Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
46
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 AS 372/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 5. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheids vom 22. Januar 2015 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Aufrechnung in Höhe von 13.268,58 Euro.
Der 1966 geborene Kläger war zunächst in B-Stadt wohnhaft und bezog vom dortigen Jobcenter (dem Beigeladenen) bis einschließlich Mai 2012 Arbeitslosengeld II. Nach einem Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten zum 01.06.2012 erhielt der Kläger laufend Arbeitslosengeld II vom Beklagten.
Die Bundesagentur für Arbeit, Inkasso-Service, wandte sich mit Schreiben vom 22.10.2014 an den Beklagten. Es sei eine Aufrechnung zu prüfen. Es bestünden Forderungen des Beigeladenen in Höhe von 13.318,58 Euro aus Aufhebungen und Erstattungen.
Auf die Anhörung zur beabsichtigten Aufrechnung reagierte der Kläger nicht. Der Beklagte verfügte mit Bescheid vom 05.12.2014 die Aufrechnung der Erstattungsforderung von 13.268,58 Euro gegen die laufenden Leistungen in Höhe von monatlich 10 % des Regelbedarfs beginnend ab 01.01.2015. Vom Ermessen sei Gebrauch gemacht worden und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gebührend berücksichtigt worden. Die Ent-scheidung beruhe auf § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Der dagegen eingelegte Widerspruch, die Erstattungsforderung sei unrechtmäßig, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2015 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 20.02.2015 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Der Verwal-tungsakt des Beigeladenen sei nicht zugegangen. Der Beklagte teilte mit, dass es sich um drei Bescheide des Beigeladenen handle.
Mit Beschluss vom 16.02.2017 erfolgte eine notwendige Beiladung des Jobcenters der Stadt B-Stadt wegen einheitlicher Entscheidung nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid vom 05.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Aufrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist deshalb aufzuheben.
Gegenstand der statthaften Anfechtungsklage ist der Aufrechnungsbescheid des Beklagten vom 05.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2015.
1. Rechtsgrundlage des Aufrechnungsbescheids ist § 43 SGB II. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II können Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche des Leistungs-berechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter anderem mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X aufrechnen. Die Aufrechnung ist durch Verwaltungsakt zu erklären, § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II.
a) Eine Aufrechnung nach § 43 SGB II kann nur erfolgen, wenn die aufrechnende Behör-de über eigene Gegenforderungen, hier Erstattungsforderungen nach § 50 SGB X, ver-fügt. Nur bei Gegenseitigkeit beider Forderungen, der Gegenforderungen der Behörde und der Leistungsforderungen des Hilfebedürftigen (sog. Hauptforderung), ist eine Auf-rechnung möglich. Eine Verrechnung, wie sie § 52 SGB I eröffnet, also mit Gegenforde-rungen eines anderen Leistungsträgers, gestattet § 43 SGB II nicht (Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 43 Rn. 15, 16; Hauck/Noftz, SGB II § 43 Rn. 63).
Weil es sich bei der Gegenforderung, hier Erstattungsforderungen nach § 50 Abs. 1 SGB X, um Forderungen einer anderen gemeinsamen Einrichtung – des Beigeladenen – handelt, fehlt es an der erforderlichen Gegenseitigkeit der Gegenforderung im Ganzen.
b) Auch eine "Teilaufrechnung" für den Teil der Erstattungsforderung, der auf die Bundesagentur für Arbeit entfällt, ist, zumindest hier, nicht möglich.
Für die Möglichkeit einer derartigen Teilaufrechnung spräche, dass der gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Abs. 1 S. 2 SGB II nur eine Aufgabenwahrnehmung obliegt, es entsteht keine eigene originäre Gesamtträgerschaft (Weißenberger in Eicher, a.a.O., Rn. § 44b Rn. 14). Inhaber der Erstattungsforderung bleibt demnach die BA, soweit diese etwa aus der Rückforderung einer Leistung für den Regelbedarf stammt. Es ist dann denkbar, dass die gemeinsame Einrichtung die Teilaufrechnung für diese Teilerstattungsforderung der BA erklären könnte.
Gegen eine Teilaufrechnung zugunsten der BA spricht aber, dass eine Erstattungsforderung nicht nach den Leistungsanteilen die BA und der Kommune aufgeteilt werden muss (BSG, Urteil vom 07.07.2011, B 14 AS 153/10 R, Rn. 37). Gleiches gilt für die Aufhebungsentscheidung (BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 196/11 R, Rn. 17). Dann lässt sich für den Betroffenen nicht mehr erkennen, welcher Teil der Erstattungsforderung der BA zugeordnet werden kann. Dann scheidet eine Teilaufrechnung aus, weil der aufrechenbare Teil der Gegenforderung nicht bestimmbar ist.
Außerdem dürfte der Gegenforderung der BA auf Erstattung nur die Hauptforderung des Leistungsempfängers gegen die BA gegenübergestellt werden. Wenn eine Teilaufrechnung gegen eine Hauptforderung gegen den kommunalen Träger erfolgen würde, würde es erneut an der Gegenseitigkeit fehlen. Eine derartige Regelung enthält der strittige Bescheid aber nicht. Dort wird generell gegen die laufenden Geldleistungen aufgerechnet.
Weiter spricht gegen eine Teilaufrechnung, dass Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II dem Grunde nach eine einheitliche Geldleistung mit einheit-lichen Voraussetzungen und einheitlicher Berechnung ist. Die Aufteilung in einen BA-Teil und einen kommunalen Teil ist nur in eingeschränkten Umfang möglich. Die Aufzählung von Regelbedarf, Mehrbedarf und Bedarf für Unterkunft und Heizung in § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II ist keine Definition selbständiger Teilleistungen, sie dient vor allem der Abgrenzung zu anderen Leistungsformen nach §§ 24, 26 und 27 SGB II, die gerade nicht als Ar-beitslosengeld II oder Sozialgeld gelten sollen. Soweit das BSG in ständiger Rechtsprechung eine vom Kläger zu veranlassende Aufteilung des Streitgegenstands in Unter-kunftskosten und BA-Bedarfe zulässt (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, Rn. 18 ff), ist dies nicht auf die Aufrechnung zu übertragen.
2. Die Voraussetzungen einer Verrechnung nach § 52 SGB I liegen hier nicht vor, weil diese wegen der dortigen Verweisung auf § 51 SGB I nur möglich wäre, wenn die Ansprüche des Leistungsempfängers auf Geldleistungen pfändbar wären. Arbeitslosengeld II, das der Sicherung des Existenzminimums dient, ist aber nicht pfändbar (Eicher, a.a.O., § 43 Rn. 19 mit Hinweis auf verschiedene Begründungswege; nunmehr ausdrücklich seit 01.08.2016 in § 42 Abs. 4 S. 1 SGB II geregelt). Dahinstehen kann daher, ob eine derartige Auswechslung der Begründung bei einem Ermessensverwaltungsakt überhaupt möglich wäre (ablehnend Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 36; befürwortend Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 41 Rn. 10 ff).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Aufrechnung in Höhe von 13.268,58 Euro.
Der 1966 geborene Kläger war zunächst in B-Stadt wohnhaft und bezog vom dortigen Jobcenter (dem Beigeladenen) bis einschließlich Mai 2012 Arbeitslosengeld II. Nach einem Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten zum 01.06.2012 erhielt der Kläger laufend Arbeitslosengeld II vom Beklagten.
Die Bundesagentur für Arbeit, Inkasso-Service, wandte sich mit Schreiben vom 22.10.2014 an den Beklagten. Es sei eine Aufrechnung zu prüfen. Es bestünden Forderungen des Beigeladenen in Höhe von 13.318,58 Euro aus Aufhebungen und Erstattungen.
Auf die Anhörung zur beabsichtigten Aufrechnung reagierte der Kläger nicht. Der Beklagte verfügte mit Bescheid vom 05.12.2014 die Aufrechnung der Erstattungsforderung von 13.268,58 Euro gegen die laufenden Leistungen in Höhe von monatlich 10 % des Regelbedarfs beginnend ab 01.01.2015. Vom Ermessen sei Gebrauch gemacht worden und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gebührend berücksichtigt worden. Die Ent-scheidung beruhe auf § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Der dagegen eingelegte Widerspruch, die Erstattungsforderung sei unrechtmäßig, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2015 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 20.02.2015 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Der Verwal-tungsakt des Beigeladenen sei nicht zugegangen. Der Beklagte teilte mit, dass es sich um drei Bescheide des Beigeladenen handle.
Mit Beschluss vom 16.02.2017 erfolgte eine notwendige Beiladung des Jobcenters der Stadt B-Stadt wegen einheitlicher Entscheidung nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid vom 05.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Aufrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist deshalb aufzuheben.
Gegenstand der statthaften Anfechtungsklage ist der Aufrechnungsbescheid des Beklagten vom 05.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2015.
1. Rechtsgrundlage des Aufrechnungsbescheids ist § 43 SGB II. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II können Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche des Leistungs-berechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter anderem mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X aufrechnen. Die Aufrechnung ist durch Verwaltungsakt zu erklären, § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II.
a) Eine Aufrechnung nach § 43 SGB II kann nur erfolgen, wenn die aufrechnende Behör-de über eigene Gegenforderungen, hier Erstattungsforderungen nach § 50 SGB X, ver-fügt. Nur bei Gegenseitigkeit beider Forderungen, der Gegenforderungen der Behörde und der Leistungsforderungen des Hilfebedürftigen (sog. Hauptforderung), ist eine Auf-rechnung möglich. Eine Verrechnung, wie sie § 52 SGB I eröffnet, also mit Gegenforde-rungen eines anderen Leistungsträgers, gestattet § 43 SGB II nicht (Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 43 Rn. 15, 16; Hauck/Noftz, SGB II § 43 Rn. 63).
Weil es sich bei der Gegenforderung, hier Erstattungsforderungen nach § 50 Abs. 1 SGB X, um Forderungen einer anderen gemeinsamen Einrichtung – des Beigeladenen – handelt, fehlt es an der erforderlichen Gegenseitigkeit der Gegenforderung im Ganzen.
b) Auch eine "Teilaufrechnung" für den Teil der Erstattungsforderung, der auf die Bundesagentur für Arbeit entfällt, ist, zumindest hier, nicht möglich.
Für die Möglichkeit einer derartigen Teilaufrechnung spräche, dass der gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Abs. 1 S. 2 SGB II nur eine Aufgabenwahrnehmung obliegt, es entsteht keine eigene originäre Gesamtträgerschaft (Weißenberger in Eicher, a.a.O., Rn. § 44b Rn. 14). Inhaber der Erstattungsforderung bleibt demnach die BA, soweit diese etwa aus der Rückforderung einer Leistung für den Regelbedarf stammt. Es ist dann denkbar, dass die gemeinsame Einrichtung die Teilaufrechnung für diese Teilerstattungsforderung der BA erklären könnte.
Gegen eine Teilaufrechnung zugunsten der BA spricht aber, dass eine Erstattungsforderung nicht nach den Leistungsanteilen die BA und der Kommune aufgeteilt werden muss (BSG, Urteil vom 07.07.2011, B 14 AS 153/10 R, Rn. 37). Gleiches gilt für die Aufhebungsentscheidung (BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 196/11 R, Rn. 17). Dann lässt sich für den Betroffenen nicht mehr erkennen, welcher Teil der Erstattungsforderung der BA zugeordnet werden kann. Dann scheidet eine Teilaufrechnung aus, weil der aufrechenbare Teil der Gegenforderung nicht bestimmbar ist.
Außerdem dürfte der Gegenforderung der BA auf Erstattung nur die Hauptforderung des Leistungsempfängers gegen die BA gegenübergestellt werden. Wenn eine Teilaufrechnung gegen eine Hauptforderung gegen den kommunalen Träger erfolgen würde, würde es erneut an der Gegenseitigkeit fehlen. Eine derartige Regelung enthält der strittige Bescheid aber nicht. Dort wird generell gegen die laufenden Geldleistungen aufgerechnet.
Weiter spricht gegen eine Teilaufrechnung, dass Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II dem Grunde nach eine einheitliche Geldleistung mit einheit-lichen Voraussetzungen und einheitlicher Berechnung ist. Die Aufteilung in einen BA-Teil und einen kommunalen Teil ist nur in eingeschränkten Umfang möglich. Die Aufzählung von Regelbedarf, Mehrbedarf und Bedarf für Unterkunft und Heizung in § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II ist keine Definition selbständiger Teilleistungen, sie dient vor allem der Abgrenzung zu anderen Leistungsformen nach §§ 24, 26 und 27 SGB II, die gerade nicht als Ar-beitslosengeld II oder Sozialgeld gelten sollen. Soweit das BSG in ständiger Rechtsprechung eine vom Kläger zu veranlassende Aufteilung des Streitgegenstands in Unter-kunftskosten und BA-Bedarfe zulässt (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, Rn. 18 ff), ist dies nicht auf die Aufrechnung zu übertragen.
2. Die Voraussetzungen einer Verrechnung nach § 52 SGB I liegen hier nicht vor, weil diese wegen der dortigen Verweisung auf § 51 SGB I nur möglich wäre, wenn die Ansprüche des Leistungsempfängers auf Geldleistungen pfändbar wären. Arbeitslosengeld II, das der Sicherung des Existenzminimums dient, ist aber nicht pfändbar (Eicher, a.a.O., § 43 Rn. 19 mit Hinweis auf verschiedene Begründungswege; nunmehr ausdrücklich seit 01.08.2016 in § 42 Abs. 4 S. 1 SGB II geregelt). Dahinstehen kann daher, ob eine derartige Auswechslung der Begründung bei einem Ermessensverwaltungsakt überhaupt möglich wäre (ablehnend Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 36; befürwortend Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 41 Rn. 10 ff).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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