L 12 AS 1420/16 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 37 AS 1998/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1420/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.07.2016 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 24.05.2016 bis 31.10.2016 vorläufig SGB II-Leistungen in Form der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung unter Anrechnung ihres Einkommens nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I bewilligt.

Gründe:

I.
Streitig ist die Verpflichtung des Antragsgegners, der Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu gewähren.

Die am 00.00.1958 geborene Antragstellerin ist lettische Staatsangehörige und lebt seit Dezember 2014 in der Bundesrepublik Deutschland. Seit dem 24.07.2015 lebt sie in einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem Lebensgefährten F D. Die Wohnung ist 51 m² groß bei einer Miete von 349,00 Euro inklusive Nebenkosten und Heizkosten in Höhe von 130,00 Euro monatlich. Zuletzt bezog sie vorläufige Leistungen nach dem SGB II bis zum 31.03.2016 (Beschluss Sozialgericht Düsseldorf vom 17.02.2016 im Verfahren S 37 AS 4829/15).

Ab dem 03.09.2014 bis 31.05.2015 ging die Antragstellerin einer Erwerbstätigkeit als Reinigungskraft bei der Firma T nach. Dieses Arbeitsverhältnis endete aufgrund ordentlicher Kündigung durch den Arbeitgeber. Die Firma E Gebäudemanagement GmbH in S stellte die Antragstellerin ab dem 19.08.2015 befristet bis zum 31.12.2015 als Reinigungskraft für das Objekt N in L ein. Vertraglich vereinbart waren mindestens 4 Stunden wöchentliche Arbeitszeit, bei Bedarf mehr. Ihr Nettoeinkommen betrug ca. 152,80 Euro im Monat bei einem Stundenlohn von 9,55 Euro. Ungeachtet der Befristung hat die Antragstellerin ihre Tätigkeit bis März 2016 weiterhin regelmäßig ausgeübt hat. Seit dem 21.03.2016 bis zum 29.06.2016 war die Antragstellerin arbeitsunfähig erkrankt. Im Hinblick auf dieses Arbeitsverhältnis hat die Antragstellerin ein Klageverfahren anhängig bezüglich einer Lohnforderung von etwa 500,00 Euro. Hierin werden für Februar bis April 2016 Lohnforderungen von ca. 172,00 Euro monatlich geltend gemacht.

Mit der Firma S GmbH aus S hat die Antragstellerin einen weiteren Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung geschlossen. Nach dem Inhalt des Vertrages wird sie ab dem 14.06.2016 befristet bis 31.12.2016 als Springerin/Servicekraft eingestellt. Die Arbeitszeit beträgt täglich 2 Stunden = wöchentliche Arbeitszeit 4 Stunden bei einer 2-Tagewoche und bei einem Stundenlohn von 9,80 Euro brutto. Nach den Vertragsbedingungen sind mit dem Lohn sämtliche Ansprüche des Arbeitnehmers (Lohnfortzahlung) abgegolten. Seit dem 30.06.2016 ist die Antragstellerin wieder arbeitsfähig und arbeitet als Putzfrau bei der Firma N, vermittelt über die Firma S GmbH in S. Die Lohnabrechnung für Juli 2016 weist einen Betrag in Höhe von 156,00 Euro aus.

Der Antragsgegner bewilligte dem Lebensgefährten der Antragstellerin mit Bescheid vom 26.04.2016 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.05.2016 bis zum 31.10.2016. Darin enthalten waren Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 239,50 Euro (hälftiger Anteil an den Gesamtkosten). Leistungen für die Antragstellerin berücksichtigte der Antragsgegner zur Berechnung des Anspruchs des F D lediglich fiktiv, eine Bewilligung von Leistungen für diese lehnte er ab.

Die Antragstellerin legte hiergegen Widerspruch ein. Nach ihrer Auffassung verfüge sie weiterhin über einen Arbeitnehmerstatus, so dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II für sie nicht greife.

Am 24.05.2016 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Düsseldorf einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie machte geltend, dass sie aufgrund der aktuell ausgeübten Tätigkeit über einen Arbeitnehmerstatus verfüge und daher der Leistungsausschluss für sie nicht greife. Sie übe eine geringfügige Tätigkeit als Putzfrau aus, die den Arbeitnehmerstatus begründen würde. Sie habe auch über den 31.12.2015 hinaus eine Putztätigkeit bei der Firma E Gebäudemanagement GmbH in S ausgeübt. Deshalb sei davon auszugehen, dass der zunächst befristete Arbeitsvertrag unbefristet fortgelte. Die letzte Lohnzahlung habe sie für Januar 2016 am 02.02.2016 erhalten. Mit den weitergehenden Lohnzahlungen bzw. Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall sei der Arbeitgeber in Verzug. Diesbezüglich habe sie ein Klageverfahren gegen den Arbeitgeber anhängig gemacht. Unabhängig davon habe sie einen neuen Arbeitsvertrag mit der Firma S GmbH in S geschlossen. Dieses Arbeitsverhältnis beginne ab 14.06.2016 und sei befristet bis zum 31.12.2016. Bei einem Stundenlohn von 9,80 Euro Brutto habe sie sich verpflichtet, 4 Stunden bei einer 2-Tagewoche zu arbeiten. Sie sei deshalb zwar in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis, verfüge aber über keine Einnahmen mehr. Unabhängig davon wären die Lohnansprüche bzw. Lohnfortzahlungsansprüche der Höhe nach nicht ansatzweise bedarfsdeckend. Sie verfüge auch über kein Vermögen, welches vorübergehend zur Deckung des Lebensunterhaltes eingesetzt werden könnte. Ein Anordnungsgrund bestehe auch hinsichtlich der geltend gemachten Unterkunftskosten. Es bestünden insoweit erneut Zahlungsrückstände gegenüber dem Vermieter in Höhe von derzeit 572,00 Euro, da aufgrund der fehlenden Mittel die Miete nicht vollständig gezahlt werden konnte. Es drohe alsbald die Kündigung des Mietverhältnisses, die - erst einmal ausgesprochen - auch nicht mehr durch Zahlung abgewendet werden könnte. Da ihr in der Vergangenheit (im April 2015) bereits wegen Zahlungsrückständen aufgrund Nichtzahlung durch den Vermieter gekündigt worden war, könne diese Kündigung durch Zahlung innerhalb der 2-Monatsfrist nicht mehr abgewendet werden. Ein entsprechendes Räumungsverfahren sei beim Amtsgericht L unter dem Zeichen 7 C 166/15 geführt worden.

Der Antragsgegner vertrat die Ansicht, dass die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht habe. Die Antragstellerin unterfalle dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II, denn sie habe diesbezüglich keinen verfestigten Arbeitnehmerstatus inne. Auch ein sonstiger Freizügigkeitsstatus sei nicht erkennbar. Deshalb sei bereits ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Ein Monatsgehalt in Höhe von etwa 156,80 Euro begründe keinen Anordnungsanspruch. Vielmehr dürfte der Schwellenwert bei zumindest 180,00 Euro liegen. Da dieser unstreitig nicht erreicht sei, mangele es am Anordnungsanspruch. Auch sei das neue Arbeitsverhältnis beginnend ab 14.06.2016 nicht geeignet, einen Arbeitnehmerstatus zu begründen, da in der Gesamtschau nicht von einem Arbeitsverhältnis ausgegangen werden könne, welches einen Arbeitnehmerstatus begründe. Festzustellen sei, dass sämtliche Lohnfortzahlungen gemäß vertraglicher Bestimmung ausgeschlossen seien.

Die Beigeladene war der Auffassung, dass die Antragstellerin weiterhin als Arbeitnehmerin im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes anzusehen sei. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Erkrankung im März 2016 bei der Firma E Gebäudemanagement GmbH in S beendet worden sei, sei nach Aktenlage bisher keine Feststellung durch die Arbeitsagentur darüber erfolgt, ob die Arbeitslosigkeit unfreiwillig entstanden sei. Solange diese Feststellung nicht getroffen worden sei, bleibe der Arbeitnehmerstatus erhalten. Selbst bei einer ggfs. zukünftig von der Agentur für Arbeit festgestellten derartigen Unfreiwilligkeit, bestünde zumindest ab diesem Zeitpunkt ein 6 Monate fortgeltender Arbeitnehmerstatus. Damit sei ein Aufenthaltsrecht nach Freizügigkeitsgesetz als Arbeitnehmerin begründet, der keinen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II vorsehe.

Das Sozialgericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 06.07.2016 verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 24.05.2016 bis zum 31.07.2016 vorläufige Leistungen nach dem SGB II einschließlich Kosten der Unterkunft zu gewähren. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund seien glaubhaft gemacht. Die Grundvoraussetzung für einen Leistungsanspruch gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II - insbesondere die Hilfebedürftigkeit dem Grunde nach - lägen auch nach Berücksichtigung des erzielten Einkommens der Bedarfsgemeinschaft nach summarischer Prüfung vor. Die Kammer könne es hierbei offen lassen, ob die Antragstellerin gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ausgeschlossen sei, weil sie als lettische Staatsangehörige eine Ausländerin sei, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Zwar sei das erzielte Nettoeinkommen von ca. 152,80 Euro im Monat nicht grundsätzlich ungeeignet, einen Arbeitnehmerstatus zu begründen. Unabhängig davon sei der Antragsgegner aber als Träger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (§§ 6, 44b Abs. 1 SGB II) nach § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) zur Erbringung von Leistungen verpflichtet (vgl. hierzu Beschlüsse des LSG NRW vom 16.12.2015, Az.: L 7 AS 1466/15 B ER und Beschluss vom 17.12.2015, Az.: L 7 AS 1711/15 B ER). Auch im Hinblick auf die Unterkunftskosten, sei dem Antrag stattzugeben gewesen. Ein Anordnungsgrund sei auch diesbezüglich glaubhaft gemacht worden. Vorliegend sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin dringend über die streitigen Leistungen verfügen müsse. Ausnahmsweise könne hier nicht auf die Zustellung einer Räumungsklage oder auch den Ausspruch der fristlosen Kündigung gewartet werden, da die Antragstellerin eine Räumungsklage bereits im April 2015 durch Zahlung abgewendet habe. Hierdurch sei ihr die Möglichkeit gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB verwehrt. Dieser besage, dass eine Abwendungsmöglichkeit nach Erhebung der Räumungsklage innerhalb von 2 Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Räumungsklage nicht bestehe, wenn der Kündigung vor nicht länger als 2 Jahren bereits eine nach diesem Vorgehen unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen sei. Dies gelte unabhängig davon, ob die vorangegangene Kündigung aufgrund Verschuldens des Antragsgegners erfolgt sei, oder nicht (vgl. insoweit BGH-Urteil vom 04.02.2016, Az.: XIII ZR 175/14).

Gegen den Beschluss haben der Antragsgegner am 18.07.2016 und die Antragstellerin am 08.08.2016 Beschwerde eingelegt.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Antragstellerin über keinen Aufenthaltsstatus als Arbeitnehmerin verfüge, da die von ihr ausgeübten Tätigkeiten von völlig untergeordneter Bedeutung seien. Auch eine Leistungsverpflichtung nach § 43 SGB I bestünde nicht. Ein negativer Kompetenzkonflikt sei aufgrund des gesetzlichen Leistungsausschlusses nicht gegeben.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den angefochtenen Beschluss, soweit mit diesem lediglich Leistungen bis zum 31.07.2016 zugesprochen worden seien. Nachdem der Lebensgefährte Leistungen bis zum 31.10.2016 erhalten habe, seien ihr diese zur Vermeidung weiterer einstweiliger Rechtsschutzverfahren ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt zu gewähren. Auf ihre Lohnklage gegen die E Gebäudemanagement GmbH sei ein Versäumnisurteil ergangen (Arbeitsgericht L Urteil vom 01.07.2016). Die Firma in S sei von der E Gebäudemanagement GmbH mit Sitz in Essen übernommen worden. Da das Arbeitsverhältnis fortbestehe, sei nun diese Arbeitgeberin der Antragstellerin.

Die Beigeladene ist der Auffassung, dass die Antragstellerin mit einem monatlichen Einkommen von 160 Euro als Arbeitnehmerin einzustufen sei. Hinsichtlich der E Gebäudemanagement GmbH sei darauf hinzuweisen, dass diese lediglich im Februar 2016 ihren Sitz von S nach Essen verlegt habe. Im Übrigen würde sie den Ausführungen der Antragstellerin zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zustimmen. Aus ihrer Sicht ergebe sich daher im Rahmen einer Folgenabwägung ein Anspruch für die Antragstellerin nach dem SGB II.

Den Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollstreckung hat der Senat mit Beschluss vom 29.08.2016 abgelehnt (L 12 SF 330/16 ER).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet, die des Antragsgegners unbegründet.

Das Sozialgericht hat den Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufige Leistungen nach dem SGB II einschließlich der Kosten der Unterkunft zu gewähren. Die Beschwerde der Antragstellerin war allerdings insoweit erfolgreich, als entsprechend ihrem Beschwerdebegehren bei gleichbleibenden Verhältnissen der Bewilligungszeitraum auf den 31.10.2016 zu erweitern war.

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung: BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R und Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, jeweils juris).

Die mit einer einstweiligen Anordnung auf die Durchführung einer Maßnahme in der Regel zugleich verbundene Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache erfordert darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes, da der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Vorverlagerung der Entscheidung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen soll. Erforderlich ist mithin das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Eine solche besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist nur zu bejahen, wenn dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG Beschluss vom 16.05.1995, 1 BvR 1087/91).

Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für Anfechtungs- und (wie hier) für Vornahmesachen dürfen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (vgl. BVerfG Beschlüsse vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, SGb 2015, 175, m.w.N. und vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, BVerfGK 20, 196). Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 16c), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt. Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (BVerfG Beschluss vom 13.04.2010, 1 BvR 216/07, BVerfGE 126, 1 (27 f.), m.w.N.; vgl. zur Prüfungsdichte bei rechtlichen Fragen: BVerfG Beschluss vom 27.05.1998, 2 BvR 378/98, NVwZ-RR 1999, 217). Dabei ist eine weitergehende tatsächliche und rechtliche Prüfung des im Hauptsacheverfahrens geltend gemachten Anspruchs von Verfassungs wegen dann erforderlich, wenn dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Grundrechte droht, die durch eine nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, a.a.O.). Ist einem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund hinsichtlich der Gewährung von Regelleistungen nach dem SGB II unter Anrechnung des Erwerbseinkommens für die Zeit vom 24.05.2016 bis 31.10.2016 hinreichend glaubhaft gemacht. Gleiches gilt in der hier bestehenden Sachverhaltskonstellation auch für die Kosten der Unterkunft und Heizung.

Die Antragstellerin erfüllt die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Insbesondere ist das Vorliegen der Hilfebedürftigkeit dem Grunde nach auch unter Berücksichtigung des erzielten Einkommens aus den im Sachverhalt erwähnten Tätigkeiten in dem maßgebenden Zeitraum zwischen den Beteiligten unstreitig. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren anzustellenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage steht einem Leistungsanspruch der Antragstellerin auch nicht § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II entgegen. Denn im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung spricht nach Auffassung des Senats mehr dafür als dagegen, dass die Antragstellerin freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 22. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2557) geändert worden ist, (FreizügG/EU)) ist.

Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II werden Ausländerinnen und Ausländer einschließlich ihre Familienangehörigen aus dem Kreis der Leistungsberechtigten ausgenommen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung erfordert eine fiktive Prüfung des Grundes bzw. der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum bestehende Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, welches die Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern in nationales Recht umsetzt, oder eines Aufenthaltsrechts nach den gemäß § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügigG/EU im Wege eines Günstigkeitsvergleichs anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein anderes materiell bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche (vgl. z.B. BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 43/15 R, und vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R).

Die Antragstellerin fällt in den Anwendungsbereich des FreizügG/EU, denn sie ist lettische Staatsangehörige und damit Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union. Sie ist ferner nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU als Arbeitnehmerin unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt. Denn nach summarischer Prüfung der bestehenden Verhältnisse anhand der Aktenlage ist überwiegend wahrscheinlich, dass die von der Antragstellerin ausgeübten geringfügigen Tätigkeiten im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse ausgeübt wurden bzw. werden. Aus diesen Arbeitsverhältnissen hat die Antragstellerin nach den von ihr vorgelegten Lohnabrechnungen monatliche Einkünfte bezogen auf die Zeit von Januar bis Juli 2016 von zwischen 172 und 156 Euro erzielt. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners sind diese nach der Rechtsprechung des Senats auch nicht als solche von völlig untergeordneter und unwesentlicher Natur einzuordnen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 07.10.2016, L 12 AS 965/16 B ER). Die monatlichen Verdienste der Antragstellerin lagen durchgehend oberhalb der Freibetragsgrenze des § 11b Abs. 2 SGB II i.H.v. 100 Euro. Allein dieses Indiz wäre grundsätzlich geeignet, der Antragstellerin nicht bereits im Vorhinein den Arbeitnehmerstatus im Sinne des FreizügG/EU abzusprechen. Der EuGH (Urteile vom 04.06.2009, C-22/08 und C-23/08 Vatsouras/Koupatantze und vom 04.02.2010, C-14/09 Genc; juris) betont in ständiger Rechtsprechung, dass als Arbeitnehmer jeder anzusehen ist, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei nur Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Den EuGH-Entscheidungen lässt sich insoweit keine bestimmte Grenze für das Einkommen oder die Arbeitszeit entnehmen, unterhalb derer die Arbeitnehmereigenschaft verneint werden müsste. Der EuGH hat vielmehr stets deutlich gemacht, dass eine vorzunehmende Würdigung der Gesamtumstände letztlich den Gerichten der Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt (vgl. EuGH Urteil vom 04.02.2010, C-14/09 Genc; in der Rechtssache Genc waren 5,5 Wochenstunden und eine Monatsvergütung von 175 EUR ausreichend). Danach kann zwar der Umstand, dass im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden geleistet werden, ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind, doch lässt es sich unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit nicht ausschließen, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses als tatsächlich und echt angesehen werden kann und es somit ermöglicht, dem Beschäftigten die Arbeitnehmereigenschaft zuzuerkennen (vgl. EuGH Urteil vom 04.02.2010, C-14/09 Genc).

Die gegen den mit der Firma S GmbH geschlossenen Arbeitsvertrag inhaltlich von dem Antragsgegner vorgebrachten Bedenken greifen ebenfalls nicht durch. Das wesentliche Argument, nach dem die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ausgeschlossen sei, ist rechtlich nicht von Bedeutung. Die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes sind nach § 12 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) grundsätzlich nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abdingbar. Die Rechtswidrigkeit einer vertraglichen Regelung im Arbeitsvertrag führt zudem nicht dazu, dass das Arbeitsverhältnis im Ganzen in Frage zu stellen wäre. Der Arbeitsvertrag sieht insoweit vor, dass einzelne unwirksame Bestimmungen die Wirksamkeit der übrigen nicht berührt.

Nach summarischer Prüfung führt demnach eine Gesamtbewertung der Sach- und Rechtslage dazu, dass vorliegend nicht von einer unwesentlichen Tätigkeit mit völlig untergeordneter Bedeutung ausgegangen werden kann (vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 23.12.2015, L 12 AS 2000/15 B ER, vom 04.07.2016, L 12 AS 391/16 B ER, und vom 07.10.2016, L 12 AS 965/16 B ER; vgl. auch LSG NRW Beschluss vom 15.12.2015, L 6 AS 2016/15 B ER: 150 Euro ausreichend, da mehr als 25% des Regelsatzes, und LSG NRW Beschluss vom 07.04.2016, L 7 AS 288/16 B ER: im Ergebnis offen gelassen; a.A. LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 17.02.2015, L 31 AS 3100/14 B ER, juris Rn. 11ff., mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes). Insofern steht der Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU mit der Folge zu, dass ihr der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht entgegengehalten werden kann.

Neben dem Anordnungsanspruch ist hinsichtlich der begehrten Regelsatzleistungen auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, soweit die Antragstellerin nicht auf das bestehende Einkommen zurückgreifen kann. Die Antragstellerin hat insofern nachvollziehbar dargelegt, dass ihr aufgrund ihrer wirtschaftlichen Notlage das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar ist.

Auch hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung ist vorliegend - wie das Sozialgericht zutreffend ausführt - ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zwar ergibt sich für die Kosten der Unterkunft und Heizung ein Anordnungsgrund regelmäßig weder aus der Vermeidung von Mietschulden/Mehrkosten noch aus dem Risiko einer im Zeitablauf schwieriger werdenden Abwendung eines Wohnungsverlustes, sondern erst aus der konkret und zeitnah drohenden Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit. Ein Anordnungsgrund ist damit im Regelfall erst bei Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben (vgl. insofern ausführlich Senatsbeschluss vom 17.02.2015, L 12 AS 47/15 B ER, aber z.B. auch LSG NRW Beschlüsse vom 06.07.2015, L 19 AS 931/15 B ER und vom 22.06.2016, L 19 AS 721/16 B ER). Nach Vortrag der Antragstellerin sind Mietschulden aufgelaufen und es droht alsbald die Kündigung des Mietverhältnisses. Weder Kündigung noch Räumungsklage liegen bislang vor. Die Antragstellerin kann hier aber nicht zumutbar darauf verwiesen werden, dies abzuwarten. Grundsätzlich kann eine Kündigung zwar nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) noch innerhalb von zwei Monaten seit Rechtshängigkeit der Räumungsklage abgewendet werden, wenn der Vermieter innerhalb dieser Frist die rückständige Miete erhält. Das ist nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB aber dann nicht mehr möglich, wenn der Kündigung vor nicht länger als zwei Jahren bereits eine nach Satz 1 unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen ist. Insofern ist hier zu berücksichtigen, dass bereits in der Vergangenheit, im April 2015, eine Kündigung nebst Räumungsklage seitens des Vermieters erfolgt ist. Die Kündigung ist sodann durch die Zahlung der Miete innerhalb der Zweimonatsfrist abgewendet worden. Nachdem angesichts der Mietrückstände eine erneute Kündigung innerhalb der Zweijahresfrist droht, ist hier eine Eilbedürftigkeit auch hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfolgt nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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