S 30 AS 1590/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
30
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 30 AS 1590/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kosten der Unterkunft und Heizung; Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten im Landkreis Wittenberg
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 verpflichtet, den Bescheid vom 19. September 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24. November 2012 und 4. April 2013 teilweise zurückzunehmen und den Klägern weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 in Höhe von 79,51 Euro und für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von 78,20 Euro monatlich zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten der Kläger zur Hälfte.
Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren im Wege des Zugunstenverfahrens die Gewährung höherer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - im Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. März.

Der am ...1961 geborene Kläger zu 1) sowie die am ...1961 geborene Klägerin zu 2) standen im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten. Sie bewohnen seit ...1995 gemeinsam eine 77,8 m² große Dreizimmer-Wohnung in dem zur Stadt Bad Schmiedeberg gehörendem Ortsteil M. im Landkreis Wittenberg. Die Wohnung wird mit Öl beheizt und befindet sich in einem 507,73 m² großen Wohnhaus. Die Warmwassererhitzung erfolgt zentral durch die Heizungsanlage. Die zu entrichtende Grundmiete einschließlich Nebenkosten betrug 484,50 Euro (Grundmiete: 418,00 Euro, Nebenkosten: 66,50 Euro). Heizkosten fielen in Höhe von 71,60 Euro an.

Der Beklagte teilte den Klägern in dem Bescheid vom 14. September 2011 mit, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach der Handlungsempfehlung des Beklagten unangemessen hoch seien. Er forderte diese auf, die derzeitigen Kosten der Unterkunft unverzüglich, spätestens jedoch bis 31. März 2012 auf ein angemessenes Maß zu senken. Für einen Zwei-Personen-Haushalt seien lediglich 309,00 Euro (Grundmiete und Nebenkosten) als angemessen anzusehen. Die Angemessenheit der Heizkosten ergebe sich aus dem im aktuellen bundesdeutschen Heizspiegel angegebenen Wert für einen Zwei-Personen-Haushalt mit einer angemessenen Wohnfläche von 60 m².

Der Kläger zu 1) übte eine Erwerbstätigkeit bei der Firma S. in ... aus, für die er monatlich im Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. Januar 2013 gleichbleibend ein Bruttoentgelt von 477,69 Euro (netto: 368,69 Euro), ab Februar 2013 bei weiter gleichbleibenden Bruttoentgelt von 477,69 Euro ein Nettoentgelt von 377,49 Euro erhielt. Die Klägerin zu 2) erhielt bis 2. Januar 2013 Krankengeld in Höhe von 12,94 Euro kalendertäglich. Mit Bescheid vom 6. Februar 2013 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin zu 2) ab 3. Januar 2013 Arbeitslosengeld in Höhe von 9,94 Euro täglich.

Am 10. September 2012 beantragten die Kläger die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab Oktober 2012 bei dem Beklagten. Mit Bescheid vom 19. September 2012 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 501,94 Euro monatlich für den Zeitraum von 1. Oktober 2012 bis 31. März 2013. Hierbei rechnete der Beklagte Krankengeld der Klägerin zu 2) in Höhe von 368,69 Euro sowie Einkommen des Klägers zu 1) in Höhe von 370,00 Euro netto an. Die berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung betrugen 380,60 Euro.

Mit Änderungsbescheid vom 24. November 2012 bewilligte der Beklagte den Klägern aufgrund der Erhöhung der Regelbedarfe Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von 517,94 Euro.

Die Kläger legten unter dem 29. November 2012 Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. September 2012 ein und baten für den Fall der verspäteten Erhebung des Widerspruchs um Überprüfung des Bescheides nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Zur Begründung des Widerspruchs führten die Kläger aus, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht vollständig berücksichtigt worden seien. Die in der Verwaltungsvorschrift des Landkreises Wittenberg zur Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites und Zwölftes Buch vom 15. März 2011 festgelegten Beträge seien zur Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht geeignet. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2013 wies der Beklagte den Widerspruch wegen Fristversäumnisses als unzulässig zurück und führte aus, dass das Vorbringen als Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X gewertet werde und hierüber ein gesonderter rechtsmittelfähiger Bescheid ergehe.

Der Beklagte erließ am 4. April 2013 einen Änderungsbescheid mit dem er den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Januar 2013 in Höhe von 593,31 Euro sowie für den Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von 600,45 Euro bewilligte.

Am 23. Mai 2013 erließ der Beklagte den streitgegenständlichen Überprüfungsbescheid, mit dem er die Rücknahme des Bescheides vom 19. September 2012 ablehnte, da keine Tatsachen vorgetragen worden seien, die bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt worden seien. Die Kläger legten mit Schreiben vom 30. Mai 2013 Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Mai 2013 ein, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2013 als unbegründet unter Berufung auf die Bindungswirkung des Bescheides zurückwies.

Hiergegen richtet sich die am 29. Juni 2013 vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhobene Klage, mit der zunächst die Gewährung eines verfassungsgemäßen Regelleistungssatzes sowie die Berücksichtigung eines Kaltmietbetrags von 442,20 Euro (Mietenstufe III) begehrt werden. Die Kosten der Unterkunft seien bis zur Grenze der Werte der Wohngeldtabelle und einem Sicherheitszuschlag von 10 % zu übernehmen. Die Absenkung der Kosten für die Grundmiete sei rechtswidrig. Die Verwaltungsvorschrift des Landkreises Wittenberg beruhe nicht auf einem schlüssigen Konzept, wie vom Bundessozialgericht in seiner ständigen Rechtsprechung gefordert werde. Die erhobenen Daten in dem "Endbericht für Mietwerterhebung zur Ermittlung der KdU-Kosten im Landkreis Wittenberg" seien nicht ausreichend. Ein schlüssiges Konzept liege der Verwaltungsvorschrift nicht zugrunde. Weder die Schlüssigkeit der Datenerhebung noch die Schlüssigkeit der konkreten Berechnungen seien überprüfbar. Offensichtlich seien sämtliche Erhebungsdaten gelöscht worden. Aber selbst bei der Möglichkeit zur nachträglichen Wiederherstellung der Daten sei das Konzept unschlüssig. Nicht schlüssig sei die Herausnahme der Ein- und Zweifamilienhäuser aus der Mietwerterhebung. Es handele sich bei den hier aufgeteilten drei Vergleichsräumen um überwiegend ländlich strukturierte Gebiete. Die Mehrzahl der Wohnungen befinde sich in Ein- und Zweifamilienhäusern. Der gesamte Wohnungsmarkt sei aber zu betrachten. Es seien Daten teilweise nicht bloß empirisch ermittelt, sondern von vornherein – sozusagen zielorientiert – bestimmte Mietwerte ausgesucht worden. Bei den "Wohnungsmarkttypen" könne auch nicht von homogenen Vergleichsräumen ausgegangen werden. Die verkehrstechnische Verbundenheit einzelner Siedlungsgebiete sei gar nicht berücksichtigt worden. Die Verbundenheit der neuen Einheitsgemeinde Zahna-Elster etwa mit Wittenberg und der Umstand, dass dort eine eher gehobene Wohngegend vorzufinden sei, die keinesfalls unter dem Niveau von Wittenberg selbst liege, komme in dem Konzept ohne schlüssigen Grund schon gar nicht vor. Die hinreichende Größe der Vergleichsräume sei auch nicht gegeben. Dies zeige sich u.a. daran, dass in weiten Teilen gar keine Werte haben ermittelt werden können. Es seien in den gebildeten drei Vergleichsräumen nicht jeweils mindestens 10 Prozent des Wohnungsbestandes in die Erhebung einbezogen worden. Auch die Bildung und Bewertung der Vergleichsräume sei im Ergebnis nicht schlüssig, da der Wohnungsmarkt Typ 3 hinsichtlich der Indikatoren mehr +-Zeichen als der Wohnungsmarkttyp 2 habe. Inwieweit aus der Wahlbeteiligung an einer einzigen Kommunalwahl im Jahr 2007 verlässliche Rückschlüsse auf die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung gezogen werden könnten, sei nicht schlüssig, zumal diese Wahl aufgrund der Kreisgebietsreform stattgefunden habe. Des Weiteren sei das Pro-Kopf-Einkommen, was in der Tat ein wesentlicher Indikator sei, aus 2004 gewählt worden. Gerade mit der Einführung des SGB II habe sich das Pro-Kopf-Einkommen im Landkreis bezogen auf die Vergleichsräume erheblich verschoben. Es sei ein starker Zuzug von SGB II-Leistungsbeziehern in Gebiete mit Neubaubebauung erfolgt, während sich ein starker Zuzug von Personen mit höherem Pro-Kopf-Einkommen in die Umlandgegenden sowie die Innenstadt von Wittenberg vollzogen habe. Die vom Beklagten im Verfahren übersandten Rohdaten würden nicht erkennen lassen, in welchen Gebieten der gebildeten Vergleichs- bzw. Wohnungsmarkträume und inwiefern die Daten etwa nur aus einem bestimmten Straßenzug oder durch Streuung der Befragung über das gesamte Ortsgebiet erhoben worden seien. Es sei auch nicht erkennbar, welche konkreten Vermieter oder Mieter aus den entsprechenden Befragungen geantwortet hätten und nach welchen Kriterien die Vermieter ausgewählt worden seien. Ob die übermittelten Daten überhaupt sachlich zutreffend seien, könne nicht überprüft werden. Es ist anhand der extrem niedrigen Werte zu besorgen, dass ausschließlich Preise aus unattraktiven, eher minderwertigen Wohngegenden erhoben worden seien. In die Auswertung seien 4.632 Mieten von 72.000 Wohnungen, also nicht einmal annähernd 10 % eingeflossen. Rechtswidrig sei die Unterteilung der Wohnungsmarkttypen allein entlang der politischen Verwaltungsgrenzen. Denn dadurch werde die Verwaltungsneugliederung, die eine Mischung von ländlichen und städtisch geprägten Wohngegenden im Rahmen der Einheitsgemeindebildung vorgenommen habe, bruchlos auf die Wohnungsmarktsituation übertragen. Das Konzept sei nicht schlüssig und könne nicht Grundlage sein. Daher seien mindestens die Kosten nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) zzgl. 10 % Sicherheitszuschlag zu Grunde zu legen. Im Übrigen würde § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II keine Anhaltspunkte erkennen lassen, dass der Begriff der Angemessenheit immer nur das untere Preissegment eines lokal begrenzten Wohnungsmarktes umfasse. Die bundesrechtlich einheitliche Norm sei schon so unbestimmt, dass im Einzelfall grundsätzlich immer die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung anerkannt werden müssten. Etwas Anderes dürfte nur dann gelten, soweit die jeweiligen Unterkunftsverhältnisse in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen der Leistungsberechtigten stehen würden. Nur offensichtliche Luxusunterkünfte müssten nicht finanziert werden. Weiterhin seien die Regelleistungen verfassungswidrig zu gering bemessen.

Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung vom 23. August 2016 die Klage im Hinblick auf die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung Lebensunterhalts aufgrund der Verfassungswidrigkeit des Regelbedarfs zurückgenommen und nur noch die Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft in Höhe von 387,20 Euro (Mietenstufe I nach § 12 WoGG zuzüglich Sicherheitszuschlag von 10%) begehrt.

Die Kläger beantragen zuletzt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 zu verpflichten, den Bescheid vom 19. September 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24. November 2012 und 4. April 2013 teilweise zurückzunehmen und den Klägern weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 in Höhe von 79,51 Euro und vom 1. Januar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von 78,20 Euro monatlich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich zunächst auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass er hinsichtlich der Regelbedarfe an die gesetzlichen Regelungen gebunden sei. Die vom Beklagten gewählte Angemessenheitsgrenze sei nicht zu beanstanden. Sie entspreche den Vorgaben des Bundessozialgerichts. Bezüglich der Größe der angemessenen Wohnfläche sei auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau zurückgegriffen worden. Die beauftragte Firma Analyse und Konzepte (in Folgenden Firma A.) habe in dem von ihr erstellten Konzept das gesamte Kreisgebiet des Landkreises Wittenberg als Vergleichsraum definiert und diesen weiter ausdifferenziert und innerhalb des Vergleichsraums in verschiedene Wohnungsmarkttypen aufgegliedert, um Segregation bzw. Gettoisierung zu vermeiden. Die Wohnungsmarkttypen würden Gebiete gleicher oder ähnlicher Wohnungsmarkt- und Mietpreisstruktur zusammenfassen und seien mit dem wissenschaftlich gebräuchlichen Verfahren der Clusterbildung durchgeführt worden. Die Wohnungsmarkttypen würden die Vergleichsräume differenzieren. Ein Wohnungsmarkttyp könne – müsse jedoch nicht – einen Vergleichsraum bilden. Er stelle eine Differenzierung der Angebotsstruktur innerhalb eines Vergleichsraumes dar. Die Datenerhebung habe sich auf den gesamten Vergleichsraum im Sinne des gesamten Landkreises Wittenberg bezogen. Es habe eine Definition des Gegenstandes der Beobachtung stattgefunden. Bei den Mietwerterhebungen seien nur diejenigen Wohnungen berücksichtigt worden, die zumindest über die Merkmale Bad und Sammelheizung verfügten. Wohnung die diesem Standard nicht genügten, seien unberücksichtigt geblieben. Weiterhin sei hinsichtlich der Brutto- und Nettomieten sowie nach Wohnungsgrößen differenziert worden. Der Beobachtungszeitraum habe von Mai bis November 2010 stattgefunden. In der zweistufigen Erhebung seien die größeren Vermieter und Verwalter identifiziert, angeschrieben und um Auskunft gebeten worden. In der zweiten Stufe seien kleinere Vermieter in der Erhebung berücksichtigt worden. Darüber hinaus seien nach dem Zufallsprinzip und dem Stichprobenprinzip Mieter angeschrieben worden. Unter Verweis auf den Endbericht habe die Firma Analyse und Konzepte 10.914 Datensätze erhoben, wovon 4.632 tabellenrelevante Mietwerte in die Berechnung eingeflossen und damit repräsentativ seien. Zudem seien in die Mietwerterhebung nur die Daten aufgenommen worden, die in den letzten vier Jahren vor dem Stichtag der Datenerhebung geändert oder neu vereinbart worden seien, um nur aktuell zu zahlende Mieten zugrunde zu legen. Die Datenauswertung entspreche anerkannten mathematischen und statistischen Grundsätzen. Die daraus gezogenen Schlüsse seien nachvollziehbar, verständlich und begründet.

Der Beklagte hat der Kammer folgende Unterlagen übersandt:

- Verwaltungsvorschriften des Landkreises Wittenberg zur Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites und Zwölftes Buch (II und XII) – Stand 18.02.2014, 3. Juni 2013, 9. Oktober 2012 und 15. März 2011,

- Endbericht Mietwerterhebungen zur Ermittlung der KdU-Kosten im Landkreis Wittenberg & Konzepte,

- Endbericht KdU-Richtwerte 2013 - Indexfortschreibung des schlüssigen Konzepts 2010 vom 14.11.2013 der Firma Analyse & Konzepte,

- Stellungnahmen der Firma Analyse & Konzepte vom 26. Juni 2015, 18. März 2015, 13. Februar 2015, 22. Dezember 2014 und 4. Juni 2013,

- E-Mail-Mitteilung des Trägers/Stellungnahme der Firma A. vom 13. Oktober 2015,

- E-Mail-Mitteilung des Trägers/Stellungnahme der Firma A. vom 15. Oktober 2015,

- Ausgangsdaten der Mietwerterhebung der Firma A. Teil I-III (3 Ordner Blätter 1 -775)

Die Kammer hat diese Unterlagen zur Generalakte der 30. Kammer "Landkreis WB, Richtlinie KdU, Rohdaten" genommen und in das Verfahren einbezogen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Generalakte der 30. Kammer "Landkreis WB, Richtlinie KdU, Rohdaten" haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Beiakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage hat in der Sache Erfolg.

1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vergleiche für das Zugunstenverfahren: Bundessozialgericht vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R - zitiert nach juris, Rn. 11; vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 17/13 R - zitiert nach juris, Rn. 12; vom 28. Februar 2013 – B 8 SO 4/12 R - zitiert nach juris, Rn. 9; Waschull in LPK-SGB X, 3. Auflage 2011, § 44 Rn. 59; a. A. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage 2011, Kap IV Rn. 76) zulässig. Die Kläger begehren mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des – die Überprüfung des Bescheides vom 19. September 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24. November 2012 und 4. April 2013 ablehnenden – Verwaltungsaktes vom 23. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheides durch den Beklagten gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung des Bescheides vom 19. September 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24. November 2012 und 4. April 2013 bewirkt. Mit der Leistungsklage beantragen sie die Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes insbesondere unter Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grenze des WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % im streitigen Zeitraum.

2. Die Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 7. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2013 ist rechtwidrig und beschwert die Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme des Bescheides vom 19. September 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24. November 2012 und 4. April 2013 und die nachträgliche Gewährung weiterer Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. März 2013 liegen vor.

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Das Recht ist bei Erlass des oben genannten Bescheides unrichtig angewandt worden. Den Klägern standen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 in Höhe von 79,51 Euro monatlich sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von 78,20 Euro monatlich zu.

a) Nach § 19 Satz 1 SGB II (in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung) erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Leistungsberechtigt sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011), wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 9 Abs. 1 SGB II (in der Fassung vom 13. Mai 2011) ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr. 1), aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen (Nr. 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Die im streitgegenständlichen Zeitraum 51-jährigen Kläger zu 1) und die erst 51-, dann 52-jährige Klägerin zu 2) hatten im streitigen Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Sie hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und waren erwerbsfähig und hilfebedürftig. Sie konnten ihren Bedarf nicht mit ihrem Einkommen oder Vermögen decken und erhielten keine Hilfe von anderen.

b) Nach § 20 Abs. 4 SGB II betrug die monatliche Regelleistung für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partner minderjährig ist, bis 31. Dezember 2012 374,00 Euro und ab 1. Januar 2013 382,00 Euro. Haben zwei Partner einer Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, ist als Regelbedarf für jede dieser Personen ein Betrag in Höhe von monatlich 337,00 Euro, ab 1. Januar 2012 345,00 Euro anzuerkennen. Den Klägern stehen damit im Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 ein monatliche Regelbedarfe in Höhe von jeweils 337,00 Euro, vom 1. Januar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von jeweils 345,00 Euro zu.

c) Als Bedarf für Unterkunft und Heizung sind für die Kläger Aufwendungen in Höhe von 387,20 Euro zu berücksichtigen. Die Kosten der Unterkunft und Heizung sind grundsätzlich anteilig pro Kopf zu ermitteln (Kopfteilprinzip), da die Zuordnung zu gleichen Anteilen auf die in der Wohnung lebenden Personen aus Praktikabilitätsgründen unabhängig von Alter, konkretem Wohnflächenbedarf oder Nutzungsintensität erfolgt (vgl. Bundessozialgericht vom 19. März 2008 - B 11b AS 13/06 R, Rn. 13 - zitiert nach juris).

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Die Kosten der Unterkunft und Heizung gehören dabei nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zum aktuellen Bedarf (vergleiche Bundessozialgericht vom 22. August 2012 - B 14 AS 1/12 R – zitiert nach juris).

Aus dem Mietvertrag entstanden den Klägern monatliche Aufwendungen für die Grundmiete von 418,00 Euro zuzüglich einer Vorauszahlung für die Betriebskosten von 66,50 Euro (484,50 Euro) sowie für die Heizkosten von 71,60 Euro. Nach Auffassung der Kammer bestehen keine Bedenken bezüglich der Kostensenkungsaufforderung vom 14. September 2011. Subjektive Gründe für einen (längeren) Verbleib in der Wohnung liegen nicht vor.

Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Bruttokaltmiete nicht auf 309,00 Euro, zu begrenzen, sondern in Höhe der Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10% für den Ort Bad Schmiedeberg (Mietenstufe I) für einen Zweipersonenhaushalt bei der Berechnung zu berücksichtigen, da die von dem Beklagten herangezogene Verwaltungsvorschrift des Landkreises Wittenberg zur Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II und SGB XII für eine solche Begrenzung der Wohnkosten nicht tauglich ist. Die zugrundeliegende Mietwerterhebung entspricht nach Auffassung der Kammer nicht den Mindestanforderungen des Bundessozialgerichts an ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzwerten.

Zur Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist in einer zweistufigen Prüfung zunächst eine abstrakte und sodann eine konkret-individuelle Prüfung vorzunehmen. Im Rahmen der Prüfung abstrakter Angemessenheit werden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zunächst die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard bestimmt (dazu aa) sowie anschließend festgelegt, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist (dazu bb). Alsdann ist zu ermitteln, wieviel auf diesem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist (abstrakt angemessener Quadratmeterpreis) (Bundessozialgericht vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R – zitiert nach juris) (dazu cc). Kann kein abstrakt angemessener Bedarf für die Unterkunft ermittelt werden (dazu unter dd), sind die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, gedeckelt im Sinne einer Angemessenheitsgrenze nach oben durch die Tabellenwerte der rechten Spalte zu § 12 WoGG plus einem Sicherheitszuschlag von 10 % (siehe dazu unter ee).

aa) Die Größe der Wohnung der Kläger ist als unangemessen zu betrachten. Der Beklagte geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (Urteile vom 3. März 2011, L 5 AS 181/07 und vom 9. Mai 2012 - L 5 AS 2/09 – jeweils zitiert nach juris) zunächst zutreffend davon aus, dass für einen Ein-Personen-Haushalt eine Wohnfläche von 60 m² angemessen ist. Zur Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße ist im Land Sachsen-Anhalt auf die Wohnungsbauförderungsbestimmungen und die dazu erlassenen Richtlinien aus den Jahren 1993 und 1995 (Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung des Mietwohnungsneubaus in Sachsen-Anhalt) zurückzugreifen. Die Wohnung der Kläger überschreitet diese Größe um 17,8 m². Diese Überschreitung der angemessenen Wohnungsgröße wäre nach den oben dargestellten Grundsätzen allerdings grundsicherungsrechtlich unbeachtlich, wenn das Produkt aus den Unterkunftskosten je m² und der tatsächlichen Wohnfläche gleichwohl angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es sind jedoch zumindest die für eine angemessene Wohnung – hier von 60 m² – zu gewährenden Kosten zu übernehmen, so dass die Höhe der angemessenen Kosten für diese Wohnungsgröße festzustellen sind.

bb) Bei der zunächst vorzunehmenden Prüfung des Vergleichsraums ist nach Auffassung der Kammer alternativ der gesamte Landkreis Wittenberg oder die Gemeinden Gräfenhainichen, Kemberg und Bad Schmiedeberg als Vergleichsraum anzusehen (vgl. zur Wahlfeststellung im Hinblick auf den örtlichen Vergleichsraum Bundessozialgericht vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 61/12 R).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist bei der Bestimmung des örtlichen Vergleichsraumes darauf zu achten, dass die Hilfebedürftigen im Regelfall ihr soziales Umfeld beibehalten können. Es ist aber erforderlich, einen repräsentativen Wohnungsmarkt zu erfassen. Daher kann es (nur) bei besonders kleinen Gemeinden, die über einen solchen repräsentativen Wohnungsmarkt nicht verfügen, dazu kommen größere und bei besonders großen Städten kleinere Gebietseinheiten in Betracht zu ziehen (vgl. Bundessozialgericht vom 16. Juni 2015 – B 14 AS 44/14 R, Rn. 17; vom 7. November 2006 – B 7b AS 18/06 R, Rn. 21; vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/10 R – jeweils zitiert nach juris). Daher sind ausgehend vom Wohnort des Hilfeempfängers als Vergleichsmaßstab diejenigen ausreichend großen Räume (nicht bloße Orts- oder Stadtteile) der Wohnbebauung, die auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (Bundessozialgericht vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R).

Gemessen an diesen Grundsätzen spricht vorliegend nach Ansicht der Kammer einiges dafür, dass nicht der gesamte Landkreis Wittenberg als maßgeblicher Vergleichsraum angesehen werden kann. Die Vorgehensweise, den gesamten Kreis als Vergleichsraum festzulegen, kann zwar bei Großstädten wie Berlin (vgl. Bundessozialgericht vom 19.Oktober 2010 - B 14 AS 50/10 R – zitiert nach juris), München (vgl. Bundessozialgericht vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R – zitiert nach juris) oder Bremen (vgl. Bundessozialgericht vom 18. Februar 2009 - B 14 AS 132/10 R – zitiert nach juris) zutreffend sein, in denen das Verkehrsnetz und der öffentliche Nahverkehr auf die Erreichbarkeit des Stadtkerns von allen Stadtteilen her angelegt ist. Gleiches gilt für kleinere Landkreise mit einem Mittelzentrum. Im Landkreis Wittenberg stellt die Lutherstadt Wittenberg jedoch kein solches Mittelzentrum dar, auf das alle kreisangehörigen Gemeinden gleichermaßen ausgerichtet sind. Das ergibt sich bereits daraus, dass bestimmte Gemeinden wie z. B. Vockerode oder Oranienbaum (jetzige Verwaltungsgemeinschaft Wörlitzer Winkel) unabhängig von ihrer verwaltungstechnischen Zuordnung infrastrukturell eindeutig eher der Stadt Dessau-Roßlau als der Lutherstadt Wittenberg zuzuordnen sind (so auch Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 19. August 2015 - S 14 AS 2582/12 und S 14 AS 822/13). Bad S. und Annaburg sind wiederum infrastrukturell eher den Städten Torgau, Herzberg und Jessen als der Lutherstadt Wittenberg zugewandt. Gegen eine infrastrukturelle und verkehrstechnische Verbundenheit aller Gemeinden im Landkreis Wittenberg spricht zudem die Tatsache, dass das Kreisgebiet in Nord-Süd-Richtung durch die Bundesautobahn 9 und in Ost-West-Richtung durch die Elbe geteilt wird, sodass einzelne Gemeinden nur über Brücken/Fähren miteinander verbunden sind. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in der Lutherstadt Wittenberg mehr als 1/3 der gesamten Kreisbevölkerung lebt, während der Landkreis im Übrigen durch nur geringe Bebauung gekennzeichnet ist (Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 22. November 2013 - S 11 AS 150/12). Dementsprechend liegt kein homogener Wohnbereich vor.

Auch aus der geschichtlichen Entwicklung des Landkreises ergibt sich kein einheitlicher Lebensbereich (dazu bereits die Kammerentscheidungen vom 26. Januar 2016 in Parallelverfahren: S 30 AS 2955/12 sowie S 30 AS 2958/12 – sowie die Kammerentscheidungen vom selben Tag: S 30 AS 1260/12 und S 30 AS 2355/12). Während der DDR-Zeit war von 1952 bis 1990 nach Auflösung des Landes Sachsen-Anhalt sowie der Einführung von Bezirken der Kreis Wittenberg unterschiedlichen Bezirken zugeordnet: so z.B. zu den Bezirken Potsdam (einige Gemeinden im damaligen Kreises Jüterbog) und Cottbus (Kreis Jessen) sowie dem Bezirk Halle (Kreis Wittenberg, Kreis Gräfenhainichen) (vgl. dazu den Eintrag zum Landkreis Wittenberg unter: www.wikipedia.de). Erst mit der ersten Kreisgebietsreform nach dem Beschluss des Landtags Sachsen-Anhalt vom 3. Juni 1993 entstand 1994 der Landkreis Wittenberg aus den bisherigen Kreisen Wittenberg und Jessen. Mit der Zweiten Kreisgebietsreform am 1. Juli 2007 endete zunächst formal die Existenz des bisherigen Kreises und wurde als Rechtsnachfolger der (gleichnamige) Landkreis Wittenberg geschaffen, dem die zwei Verwaltungsgemeinschaften Coswig (Anhalt) und Wörlitzer Winkel mit ihren Gemeinden aus dem bisherigen Landkreis Anhalt-Zerbst zugeordnet wurden (vgl. dazu den Eintrag zum Landkreis Wittenberg unter: www.wikipedia.de).

Ungeachtet dieser beachtlichen Argumente verkennt die Kammer andererseits aber auch nicht, dass im Landkreis Wittenberg außer der Lutherstadt Wittenberg allenfalls noch die Städte Gräfenhainichen und Jessen über einen eigenen, repräsentativen Wohnungsmarkt verfügen dürften. Die übrigen Städte und Gemeinden haben deutlich unter 10.000 Einwohner, sodass nicht davon auszugehen ist, dass es sich dabei um ausreichend große Räume der Wohnbebauung handelt, hinsichtlich derer eine eigene, respräsentative Datenerhebung möglich wäre.

Eine Differenzierung des Landkreises in zwei unterschiedliche Vergleichsräume – mit der Lutherstadt Wittenberg als Mittelzentrum als eigenen Vergleichsraum und "den übrigen Gemeinden des Kreises" als zweiten Vergleichsraum –, wie dies durch die konzepterstellende Firma A. in ihrer Stellungnahme vom 4. Juni 2013 als möglich erachtet wird, ist zur Überzeugung der Kammer ebenfalls aus den oben genannten Gründen nicht überzeugend. Hiervon sind die Konzeptersteller bei der Datenerhebung auch nicht ausgegangen. In dem Endbericht zur Mietwerterhebung aus Januar 2011 (im Folgenden Endbericht) findet keine Vergleichsraumbestimmung statt. Dort wird allein von drei Wohnungsmarkttypen berichtet. Der Wohnungsmarkt des Landkreises werde demnach in Raumeinheiten mit strukturell vergleichbaren Wohnungsmärkten unterteilt und für diese Wohnungsmärkte seien Vergleichsmieten ermittelt worden. Dies geschah mit Hilfe des statistischen Verfahrens der sog. Clusteranalyse, eines Analyseverfahrens, das es ermöglicht, Objekte innerhalb einer Grundgesamtheit zu identifizieren und zusammenzufassen, deren Eigenschaften oder Eigenschaftsausprägungen bestimmte Ähnlichkeiten aufweisen (vgl. hierzu Seiten 2 bis 7 des Endberichts).

Die durch die Clusteranalyse ermittelten Wohnungsmarkttypen können nach der Auffassung der Kammer nicht die Festlegung eines Vergleichsraumes ersetzen. Hier wurden gerade nicht die Kriterien für die Festlegung eines Vergleichsraumes - das Vorliegen eines homogenen Lebens- und Wohnbereichs, räumliche Nähe und verkehrstechnische Verbundenheit, zugrunde gelegt - (vgl. schon Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 17. August 2012 - S 11 AS 2430/11, Rn. 19 – zitiert nach juris). Vielmehr waren Indikatoren für die Festlegung: die Bevölkerungsentwicklung, die Bevölkerungsdichte, Pro-Kopf-Einkommen, Siedlungsstruktur, Wohnfläche sowie die Wahlbeteiligung (Endbericht S. 4). Der Einfluss der Indikatoren auf die Mietpreisbildung, wie vom Konzeptersteller im Endbericht erläutert, kann die Kammer im Hinblick auf die Parameter wie Bevölkerungswachstum und entsprechende Nachfrageerhöhung nach Wohnraum oder das Pro-Kopf-Einkommen – sofern diese nicht auf veralteten Erhebungen beruht – nachvollziehen. Ein Einfluss der Wahlbeteiligung an der Kommunalwahl 2007 nach der Kreisgebietsreform im Landkreis Wittenberg auf den Wohnungsmarkt erschließt sich der Kammer jedoch nicht (so bereits auch Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 19. August 2015 - S 14 AS 2582/12 und S 14 AS 822/13). Rückschlüsse aus der so vorgenommenen Clusteranalyse auf einen Vergleichsraum kann die Kammer nicht ziehen. Es wird sogar durch den Konzeptersteller ausgeführt, dass "Gemeinden eines Wohnungsmarkttyps [ ] dabei nicht zwingend räumlich nebeneinanderliegen [müssten], sondern [ ] sich über das Untersuchungsgebiet (Kreisgebiet) verteilen [könnten]" (Endbericht S. 3). Die sich hieraus ergebende Verteilung der Wohnungsmarkttypen als zusammenhängende Gebiete ist zur Überzeugung der Kammer insoweit zufällig und gerade nicht dem Vorliegen von homogenen Wohn- und Lebensräumen geschuldet.

Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass ein Wohnungsmarkttyp tatsächlich mit dem Vergleichsraum übereinstimmen kann (vgl. zur Stadt B.: Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 13. März 2015, S 3 AS 168/14, Rn. 33 – zitiert nach juris). Für den im vorliegenden Fall betroffenen Wohnungsmarktyp III wird dies von der Kammer nicht angenommen, da sich räumliche Trennung durch die Elbe sowie die oben dargestellte unterschiedliche geschichtliche Entwicklung gerade in diesem Wohnungsmarkttyp am deutlichsten zeigt. Da das Bundessozialgericht ein völliges Dahingestelltlassen der Bestimmung eines örtlichen Vergleichsraumes für unzulässig erachtet, gleichzeitig aber eine Wahlfeststellung für möglich hält (Bundessozialgericht vom 14. Februar 2013 - B 14 AS 61/12 R), ist nach Ansicht der Kammer als maßgeblicher Vergleichsraum vorliegend alternativ der gesamte Landkreis und das Gebiet der Städte Gräfenhainichen, Kemberg und Bad Schmiedeberg anzusehen. Der mögliche Vergleichsraum zwischen diesen Städten ergibt sich für die Kammer zum einen aufgrund ihrer örtlichen Verbundenheit südlich bzw. südwestlich der Elbe sowie der Notwendigkeit einen hinreichend großen Vergleichsraum zu definieren.

cc) Stehen die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Vergleichsraum fest, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in einem dritten Schritt nach Maßgabe der Produkttheorie zu ermitteln, wie viel auf diesem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist. Das Konzept des Beklagten wird nach Auffassung der Kammer den Anforderungen des Bundessozialgerichts in mehreren Punkten nicht gerecht. Zwar ist der Beklagte bei der Ermittlung der angemessenen Bruttokaltmiete, die sich als Produkt von Wohnfläche und Quadratmeterpreis ergibt, grundsätzlich bei der Wahl seiner Methode frei. Die Unterkunftsbedarfe müssen als Teil eines menschenwürdigen Existenzminimums aber folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren, also realitätsgerecht, berechnet werden (Bundessozialgericht vom 18. November 2014 - B 4 AS 9/14 R – zitiert nach juris). Die Kosten für Wohnraum können in den einzelnen Vergleichsräumen sehr unterschiedlich sein. Um trotzdem ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln auch innerhalb eines Vergleichsraums zu gewährleisten, muss die Ermittlung der regionalen Angemessenheitsgrenzen auf Grundlage eines überprüfbaren "schlüssigen Konzepts" erfolgen. Das schlüssige Konzept soll die hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden (Bundessozialgericht vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R – zitiert nach juris). Ein Konzept ist ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall. Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt (Bundessozialgericht vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 sowie B 4 AS 45/14 – zitiert nach juris):

- die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen,

- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zum Beispiel welche Art von Wohnungen, gegebenenfalls Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- oder Netto-Kaltmiete, Differenzierung nach Wohnungsgröße,

- Angaben über den Beobachtungszeitraum,

- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zum Beispiel Mietspiegel),

- Repräsentativität des Umfangs der einbezogenen Daten,

- Validität der Datenerhebung,

- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und

- Angaben über die gezogenen Schlüsse (zum Beispiel Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

Die für die Leistungsberechtigten in Frage kommenden Wohnungen müssen nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen, ohne gehobenen Wohnstandard aufzuweisen. Wohnungen, die nicht den einfachen, sondern den untersten Stand abbilden, gehören von vornherein nicht zu dem Wohnungsbestand, der überhaupt für die Bestimmung einer Vergleichsmiete abzubilden ist (Bundessozialgericht vom 10. September 2013 - B 4 AS 77/12 R – zitiert nach juris). Hierbei hat durch die Verwaltung zunächst eine Festlegung zu erfolgen, wie das untere Marktsegments zu definieren ist. Diese kann am ehesten anhand der regionalen Gegebenheiten entscheiden, welche Wohnungsmerkmale einen einfachen Wohnstandard ausmachen (Bundessozialgericht vom 10. September 2013 - B 4 AS 77/12 R, Rn. 21 – zitiert nach juris).

(1) Der Konzeptersteller, die Firma A. hat eine solche Bestimmung lediglich für Wohnungen des Substandards – als Wohnungen ohne "Bad" und "Sammelheizung" – vorgenommen (Endbericht, Seite 7). Substandardwohnungen sollten insoweit nach den Ausführungen im Endbericht unberücksichtigt bleiben. Hierbei hält die Kammer diese Definition für nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Es erschließt sich jedoch für die Kammer nicht, ob bei der Bestimmung der Vergleichsmiete solche Wohnungen tatsächlich mit erhoben und damit mit einbezogen wurden. Der Beklagte konnte weder durch die Vorlage der angeforderten Mieterfragebögen noch der Vermieterfragebögen nachweisen, dass eine Erhebung von Substandardwohnungen nicht erfolgte. Weder in den Fragebögen noch in den hierzu erstellten Merkblättern sind Fragen zum Standard der zu erhebenden Wohnungen enthalten. Dass der Ausschluss von Substandardwohnungen durch persönlichen (telefonischen) Kontakt mit den Vermietern erfolgt sein soll (Stellungnahme vom 13. Februar 2015 sowie vom 25. Juni 2015) entspricht nicht den Anforderungen an ein transparentes Verfahren (so auch Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 19. August 2015, S 14 AS 2582/12 sowie S 14 AS 822/13 und vom 16. November 2015 – S 7 AS 1732/12 – zitiert jeweils nach juris). Ein solcher Kontakt ist im Mietersegment zudem nicht erfolgt. Hierzu widersprüchlich teilt in der Stellungnahme vom 26. Juni 2015 ein Vertreter des Konzepterstellers, der Firma A. mit, dass möglicherweise geringe Anteile von Substandardwohnungen im Auswertungsdatensatz enthalten sein könnten, diese aber statistisch durch die Extremwertkappung zu vernachlässigen seien. Aus der weiteren Stellungnahme vom 26. Juni 2015 ergibt sich jedoch, dass in der amtlichen Statistik das Merkmal der Substandardwohnungen letztmalig mit der Gebäude- und Wohnungszählung aufgenommen und seitdem nicht mehr aktualisiert worden ist und hierfür entsprechend keine konkreten Angaben für den Landkreis Wittenberg gemacht werden können. Ein belastbarer, nachvollziehbarer Ausschluss der Erhebung von Wohnungen im definierten untersten Standard ist nicht ersichtlich. Dieses Vorgehen erfüllt nicht die Anforderungen an die Transparenz des Verfahrens unter Anwendung einer planvollen Methodik. Denn eine Auswertung der Daten nach anerkannten statistischen Grundsätzen erscheint fernliegend, wenn die Zahl möglicher mit erhobenen Substandardwohnungen schon gar nicht bekannt ist.

(2) Die Kammer beanstandet darüber hinaus die Herausnahme von Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern bei der Datenerhebung. Bereits aus den im Endbericht zugrunde gelegten Ausgangsdaten ergibt sich, dass es im Landkreis Wittenberg 40.167 Wohngebäude gibt, wovon 28.167 Einfamilienhäuser und 7.216 Zweifamilienhäuser sind (Endbericht, S. 8, Tabelle 4). Von den insgesamt 72.219 Wohnungen befinden sich 45.599 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern. Insgesamt seien nach der Stellungnahme vom 26. Juni 2015 ausgehend vom Zensus 2011 rund 8,3 % aller Einfamilienhäuser und 31,6% aller Wohnungen in Zweifamilienhäusern vermietet. Im Bereich des Wohnungsmarkttyps 3 seien rund 7,2 % der Einfamilienhäuser sowie 29,9 % der Wohnungen in Zweifamilienhäusern zu Wohnzwecken vermietet. Insoweit ergibt sich für die Kammer, dass der Umfang der erhobenen und in das Verfahren eingeführten Daten nicht dazu geeignet ist, den Mietwohnungsmarkt im Landkreis zuverlässig abzubilden. Zwar muss die Datenerhebung nicht für alle im Vergleichsraum befindlichen Wohnungen erfolgen, insoweit genügt die Erhebung einer ausreichenden Anzahl von Stichproben. Jedoch soll die Struktur so beschaffen sein, dass darin in hinreichendem Umfang, Wohnungen aus dem gesamten Gebiet sowie von allen Eigentümergruppen vertreten sind (vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Arbeitshilfe zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen der Unterkunft im Rahmen kommunaler Satzungen, Stand Januar 2013, Seite 39) (Zweifel äußert hieran auch: Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 18. Februar 2016 – S 2 AS 2743/12 sowie vom 16. April 2015 - S 2 AS 2443/11). Ohne Angabe näherer Gründe hat der Konzeptersteller Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern aus dem Gegenstand der Beobachtung ausgeschlossen, so dass insbesondere aufgrund der hohen Fallzahlen nicht die Mieten des gesamten Wohnungsmarktes untersucht worden sind. Zwar wollte der Konzeptersteller nach seinen eigenen Ausführungen den gesamten Wohnungsmarkt des einfachen bis gehobenen Standards zugrunde legen und anschließend mittels Extremwertkappung und Perzentil-Bildungen einen Durchschnittspreis ermitteln (Endbericht S. 14), es ist jedoch nicht per se davon auszugehen, dass gerade im ländlich geprägten Raum die Anmietung solcher Wohnungen dem Luxussegment zuzuordnen ist (so auch Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 19. August 2015, S 14 AS 2582/12 sowie S 14 AS 822/13 und vom 16. November 2015 – S 7 AS 1732/12 – zitiert jeweils nach juris). Die Datenerhebung nur in Geschossbauten verzerrt zur Überzeugung der Kammer den gesamten abzubildenden Mietwohnungsmarkt.

(3) Weiterhin ausgenommen wurden nach der Fragestellung in den Fragebögen auch solche Wohnungen, die sich in einem Wohnhaus befinden, in denen der Eigentümer ebenfalls wohnt (als eine von drei Wohnparteien). Eine Abgabe der Fragenbögen sollte bei Vorliegen einer solchen Konstellation nicht erfolgen. Durch diese Einschränkung sowie die Einschränkung auf Häuser mit mindestens 3 Wohnungen in den Fragebögen werden von den insgesamt rund 36.500 Mietwohnungen von vornherein fast 6.900 Wohnungen im Bereich des Landkreises von der Erhebung ausgenommen. Dies entspricht ca. 19 % des Wohnungsbestandes. Eine zur Überzeugung der Kammer nachvollziehbare Begründung konnte der Beklagte nicht geben. Im Endbericht selbst erfolgt keine Begründung dieses Vorgehens. Diesen Ausschluss kann die Kammer nicht als planvoll ansehen, da eine Begründung hierfür zunächst nicht erfolgte. Erst in einer Stellungnahme wird betont, dass diese Wohnungen aufgrund der Filterbedingungen nicht alle erhebungsrelevant gewesen wären. Dies ist für die Kammer eine unzulässige Vorwegnahme von Schlussfolgerungen, die erst im Rahmen der Auswertung der Daten zu ziehen sind.

(4) Zudem hat der Beklagte ausschließlich die von der konzepterstellenden Firma ermittelten Bestandsmieten des Wohnungsmarkttyps 3 zur Bestimmung der Angemessenheitswerte für diesen Wohnungsmarkttyp herangezogen. Die (teureren) Angebotsmieten fanden keine Berücksichtigung (vgl. Tabelle 20 des Endberichtes). Die berücksichtigten 132 Bestandsmieten mit einer Größe zwischen 50 und 60 m² kosteten monatlich im Wohnungsmarkttyp 3 durchschnittlich 4,10 Euro pro m² (Nettokaltmiete) und 1,05 Euro kalte Betriebskosten pro m². Daraus ermittelte der Beklagte die Angemessenheitsgrenze von 309,24 Euro. Die 21 ermittelten Angebotsmieten kosteten demgegenüber monatlich 4,22 Euro pro m² (Nettokaltmiete), so dass sich nach Berücksichtigung von monatlichen kalten Betriebskosten von 1,05 EURO pro m² angemessene Kosten von 316,20 EURO ergeben.

dd) Bereits aus den unter cc) genannten Gründen fehlt es auch an einer brauchbaren Datengrundlage, welche die Kammer in die Lage versetzen würde, im Hinblick auf den von der Kammer festgelegten Vergleichsraum (die Städte Gräfenhainichen, Kemberg und Bad Schmiedeberg oder des gesamten Landkreises Wittenberg) eine Angemessenheitsgrenze selbst zu bestimmen. Abgesehen davon ist eine Nutzung der durch den Konzeptersteller erhobenen Daten auch deshalb nicht möglich, weil sich aus den in Tabellenform vorgelegten Daten eine Konzentration der erhobenen Wohnungen auf bestimmte Stadtbezirke (sog. Ghettobildung) anhand der vorliegenden Datenausdrucke nicht ausschließen lässt (Sozialgericht Dessau-Roßlau vom 19. August 2015 – S 14 AS 2582/12 sowie S 14 AS 822/13 – zitiert nach juris). Es sind weder Straßennamen noch zumindest Ortsteile der größeren Gemeinden, insbesondere der Lutherstadt Wittenberg dargestellt. Eine Nachbesserung ist angesichts der "Löschung sämtlicher Erhebungsdaten nach Beendigung der Auswertungen" (Endbericht S. 2) nicht möglich.

ee) Soweit das Konzept des Grundsicherungsträgers nicht schlüssig ist, geht die Ermittlungspflicht hinsichtlich des Mietmarktes nicht ohne weiteres auf die Sozialgerichte über (Bundessozialgericht vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R – zitiert nach juris). Wenn andere bereite Quellen, wie beispielsweise Mietspiegel, sind für den Landkreis Wittenberg nicht verfügbar sind – wie hier – und damit kein abstrakt angemessener Bedarf für die Unterkunft ermittelt werden kann, liegt Erkenntnisausfall vor, so ist für die Begrenzung der Unterkunftskosten auf einen angemessenen Wert, auf die maßvoll erhöhten Tabellenwerte zu § 12 WoGG zurückzugreifen (z. B. Bundessozialgericht vom 7. Dezember 2009 - B 4 AS 50/09 R; vom 22. März 2012 - B 4 AS 16/11 R; vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 87/12 R – jeweils zitiert nach juris).

Der Wohnort der Kläger gehört zur Mietenstufe I nach dem WoGG. Für einen Zwei-Personen-Haushalt ergibt sich aus der Tabelle zu § 12 WoGG ein Höchstwert für die Grundmiete und die kalten Betriebskosten in Höhe von monatlich 352,00 Euro, aus dem sich erhöht um einen Sicherheitszuschlag von 10 % ein maximal angemessener Kaltmietbetrag von 387,20 Euro ergibt. Die Bruttokaltmiete der Kläger in Höhe von 484,50 Euro überschreitet diesen Betrag, so dass auf diesen Wert zu begrenzen war. An der Angemessenheit der Heizkosten in Höhe von 71,60 Euro bestehen keine Bedenken. Insoweit sind Kosten der Unterkunft in Höhe von 387,20 Euro und Heizkosten in Höhe von 71,60 Euro zu berücksichtigen.

d) Im Sinne des § 19 Satz 1 SGB II bestand damit monatlich im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2012 ein Gesamtbedarf in Höhe von 1132,80 Euro, wobei auf die Kläger jeweils ein Individualbedarf von 566,40 Euro entfiel (Regelbedarf: 337,00 Euro, Kosten der Unterkunft: 193,60 Euro sowie Heizkosten: 35,80 Euro.). Für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. März 2013 ein Gesamtbedarf in Höhe von 1148,80 Euro, wobei auf die Kläger jeweils ein Individualbedarf von 574,40 Euro entfiel (Regelbedarf: 345,00 Euro, Kosten der Unterkunft: 193,60 Euro sowie Heizkosten: 35,80 Euro.).

e) Auf diesen Gesamtbedarf ist gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB II das Einkommen anzurechnen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, zu berücksichtigen.

Der Kläger zu 1) hatte vom 1. Oktober 2012 bis 31. Januar 2013 ein monatliches Erwerbseinkommen in Höhe von 477,69 Euro brutto = 368,69 Euro netto. Hiervon ist nach § 11 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II (in der Fassung vom 20. Dezember 2011) in Verbindung mit § 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II ein Pauschalbetrag von insgesamt 100,00 Euro monatlich für Versicherungen, geförderte Altersvorsorgebeiträge sowie die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzuziehen. Beträgt das monatliche Einkommen mehr als 400,00 Euro, gilt Satz 2 nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige nachweist, dass die Summe der Beträge nach Satz 1 Nr. 3 bis 5 den Betrag von 100,00 Euro übersteigt (§ 11 b Abs. 2 Satz 3 SGB II). Da der Kläger zu 1) bei Berücksichtigung der Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-V (ALG II-V) in Höhe von 30,00 Euro und der Werbungskostenpauschale in Höhe von monatlich 15,33 Euro gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a ALG II-V keine, 100,00 Euro übersteigenden Ausgaben hat, können keine den Grundfreibetrag übersteigenden Absetzungen vorgenommen werden. Zusätzlich ist jedoch bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind, nach § 11 b Abs. 3 Nr. 1 SGB II ein Betrag für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100,00 EUR übersteigt und nicht mehr als 1000,00 Euro beträgt, in Höhe von 20 vom Hundert abzusetzen. Berechnungsgrundlage zur Ermittlung des Freibetrages ist das monatliche Bruttoeinkommen im Sinne des § 14 SGB IV. Es ist neben dem Grundfreibetrag ein Freibetrag von 75,53 Euro abzuziehen, so dass ein anzurechnendes Einkommen des Klägers zu 1) in Höhe von 193,15 Euro verbleibt.

Für den Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis 31. März 2013 hatte der Kläger zu 1) ein Brutto-Erwerbseinkommen von 477,69 Euro = 377,49 Euro netto, so dass nach den oben dargestellten Grundsätzen ein Freibetrag von 175,54 Euro abzuziehen ist und ein anrechenbares Einkommen des Klägers zu 1) in Höhe von 201,95 Euro verbleibt.

Die Klägerin zu 2) hatte vom 1. Oktober 2012 bis 2. Januar 2013 tägliches Einkommen von 12,94 Euro (Krankengeld) und ab 3. Januar 2013 Arbeitslosengeld I in Höhe von 9,94 Euro täglich. Hiervon ist die Versicherungspauschale von 30,00 Euro nach § 11 b Abs. 1 Nr. 3 SGB II i. V. mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 ALG II-V abzurechnen, so dass von 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2013 anzurechnendes Einkommen in Höhe von 358,20 Euro, und von 1. Januar bis 31. Januar 2013 in Höhe von 284,14 Euro sowie von 1. Februar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von 268,20 Euro verbleibt.

f) Für die Kläger ergibt sich nach Anrechnung des Einkommens nach § 9 Abs. 2 SGB II ein monatlicher Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2013 in Höhe von:

Gesamtbedarf Klägerin zu 2) Kläger zu 1)

Bedarf 1132,80 Euro 566,40 Euro 566,40 Euro

Bedarfsanteil 100 % 50,00 % 50,00 %

Anzurechnendes Einkommen 551,35 Euro 358,20 Euro 193,15 Euro

Einkommen nach Bedarfsanteil 551,35 Euro 275,67 Euro 275,68 Euro

Anspruch 581,45 Euro 290,73 Euro 290,72 Euro

für den Monat Januar 2013 in Höhe von:

Gesamtbedarf Klägerin zu 2) Kläger zu 1)

Gesamtbedarf 1148,80 Euro 574,40 Euro 574,40 Euro

Bedarfsanteil 100 % 50,00 % 50,00 %

Anzurechnendes Einkommen 477,29 Euro 284,14 Euro 193,15 Euro

Einkommen nach Bedarfsanteil 477,29 Euro 238,64 Euro 238,65 Euro

Anspruch 671,51 Euro 335,76 Euro 335,75 Euro

für den Zeitraum 1. Februar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von:

Gesamtbedarf Klägerin zu 2) Kläger zu 1)

Gesamtbedarf 1148,80 Euro 574,40 Euro 574,40 Euro

Bedarfsanteil 100 % 50,00 % 50,00 %

Anzurechnendes Einkommen 470,15 Euro 268,20 Euro 201,95 Euro

Einkommen nach Bedarfsanteil 470,15 Euro 235,07 Euro 235,08 Euro

Anspruch 678,65 Euro 339,33 Euro 339,32 Euro

g) Abzüglich der mit Bescheid vom 19. September 2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 24. November 2012 und 4. April 2013 zuletzt bereits bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von 1. Oktober 2012 bis 31. Dezember 2013 in Höhe von 501,94 Euro ergibt sich für die Kläger ein weiterer Bewilligungsanspruch von 79,51 Euro. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Januar 2013 waren bereits Leistungen in Höhe von 593,31 Euro und für den Zeitraum 1. Februar 2013 bis 31. März 2013 in Höhe von 600,45 Euro bewilligt worden, so dass sich für diese Zeiträume ein weiterer Bewilligungsanspruch in Höhe von 78,20 Euro monatlich ergibt.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens sowie die zunächst begehrte Gewährung eines verfassungsgemäß bestimmten

III. Die Berufung war zuzulassen, da nach Auffassung der Kammer ein nach § 144 Abs. 2 SGG bestimmter Zulassungsgrund vorliegt. Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage der Schlüssigkeit der Mietwerterhebung zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft im Landkreis Wittenberg hat im Hinblick auf die Vielzahl der Anwendungsfälle der Verwaltungsvorschrift grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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