L 11 AS 588/16 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 17 AS 487/16 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 588/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist schriftlich zu begründen
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 25.07.2016 - S 17 AS 487/16 ER - aufgehoben und die Aussetzung der sofortigen Vollziehung wird angeordnet.

II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Gründe:

I.

Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Rechtmäßigkeit der Direktzahlung der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an den Vermieter.

Der Antragsteller bezieht seit 01.04.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II -) vom Antragsgegner. Gemäß dem am 15.08.2015 geschlossenen Mietvertrag hatte der Antragsteller eine Bruttokaltmiete in Höhe von 305,00 EUR sowie eine Vorauszahlung für Heizung und Warmwasser in Höhe von 50,00 EUR zu zahlen. Renovierungsarbeiten vor Einzug des Antragstellers in die Mieträume waren vom Vermieter laut Mietvertrag nicht vorzunehmen. Die Miete wurde zunächst auf Antrag des Antragstellers direkt an den Vermieter gezahlt. Am 17.02.2016 beantragte der Antragsteller die Auszahlung der Miete an ihn selbst. Diesen Antrag bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.02.2016 ab März 2016. Zuletzt mit Bescheid vom 18.04.2016 bewilligte der Antragsgegner Alg II für die Zeit vom 01.05.2016 bis 31.10.2016. Hiernach zahlte der Antragsgegner die Miete sowie die Unterkunfts- und Heizungskosten an den Antragsteller selbst aus, rechnete jedoch in Höhe von monatlich 39,90 EUR zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens auf (letzte Rate Oktober 2016 in Höhe von 21,20 EUR).

Auf den telefonischen Hinweis des Vermieters vom 11.04.2016, dass der Antragsteller die Miete für März und April 2016 nicht überwiesen habe, stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.04.2016 die Zahlung der Leistung für Unterkunft und Heizung an den Antragsteller ab Mai 2016 vorläufig ein. Hierzu führte der Antragsteller aus, der Vermieter wolle ihn "abziehen" und habe geschuldete Renovierungsarbeiten nicht vorgenommen, so dass er die Miete einbehalte. Mit Bescheid vom 25.04.2016 verfügte der Antragsgegner die direkte Überweisung der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 355,00 EUR an den Vermieter ab Mai 2016 und ordnete ohne weitere Begründung die sofortige Vollziehbarkeit dieses Bescheides an. Der Antragsteller verwende die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht zweckentsprechend. Er habe die Miete auch zu zahlen, wenn der Vermieter eine vereinbarte Einzugsrenovierung nicht vorgenommen habe. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Antragsteller geltend, der Antragsgegner dürfte sich in das Mietverhältnis nicht einmischen. Den Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2016 zurück. Hiergegen hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.

Zugleich mit der Erhebung der Klage hat der Antragsteller Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Der Antragsgegner wolle ihm nicht bestätigen, wo die 500,00 EUR Mietkaution hingekommen seien und wie der Vermieter diese angelegt habe. Zudem seien Mängel in der Wohnung vorhanden. Die Wohnung sei nicht die volle Miete wert.

Das SG hat mit Beschluss vom 21.07.2016 den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Das Gericht der Hauptsache könne auf Antrag in Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hätten, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Vorliegend habe die Klage keine aufschiebende Wirkung, denn der Antragsgegner habe die sofortige Vollziehung angeordnet (§ 86a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Der Antragsgegner habe die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch schriftlich begründet. Sie sei überwiegend im öffentlichem Interesse erfolgt, weil der Antragsteller seine Miete nicht zweckentsprechend verwendet habe. Bei Nichtanordnung des Sofortvollzuges ergebe sich die Gefahr, dass der Antragsteller weiterhin die ihm überlassenen Mittel nicht zweckentsprechend verwende, so dass eine Vermieterkündigung drohe. Das Zurückbehaltungsrecht des Antragstellers gegenüber dem Vermieter müsse demgegenüber hintanstehen, insbesondere nachdem der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht habe, dass ihm ein solches zustehe. Die im Ermessen des Gerichts stehende Anordnung der aufschiebenden Wirkung erfolge auf Grundlage einer Interessenabwägung, wobei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache wesentliche Bedeutung zukomme. Solche Erfolgsaussichten bestünden vorliegend nicht. Gemäß § 22 Abs. 7 Satz 2 SGB II solle an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt sei. Das sei insbesondere der Fall, wenn Mietrückstände bestünden, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigten (§ 22 Abs. 7 Satz 3 Nr. 1 SGB II). Dies sei vorliegend der Fall, denn durch zweimalige aufeinanderfolgende Nichtzahlung der Miete sei der Vermieter zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt. Gründe, die den Antragsteller zu einer Mietminderung berechtigten, seien von diesem nicht substantiiert vorgetragen oder auf andere Weise glaubhaft gemacht worden. Aus dem Mietvertrag selbst ergebe sich keine Pflicht zu Renovierungsarbeiten durch den Vermieter. Nähere Auskünfte habe der Antragsteller auf Nachfrage des Gerichtes zu vorliegenden Mietmängeln nicht gemacht. Aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 22 Abs. 7 Satz 3 Nr. 1 SGB II solle der Antragsgegner zu einer Direktzahlung an den Vermieter übergehen. Nur in atypischen Ausnahmefällen dürfe er auf die Auszahlung direkt an den Vermieter verzichten. Für das Vorliegen eines solchen atypischen Falles gebe es vorliegend keinerlei Anhaltspunkte, der Antragsteller habe hierzu auch nichts vorgetragen. Über die Direktzahlung habe der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 22 Abs. 7 Satz 4 SGB II schriftlich unterrichtet.

Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch gegenüber dem Antragsgegner über den Verbleib der an den Vermieter ausgezahlten Mietkaution.

Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Antragsgegners sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des SG ist aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage ist anzuordnen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner ist (bereits) aus formalen Gründen nicht aufrechtzuerhalten.

Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage - wie hier - keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung anordnen. Vorliegend hat die Klage gegen den Bescheid vom 25.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2016 keine aufschiebende Wirkung, denn der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehbarkeit gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet. Die aufschiebende Wirkung entfällt hiernach in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung angeordnet hat.

Vorliegend hat der Antragsgegner hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 18.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2016 keinerlei schriftliche Begründung für das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung und zur erforderlichen Ermessensausübung gegeben. Er hat auch nicht darauf hingewiesen, dass evtl ein Ausnahmefall vorliege, bei dem sich das besondere Interesse aus der Eigenart der Regelung ergeben kann (vgl. zum Ganzen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11.Aufl., § 86a Rdnr. 17ff und § 86b Rdnr. 10ff).

Somit fehlt es unabhängig von der evtl. Rechtmäßigkeit der der Anordnung der sofortigen Vollziehung zugrunde liegenden Regelung gemäß § 22 Abs. 7 SGB II an formalen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Der Beschluss des SG war daher aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage war anzuordnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved