L 16 RJ 32/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 J 847/93
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RJ 32/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 1998 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 30. September 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 1993 verurteilt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. November 1996 zu gewähren. Die Beklagte trägt drei Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung zusteht.

Die am ... 1949 geborene Klägerin ist türkische Staatsbürgerin. Sie war seit 1968 in der Bundesrepublik erwerbstätig, zuletzt - seit dem 1. Juni 1970 - als Reinigerin in einem Berliner Krankenhaus. Ab dem 12. März 1990 war die Klägerin arbeitsunfähig krank; nach der Aussteuerung im September 1991 bezog sie ab dem 20. September 1991 Arbeitslosengeld. Derzeit bezieht sie Arbeitslosenhilfe.

Bei der Klägerin wurde mit Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin vom 29. April 1998 ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt. Zuvor war durch Bescheid derselben Behörde vom 7. Februar 1997 ein GdB von 50 festgestellt worden.

Mit Bescheid der Eigenunfallversicherung Berlin vom 26. Juli 1994 ist der Klägerin Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 25 v.H. wegen des Leidens chronisches Handekzem mit Generalisationstendenz im Sinne eines dyshidrotischem Handekzem und einer atypischen Dermatitis ab dem 21. Juli 1994 zuerkannt. Zuvor war ihr für die Dauer von 5 Jahren eine Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) ab dem 15. Januar 1991 bewilligt worden.

Im Februar 1992 stellte die Klägerin unter Bezugnahme auf die Hauterkrankung einen Rentenantrag. Die Beklagte zog im Auftrag der Eigenunfallversicherung Berlin erhobene Befunde der Arbeitsmedizinerin Prof. Dr. St. vom 25. Mai 1990 und vom 18. Juni 1990, Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) - (Dr. N. vom 21. Juni 1990 und 6. Dezember 1990) und einen Bericht des Krankenhauses Neukölln - Dermatologische Abteilung/Prof. Dr. E. - vom 25. März 1991 bei. Die Klägerin reichte Atteste der Ärztin B. vom 25. Februar 1992, der Hautärztin F. vom 6. März 1992 und des Orthopäden Dr. J. vom 18. März 1992 ein. Daraufhin wurde ein Gutachten durch die Sozialmedizinerin Dr. H. erstellt. Dr. H. stellte in ihrem Gutachten vom 29. Juli 1992 folgende Leiden fest:
1. Dermatose beider Hände und Unterarme
2. Rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen
3. Adipositas.

Sie gelangte zu der Einschätzung, die Klägerin könne mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig verrichten. Nässe und hautreizende Stoffe seien im Hinblick auf die Hauterkrankung zu vermeiden.

Mit Bescheid vom 30. September 1992 lehnte die Beklagte die beantragte Rentengewährung ab. Mit dem Widerspruch wurde insbesondere geltend gemacht, das Hautleiden habe sich verschlechtert. Überdies reichte die Klägerin Atteste der behandelnden Ärztinnen für Neurologie und Psychiatrie Bl. und B. vom 22. Januar 1991 und vom 25. Oktober 1992 ein sowie einen Röntgen- und CT-Befund der röntgenologischen Praxis Dr. H. u.a. vom 3. März 1993.

Im Widerspruchsverfahren wurde eine weitere Begutachtung durch den Nervenarzt Dr. T. veranlasst. Dr. T. stellte in seinem Gutachten vom 8. März 1993 folgende Leiden fest:

1. Kontaktallergische Handekzeme bds. mit anamnestischer Generalisierung
2. Reaktive begleitende Befindlichkeitsstörungen
3. Cephalgien, Rückenbeschwerden bei Fehlstatik.

Er gelangte zu der Einschätzung, die Klägerin könne leichte Arbeiten vollschichtig verrichten.

Mit Bescheid vom 26. Mai 1993 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen könne die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes, wie sie ihr sozial zumutbar seien, noch vollschichtig verrichten und sei deshalb nicht erwerbsunfähig.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, die bei ihr vorliegende Kaliumcromatallergie hindere jegliche Berufstätigkeit, da dieser Stoff in sehr vielen Stoffen des täglichen Lebens vorkomme. Nach Abschluss der medizinischen Ermittlungen hat sie die Auffassung vertreten, es müsse eine Gesamtschau der vielfältigen, fachärztlich festgestellten Leistungseinschränkungen stattfinden, die ihre Erwerbsunfähigkeit begründe.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat ein Gutachten des MDK (Hautärztin P. vom 23. Juli 1991) beigezogen, eine Stellungnahme des Institutes für Arbeitsmedizin Berlin (Ärztin Pf.) vom 15. Mai 1991, ein vom Medizinischen Dienst des Arbeitsamtes (Arzt W.) am 22. Oktober 1991 erstelltes Gutachten und Berichte des Krankenhauses Spandau -Chefärztin Dr. A. - vom 21. Juli 1991 und vom 7. Oktober 1993, die eine stationären Aufenthalt der Klägerin vom 21. Juli bis zum 4. August 1993 betreffen. Ferner wurden Befundberichte der Ärztinnen für Neurologie und Psychiatrie Bl. und B. vom 20. Dezember 1993, der Hautärztin F. vom 22. Dezember 1993, der Ärztin B. vom 26. Januar 1994 und des Orthopäden Dr. J. vom 22. März 1994 eingeholt. Das SG hat dann den Orthopäden Dr. Th. und den Dermatologen / Arbeitsdermatologen Dr. R. mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Wegen des Ergebnisses wird auf das orthopädische Gutachten vom 15.Januar 1995 und das dermatologische Gutachten vom 15. April 1996 Bezug genommen. Dabei hat Dr. R. die Auffassung vertreten, die Klägerin sei zwar nicht allein wegen des Hautleidens erwerbsunfähig, könne aber im Hinblick auf die sonstigen Diagnosen nur halbschichtig erwerbstätig sein, wobei insbesondere ein vorliegender Diabetes mellitus von Bedeutung sei, zu dem nähere Feststellungen zu erfolgen hätten.

Das SG hat daraufhin ein weiteres Gutachten bei der Internistin und Diabetologin Dr. Sch. - Oberärztin der intensivmedizinischen Abteilung des Virchow-Klinikums - in Auftrag gegeben. Dr. Sch. ist in ihrem Gutachten vom 18. Dezember 1996 / Ergänzung vom 18. März 1997, dem eine Untersuchung am 2. Oktober 1996 zugrunde lag, zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin sei wegen der von ihr festgestellten gravierenden und nicht behandelten Stoffwechselerkrankung (Diabetes) vollständig arbeitsunfähig, im Hinblick auf die Therapiemöglichkeiten aber nicht erwerbsunfähig. Nachdem die Klägerin weitere Atteste der behandelnden Nervenärztinnen Bl. und B. vom 16. November 1995, 26. Juni 1996 und 29. April 1997 vorgelegt hatte, ist ein weiteres Gerichtsgutachten von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Gl. erstellt worden. Auf dessen Gutachten vom 16. Oktober 1997 sowie die zuvor bezeichneten Gutachten wird Bezug genommen. Die Beklagte hat eine ärztliche Stellungnahme vom 20. November 1997 von der Medizinaloberrätin Dr. P. vorgelegt, die weiterhin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für gegeben erachtet hat.

Das SG Berlin hat die Klage mit Urteil vom 10. Februar 1998 abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verfüge die Klägerin noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Da sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei und keine besonders gravierenden oder in der Summe besonders stark beeinträchtigende Leistungsminderungen vorlägen, müsse auch kein Verweisungsberuf bezeichnet werden.

Mit ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, die Gesamtschau der festgestellten Leiden, die Vielfalt und das Gewicht der Leistungseinschränkungen ergebe, dass ihr zumindest eine Verweisungstätigkeit benannt werden müsse.

Die Klägerin hat das Klagebegehren auf die Zeit ab dem 1. November 1996 beschränkt und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 1998 und den Bescheid der Beklagten vom 30. September 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 1993 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise, wegen Berufsunfähigkeit ab 1. November 1996 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, ein psychiatrisches Gutachten einzuholen, ob die Klägerin auf Grund einer seelischen Fehlhaltung an einer adäquaten Therapie zur Behandlung des Diabetes mellitus gehindert ist.

Sie legt zwei weitere sozialmedizinische Stellungnahmen vom 16. August 1999 und vom 20. September 1999 der Medizinaldirektorin Dr. Fr. - Ärztin für Psychiatrie/Sozialmedizinerin - vor.

Der Senat hat Befundberichte er Neurologen und Psychiater St. und Dr. H. vom 19. Oktober 1998, des praktischen Arztes H. vom 18. Oktober 1998, der Orthopäden St. und Sch. vom 27. Oktober 1998, des Hausarztes St. vom 15. November 1998 und des Urologen Dr. S. eingeholt. Es hat dann den Allgemeinmediziner Dr. B. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten vom 2. Juli 1999 Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Die Akten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Für den nach teilweiser Berufungsrücknahme in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2000 noch streitigen Zeitraum ab dem 1. November 1996 liegen alle Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vor.

Die Klägerin erfüllt die gemäß §§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 50 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) erforderliche allgemeine Wartezeit von 5 Jahren und sie hat in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit im Hinblick auf die Verschiebung des Zeitraumes wegen der lückenlosen Arbeitslosmeldung (§ 44 Abs. 4 i.V.m. § 43 Abs. 3 SGB VI) im Umfang von mehr als 36 Monaten Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt.

Die Klägerin ist auch zumindest ab dem 2. Oktober 1996 erwerbsunfähig. Erwerbsunfähig sind nach § 44 Abs. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit von gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 DM übersteigt. Die Voraussetzungen liegen vor. Sie führen im Falle der Klägerin zu einer Rentengewährung ohne Befristung, da der Anspruch nicht von der Arbeitsmarktlage abhängig ist (§ 102 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) und nicht die begründete Aussicht besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann (§ 102 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Nicht von den Verhältnissen des Arbeitsmarktes abhängig ist die Rentengewährung jedenfalls dann, wenn sie nicht auf der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes beruht (BSG SozR 3-2200 § 1276 Nr. 4; vgl. DRV 1993 S. 590), vielmehr das Leistungsvermögen eine regelmäßige Berufstätigkeit bzw. eine Beschäftigung ausschließt, die die Erzielung von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen von mehr als 630 ,- DM monatlich zulässt. Dies ist hier der Fall.

Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere den Gutachten von Frau Dr. Sch. und Dr. B. ist das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin jedenfalls seit Oktober 1996 aufgehoben.

Dr. Sch. hat bezogen auf den Zeitpunkt ihrer Untersuchung (Oktober 1996) festgestellt, die Klägerin leide an einem Diabetes mellitus Typ IIb, ferner bestehe der Verdacht auf eine diabetische Polyneuropathie. Sie hat dies mit den vorgefundenen dokumentierten Blutzuckerwerten und den selbst erhobenen Befunden - insbesondere Laborbefunden - belegt und den Zustand als desolate Stoffwechselsituation gekennzeichnet, die die Klägerin in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich einschränke (Bl. 14 des Gutachtens). Weiter führte Dr. Sch. aus, diese Stoffwechsellage bedinge aktuell (Arbeitsunfähigkeit von 100 % und “derzeitige Erwerbsunfähigkeit” (Bl. 16 des Gutachtens). Sie macht damit deutlich, dass sie die Klägerin im Zeitpunkt der Untersuchung zu einer Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert nicht für fähig hielt.

Diese Feststellungen sind überzeugend, weil sie von Dr. Sch., deren ärztliche Fachkunde außer Zweifel steht, nachvollziehbar aus den Vorbefunden und den selbst erhobenen Befunden begründet werden, in dem die sich ergebenden funktionalen Defizite (Veränderungen im Wasser- und Salzhaushalt, Störungen der Fließeigenschaft des Blutes, Kreislaufdisregulation etc. - Bl. 14 des Gutachtens (aufgezeigt und zugeordnet werden). Zudem zeigen die im Rahmen der Ergänzung des Gutachtens vom 18. März 1997 nachgeholten Antworten auf die Beweisfragen, die Frau Dr. Sch. allerdings von einem zu erwartenden Sachstand nach erfolgreicher Therapie vorgenommen hat, dass den Äußerungen der Gutachterin eine differenzierte Sicht der Folgen der Diabeteserkrankung für das Leistungsvermögen zugrundeliegt, wenn etwa zur Frage 2b das Leistungsvermögen abgestuft je nach Therapieerfordernissen dargelegt wird.

Der von Dr. Sch. festgestellte Zustand - mithin die Aufhebung des Leistungsvermögens - besteht fort. Dies ergibt sich überzeugend aus den Feststellungen von Dr. B. und den die Zeit zwischen den Gutachten betreffenden Befunden. Zunächst ist festzuhalten, dass die von Dr. Sch. als erfolgversprechend angesehenen Therapiemöglichkeiten (Betreuung durch eine diabetologische Fachpraxis, Beseitigung der Defizite der Klägerin in der Kenntnis der Erkrankung und Ernährung, gegebenenfalls Einweisung in eine Fachklinik) nicht realisiert worden sind. Im Befundbericht des praktischen Arztes H. vom 18. Oktober 1998 wird ein unveränderter Status diagnostiziert. Die Orthopäden St. und Sch. berichten am 27. Oktober 1998 über zunehmende Beschwerden seitens der diabetischen Polyneuropathie und der Urologe Dr. S. bezeichnet den Zustand der Klägerin - bezogen auf sein Fachgebiet - als verschlechtert und gibt als Grund einen “schwer einstellbaren Diabetes mellitus” an. Dr. B. fand in seiner Untersuchung - gestützt auf aktuelle Laborwerte - einen hochpathologischen HDA-Ic-Wert und insgesamt eine vergleichbar schlechte Stoffwechsellage wie 1996 ( Bl. 19 des Gutachtens). Nach seiner Feststellung erfolgte keine ernsthafte oder ernstlich hinreichend kontrollierte Therapie des Diabetes. Dies ist durch die Angaben der Klägerin zur Art und Umfang der Therapie schlüssig, wobei die Angaben insoweit durch die genannten ärztlichen Äußerungen und die erhobenen Laborwerte bestätigt werden. Dr. B. teilt die Einschätzung von Dr. Sch., das Stoffwechselleiden bedinge absolute Arbeitsunfähigkeit.

Das aufgrund der gravierenden Stoffwechselerkrankung aufgehobene Leistungsvermögen begründet die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin. Dem steht nicht entgegen, dass sowohl nach der Einschätzung von Dr. Sch. als auch nach der Einschätzung von Dr. B. (insoweit allerdings mit der Einschränkung, die Klägerin sei mental nicht zu den notwendigen Therapieanstrengungen fähig) die Möglichkeit besteht, die Diabeteserkrankung mit Erfolg (i.S.e. wesentlichen Verbesserung des beruflichen Leistungsvermögens) zu behandeln. Die Behandlungsfähigkeit einer Erwerbsunfähigkeit bedingenden Erkrankung schließt das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit nicht aus (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 38 m.w.Nachw.), vielmehr sind - sofern die Leistungseinschränkung keine nur vorübergehende ist - die Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens Gegenstand der Beurteilung, die im streitigen Zeitraum tatsächlich vorgelegen haben. Als vorübergehend ist ausgehend von der § 101 Abs.1 SGB VI zu entnehmenden Wertung (vgl. Kasseler Kommentar - Niesel, § 43 SGB VI Randnummer 77) ein Zeitraum von sechs Monaten anzusehen. Der Rentengewährung steht nicht § 103 SGB VI entgegen, da eine Gleichgültigkeit der Klägerin gegenüber ihren Gesundheitszustand nicht als Herbeiführung der Erwerbsunfähigkeit anzusehen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1276 Nr. 4). Dem Rentenanspruch steht auch nicht eine Verletzung konkreter Mitwirkungspflichten entgegen (dazu BSG, Urteil vom 8. September 1982 - 5 b RJ 38/81, nicht veröffentlicht, ebenso BayLSG E-LSG J-025), da die Beklagte keine Rehabilitationsmaßnahme angeboten hat.

Die Voraussetzungen für eine Befristung des Rentenanspruchs gemäß § 102 SGB VI liegen nicht vor. Dass der Anspruch der Klägerin nicht von der Arbeitsmarktlage abhängig ist, ist bereits dargelegt worden. Eine Befristung ist auch nicht nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorzunehmen, da nicht die begründete Aussicht besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann. Insoweit ist eine in die Zukunft gerichtete Prognose über die Dauer der Erwerbsunfähigkeit erforderlich, wobei im Grundsatz auf den Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides (“Rentenbewilligung”) abzustellen ist und nur die bis zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Umstände zu berücksichtigen sind. Ist allerdings die Erwerbsunfähigkeit begründende Leistungsminderung erst während des Rechtsstreits eingetreten, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend, dass erstmals über den nach Bescheiderteilung eingetretenen Leistungsfall entschieden hat (BSG SozR 2200 § 1276 Nr. 6). Eine begründete Aussicht der Behebbarkeit besteht, wenn Gründe vorliegen, aufgrund derer es wahrscheinlich ist, dass die Erwerbsfähigkeit binnen drei Jahren behoben werden kann. Bei sachgerechter und vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit muss sich ein deutliches Übergewicht für die Einschätzung ergeben, dass die Erwerbsunfähigkeit behebbar sein wird (BSG a.a.0.).

Ob die Klägerin aufgrund ihrer Stoffwechselerkrankung erwerbsunfähig ist, war nicht Gegenstand der Verwaltungsentscheidung; die Fragestellung ergab sich aufgrund neuer Feststellungen während des sozialgerichtlichen Verfahrens und war damit erstmals im Urteil des SG Gegenstand der Entscheidung. Zu dem Zeitpunkt, zu dem das SG entschieden hat, war der Rentenanspruch der Klägerin begründet, da die von Dr. Sch. festgestellte Leistungsminderung fortbestand. Eine Wahrscheinlichkeit für eine Besserung des Gesundheitszustandes und damit des Leistungsvermögens der Klägerin bestand nicht. Dr. Sch. hat überzeugend dargelegt, dass gezielte Therapie (sachgerechte “Einstellung” des Diabetes mellitus) und gesundheitsbewusstes Verhalten dem Gesundheitszustand der Klägerin wesentlich hätten verbessern können. Es wären insoweit nur Therapieschritte erforderlich gewesen, die nicht außergewöhnlich belastend, kompliziert oder eingreifend sind. Das so zu bewertende Maßnahmen trotz erheblicher von der Erkrankung ausgehender Beeinträchtigungen bis zur Entscheidung des SG nicht erfolgt oder auch nur erfolgversprechend in Angriff genommen worden waren, schließt eine positive Prognose bezogen auf diesen Zeitpunkt aus. Auch das Gutachten von Prof. Dr. G., das dem SG vorlag, enthält keine Gesichtspunkte, die eine Besserungsprognose rechtfertigen könnten. Vielmehr legt Prof. Dr. G. dar, die von ihm als “Depression im Involutionsalter” bezeichnete seelische Erkrankung beinhaltet psychisches Fehlverhalten, dass sich in einer regressiven Vermeidungshaltung auch bezogen auf Therapieangebote äußere (Bl. 21/22 des Gutachtens). Prof. Dr. G. bestätigt auch nicht mehr als die “Änderbarkeit unter der Voraussetzung der Mitarbeit”. Sein Gutachten enthält indes keine Feststellung oder wertende Äußerung, die beinhaltet oder auch nur darauf hindeutet, dass eine Mitwirkung der Klägerin tatsächlich zu erwarten gewesen wäre.

Im Übrigen wären die Voraussetzungen für die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer befristeten Erwerbsunfähigkeitsrente selbst dann nicht gegeben, wenn die Frage der Vorhersehbarkeit einer Besserung im Zeitpunkt der Entscheidung des SG anders beurteilt würde. Hätten zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer Befristung vorgelegen, wäre der maximal drei Jahre betragende Bewilligungszeitraum ab Rentenbeginn (§ 102 Abs.2 S. 3 SGB VI) während des Berufungsverfahrens abgelaufen gewesen. Da - wie dargelegt - zur Überzeugung des Senats feststeht, dass die Verhältnisse bezüglich des Stoffwechselleidens und der daraus resultierenden Leistungsminderung unverändert geblieben sind, schlösse eine weitere Rentengewährung an, weil die Tenorierung des Berufungsurteils die vorangegangene “fiktive”, Zeitrente mitzuumfassen hat. Bezogen auf die “anschließende” Erwerbsunfähigkeitsrente ist die Prognose bezüglich der Behebung der Erwerbsunfähigkeit im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz zu treffend. Bezogen auf diesen Zeitpunkt liegen die Voraussetzungen einer Befristung (ebenfalls) nicht vor. Dies ergibt sich zum einen aus der Entwicklung seit Oktober 1996 (Untersuchung durch Dr. Sch.), denn während dieses Zeitraumes ist keine Verbesserung des Leistungsvermögens eingetreten und wesentliche Änderungen, die für die Zukunft eine günstigere Entwicklung wahrscheinlich machen, bestehen nicht. Zudem ergibt sich aus dem Gutachten von Dr. B., das eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht zu erwarten ist.

Nach Dr. B. liegt bei der Klägerin eine schwere, chronische therapieresistente depressive Störung vor, die trotz fortlaufender gesprächstherapeutischer und medikamentöser Behandlung eine ausgeprägte Affekt- und Antriebstörung und ein psychopathologisch erheblich eingeschränktes Leistungsvermögen zur Folge hat. Dies ist überzeugend dargelegt, denn Dr. B. folgert seine Bewertung dieses Krankheitsbildes widerspruchsfrei aus den dokumentierten eigenen Untersuchungsbefunden und den detailliert erhobenen Krankengeschichte, wobei er seine Erkenntnisquellen und Folgerungen in klarer und überzeugungskräftiger Abgrenzung zu den Erhebungen und Einschätzungen von Prof. Dr. G. formuliert. Dabei wird sowohl sorgfältiges Vorgehen (Korrektur der Diagnose “Depression im Involutionsalter” - Blatt 22 des Gutachtens -) als auch fachgerechtes und jede Oberflächlichkeit vermeidendes Vorgehen (Ausschluss “sekundären Krankheitsgewinns” anhand von in der Fachliteratur entwickelten Kriterien) deutlich und belegt die Qualität und Folgerichtigkeit des Gutachtens. Aus den genannten Gründen überzeugend ist auch die Feststellung von Dr. B., die “katastrophale Stoffwechsellage” sei als Ausdruck der Antriebsstörung mit “fatalistischer Vernachlässigung der eigenen Gesundheit” (Bl. 22 des Gutachtens) zu verstehen bzw. die “fehlende Compliance der Klägerin sei Ausdruck der ausgeprägten seelischen Erkrankung” (Bl. 19 des Gutachtens). Diese in der Gesamtschau mit den sonstigen medizinisch festgestellten Tatsachen sehr gut nachvollziehbaren Beurteilung begründet zugleich, dass eine günstige Prognose der Behebbarkeit der Erwerbsunfähigkeit nicht möglich ist, da die depressive Erkrankung selbst ein Dauerzustand ist (Bl. 24 des Gutachtens); das zeigen im Übrigen auch die lang andauernden erfolglosen Therapiebemühungen bezüglich dieser Erkrankung. Die von Dr. B. im Ergebnisteil des Gutachtens angesprochene theoretische Besserungsmöglichkeit (Bl. 26 des Gutachtens) rechtfertigt eine Befristung nicht, denn eine Befristung erfordert - wie dargelegt - ein deutliches Übergewicht für eine Besserungsprognose. Dies ist nach dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen von Dr. B. nicht der Fall.

Soweit die fehlende Möglichkeit einer günstigen Prognose bezüglich der Behebung der Erwerbsunfähigkeit im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung herangezogen wird, deckt diese (zusätzliche) Begründung den Gesamtzeitraum ab. Soweit die Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin zunächst als Zeitrente zu gewähren gewesen wäre (s.o.) war ein Anspruch auch in Ansehung der in § 101 Abs. 1 SGB VI getroffenen Regelung bereits ab November 1996 begründet, denn die Stoffwechselerkrankung der Klägerin hat bereits im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. R. bestanden, der bezogen auf April 1966 den schlechtesten überhaupt dokumentierten Blutzuckerwert mitgeteilt hat.

Im Hinblick auf die bereits aus der Stoffwechselerkrankung der Klägerin folgende Leistungseinschränkung kommt es nicht darauf an, ob Erwerbsunfähigkeit der Klägerin auch aufgrund der von Dr. B. festgestellten seelischen Erkrankung begründet ist. Allerdings bietet das aus den genannten Gründen überzeugende Gutachten von Dr. B. eine hinreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung, dass Erwerbsunfähigkeit aufgrund des seelischen Leidens jedenfalls ab Januar 1997 vorgelegen hat. Insbesondere sind die Einschätzungen von Prof. Dr. G. durch die von Dr. B. erstmals bzw. erstmals differenziert erhobenen Befunde und die daraus unter ausführlicher Auseinandersetzung mit der Vorgeschichte sorgfältig und überzeugend abgeleiteten Bewertungen widerlegt.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt. Dies liegt angesichts der Vielfalt der Leistungseinschränkungen nicht fern, zumal sich die Beeinträchtigungen in der Weise ungünstig ergänzen, das eine Vielzahl einfacher manueller Tätigkeiten und wegen des Hautleidens nicht verrichtet werden kann und Tätigkeiten, bei denen das Schwergewicht nicht auf der körperlichen Tätigkeit liegt (etwa Aufsichts-, Kontroll- Prüftätigkeiten) - bzw. die Umstellung auf solche Tätigkeiten -, an den Auswirkungen der psychischen Erkrankung scheitern würde, selbst wenn diese nur ein geringeres Ausmaß hätten als von Dr. B. angenommen.

Dem in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag der Beklagten war nicht nachzugehen. Da der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ohne Befristung aufgrund der Stoffwechselerkrankung und aufgrund einer bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts zu treffenden Prognose zur Besserungsfähigkeit zu gewähren ist, kommt es auf die gegenwartsbezogene Beweisfrage nicht an. Im Übrigen sind - wie die bisherigen Ausführungen ergeben - alle Ausprägung, Dauer und Folgen der seelischen Erkrankung betreffenden Fragen durch das Gutachten von Dr. B. in einem für die Überzeugungsbildung des Senats ausreichenden Umfang geklärt. Im Rahmen seines Ermittlungsermessens hätte sich das Gericht allenfalls zu weiterer Beweiserhebung gedrängt gesehen, wenn nicht unerhebliche Einwendungen gegen dieses Gutachten vorgebracht worden wären (vgl. BSG, Urteil vom 4. September 1994 - 1 RK 3/93;auch BSG vom 29. Oktober 1980 - 2 RU 5/80 - beide Entscheidungen nicht amtlich veröffentlicht). Derartiges ist indes trotz eines Hinweises an die Beklagte, die über einen medizinischen Dienst verfügt, den sie auch zur Unterstützung einer sachgerechten Prozessführung nutzen kann, nicht geschehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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