Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 25 AS 244/16 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 489/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 12. Mai 2016 geändert. Der Tenor des Beschlusses wird wie folgt gefasst:
"Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 756,52 Euro monatlich für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2016, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt."
Die weitergehende Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die am 16. Juni 2016 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde des Antragsgegners mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 12. Mai 2016 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen,
ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist nur der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 12. Mai 2016, durch den der Antragsgegner verpflichtet wurde, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Mai bis September 2016 zu gewähren, nicht dagegen der Teilbeschluss des Sozialgerichts vom 26. April 2016, durch den der Antragsgegner zur Leistungsgewährung für den Monat April 2016 verpflichtet wurde. Gegen den Teilbeschluss vom 26. April 2016 wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Im Übrigen hat der Antragsgegner den Antragstellern mit Bescheid vom 28. April 2016 zwar Leistungen nach dem SGB II für den Monat April 2016 vorläufig gewährt, hinsichtlich der Höhe der Bedarfe für Unterkunft und Heizung (in tatsächlicher Höhe) aber ohne Vorbehalt.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor, soweit die Antragsteller Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung angemessener Bedarfe für Unterkunft und Heizung begehren. Soweit die Antragsteller darüber hinaus Bedarfe für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe begehren, liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung dagegen nicht vor.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch hinsichtlich des Regelbedarfs und angemessener Bedarfe für Unterkunft und Heizung glaubhaft gemacht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Voraussetzungen des 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II liegen bei den Antragstellern zu 1. bis 3. vor. Die Antragsteller zu 4. und 5. sind nach dem SGB II leistungsberechtigt, da sie mit den Antragstellern zu 1. bis 3. in einer Bedarfsgemeinschaft leben (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Die Antragsteller haben auch ihre Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) glaubhaft gemacht.
Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Neben der Aufnahme von Arbeit und dem Einsatz von Einkommen und Vermögen haben Leistungsberechtigte zwar - ohne dass dies eine echte Leistungsvoraussetzung wäre - auch jede andere zumutbare Möglichkeit zur Sicherung des erforderlichen Lebensunterhalts zu nutzen. Dazu gehört auch die Durchsetzung von Ansprüchen auf vorrangige Sozialleistungen (Mecke in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 9 Rn. 21 m. w. N.). Dies folgt aus dem in § 5 SGB II normierten Grundsatz des Nachrangs der Leistungen des SGB II gegenüber den meisten anderen Sozialleistungen (Mecke s. o. § 9 Rn. 22). Allerdings lässt die Nichtbeantragung vorrangiger Sozialleistungen die Hilfebedürftigkeit nicht von vornherein entfallen. Die Vorschrift des § 12a Satz 1 SGB II, wonach Leistungsberechtigte verpflichtet sind, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und dafür die erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, enthält weder eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Grundsicherungsträger im Hinblick auf die Durchsetzung der Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur vorrangigen Beantragung von Sozialleistungen noch eine Anspruchsgrundlage für einen Eingriff in die Leistungen des Leistungsberechtigten nach dem SGB II, wenn dieser seiner Verpflichtung zur Inanspruchnahme anderer vorrangiger Sozialleistungen nicht nachkommt. Insoweit kann und muss der Grundsicherungsträger auf die durch § 5 Abs. 3 SGB II eröffnete und in seinem Ermessen stehende Möglichkeit der Aufforderung des Leistungsberechtigten zur Antragstellung sowie bei Verweigerung dessen auf die eigene Antragstellung und Führung des entsprechenden Verfahrens zurückgreifen (S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 12a Rn. 1 m. w. N.). Der Antragsgegner hat die Antragsteller zwar auf die Beantragung vorrangiger Sozialleistungen (Wohngeld und Kinderzuschläge) hingewiesen. Den Antragstellern sind aber diese Leistungen in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum bisher nicht bewilligt worden, so dass die Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II insoweit nicht ausgeschlossen ist.
Da die Antragsteller unter Anrechnung des zu berücksichtigenden Einkommens (vgl. § 11 SGB II) nicht in der Lage sind, den Regelbedarf und den Bedarf für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe (756,52 Euro nach den Angaben des Antragsgegners im Schreiben an die Antragsteller vom 2. November 2015) zu decken, haben sie hinsichtlich des ergänzenden Hilfebedarfs einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Soweit die Antragsteller darüber hinaus Bedarfe für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe begehren, haben sie für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2016 einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zwar werden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, allerdings nur, soweit diese angemessen sind. Daran fehlt es hier. Die tatsächlichen Aufwendungen für die mit Mietvertrag vom 5. August 2015 zum 1. Oktober 2015 angemietete, 107 m² große Wohnung der Antragsteller betragen insgesamt 1.250,00 Euro (Grundmiete 1.050,00 Euro, Betriebskosten 105,00 Euro, Heizkosten 95,00 Euro). Unter Zugrundelegung des Konzepts des Antragsgegners zur Ermittlung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, das das Sozialgericht im Grundsatz als schlüssig angesehen hat und gegen das die Antragsteller auch keine Einwände vorgebracht haben, ergeben sich für die Antragsteller angemessene Aufwendungen für die Unterkunft in Höhe von 661,52 Euro und für die Heizung in Höhe von 95,00 Euro, insgesamt 756,52 Euro.
Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des Unterkunftsbedarfs in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen können entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht im Wege der Folgenabwägung zugesprochen werden. Die der Folgenabwägung des Sozialgerichts zugrundeliegenden Erwägungen, dass das Konzept des Antragsgegners zur Ermittlung der Angemessenheit der Unterkunftskosten zwar grundsätzlich schlüssig sei, die vorgelegten Daten des Antragsgegners aber nicht erkennen ließen, ob der Zuzug von Flüchtlingen im Landkreis A-Stadt erhebliche Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt gehabt habe, so dass nicht beurteilt werden könne, ob Änderungen an diesem Konzept erforderlich gewesen seien, teilt der Senat nicht. Dazu, ob aufgrund des Zuzugs von Flüchtlingen im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners von einer erhöhten Nachfrage nach Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt auszugehen ist und es dadurch ab der 2. Jahreshälfte 2015 zu einem signifikanten Anstieg der zur Anmietung einer hilferechtlich angemessenen Wohnung aufzuwendenden Kosten gekommen ist, liegen dem Senat keine belastbaren Daten vor. Die von dem Antragsgegner vorgelegten Unterlagen lassen dahingehende Schlussfolgerungen nicht zu. Letztlich ist auch das Sozialgericht nicht von einem erhöhten Mietniveau im hier einschlägigen Segment hilferechtlich angemessener Wohnungen ausgegangen, sondern hat lediglich vermutet, dass aufgrund des Zuzugs von Flüchtlingen die Notwendigkeit der Anpassung des schlüssigen Konzepts bestehen könnte. Derartige Vermutungen rechtfertigen aber nicht die Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung. Selbst wenn man insoweit dem Sozialgericht folgen wollte, kann aber auch im Wege der Folgenabwägung kein höherer Betrag zugesprochen werden, als er sich aus den Werten des § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zuzüglich eines Zuschlages von 10 % ergibt. Im Falle eines Erkenntnisausfalls zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete sind zwar grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese werden aber durch die Tabellenwerte zu § 12 WoGG im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 B 4 AS 44/12 R - NDV-RD 2013, 81; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 B 4 AS 87/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 73; Urteil des erkennenden Senats vom 6. Juni 2016 - L 9 AS 352/15 -). Dass diese Obergrenze - wie das Sozialgericht meint - unbeachtlich sei, da die Antragsteller von dieser Grenze bisher keine Kenntnis gehabt hätten und deshalb ihre Suche daran nicht hätten ausrichten können, ist mit der genannten Rechtsprechung des BSG und des Senats nicht vereinbar. Ein derartiger Anspruch kann auch nicht aus § 22 SGB II hergeleitet werden. Die Vorschrift stellt nicht auf die Kenntnis bzw. Unkenntnis der Angemessenheitsgrenze ab. Es fehlt daher insoweit an einer Rechtsgrundlage, ohne die Leistungen nicht gewährt werden dürfen (vgl. § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Die Unkenntnis der Rechtsprechung kann daher keinen über die Angemessenheitsobergrenze hinausgehenden Leistungsanspruch begründen.
Ein Leistungsanspruch unter Berücksichtigung des Unterkunftsbedarfs in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Danach sind, soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, diese als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass die Antragsteller kurz vor Beginn des Leistungsbezuges eine Wohnung angemietet haben, deren Kosten unangemessen hoch sind. Auch dann setzt eine Begrenzung der Leistungserbringung auf die angemessenen Kosten nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II regelmäßig voraus, dass eine Aufforderung zur Kostensenkung vorliegt, die dem Hilfebedürftigen Klarheit über die aus der Sicht des Leistungsträgers angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft verschafft (BSG, Urteile vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 19/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 28 und vom 30. August 2010 - B 4 AS 10/10 R - BSGE 106, 283; a. M. zu der vergleichbaren Vorgängerregelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 Regelsatzverordnung BVerwG, Urteil vom 27. November 1986 - 5 C 2/85 - BVerwGE 75, 168, wonach die Vorschrift jedenfalls dann nicht anwendbar sei, wenn derjenige, der im Zeitpunkt des Wohnungswechsels Hilfe zum Lebensunterhalt nicht beziehe, eine Wohnung miete, hinsichtlich deren Miete er von vornherein wisse, dass er sie nicht aus eigenen Mitteln werde bestreiten können und er gerade ihretwegen hilfebedürftig werden würde, es sei denn, dass die Miete dieser über das Maß des Notwendigen hinausgehenden Unterkunft unter den besonderen Umständen unausweichlich gewesen sei).
Ein Anspruch auf Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe folgt schließlich auch nicht aus dem Vortrag der Antragsteller, die älteste Tochter sei nun 19 geworden und benötige ein eigenes großes Zimmer. Zum einen existiert kein genereller Grundsatz, wonach jedem Kind ein eigenes Zimmer zur Verfügung stehen muss (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Oktober 2007 - L 13 AS 168/07 ER -). Zum anderen verfügte die früher von den Antragstellern bewohnte Wohnung über 4 Zimmer, die im August 2015 angemietete Wohnung auch nur über 4,5 Zimmer.
Die Antragsteller sind auch von dem Antragsgegner ausreichend über ihre Obliegenheit zur Kostensenkung informiert worden. Die Antragsteller wurden mit Schreiben des Antragsgegners vom 19. November 2015 zur Senkung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausdrücklich aufgefordert. Dabei ging der Antragsgegner von angemessenen Kosten der Unterkunft (Grundmiete und kalte Betriebskosten) in Höhe von 661,52 Euro und Heizkosten in Höhe von 95,00 Euro, insgesamt 756,52 Euro, aus. Soweit die Antragsteller insoweit vorgetragen haben, die Kostensenkungsaufforderung sei ihnen nicht zugegangen, ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner die Antragsteller über die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung auch bereits mit Schreiben vom 2. November 2015, das dem Bescheid vom 2. November 2015 über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von Oktober 2015 bis März 2016 beigefügt war, informiert hat. Voraussetzung für eine Absenkung der Leistungen für Unterkunft und Heizung auf die angemessene Höhe der Aufwendungen bei erstmaliger Leistungsbewilligung ist lediglich, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige von seiner Obliegenheit, die Kosten auf ein angemessenes Niveau zu senken, zurechenbar Kenntnis hat (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 19/09 R - BSGE 105, 188). Davon ist vorliegend jedenfalls aufgrund des Schreibens des Antragsgegners vom 2. November 2015 auszugehen. Außerdem hat der Antragsgegner die Antragsteller bereits bei Antragstellung am 17. September 2015 auf die Unangemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft hingewiesen. Die Antragsteller haben daraufhin angegeben, den Differenzbetrag aus eigenen Mitteln aufzubringen. Damit hat der Antragsgegner die Antragsteller über die aus seiner Sicht bestehende Rechtslage hinreichend informiert. Das BSG hat mehrfach entschieden, dass § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II a. F. bzw. § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II n. F. keine über eine Aufklärungs- und Warnfunktion hinausgehenden Anforderungen stellt (BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231; BSG, Urteil vom 19. März 2008 - B 11b AS 41/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 7; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263).
Die Antragsteller haben daher ein Anordnungsanspruch nur hinsichtlich des Regelbedarfs und angemessener Unterkunftskosten glaubhaft gemacht.
Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Soweit das Sozialgericht bei seiner Entscheidung vom 12. Mai 2016 die Eilbedürftigkeit für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2016 bejaht hat, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Senats für die Zeit vor Eingang des Eilantrages beim Sozialgericht sowie für zukünftige Zeiträume nach Ablauf des Folgemonats der Entscheidung des Sozialgerichts bzw. des Beschwerdegerichts die Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig zu verneinen ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 1. Dezember 2005 - L 9 SO 11/05 ER -, vom 28. Januar 2009 - L 9 SO 98/08 B ER -, vom 21. April 2009 - L 9 AS 65/09 B ER -, vom 11. November 2009 - L 9 AS 417/09 B ER - vom 10. August 2010 - L 9 AS 424/10 B ER , vom 21. Januar 2013 - L 9 AS 782/12 B ER -, vom 11. Februar 2014 L 9 AS 803/13 B ER -, vom 2. Juni 2015 - L 9 AS 253/15 B ER - m. w. N. und vom 8. Juli 2016 - L 9 AS 438/16 B ER -). Für Zeiträume vor Eingang des Eilantrages beim Sozialgericht kann nur ausnahmsweise ein Anordnungsgrund anzunehmen sein, wenn ein noch gegenwärtig bestehender schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt (vgl. Beschlüsse des Senats vom 16. Februar 2012 - L 9 AS 51/12 B ER -, vom 4. Juli 2013 - L 9 AS 442/13 ER - und vom 2. Juni 2015 s. o.; Bayer. LSG, Beschluss vom 2. Februar 2012 L 11 AS 1022/11 B ER - jeweils m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 18. März 2013 - L 9 AS 70/13 B ER - und vom 10. Juni 2013 - L 9 AS 362/13 B ER -, zuletzt vom 17. Februar 2015 - L 9 AS 1016/15 B ER -; Keller in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 42 m. w. N.) die Eilbedürftigkeit für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2016 zu bejahen.
Die Antragsteller haben auch hinsichtlich der begehrten Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. April 2015 s. o.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. Juli 2015 - L 13 AS 205/15 B ER ), insbesondere der Gefährdung des Erhalts der Wohnung als Lebensmittelpunkt, ist die Eilbedürftigkeit vorliegend zu bejahen. Die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes hinsichtlich der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung hat auch der Antragsgegner nicht in Zweifel gezogen. Es bedarf daher im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob ein Anordnungsgrund nur bei erfolgter Kündigung durch den Vermieter bzw. bei bereits erhobener Räumungsklage anzunehmen ist (bejahend: vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Dezember 2015 - L 2 AS 1622/15 B ER -; Beschluss vom 26. November 2015 - L 2 AS 1199/15 B ER -; Beschluss vom 26. Oktober 2015 - L 19 AS 1623/15 B ER -; verneinend: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. April 2015 - L 6 AS 296/15 B ER -; Beschluss vom 4. Mai 2015 - L 7 AS 139/15 B ER - m. w. N.; Beschluss vom 16. November 2015 - L 7 AS 1729/15 B ER -; Beschluss vom 14. Dezember 2015 L 6 AS 1258/15 B ER -; Beschluss vom 27. April 2016 - L 6 AS 407/16 B ER -).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
"Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 756,52 Euro monatlich für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2016, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt."
Die weitergehende Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die am 16. Juni 2016 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde des Antragsgegners mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 12. Mai 2016 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen,
ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist nur der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 12. Mai 2016, durch den der Antragsgegner verpflichtet wurde, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Mai bis September 2016 zu gewähren, nicht dagegen der Teilbeschluss des Sozialgerichts vom 26. April 2016, durch den der Antragsgegner zur Leistungsgewährung für den Monat April 2016 verpflichtet wurde. Gegen den Teilbeschluss vom 26. April 2016 wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Im Übrigen hat der Antragsgegner den Antragstellern mit Bescheid vom 28. April 2016 zwar Leistungen nach dem SGB II für den Monat April 2016 vorläufig gewährt, hinsichtlich der Höhe der Bedarfe für Unterkunft und Heizung (in tatsächlicher Höhe) aber ohne Vorbehalt.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor, soweit die Antragsteller Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung angemessener Bedarfe für Unterkunft und Heizung begehren. Soweit die Antragsteller darüber hinaus Bedarfe für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe begehren, liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung dagegen nicht vor.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch hinsichtlich des Regelbedarfs und angemessener Bedarfe für Unterkunft und Heizung glaubhaft gemacht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Voraussetzungen des 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II liegen bei den Antragstellern zu 1. bis 3. vor. Die Antragsteller zu 4. und 5. sind nach dem SGB II leistungsberechtigt, da sie mit den Antragstellern zu 1. bis 3. in einer Bedarfsgemeinschaft leben (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Die Antragsteller haben auch ihre Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) glaubhaft gemacht.
Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Neben der Aufnahme von Arbeit und dem Einsatz von Einkommen und Vermögen haben Leistungsberechtigte zwar - ohne dass dies eine echte Leistungsvoraussetzung wäre - auch jede andere zumutbare Möglichkeit zur Sicherung des erforderlichen Lebensunterhalts zu nutzen. Dazu gehört auch die Durchsetzung von Ansprüchen auf vorrangige Sozialleistungen (Mecke in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 9 Rn. 21 m. w. N.). Dies folgt aus dem in § 5 SGB II normierten Grundsatz des Nachrangs der Leistungen des SGB II gegenüber den meisten anderen Sozialleistungen (Mecke s. o. § 9 Rn. 22). Allerdings lässt die Nichtbeantragung vorrangiger Sozialleistungen die Hilfebedürftigkeit nicht von vornherein entfallen. Die Vorschrift des § 12a Satz 1 SGB II, wonach Leistungsberechtigte verpflichtet sind, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und dafür die erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, enthält weder eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Grundsicherungsträger im Hinblick auf die Durchsetzung der Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur vorrangigen Beantragung von Sozialleistungen noch eine Anspruchsgrundlage für einen Eingriff in die Leistungen des Leistungsberechtigten nach dem SGB II, wenn dieser seiner Verpflichtung zur Inanspruchnahme anderer vorrangiger Sozialleistungen nicht nachkommt. Insoweit kann und muss der Grundsicherungsträger auf die durch § 5 Abs. 3 SGB II eröffnete und in seinem Ermessen stehende Möglichkeit der Aufforderung des Leistungsberechtigten zur Antragstellung sowie bei Verweigerung dessen auf die eigene Antragstellung und Führung des entsprechenden Verfahrens zurückgreifen (S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 12a Rn. 1 m. w. N.). Der Antragsgegner hat die Antragsteller zwar auf die Beantragung vorrangiger Sozialleistungen (Wohngeld und Kinderzuschläge) hingewiesen. Den Antragstellern sind aber diese Leistungen in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum bisher nicht bewilligt worden, so dass die Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II insoweit nicht ausgeschlossen ist.
Da die Antragsteller unter Anrechnung des zu berücksichtigenden Einkommens (vgl. § 11 SGB II) nicht in der Lage sind, den Regelbedarf und den Bedarf für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe (756,52 Euro nach den Angaben des Antragsgegners im Schreiben an die Antragsteller vom 2. November 2015) zu decken, haben sie hinsichtlich des ergänzenden Hilfebedarfs einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Soweit die Antragsteller darüber hinaus Bedarfe für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe begehren, haben sie für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2016 einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zwar werden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, allerdings nur, soweit diese angemessen sind. Daran fehlt es hier. Die tatsächlichen Aufwendungen für die mit Mietvertrag vom 5. August 2015 zum 1. Oktober 2015 angemietete, 107 m² große Wohnung der Antragsteller betragen insgesamt 1.250,00 Euro (Grundmiete 1.050,00 Euro, Betriebskosten 105,00 Euro, Heizkosten 95,00 Euro). Unter Zugrundelegung des Konzepts des Antragsgegners zur Ermittlung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, das das Sozialgericht im Grundsatz als schlüssig angesehen hat und gegen das die Antragsteller auch keine Einwände vorgebracht haben, ergeben sich für die Antragsteller angemessene Aufwendungen für die Unterkunft in Höhe von 661,52 Euro und für die Heizung in Höhe von 95,00 Euro, insgesamt 756,52 Euro.
Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des Unterkunftsbedarfs in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen können entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht im Wege der Folgenabwägung zugesprochen werden. Die der Folgenabwägung des Sozialgerichts zugrundeliegenden Erwägungen, dass das Konzept des Antragsgegners zur Ermittlung der Angemessenheit der Unterkunftskosten zwar grundsätzlich schlüssig sei, die vorgelegten Daten des Antragsgegners aber nicht erkennen ließen, ob der Zuzug von Flüchtlingen im Landkreis A-Stadt erhebliche Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt gehabt habe, so dass nicht beurteilt werden könne, ob Änderungen an diesem Konzept erforderlich gewesen seien, teilt der Senat nicht. Dazu, ob aufgrund des Zuzugs von Flüchtlingen im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners von einer erhöhten Nachfrage nach Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt auszugehen ist und es dadurch ab der 2. Jahreshälfte 2015 zu einem signifikanten Anstieg der zur Anmietung einer hilferechtlich angemessenen Wohnung aufzuwendenden Kosten gekommen ist, liegen dem Senat keine belastbaren Daten vor. Die von dem Antragsgegner vorgelegten Unterlagen lassen dahingehende Schlussfolgerungen nicht zu. Letztlich ist auch das Sozialgericht nicht von einem erhöhten Mietniveau im hier einschlägigen Segment hilferechtlich angemessener Wohnungen ausgegangen, sondern hat lediglich vermutet, dass aufgrund des Zuzugs von Flüchtlingen die Notwendigkeit der Anpassung des schlüssigen Konzepts bestehen könnte. Derartige Vermutungen rechtfertigen aber nicht die Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung. Selbst wenn man insoweit dem Sozialgericht folgen wollte, kann aber auch im Wege der Folgenabwägung kein höherer Betrag zugesprochen werden, als er sich aus den Werten des § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zuzüglich eines Zuschlages von 10 % ergibt. Im Falle eines Erkenntnisausfalls zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete sind zwar grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese werden aber durch die Tabellenwerte zu § 12 WoGG im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 B 4 AS 44/12 R - NDV-RD 2013, 81; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 B 4 AS 87/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 73; Urteil des erkennenden Senats vom 6. Juni 2016 - L 9 AS 352/15 -). Dass diese Obergrenze - wie das Sozialgericht meint - unbeachtlich sei, da die Antragsteller von dieser Grenze bisher keine Kenntnis gehabt hätten und deshalb ihre Suche daran nicht hätten ausrichten können, ist mit der genannten Rechtsprechung des BSG und des Senats nicht vereinbar. Ein derartiger Anspruch kann auch nicht aus § 22 SGB II hergeleitet werden. Die Vorschrift stellt nicht auf die Kenntnis bzw. Unkenntnis der Angemessenheitsgrenze ab. Es fehlt daher insoweit an einer Rechtsgrundlage, ohne die Leistungen nicht gewährt werden dürfen (vgl. § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Die Unkenntnis der Rechtsprechung kann daher keinen über die Angemessenheitsobergrenze hinausgehenden Leistungsanspruch begründen.
Ein Leistungsanspruch unter Berücksichtigung des Unterkunftsbedarfs in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Danach sind, soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, diese als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass die Antragsteller kurz vor Beginn des Leistungsbezuges eine Wohnung angemietet haben, deren Kosten unangemessen hoch sind. Auch dann setzt eine Begrenzung der Leistungserbringung auf die angemessenen Kosten nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II regelmäßig voraus, dass eine Aufforderung zur Kostensenkung vorliegt, die dem Hilfebedürftigen Klarheit über die aus der Sicht des Leistungsträgers angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft verschafft (BSG, Urteile vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 19/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 28 und vom 30. August 2010 - B 4 AS 10/10 R - BSGE 106, 283; a. M. zu der vergleichbaren Vorgängerregelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 Regelsatzverordnung BVerwG, Urteil vom 27. November 1986 - 5 C 2/85 - BVerwGE 75, 168, wonach die Vorschrift jedenfalls dann nicht anwendbar sei, wenn derjenige, der im Zeitpunkt des Wohnungswechsels Hilfe zum Lebensunterhalt nicht beziehe, eine Wohnung miete, hinsichtlich deren Miete er von vornherein wisse, dass er sie nicht aus eigenen Mitteln werde bestreiten können und er gerade ihretwegen hilfebedürftig werden würde, es sei denn, dass die Miete dieser über das Maß des Notwendigen hinausgehenden Unterkunft unter den besonderen Umständen unausweichlich gewesen sei).
Ein Anspruch auf Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe folgt schließlich auch nicht aus dem Vortrag der Antragsteller, die älteste Tochter sei nun 19 geworden und benötige ein eigenes großes Zimmer. Zum einen existiert kein genereller Grundsatz, wonach jedem Kind ein eigenes Zimmer zur Verfügung stehen muss (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Oktober 2007 - L 13 AS 168/07 ER -). Zum anderen verfügte die früher von den Antragstellern bewohnte Wohnung über 4 Zimmer, die im August 2015 angemietete Wohnung auch nur über 4,5 Zimmer.
Die Antragsteller sind auch von dem Antragsgegner ausreichend über ihre Obliegenheit zur Kostensenkung informiert worden. Die Antragsteller wurden mit Schreiben des Antragsgegners vom 19. November 2015 zur Senkung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausdrücklich aufgefordert. Dabei ging der Antragsgegner von angemessenen Kosten der Unterkunft (Grundmiete und kalte Betriebskosten) in Höhe von 661,52 Euro und Heizkosten in Höhe von 95,00 Euro, insgesamt 756,52 Euro, aus. Soweit die Antragsteller insoweit vorgetragen haben, die Kostensenkungsaufforderung sei ihnen nicht zugegangen, ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner die Antragsteller über die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung auch bereits mit Schreiben vom 2. November 2015, das dem Bescheid vom 2. November 2015 über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von Oktober 2015 bis März 2016 beigefügt war, informiert hat. Voraussetzung für eine Absenkung der Leistungen für Unterkunft und Heizung auf die angemessene Höhe der Aufwendungen bei erstmaliger Leistungsbewilligung ist lediglich, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige von seiner Obliegenheit, die Kosten auf ein angemessenes Niveau zu senken, zurechenbar Kenntnis hat (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 19/09 R - BSGE 105, 188). Davon ist vorliegend jedenfalls aufgrund des Schreibens des Antragsgegners vom 2. November 2015 auszugehen. Außerdem hat der Antragsgegner die Antragsteller bereits bei Antragstellung am 17. September 2015 auf die Unangemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft hingewiesen. Die Antragsteller haben daraufhin angegeben, den Differenzbetrag aus eigenen Mitteln aufzubringen. Damit hat der Antragsgegner die Antragsteller über die aus seiner Sicht bestehende Rechtslage hinreichend informiert. Das BSG hat mehrfach entschieden, dass § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II a. F. bzw. § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II n. F. keine über eine Aufklärungs- und Warnfunktion hinausgehenden Anforderungen stellt (BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231; BSG, Urteil vom 19. März 2008 - B 11b AS 41/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 7; BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263).
Die Antragsteller haben daher ein Anordnungsanspruch nur hinsichtlich des Regelbedarfs und angemessener Unterkunftskosten glaubhaft gemacht.
Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Soweit das Sozialgericht bei seiner Entscheidung vom 12. Mai 2016 die Eilbedürftigkeit für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2016 bejaht hat, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Senats für die Zeit vor Eingang des Eilantrages beim Sozialgericht sowie für zukünftige Zeiträume nach Ablauf des Folgemonats der Entscheidung des Sozialgerichts bzw. des Beschwerdegerichts die Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig zu verneinen ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 1. Dezember 2005 - L 9 SO 11/05 ER -, vom 28. Januar 2009 - L 9 SO 98/08 B ER -, vom 21. April 2009 - L 9 AS 65/09 B ER -, vom 11. November 2009 - L 9 AS 417/09 B ER - vom 10. August 2010 - L 9 AS 424/10 B ER , vom 21. Januar 2013 - L 9 AS 782/12 B ER -, vom 11. Februar 2014 L 9 AS 803/13 B ER -, vom 2. Juni 2015 - L 9 AS 253/15 B ER - m. w. N. und vom 8. Juli 2016 - L 9 AS 438/16 B ER -). Für Zeiträume vor Eingang des Eilantrages beim Sozialgericht kann nur ausnahmsweise ein Anordnungsgrund anzunehmen sein, wenn ein noch gegenwärtig bestehender schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt (vgl. Beschlüsse des Senats vom 16. Februar 2012 - L 9 AS 51/12 B ER -, vom 4. Juli 2013 - L 9 AS 442/13 ER - und vom 2. Juni 2015 s. o.; Bayer. LSG, Beschluss vom 2. Februar 2012 L 11 AS 1022/11 B ER - jeweils m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 18. März 2013 - L 9 AS 70/13 B ER - und vom 10. Juni 2013 - L 9 AS 362/13 B ER -, zuletzt vom 17. Februar 2015 - L 9 AS 1016/15 B ER -; Keller in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 42 m. w. N.) die Eilbedürftigkeit für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis zum 30. September 2016 zu bejahen.
Die Antragsteller haben auch hinsichtlich der begehrten Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. April 2015 s. o.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. Juli 2015 - L 13 AS 205/15 B ER ), insbesondere der Gefährdung des Erhalts der Wohnung als Lebensmittelpunkt, ist die Eilbedürftigkeit vorliegend zu bejahen. Die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes hinsichtlich der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung hat auch der Antragsgegner nicht in Zweifel gezogen. Es bedarf daher im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob ein Anordnungsgrund nur bei erfolgter Kündigung durch den Vermieter bzw. bei bereits erhobener Räumungsklage anzunehmen ist (bejahend: vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Dezember 2015 - L 2 AS 1622/15 B ER -; Beschluss vom 26. November 2015 - L 2 AS 1199/15 B ER -; Beschluss vom 26. Oktober 2015 - L 19 AS 1623/15 B ER -; verneinend: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. April 2015 - L 6 AS 296/15 B ER -; Beschluss vom 4. Mai 2015 - L 7 AS 139/15 B ER - m. w. N.; Beschluss vom 16. November 2015 - L 7 AS 1729/15 B ER -; Beschluss vom 14. Dezember 2015 L 6 AS 1258/15 B ER -; Beschluss vom 27. April 2016 - L 6 AS 407/16 B ER -).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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