S 5 EG 2985/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 EG 2985/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Seit dem 1.1.2015 sind vierteljährlich gezahlte Provisionen bei der Bemessung des Elterngeldes nicht mehr zu berücksichtigen.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe eines Anspruchs auf Elterngeld.

Der Kläger ist seit dem xx.xx.2004 bei der C. AG als technischer Mitarbeiter angestellt. Neben einem monatlichen Bruttogehalt sollte er eine variable Vergütung in Höhe von 1.500 EUR brutto im Quartal bei 100 % Zielerreichung erhalten – eine sog. MbO-Prämie; die Zielvorgaben sollten jeweils vierteljährlich für den Verantwortungsbereich gemeinsam festgelegt werden (Änderungsvereinbarung vom 14.9.2005). Auf dieser Grundlage zahlte die C. AG dem Kläger im Jahr 2015 neben dem monatlichen Gehalt (3.211,22 EUR brutto) im Januar, April, Juli und November insgesamt vier MbO-Prämien in Höhe von jeweils 1.500 EUR.

Darüber hinaus übt der Kläger eine geringfügige Beschäftigung bei der Fa. M. aus; im Jahr 2015 betrug sein Arbeitsentgelt dort 400 EUR pro Monat (im Dezember 450 EUR).

Außerdem hat der Kläger einen Gewerbebetrieb. Laut Steuerbescheid machte der Betrieb indes im Jahr 2015 Verlust.

Am xx.xx.2016 brachte die Ehefrau des Klägers eine gemeinsame Tochter zur Welt.

Auf Antrag des Klägers vom 7.7.2016 bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 24.7.2016 vorläufig Elterngeld für den 7. und 12. Lebensmonat seiner Tochter in Höhe von jeweils 1.513,24 EUR. Der Berechnung des Elterngeldes legte die Beklagte das monatliche Bruttogehalt zugrunde, das die Fa. M. sowie die C. AG dem Kläger im Jahr 2015 gezahlt hatten (insgesamt 42.546,68 EUR). Die von der C. AG geleisteten MbO-Prämien berücksichtigte die Beklagte hingegen nicht.

Hiergegen legte der Kläger am 29.7.2016 Widerspruch ein. Er machte geltend, am 26.3.2014 habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Provisionen als laufender Arbeitslohn bei der Bemessung des Elterngeldes Berücksichtigung finden müssen, sofern sie neben dem monatlichen Gehalt mehrmals im Jahr nach festgelegten Berechnungsstichtagen regelmäßig gezahlt werden. Dies sei bei ihm der Fall gewesen. Angesichts dessen bitte er die Beklagte um eine neue Berechnung des Elterngeldes unter Berücksichtigung auch der MbO-Prämien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.8.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, maßgebend sei nur das laufende steuerpflichtige Brutto-Entgelt; sonstige Bezüge im Sinne des § 38a Abs. 1 S. 3 und § 39b EStG blieben hingegen bei der Bemessung des Elterngeldes außer Betracht. Die Abgrenzung zwischen laufendem Arbeitslohn und sonstigen Bezügen erfolge durch den Arbeitgeber auf Grundlage der Lohnsteuer-Richtlinien (dort R 39b.2). Abzustellen sei gemäß § 2c Abs. 2 BEEG auf die Angaben des Arbeitgebers in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen; deren Richtigkeit und Vollständigkeit werde vermutet. Im vorliegenden Fall habe die C. AG die streitigen MbO-Prämien steuerrechtlich als sonstige Bezüge behandelt. Sie könnten daher keine Berücksichtigung finden, unabhängig davon, ob sie feste Bestandteile des Arbeitsentgelts gewesen seien. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des BSG sei infolge der Änderung des BEEG zum 1.1.2015 nicht mehr einschlägig.

Mit der am 5.9.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Er trägt vor, das BSG habe am 26.3.2014 entschieden, dass Provisionen als laufender Arbeitslohn bei der Bemessung des Elterngeldes zu berücksichtigen sind, wenn sie neben dem monatlichen Grundgehalt für kürzere Zeiträume als ein Jahr regelmäßig nach bestimmten Berechnungsstichtagen gezahlt werden. Trotz der Änderung des § 2c BEEG zum 1.1.2015 habe diese Rechtsprechung weiter Gültigkeit. Gemessen hieran handele es sich bei den MbO-Prämien nicht um sonstige Bezüge, sondern um laufenden Arbeitslohn. Sie hätten "provisionsähnlichen" Charakter und würden regelmäßig gezahlt. Er habe auf die MbO-Prämien einen Rechtsanspruch; sie seien also keine bloß freiwillige Leistung der C. AG im Sinne einer Gratifikation.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24.7.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.8.2016 zu verpflichten, seinen Antrag auf Elterngeld erneut zu bescheiden und dabei auch die ihm im Jahr 2015 gezahlten MbO-Prämien in Höhe von insgesamt 6.000 EUR zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihren Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1) Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 24.7.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.8.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zutreffend hat die Beklagte bei der Berechnung des Elterngeldes die vier MbO-Prämien in Höhe von insgesamt 6.000 EUR nicht berücksichtigt.

Grundlage für die Berechnung des Elterngeldes ist das Einkommen aus Erwerbstätigkeit, das der Berechtigte im Bemessungszeitraum erzielt hat. Bei nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit ist auf den monatlich durchschnittlich zu berücksichtigenden Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags abzustellen, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben nach den §§ 2e und 2f BEEG (§ 2c Abs. 1 S. 1 BEEG). Nicht berücksichtigt werden hingegen Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind (§ 2c Abs. 1 S. 2 BEEG).

Bei den vier streitigen MbO-Prämien handelt es sich um (nicht zu berücksichtigende) sonstige Bezüge:

a) Allerdings lässt sich dieses Ergebnis nicht damit begründen, die C. AG habe die MbO-Prämien faktisch als sonstige Bezüge abgerechnet; denn die Lohnabrechnungen durch die Arbeitgeberin sind nicht bindend.

Zwar sind Grundlage der Ermittlung der Einnahmen die Angaben in den für die maßgeblichen Monate erstellten Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers; zudem wird die Richtigkeit und Vollständigkeit der dortigen Angaben vermutet (§ 2c Abs. 2 BEEG). Die Vermutung kann aber vom Berechtigten widerlegt werden. Seinen Einwendungen gegen die Richtigkeit der Lohn- und Gehaltsbescheinigungen muss die Behörde im Rahmen ihrer Pflicht zur Sachaufklärung nachgehen (Schnell in: Tillmanns/Mutschler, BEEG § 2c Rdnr. 17). Sie ist also gerade nicht an die Angaben des Arbeitgebers gebunden (BSGE 115, 198 Rdnr. 24 ff.; Ismer/Luft/Schachameyer, NZS 2013, 327, 330). Maßgeblich ist vielmehr ausschließlich die materielle Rechtslage. Speziell für die Abrechnung sonstiger Bezüge ergibt sich dies auch aus dem Wortlaut des Gesetzes; denn gemäß § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG kommt es darauf an, ob die Einnahmen als sonstige Bezüge zu behandeln "sind" – und nicht darauf, ob sie vom Arbeitgeber als solche behandelt wurden.

Im vorliegenden Fall hat zwar die C. AG die vier streitigen MbO-Prämien als sonstige Bezüge abgerechnet; dies ergibt sich aus dem Buchstaben "S", der in den Lohnbescheinigungen den Posten beigefügt ist. Wie ausgeführt, ist dies aber rechtlich unerheblich. Die Angabe entbindet Beklagte und Gericht nicht von einer eigenen Prüfung, ob es sich tatsächlich um sonstige Bezüge gehandelt hat.

b) Ob Einnahmen sonstige Bezüge darstellen, richtet sich gemäß § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG allein "nach den lohnsteuerlichen Vorgaben". Nach dem Willen des Gesetzgebers soll auf diese Weise verhindert werden, dass der Begriff des Einkommens im Elterngeldrecht und im Lohnsteuerrecht auseinanderfällt (BT-DrS 18/2583 Seite 25). Ist also eine Einnahme lohnsteuerlich als sonstiger Bezug zu werten, so gilt diese Wertung zwingend auch im Elterngeldrecht. Es kommt demnach nicht – mehr – darauf an, "ob die steuerrechtlich motivierte Differenzierung auch mit Blick auf den Zweck des Elterngeldes sachlich gerechtfertigt ist" (so noch BSG, a.a.O., Rdnr. 30 ff.). Denn diese Einschränkung würde im Ergebnis zu einem eigenständigen Begriff des Einkommens im Elterngeldrecht führen – entgegen dem Willen des Gesetzgebers. Die richterliche Auslegung einer Norm darf indes nicht das Ziel des Gesetzgebers in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder gar verfälschen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.10.2015, L 5 KR 745/14 KL, Rdnr. 46 – nach Juris).

Nicht zu folgen vermag die Kammer daher der Auffassung des LSG Baden-Württemberg, der vom BSG (a.a.O.) entwickelte Maßstab gelte weiterhin, also auch für die Zeit ab dem 1.1.2015 (Urteil vom 13.12.2016, L 11 EG 2516/16, Rdnr. 28 f. – nach Juris). Zur Begründung seiner Ansicht hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, nach der Regelungstechnik des Gesetzgebers hänge die Höhe des Elterngeldes letztlich davon ab, was in den Lohnsteuer-Richtlinien als "sonstige Bezüge" definiert wird. Diese dynamische Verweisung auf eine Verwaltungsvorschrift der Exekutive sei indes verfassungsrechtlich bedenklich. Denn aufgrund des Gesetzesvorbehalts müsse der Gesetzgeber die Höhe des Elterngeldes selbst regeln; er dürfe dies nicht der Exekutive überlassen, so das LSG. Dieser Argumentation kann sich die Kammer anschließen: Entgegen der Prämisse des LSG verweist der Gesetzgeber in § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG nicht auf die jeweiligen Lohnsteuer-Richtlinien, sondern auf die "lohnsteuerlichen Vorgaben" – also in erster Linie auf die Legaldefinition der "sonstigen Bezüge" in § 38a Abs. 1 S. 3 EStG. Bei der Auslegung dieser Norm können die Lohnsteuer-Richtlinien berücksichtigt werden, aber auch die steuerrechtliche Literatur und die Rechtsprechung der Finanzgerichte. Eine solche dynamische Verweisung ins Steuerrecht ist dem Sozialrecht keineswegs fremd (vgl. z.B. § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Für die Kammer erschließt sich nicht, warum diese Regelungstechnik im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes bedenklich sein soll. § 38a Abs. 1 S. 3 EStG genügt im Steuerrecht unstreitig als gesetzliche Grundlage für die Abgrenzung von sonstigen Bezügen zu laufendem Arbeitslohn. Verweist der Gesetzgeber im Sozialrecht auf diese gesetzliche Regelung, so ist der Gesetzesvorbehalt ebenfalls gewahrt. Folgte man der Auffassung des LSG Baden-Württemberg, fände im Übrigen die Regelung des § 2c Abs. 1 S. 2 BEEG mit ihrem Verweis gerade auf die "lohnsteuerlichen Vorgaben" praktisch keine Anwendung – dieses Ergebnis wäre nach Ansicht der Kammer dann in der Tat bedenklich.

c) Ein sonstiger Bezug ist nach der Legaldefinition des § 38a Abs. 1 S. 3 EStG Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird. Zum laufenden Arbeitslohn gehören diejenigen Zahlungen, die dem Arbeitnehmer auf der Grundlage seines Arbeitsvertrags regelmäßig und fortlaufend zufließen, z.B. Monatsgehalt oder Mehrarbeitsvergütung. Sonstige Bezüge hingegen erhält der Arbeitnehmer nicht fortlaufend, z.B. Weihnachtsgeld oder Tantiemen (Thürmer in: Blümich, EStG, 134. Aufl., § 38a Rdnr. 28 und 31; Eisgruber in: Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 38a Rdnr. 4 f.). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers zählen insbesondere Provisionen zu den sonstigen Bezügen, die bei der Berechnung des Elterngeldes außer Betracht zu bleiben haben (BT-DrS 18/2583 Seite 25). Auch die Lohnsteuer-Richtlinien geben Hinweise darauf, was zu den sonstigen Bezügen gehört (unter R 39b.2 Abs. 2). Zwar sind die Lohnsteuer-Richtlinien als bloße norminterpretierende Verwaltungsvorschriften für die Gerichte nicht bindend (BFH, Urteil vom 12.11.2009, VI R 20/07, Rdnr. 27 – nach Juris). Es spricht aber auch nichts dagegen, sie bei der Auslegung einer Steuervorschrift zu berücksichtigen; in der steuerrechtlichen Praxis geschieht dies in weitem Umfang. Nach R 39b.2 Abs. 2 S. 2 Nr. 10 der Lohnsteuer-Richtlinien 2015 gehören zu den sonstigen Bezügen "insbesondere einmalige Arbeitslohnzahlungen, die neben dem laufenden Arbeitslohn gezahlt werden, z.B ... Zahlungen innerhalb eines Kalenderjahres als viertel- oder halbjährliche Teilbeträge". Diese Interpretation lässt sich mit § 38a Abs. 1 S. 3 EStG ohne weiteres vereinbaren. Es ist nicht ersichtlich, dass Finanzgerichte oder steuerrechtliche Literatur an dieser Auslegung Anstoß nehmen.

Gemessen hieran handelt es sich bei den vier streitigen MbO-Prämien um sonstige Bezüge: Als Lohnzahlungszeitraum haben der Kläger und die C. AG den Kalendermonat vereinbart; denn nach Ziff. 1 des Arbeitsvertrags erhält der Kläger sein Grundgehalt zwölfmal pro Jahr. Demgegenüber hat die C. AG die MbO-Prämien nicht fortlaufend im selben Rhythmus gezahlt, sondern nur einmal pro Quartal. Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung waren die MbO-Prämien stets gleich hoch; es habe also keinen Zuschlag bei Übererfüllung der Zielvorgaben gegeben. Umgekehrt sei es auch nie vorgekommen, dass er in einem Quartal die MbO-Prämie nicht erhalten hat. Er habe daher die MbO-Prämien für seinen Lebensunterhalt fest eingeplant. Vor diesem Hintergrund lassen sich die MbO-Prämien als vierteljährliche Teilbeträge verstehen, die die Arbeitgeberin neben dem laufenden monatlichen Arbeitslohn auf das geschuldete Gehalt geleistet hat, also um sonstige Bezüge (so auch in einem ähnlichen Fall: SG München, Urteil vom 10.5.2016, S 37 EG 90/15, Rdnr. 20 – nach Juris).

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3) Die Berufung bedarf der Zulassung, wenn – wie hier – der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 S. 1 SGG). Im vorliegenden Fall war die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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