darauf verwiesen, dass "die Rechtspflege ( ) durch die Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG) konstitutionell uneinheitlich" sei (BVerfG, Beschluss vom 26. April 1988 – 1 BvR 669/87, 1 BvR 686/87, 1 BvR 687/87 –, BVerfGE 78, 123-127, Rn. 10, juris).

Dem ist nichts hinzuzufügen. Etwas anderes kann für das einstweilige Rechtsschutzverfahren auch nicht daraus abgeleitet werden, dass hier - anders als im Hauptsacheverfahren - die Möglichkeit eines "Gangs zum Bundessozialgericht" mit der Aussicht einer nachträglichen Korrektur nicht besteht. Die in der vorliegenden Fallgestaltung unterschiedliche "Chancenverteilung" für die Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutz- und im Hauptsacheverfahren beruht allein auf der gesetzgeberisch gewollten unterschiedlichen Ausgestaltung von einstweiligem Rechtsschutzverfahren (als zweistufigem Verfahren) und Hauptsacheverfahren (mit maximal drei Instanzen) und dem der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung geschuldeten "Zufallsergebnis", dass die dritte Instanz in der hier zu beurteilenden Rechtsfrage momentan einheitlich, die zweite Instanz als "letzte Instanz" des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens aber nach jeweils eigenständiger und unabhängiger Prüfung uneinheitlich entscheidet. Zu ähnlichen Divergenzen zwischen einstweiligem Rechtsschutzverfahren und Hauptsacheverfahren kann es auch in Fallkonstellationen kommen, in denen bei einem Berufungs-/ Beschwerdestreitwert bis zu EUR 750,- wegen einer Abweichung von der höherrangigen Rechtsprechung im Hauptsacheverfahren die Berufung nach § 144 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGG zuzulassen wäre, für eine "Zulassung der Beschwerde" im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aber mangels gesetzlicher Grundlage kein Raum besteht. Dass in der letztgenannten Konstellation eine "Quasi-Bindung" der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abschließend entscheidenden ersten Instanz an die Rechtsprechung des Landessozialgerichts eingefordert wird, ist der Kammer nicht bekannt. Vor diesem Hintergrund ist der Rechtsprechung der am einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach dem Willen des Gesetzgebers gar nicht beteiligten Revisionsinstanz keine weitergehende Bindungswirkung einzuräumen, als ihr im Übrigen zukommt.

Über die Frage, ob der Antragstellerin gegebenenfalls Überbrückungsleistungen zur Finanzierung der Rückkehr in ihr Heimatland bzw. des bis dahin noch erforderlichen Aufenthalts zustehen (vgl. hierzu Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 14. April 2016 – L 4 AS 76/16 B ER –, Rn. 3, juris) war nicht zu entscheiden, weil die Antragstellerin diese nicht beantragt hat. Der Antragstellerin geht es ausweislich ihres Gesamtvorbringens um die Gewährung laufender Leistungen zur Grundsicherung, die ihr einen fortwährenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland sichern sollen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe Beschwerde bei dem

Sozialgericht Dortmund, Ruhrallee 1-3, 44139 Dortmund, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg-dortmund.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBl. I, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.
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