L 7 AS 2148/16 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 3766/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 2148/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.10.2016 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistungszahlung an den Antragsteller zu 4) im Wege der einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller zu 1) bis 3) im Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Den Antragstellern zu 1) bis 3) wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, E, beigeordnet. Hinsichtlich des Antragstellers zu 4) wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gründe:

Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat verweist, hat das Sozialgericht den Antragsgegner zur Zahlung von Leistungen an die Antragsteller zu 1) bis 3) verpflichtet.

Das Vorbringen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren führt nicht zu einer abweichenden Entscheidung:

Soweit der Antragsgegner sich auf den Beschluss des LSG Rheinland-Pfalz vom 11.08.2016 - L 3 AS 376/16 B ER beruft, folgt der Senat dieser Entscheidung, die nicht der Rechtsprechung des BSG entspricht, nicht. Das BSG (Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R) hat vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die einmal erworbenen Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte der Kinder und der (sorgeberechtigten bzw die tatsächliche Sorge ausübenden) Elternteile unabhängig von den in der RL 2004/38/EG festgelegten Voraussetzungen ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes (§ 4 FreizügG/EU) fortbestehen und autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln, anzuwenden sind. Der Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat oder sein Tod führen weder für seine Kinder noch für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, bis zum Abschluss der Ausbildung zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn sich die Kinder - wie hier - im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und in einer Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken eingeschrieben sind. Aufgrund der autonomen Konzeption dieses Aufenthaltsrechts geht die Argumentation des Antragsgegners, bei dem Aufenthaltsrecht der Antragsteller handele es sich lediglich um ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht, das einem Leistungsanspruch entgegenstehe, fehl.

Nicht zu vereinbaren wäre dieser Ansatz auch mit der Entscheidung des BSG vom 30.01.2013 - B 4 AS 43/15 R, wonach bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche die von der Rechtsprechung des BSG geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hindert. Eine Differenzierung nach "originären" und "abgeleiteten" Aufenthaltsrechten hat das BSG nicht vorgenommen. Soweit der Antragsgegner ausführt, die vom Sozialgericht angewandte Regelung des § 3 Abs. 4 FreizügG/EU beruhe nicht auf Art. 10 der VO (EU) 492/11, sondern auf Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG, ist dies für das Ergebnis nicht von Bedeutung. Auch Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG statuiert ein anderweitiges Aufenthaltsrecht, das dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegensteht.

Nicht relevant ist, dass der EuGH im Urteil vom 15.09.2015 (C 67/14 - Alimanovic) abweichend von dem Schlussantrag des Generalanwalts auf das hier in Rede stehende Aufenthaltsrecht nach Art. 10 der VO(EU) 492/11 nicht näher eingegangen ist. Der EuGH hat die abstrakte Vorlagefrage beantwortet, ob Unionsbürgerinnen und - bürger, deren Aufenthaltsrecht sich allein auf den Zweck der Arbeitsuche stützt, nach Europarecht einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen bzw Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II haben. Aussagen zu dem konkreten Fall hat der EuGH darüber hinaus nicht getroffen (vgl auch BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R Rn. 29 ff).

Ohne Belang ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners (Schriftsatz vom 20.12.2016) schließlich der Entwurf eines "Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" (BT-Drucks 18/10211). Dieses Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten und soll entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht nur eine "Klarstellung" schon bisher geltenden Rechts, sondern eine beabsichtigte gesetzliche Neukonzeption des Leistungsanspruchs von Unionsbürgerinnen- und bürgern enthalten. Die erheblichen europarechtlichen Bedenken gegen einen Leistungsausschluss auch in der vorliegenden Fallkonstellation (vgl zB Dersken, info also 2016, 257 f) sind daher für die Entscheidung des Senats derzeit (noch) irrelevant.

Ungeachtet dessen wird bereits im Beschluss vom 21.11.2016 zu dem Vollstreckungsschutzantrag nach § 199 Abs. 2 SGG (L 7 SF 457/16 ER) ausgeführt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der Antragsgegner auch dann gem. § 43 SGB I weiterhin vorläufig leistungspflichtig wäre, wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorliegen würden. § 43 SGB I greift vorliegend zu Lasten des Antragsgegners, denn der maßgebliche Leistungsantrag datiert vom 15.01.2016, während der der Antrag auf SGB XII-Leistungen erstmals am 02.03.2016 gestellt wurde (zum Fortbestehen der Antragswirkung bis zu einer bestandskräftigen Ablehnung vgl nur Link, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. § 37 Rn. 37).

Der Senat lässt offen, ob die Erweiterung des Antrags auf den Antragsteller zu 4) in entsprechender Anwendung von § 99 SGG zulässig ist. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet, da die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers zu 4) nicht glaubhaft gemacht ist. Weder ist ersichtlich, ob ein Unterhaltsanspruch oder Ansprüche nach dem UVG bestehen und geltend gemacht worden sind, noch ob Kinder- bzw Elterngeld gezahlt wird und warum ggfs insoweit Vorschusszahlungen nicht möglich sein sollen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Den Antragstellern zu 1) bis 3) steht für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu (§§ 73a Abs. 1 Satz 1, 114, 119 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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