S 25 KR 236/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 25 KR 236/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Der Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung gem. § 27a SGB V umfasst nur von der deutschen Rechtsordnung erlaubte Maßnahmen, auch wenn die Leistungserbringung im EU-Ausland erfolgt.

2. Maßnahmen der künstlichen Befruchtung, die gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen, dürfen von der Krankenkasse nicht gewährt oder bezahlt werden.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in Tschechien zu übernehmen bzw. zu erstatten hat.

Der 1975 geborene Kläger ist ebenso wie seine Ehefrau, Frau K., seit dem 2013 bei der Beklagten krankenversichert.

Auf die entsprechende Nachfrage des Klägers teilte die Beklagte mit Schreiben vom 06.09.2013 mit, dass Maßnahmen der künstlichen Befruchtung auch bei qualifizierten Leistungsanbietern im EU-Ausland in Anspruch genommen werden können. Voraussetzung sei, dass die in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften (z. B. das Embryonenschutzgesetz bzw. hinsichtlich der Indikationsstellung für die einzelnen Verfahren die "Richtlinien zur künstlichen Befruchtung" des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie das demnächst in Kraft tretende Präimplantationsgesetz) auch im EU-Ausland beachtet würden. Über die Einhaltung der genannten Rechtsvorschriften benötige sie eine schriftliche Bestätigung des ausländischen Leistungserbringers. Vor Durchführung der Behandlung seien die Bestätigung sowie der entsprechende Behandlungsplan vorzulegen.

Mit Eingang am 14.11.2013 übersandte der Kläger der Beklagten den von der tschechischen Klinik P. ausgefüllten Behandlungsplan sowie Rechnungen für bereits erbrachte Leistungen. Auf die übersandten Unterlagen wird Bezug genommen. Mit E-Mail vom 20.11.2013 teilte der Kläger der Beklagten auf entsprechende Nachfrage mit, dass die Klinik P. die Einhaltung der Richtlinien in Deutschland nicht bestätige. Gleichzeitig fragte er an, ob es nicht möglich sei, wenigstens einen Teil der Kosten zu erstatten, z. B. die Kosten für Medikamente und Rezepte.

Mit Bescheid vom 27.11.2013 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung für die künstliche Befruchtung in Tschechien ab. Da die Klinik in Tschechien nicht bereit sei, die Einhaltung der in Deutschland für die künstliche Befruchtung geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere des Embryonenschutzgesetzes zu bestätigen. Mit dem unter dem 07.12.2013 eingelegten Widerspruch erklärte der Kläger, dass er sich und seine Frau bezüglich des Leistungsspektrums einer künstlichen Befruchtung oft und sehr ausführlich von Mitarbeitern der Beklagten habe beraten lassen. Ihnen sei mehrmals telefonisch zugesichert worden, dass eine Kostenübernahme kein Problem sei, solange alle EU-Richtlinien eingehalten würden. Damit seien sie als Versicherungsnehmer davon ausgegangen, dass diese Richtlinien in einem EU-Mitgliedsstaat auch erfüllt würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da Voraussetzung für eine Kostenerstattung sei, dass die in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften auch im EU-Ausland beachtet würden.

Mit der am 16.04.2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er verweist auf die Richtlinie EU 24/2011 des Europäischen Parlamentes und Rates vom 09.03.2011, wonach die Zustimmung der Krankenkassen zur Behandlung im europäischen Ausland nur noch in bestimmten Fällen eingeholt werden müsse. Die künstliche Befruchtung sei nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst und unter Beachtung des Europarechts durchgeführt worden. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das ein Sachleistungsanspruch für Leistungen im EU-Ausland nicht weiter sein könne, als im Inland, folge nicht zwingend, dass bei einer Behandlung im Ausland die in Deutschland für die künstliche Befruchtung maßgeblichen Rechtsvorschriften gelten sollen. Er legt Rechnungen über die Kosten, die ihm und seiner Ehefrau anlässlich der beiden Versuche der künstlichen Befruchtung entstanden sind, vor.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2014 zu verurteilen, die Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in Tschechien zu übernehmen, 2. die Beklagte zu verurteilen, die ihm entstandenen Kosten für den ersten Versuch der künstlichen Befruchtung in Höhe von 3.695,85 EUR zu erstatten, 3. die Beklagte zu verurteilen, die ihm für den zweiten Versuch der künstlichen Befruchtung in Höhe von 3.502,39 EUR entstanden Kosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält daran fest, dass Voraussetzung für die Erstattung ist, dass die in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften auch im EU-Ausland beachtet wurden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird gemäß § 105 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 136 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung der streitgegenständlichen Behandlung.

Da nach Angabe des Klägers der zweiten Versuch der künstlichen Befruchtung zum Erfolg geführt hat, hat sich der Antrag auf Kostenübernahme für weitere Versuche erledigt und es sind Erstattungsansprüche des Klägers zu prüfen.

Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) liegen nicht vor. Nach der vorgenannten Vorschrift sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer u. a. in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung, § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte, § 13 Abs. 4 Satz 3 SGB V. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger keinen Primärleistungsanspruch auf die entsprechende Naturalleistung in Deutschland hat. Zwar beinhalten die Leistungen der Krankenversicherung gem. § 27a Abs. 1 SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Umfasst sind jedoch nur von der deutschen Rechtsordnung erlaubte Maßnahmen (zur PID: BSG, Urteil vom 18.11.2014, Az. B 1 KR 19/13 R, juris, Rdnr. 11)

Vorliegend ist davon auszugehen, dass die in Tschechien durchgeführte Maßnahme nicht der deutschen Rechtsordnung entsprach. Dies folgt aus der Tatsache, dass die tschechische Klinik die Bestätigung, dass die in Deutschland maßgeblichen Rechtsvorschriften insbesondere die des Embryonenschutzgesetzes bzw. der "Richtlinien zur künstlichen Befruchtung" des Gemeinsamen Bundesausschusses verweigert hat. Auf gerichtliche Nachfrage vom 27.11.2014 hat auch die Klägerseite nicht vorgetragen, dass die entsprechenden Rechtsvorschriften eingehalten wurden. Das Embryonenschutzgesetz stellt die Anwendung von bestimmten Fortpflanzungstechniken, die im Einzelnen in § 1 Embryonenschutzgesetz aufgeführt sind, unter Strafe. Das Embryonenschutzgesetz erfasst nach dem sich auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte stützenden Regelungszweck unter Beachtung der Einheit der Rechtsordnung auch das Kostenträgerrecht und damit alle Stellen, die im Geltungsbereich des Embryonenschutzgesetzes in die Verschaffung von ärztlichen Leistungen eingebunden sind. Eine von der Rechtsordnung verbotene Behandlung kann nicht Teil des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung sein. Behandlungen, die rechtlich nicht zulässig sind, dürfen von der Krankenkasse nicht gewährt oder bezahlt werden (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014, Az. B 1 KR 19/13 R, juris, Rdnr. 11; BSG, Urteil vom 09.10.2001, Az. B 1 KR 33/00 R, juris, Rdnr. 12).

Auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht und die das primäre Gemeinschaftsrecht umsetzenden Regelungen des SGB V sehen für den Kläger keine weitergehenden Leistungsansprüche vor, die von der Erfüllung der Voraussetzungen des Embryonenschutzgesetzes und des § 27a SGB V entbinden. Wie das Bundessozialgericht herausgearbeitet hat, ist es allen Regelungen des sekundären Gemeinschaftsrechts und den das primäre Gemeinschaftsrecht umsetzenden Regelungen des SGB V gemein, dass sie die Übernahme von Kosten für Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft und Vaterschaft Versicherter im Ausland innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums auf dasjenige begrenzen, was von den in Betracht kommenden inländischen Leistungsträger nach den für ihn geltenden Regelungen der Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft und Vaterschaft verlangt werden könnte (vgl. im Einzelnen: BSG, Urteil vom 18.11.2014, Az. B 1 KR 19/13 R, juris, Rdnr. 24 ff). Aus der Rechtsprechung, nach der das Fehlen einer nach Artikel 20 EGV 883/2004 erforderlichen Genehmigung in besonderen Fällen einem Erstattungsanspruch nicht entgegensteht, folgt nichts anderes. Die Begrenzung der sekundärrechtlich begründeten Leistungsansprüche für nach dem SGB V Versicherte auf die im GKV-Leistungskatalog enthaltenen Leistungen wird dadurch nicht überspielt. Die Rechtsprechung besagt bloß, dass trotz der in Artikel 20 EGV 883/2004 allein geregelten Sachleistungsaushilfe Versicherten bei rechtswidriger Versagung Kostenerstattungsansprüche erwachsen können (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 26). Auch Artikel 7 Abs. 1 Patientenrichtlinie begrenzt den sekundärrechtlich begründeten Leistungsanspruch für nach dem SGB V Versicherte auf die im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung enthaltenen Leistungen (vgl. im Einzelnen BSG, a.a.O., Rdnr. 27). Auch die Regelung des § 13 Abs. 4 SGB V beschränkt die Ansprüche auf die Gegenstände des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Regelung eröffnet Kostenerstattungsansprüche ohne sachliche Leistungsausweitung im Umfang des deutschen Leistungsrechts der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dies ergibt sich schon aus der Formulierung "anstelle der Sach- oder Dienstleistung" in § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 29).

Der Anspruch auf Erstattung einer Behandlung, die nicht dem Embryonenschutzgesetz entspricht, ist daher ausgeschlossen, auch wenn diese im europäischen Ausland stattgefunden hat. Dies gilt auch für alle Maßnahmen, die mit der Behandlung im Zusammenhang stehen, wie die Kosten für Blutuntersuchungen und Arzneimittel.

Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V ist ebenfalls ausgeschlossen, da auch dieser Anspruch voraussetzt, dass es sich um eine Leistung handelt, die grundsätzlich von dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst ist.

Einen Anspruch auf Erstattung folgt auch nicht aus den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Unabhängig von dem Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs ist ein Beratungsverschulden der Beklagten nicht erkennbar. Die Beklagte hat den Kläger vor der Behandlung mit Schreiben vom 06.09.2013 darauf hingewiesen, dass Voraussetzung für die Kostenerstattung die Bestätigung der Klinik, dass die in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften eingehalten werden, sei. Ein Beratungsverschulden seitens der Beklagten kann das Gericht vor diesem Hintergrund nicht erkennen.

Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der streitgegenständlichen Leistung, da diese nicht Bestandteil des Leistungskataloges der Gesetzlichen Krankenversicherung war. Es kann offen bleiben, ob die Erstattung auch noch aus anderen Gründen (Beginn der Behandlung vor Antragstellung bzw. ohne Genehmigung) ausgeschlossen wäre und ob nicht ein Teil der Ansprüche durch die Ehefrau selber hätte geltend gemacht werden müssen (vgl. hierzu § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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