L 37 SF 6/16 EK AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 6/16 EK AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer - des vor dem Sozialgericht Potsdam zunächst unter dem Aktenzei- chen S 38 AS 1845/11*42 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 2.000,00 EUR, - des vor dem Sozialgericht Potsdam zunächst unter dem Aktenzei- chen S 38 AS 3284/11*42 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.800,00 EUR und - des vor dem Sozialgericht Potsdam zunächst unter dem Aktenzei- chen S 38 AS 1141/12*42 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.600,00 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Entschädigungen wegen überlanger Dauer der vor dem Sozialgericht Potsdam zunächst unter den Aktenzeichen S 42 AS 1845/11, S 42 AS 3284/11 und S 42 AS 1141/12 registrierten und zuletzt zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 38 AS 1845/11 verbundenen Verfahren. Den inzwischen abgeschlossenen Ausgangsverfahren lagen folgende Sachverhalte zugrunde:

Am 08. Juli 2011 erhob der schon damals von seinen jetzigen Bevollmächtigten vertretene Kläger beim Sozialgericht Potsdam Klage, mit der er – unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide - die Verurteilung des Jobcenters B zur Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Zeit ab dem 01. Mai 2011 begehrte. Der Beklagte hatte die Leistungsbewilligung unter Berufung auf § 7 Abs. 5 SGB II abgelehnt, da der Kläger am 08. September 2010 beim Europäischen Bildungswerk eine Ausbildung begonnen hatte. Mit der Klage beantragte der Kläger Akteneinsicht sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Das Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen S 42 AS 1845/11 registriert. Am 25. Juli 2011 bestätigte das Gericht den Eingang der Klage und forderte den Beklagten des Ausgangsverfahrens zum einen zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen, zum anderen zur Übersendung der Akten unmittelbar an den Bevollmächtigten des Klägers binnen vier Wochen auf. Weiter verfügte es eine Frist von acht Wochen zur Wiedervorlage. Am 04. August 2011 ging die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers ein, elf Tage später die Klageerwiderung. Am 24. August 2011 erfolgte eine Weiterleitung an den Bevollmächtigten. Nachdem dieser Mitte September die Verwaltungsakten an das Gericht geschickt hatte, wurde er um Klagebegründung innerhalb von vier Wochen gebeten. Am 01. November 2011 wurde er erinnert. Mit am selben Tag eingegangenem Schriftsatz erweiterte er die Klage und begehrte nunmehr namens des Klägers ergänzend einen Vorschuss. Eine Klagebegründung erfolgte weiterhin nicht. Erst nach zwischenzeitlicher Bitte um Fristverlängerung ging die Begründung schließlich am 07. Dezember 2011 ein und wurde dem Beklagten des Ausgangsverfahrens eine Woche später zur Erwiderung innerhalb eines Monats übersandt. Am 27. Januar 2012 traf dessen Stellungnahme ein. Diese wurde dem Bevollmächtigten am 03. Februar 2012 zur freigestellten Stellungnahme übersandt. Weiter wurde der Vorgang zur Frist in der Sache S 42 AS 3284/11 verfügt.

In diesem Verfahren hatte der Kläger am 28. November 2011 Klage gegen einen Bescheid des Jobcenters erhoben, mit dem dieses die Gewährung eines am 01. Juli 2011 beantragten Darlehens mit der Begründung abgelehnt hatte, dass der Kläger vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei und nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II eine Darlehensgewährung nur bei Vorliegen – hier nicht gegebener – besonderer Umstände in Betracht komme. Mit dem Klageschriftsatz war eine weitere ausführliche Klagebegründung angekündigt worden. Mitte Dezember 2011 hatte das Gericht den Eingang der Klage bestätigt und den dortigen Beklagten zur Stellungnahme aufgefordert, der mit am 26. Januar 2012 eingehendem Schriftsatz eine Erwiderung nach Eingang der angekündigten Klagebegründung in Aussicht gestellt hatte. Der Schriftsatz war dem Bevollmächtigten am 03. Februar 2012 übersandt worden.

Ende Februar 2012 bat der Bevollmächtigte unter Benennung des Aktenzeichens S 42 AS 3284/11 um Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie um Verbindung von Verfahren. Da angesichts eines unzutreffend benannten Aktenzeichens nicht klar war, welche Verfahren verbunden werden sollten, erfolgte im März 2012 eine entsprechende Nachfrage durch das Gericht. Zugleich erging mit Blick auf die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Bedürftigkeit des Klägers ein rechtlicher Hinweis. Zur Stellungnahme hierzu sowie zur Vorlage weiterer Unterlagen erhielt der Bevollmächtigte Gelegenheit. Nachdem er Ende März 2012 die zu verbindenden Verfahren benannt, Mitte April 2012 den erbetenen Kontoauszug vorgelegt und kurz darauf zum Vermögen des Klägers ergänzend vorgetragen hatte, bewilligte das Sozialgericht dem Kläger im Verfahren S 42 AS 1845/11 mit Beschluss vom 01. Juni 2012 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten. Weiter wurde der Vorgang am 14. Juli 2012 in das so genannte E-Fach (Entscheidungsfach) verfügt.

Im Verfahren S 42 AS 3284/11 mahnte das Gericht im Juli 2012 die angekündigte ausführliche Klagebegründung an, die kurz darauf einging. Mit Beschluss vom 23. Juli 2012 bewilligte es daraufhin auch für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe. Am 24. August 2012 ging die Klageerwiderung des dortigen Beklagten ein und wurde dem Bevollmächtigten eine Woche später zur Stellungnahme zugeleitet.

Zum September 2012 gingen beide Verfahren in die Zuständigkeit der 38. Kammer über und wurden nunmehr unter den Aktenzeichen S 38 AS 1845/11 und S 38 AS 3284/11 geführt. Die unter Angabe beider Aktenzeichen am 01. Oktober 2012 eingehende Stellungnahme des Bevollmächtigten wurde dem dortigen Beklagten eine Woche später zur Erwiderung innerhalb von vier Wochen zugeleitet.

Dieser brachte daraufhin – allein zum Verfahren S 38 AS 1845/11 - mit am 05. No-vember 2012 eingegangenem Schriftsatz seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, überhaupt eine Stellungnahme abgeben zu sollen. Diesen Schriftsatz übersandte das Gericht dem Bevollmächtigten des Klägers am 08. November 2012 zur freigestellten Stellungnahme. Knapp drei Wochen später forderte es bei ihm einen Bescheid an, der trotz entsprechender Ankündigung einem früheren Schriftsatz nicht beigefügt worden war. Dieser ging daraufhin am 05. Dezember 2012 bei Gericht ein. Der Vorgang wurde in das Sitzungsfach verfügt.

Im Verfahren S 38 AS 3284/11 wurde der Beklagte hingegen am 15. November 2012 an die Stellungnahme zu dem Anfang Oktober eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz erinnert. Vier Tage später ging seine Äußerung ein.

Ende November 2012 gab das Gericht den Beteiligten Gelegenheit, zur beabsichtigten Verbindung der beiden vorgenannten Verfahren Stellung zu nehmen. Nachdem diese davon keinen Gebrauch gemacht hatten, wurden die Verfahren mit Beschluss vom 15. Januar 2013 unter Führung des Verfahrens S 38 AS 1845/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Weiter wurde der Vorgang in das Sitzungsfach verfügt.

Mit am 01. März 2013, am 07. März und 11. September 2014 sowie am 30. April 2015 eingehenden Schriftsätzen rügte der Kläger die Verzögerung des Verfahrens.

Am 10. Juni 2015 wurde die Sache zur mündlichen Verhandlung am 21. Juli 2015 geladen. In diesem Termin wurde zu den vorgenannten Verfahren noch der zu diesem Zeitpunkt unter dem Aktenzeichen S 38 AS 1141/12 geführte Rechtsstreit hinzuverbunden.

Dieses Verfahren hatte eine am 30. April 2012 erhobene, zunächst unter dem Aktenzeichen S 42 AS 1141/12 registrierte Klage zum Gegenstand, mit der der Kläger im Überprüfungsverfahren die Rücknahme des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides des Jobcenters B vom 26. Juli 2011 begehrt hatte. Mit diesem Bescheid hatte der dortige Beklagte seine Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf die Aufnahme der Ausbildung für die Zeit vom 08. September 2010 bis zum 30. April 2011 ganz aufgehoben und die Erstattung eines Betrages in Höhe von 6.191,48 EUR gefordert. Im Überprüfungsverfahren hatte er den Bescheid vom 26. Juli 2011 sodann teilweise (bzgl. der für die Zeit vom 01. November 2010 bis zum 30. April 2011 gewährten Leistungen) aufgehoben und die Erstattungsforderung bezogen auf die Zeit vom 08. September bis zum 31. Oktober 2010 auf 910,18 EUR reduziert. In diesem Verfahren, in dem der Kläger im Wesentlichen geltend machte, der Beklagte habe ihm die Zahlung von Arbeitslosengeld II auch während der Ausbildungsdauer zugesagt, war auf richterliche Verfügung vom 10. Mai 2012 am 21. Mai 2012 der Eingang des Verfahrens bestätigt worden. Weiter war im Hinblick auf einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Aktenlage um Übersendung einer Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers gebeten worden. Ferner hatte das Gericht den Beklagten des Ausgangsverfahrens zur Stellungnahme sowie zur Aktenübersendung binnen sechs Wochen aufgefordert. Am 12. Juli 2012 war die Klageerwiderung eingegangen, die dem Bevollmächtigten des Klägers am 23. Juli 2012 zur Stellungnahme übersandt worden war. Nachdem dieser mit am 02. August 2012 eingegangenem Schriftsatz um Übersendung einiger Schriftstücke gebeten hatte, hatte das Gericht eine gute Woche später angefragt, ob eine Übersendung des Verwaltungsvorgangs gewünscht werde. Zum September 2012 war auch diese Sache in die Zuständigkeit der 38. Kammer übergegangen (neues Aktenzeichen: S 38 AS 1141/12). Nachdem der Bevollmächtigte unter dem 04. September 2012 auf die Anfrage reagiert hatte, waren ihm die Verwaltungsakten eine Woche später übersandt worden. Am 24. September 2012 waren die Akten an das Gericht zurückgelangt. Kurz darauf war der Vorgang als entscheidungsreif eingeschätzt worden. Nachdem der Bevollmächtigte im März 2013 die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe angemahnt und das Gericht daraufhin seinerseits im April an die Übersendung der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen erinnert hatte, hatte der Bevollmächtigte mitgeteilt, dass eine entsprechende Aufforderung mit der Klageeingangsbestätigung nicht erfolgt sei und in der Sache auf das Parallelverfahren verwiesen. Die Kammervorsitzende hatte daraufhin Mitte Mai 2013 eine aktuelle Erklärung vom Kläger angefordert, die Anfang Juni 2013 zu den Akten gereicht worden war. Mit Beschluss vom 07. Juni 2013 war daraufhin auch in diesem Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsstreit im Folgenden wieder als entscheidungsreif geführt worden. Nachdem hier mit am 31. Januar und 26. August 2014 sowie 27. April 2015 eingegangenen Schriftsätzen die Verzögerung des Verfahrens gerügt worden war, war auch in diesem Verfahren am 10. Juni 2015 zur mündlichen Verhandlung am 21. Juli 2015 geladen worden.

In diesem Termin zur mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger sein Begehren, soweit es auf Zahlung eines Vorschusses gerichtet war, für erledigt. Im Übrigen einigten die damaligen Beteiligten sich in der Sache dahin, dass für den Zeitraum vom 08. September 2010 bis zum 19. Juni 2013 keine gegenseitigen Ansprüche oder Forderungen bestehen bzw. geltend gemacht würden.

Am 19. Januar 2016 hat der Kläger eine Entschädigungsklage erhoben und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 3.000,00 EUR für die verbundenen Verfahren S 38 AS 1845/11 und S 38 AS 3284/11 sowie in Höhe von mindestens 2.500,00 EUR für das zu diesen Verfahren hinzuverbundene, bis dahin unter dem Aktenzeichen S 38 AS 1141/12 geführte Verfahren begehrt. Weiter hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Er meint, die Verfahren wiesen eine unangemessene Dauer auf. Ausgehend von der jedenfalls im Umfang von 30 Monaten überlangen Dauer der durch Beschluss vom 15. Januar 2013 unter dem Aktenzeichen S 38 AS 1845/11 verbundenen Verfahren S 38 AS 3284/11 und S 38 AS 1845/11 belaufe sich die angemessene Entschädigung auf mindestens 3.000,00 EUR (30 Monate x 100,00 EUR). Mit Blick auf die jedenfalls im Umfang von 25 Monaten überlange Dauer des unter dem Aktenzeichen S 38 AS 1141/12 geführten Verfahrens betrage die angemessene Entschädigung mindestens 2.500,00 EUR (25 Monate x 100,00 EUR).

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen unangemessener Dauer der vor dem Sozialgericht Potsdam unter dem führenden Aktenzeichen S 38 AS 1845/11 durch Beschluss vom 15. Januar 2013 verbundenen Verfahren S 38 AS 3284/11 und S 38 AS 1845/11 eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens 3.000,00 EUR und wegen unangemessener Dauer des vor dem Sozialgericht Potsdam zunächst unter dem Aktenzeichen S 38 AS 1141/12 geführten und durch Beschluss vom 21. Juli 2015 ebenfalls mit dem Verfahren S 38 AS 1845/11 verbundenen Klageverfahrens eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens 2.500,00 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, der Klage könne zwar dem Grunde nach die Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden, indes sei die begehrte Entschädigung zu hoch. Es werde nicht berücksichtigt, dass den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine zwölfmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit zustehe. Im Übrigen erscheine fraglich, wie im Entschädigungsverfahren verschiedene zu einem Verfahren verbundene Rechtsstreitigkeiten rechtlich einzuordnen seien.

Mit Schriftsätzen vom 14. Dezember 2016 und 08. Februar 2017 haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten der Ausgangsverfahren verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der nach § 201 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie § 202 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt hatten.

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

A. Die Entschädigungsklage ist zulässig.

I. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger macht angesichts der Regelung des § 198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz 1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grund¬sätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch eine Verpflichtung handelt.

II. Zweifel an der Wahrung der gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform bestehen ebenso wenig wie an der Einhaltung der in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG normierten Sechsmonatsfrist für eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer. Nach vergleichsweiser Beendigung der drei verbundenen Rechtsstreitigkeiten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 21. Juli 2015 wurde die Entschädigungsklage am 19. Januar 2016, mithin noch binnen sechs Monaten erhoben.

B. Auch ist die Zahlungsklage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Kläger begehrt bei verständiger Würdigung seines Klageantrages - auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens in Reaktion auf den ihm Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss des Senats vom 05. September 2016 - Entschädigungen für drei am 08. Juli 2011, 28. November 2011 sowie 30. April 2012 eingeleitete Klageverfahren, die nach zwischenzeitlicher Verbindung mit Beschlüssen vom 15. Januar 2013 und 21. Juli 2015 mit Abschluss eines Vergleichs vor dem Sozialgericht am 21. Juli 2015 beendet wurden. Er rügt insoweit entschädigungspflichtige Verzögerungen im Umfang von mindestens 30 Monaten in den ursprünglich unter den Aktenzeichen S 38 AS 1845/11*42 und S 38 AS 3284/11*42 registrierten Verfahren und von mindestens 25 Monaten in dem zunächst unter dem Aktenzeichen S 38 AS 1141/12*42 geführten Verfahren, macht lediglich einen immateriellen Schaden geltend und begehrt eine Entschädigung in Höhe von 100,00 EUR je Verzögerungsmonat, insgesamt in Höhe von mindestens 5.500,00 EUR. Zur Überzeugung des Senats stehen ihm mit Blick auf die einzelnen Verfahren Entschädigungen in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang zu.

I. Zu Recht richtet sich die Klage gegen das hier passivlegitimierte Land B. Denn nach § 200 Satz 1 GVG haftet für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land. Die Vertretung des Landes B erfolgt nach Nr. 5 der Anordnung über die Vertretung des Landes B im Geschäftsbereich des Ministers der Justiz (Vertretungsordnung JM Brdbg, Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz) vom 09.06.1992 (JMBl. S. 78) in der Fassung der Änderung vom 21.11.2012 (JMBl. S. 116) durch die Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. zur Zulässigkeit einer entsprechenden Übertragung durch eine Verwaltungsanordnung Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 17.04.2013, X K 3/12, zitiert nach juris, Rn. 30 ff. für die Anordnung über die Vertretung des Landes B im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20.09.2007, Amtsblatt B 2007, 2641).

II. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigungen in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG). Dies gilt nach Art. 23 Satz 2 und 3 GRüGV für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des GRüGV schon verzögert sind, mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des GRüGV erhoben werden muss. Nur in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum. Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann schließlich frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden (§ 198 Abs. 5 Satz 1 GVG).

Vorliegend bestehen keine Zweifel, dass der Kläger in den streitgegenständlichen Ausgangsverfahren jeweils Verzögerungsrügen erhoben hat, die hier bei Eingang der Klagen in den Ausgangsverfahren im Juli und November 2011 bzw. April 2012 jeweils nicht unverzüglich erfolgen mussten, und die maßgeblichen Fristen gewahrt hat. Auch weisen die einzelnen, letztlich zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren eine unangemessene Dauer auf.

Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG kommt es für die Beurteilung der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten sowie die Schwierigkeit, Komplexität und Bedeutung des Verfahrens an, wobei nicht nur die Bedeutung für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang ist, sondern auch die Bedeutung für die Allgemeinheit. Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen, wobei kleinste relevante Zeiteinheit im Geltungsbereich des GRüGV stets der Monat (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 29, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 25, B 10 ÜG 2/13, Rn. 24, jeweils zitiert nach juris) im Sinne des Kalendermonats (BSG, Urteil vom 12.02.2015, B 10 ÜG 11/13 R, 2. Leitsatz und Rn. 34, zitiert nach juris) ist. Zu beachten ist dabei allerdings zum einen, dass dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht auslöst. Denn eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 57). Zum anderen ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz eröffnet, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Bei der Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts hat das Entschädigungsgericht vielmehr die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und –gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13 R, Rn. 36, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 39, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 43, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 42, jeweils zitiert nach juris). Denn ungeachtet richterlicher Unabhängigkeit besteht eine richterliche Grundpflicht zur stringenten und beschleunigten Verfahrensgestaltung (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 49).

1. Ausgangspunkt der Angemessenheitsprüfung bildet die - in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte - Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss. Nicht von Bedeutung für das Entschädigungsverfahren ist hingegen die Dauer eines Widerspruchsverfahrens (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 25, 27).

Dem hiesigen Entschädigungsverfahren liegt das zuletzt unter dem Aktenzeichen S 38 AS 1845/11 erledigte Ausgangsverfahren zugrunde, das auf drei einzelne Klagen zurückgeht, nämlich - die am 08. Juli 2011 erhobene Klage, mit der der Kläger zunächst Leistungen zur Grundsicherung für die Zeit ab dem 01. Mai 2011 und ab 01. November 2011 klageerweiternd auch einen Vorschuss begehrte (S 38 AS 1845/11*42), - die am 28. November 2011 erhobene Klage, mit der er sein am 01. Juli 2011 an den dortigen Beklagten herangetragenes Begehren auf Gewährung eines Darlehens weiterverfolgte (S 38 AS 3284/11*42), und - die am 30. April 2012 erhobene Klage, die – im Überprüfungsverfahren – auf Rücknahme eines sich noch auf den Zeitraum vom 08. September bis zum 31. Oktober 2010 beziehenden Aufhebungs- und Erstattungsanspruchs gerichtet war (S 38 AS 1141/12*42). Nachdem die beiden erstgenannten Verfahren bereits mit Beschluss vom 15. Januar 2013 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden waren, erfolgte eine Hinzuverbindung des dritten Verfahrens in der mündlichen Verhandlung am 21. Juli 2015. Alle drei Verfahren wurden sodann mit Abschluss des Vergleichs vor dem Sozialgericht am 21. Juli 2015 erledigt. Zur Überzeugung des Senats folgt aus den jeweiligen Verbindungen jedoch nicht, dass die einzelnen Verfahren ihre Eigenständigkeit verloren haben und (nur noch) als Einheit zu betrachten wären (so aber wohl LSG Thüringen, Urteil vom 10. Juli 2013, L 12 SF 916/12 EK, abrufbar unter juris, Rn. 41 ff.). Durch eine Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung wird nicht aus mehreren Verfahren ein einziges, vielmehr behält jedes seine Eigenständigkeit. Auch hat jedes dieser Verfahren ein eigenes Schicksal und eine nicht zwingend gleichermaßen angemessene Dauer. Denn während für ein Verfahren Ermittlungen geboten sein mögen, können diese für ein anderes gänzlich unerheblich sein. Dies durch den Ansatz einer Durchschnittsbetrachtung (so wohl LSG Thüringen, Urteil vom 10. Juli 2013, L 12 SF 916/12 EK, juris, Rn. 41 f.) aufzufangen, erscheint dem Senat nicht sachgerecht. Es ist nicht nachvollziehbar, warum nach einer Verfahrensverbindung nur noch von gerichtlicher Untätigkeit im Umfang von z.B. sechs Monaten ausgegangen werden soll, wenn es zuvor in einem der Verfahren zu sieben und im anderen zu fünf Monaten gerichtlicher Inaktivität gekommen ist. Soweit in dem Urteil des Senats vom 12. Mai 2015 im Verfahren L 37 SF 37/12 EK VH (abrufbar unter juris) anklingt, verbundene Verfahren, bei denen die geltend gemachten materiell-rechtlichen Ansprüche auf ein und demselben Lebenssachverhalt basieren und/oder die so miteinander verwoben sind, dass eine isolierte Betrachtung jedes einzelnen Verfahrensgegenstandes nicht sachgerecht erscheint, hält der Senat daran in dieser Pauschalität nicht fest. So mag z.B. mehreren im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende geführten Rechtsstreitigkeiten die Frage zugrunde liegen, ob ein Kläger nach einem zuvor nicht genehmigten Umzug einen Anspruch auf höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung hat. Aufgrund der gesetzlich vorgesehenen Dauer eines Bewilligungsabschnitts und angesichts der ständigen Rechtsprechung insbesondere der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichts, nach der Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume nicht Verfahrensgegenstand werden, können Betroffene gehalten sein, sich auf mehrere Bewilligungsabschnitte beziehende Bescheide anzufechten, bevor sie eine rechtskräftige Entscheidung vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit herbeigeführt haben. Sollten mehrere dieser Verfahren eine überlange Dauer aufweisen, vermag der Senat keine Gründe dafür zu erkennen, betroffene Kläger faktisch nur für ein Verfahren zu entschädigen. Abgesehen davon wäre im Falle einer nicht getrennten Betrachtung letztlich das Bestehen oder jedenfalls die Höhe eines Entschädigungsanspruchs stark vom Zufall abhängig, ob überhaupt und ggf. wann im Verfahrensverlauf eine Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung erfolgt.

Auch im vorliegenden Verfahren stellt sich die Erhebung von drei isolierten Klagen keinesfalls als mutwillig dar. Im Gegenteil musste der Kläger zum einen auf die aus seiner Sicht nicht vollständig erfolgreiche Überprüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides, zum anderen die zunächst abgelehnte Leistungsgewährung und sodann die daraufhin ebenfalls abgelehnte Bewilligung eines Darlehens durch einzelne Klagen reagieren. Insbesondere war er nicht verpflichtet, die begehrte Darlehensbewilligung im Wege der Klageerweiterung zum Gegenstand des über die Leistungsablehnung geführten Rechtsstreits zu machen. Der Senat hält es damit hier für geboten, jedes Verfahren einer gesonderten Bewertung zu unterziehen, wobei davon auszugehen ist, dass sich die einzelnen Verfahren über gut vier Jahre, drei Jahre und knapp acht Monate bzw. drei Jahre und knapp drei Monate hingezogen haben.

2. Den drei Verfahren, deren Schwierigkeit und Komplexität als allenfalls durchschnittlich einzustufen ist, kommt zur Überzeugung des Senats jeweils eine leicht unterschiedliche, letztlich jedoch etwa durchschnittliche Bedeutung zu.

Die für die Beurteilung der Verfahrensdauer maßgebliche Bedeutung des Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der Sache im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers bzw. der Klägerin und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine/ihre weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 2/13, Rn. 29, B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 31, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 35, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 38, jeweils zitiert nach juris). Letztlich lag allen drei streitgegenständlichen Ausgangsverfahren die Frage zugrunde, ob der Kläger während seiner Berufsausbildung beim Europäischen Bildungswerk weiterhin einen Anspruch auf (zumindest darlehensweise) Gewährung von Leistungen nach dem SGB II hat bzw. bereits erhaltene Leistungen zurückerstatten muss. Während der Senat dabei die auf Gewährung von Leistungen und auf Bewilligung eines Darlehens gerichteten Klagen jeweils als durchschnittlich bedeutsame Klagen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende ansieht, räumt er dem dritten Verfahren, in dem der Kläger sich gegen die Leistungsaufhebung und die Geltendmachung einer Erstattungsforderung im Überprüfungsverfahren wendete, eine etwas geringere Bedeutung bei. Denn zwar geht es letztlich auch dabei um die Frage, ob ein Anspruch bestand. Erfahrungsgemäß haben in derartigen Verfahren jedoch gerade die Kläger Interesse an einer längeren Verfahrensdauer, weil sie dies (zunächst) von der anstehenden oder zumindest drohenden Rückzahlung bereits erhaltener Leistungen befreit. Ein Rechtsverlust drohte schließlich in keinem der Verfahren und war im Ergebnis aufgrund der Verfahrensdauer auch nicht zu beklagen.

3. Mit Blick auf den Verfahrensablauf ist zu beachten, dass es – wie den Ausführungen im Tatbestand zu entnehmen ist - tatsächlich nur in wenigen Ausnahmefällen zu geringfügigen Verzögerungen gekommen ist, die dem Verantwortungsbereich des Klägers zuzuordnen sind. Auch sind dem Beklagten der Ausgangsverfahren keine Verzögerungen anzulasten. Wohl aber ist festzustellen, dass es insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts zu sachlich nicht gerechtfertigten Zeiten des Verfahrens gekommen ist, die dem Beklagten zuzurechnen sind.

Insoweit gilt mit Blick auf die streitgegenständlichen Ausgangsverfahren Folgendes:

Die Verfahren S 38 AS 1845/11*42 und S 38 AS 3284/11*42 sind zunächst jeweils sachgerecht betrieben worden. Nachdem der Bevollmächtigte im Februar 2012 um eine Verfahrensverbindung gebeten hatte, jedoch unklar blieb, um welche Verfahren es sich dabei handeln sollte, fragte das Gericht im März nach. Weiter erfolgte in den Monaten März und April 2012 Schriftverkehr mit Blick auf die in beiden Verfahren beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe, während sodann im Mai 2012 in keinem der beiden Verfahren eine Verfahrensförderung ersichtlich, es mithin jeweils zu einem Monat der gerichtlichen Inaktivität gekommen ist.

Während es sodann im Verfahren S 38 AS 1845/11*42 im Juni 2012 zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe kam, von Juli bis einschließlich September 2012 hingegen keine weitere gerichtliche Aktivität erkennbar ist, erfolgte im Verfahren S 38 AS 3284/11*42 zunächst keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Vielmehr mahnte das Gericht (erst) im Juli 2012 die angekündigte ausführliche Klagebegründung an, sodass sich hier der Monat Juni 2012 als Phase der gerichtlichen Inaktivität darstellt. Nachdem sodann die Klagebegründung im Juli eingegangen war, wurde noch im selben Monat Prozesskostenhilfe bewilligt. Weiter durfte das Gericht die letztlich am 24. August 2012 eingegangene Klageerwiderung abwarten, die kurz darauf den Bevollmächtigten des Klägers zur freigestellten Stellungnahme zugeleitet wurde. Auch dass das Gericht vor diesem Hintergrund im September 2012 nicht weiter aktiv wurde, ist nicht zu beanstanden, d.h. nicht als Phase der gerichtlichen Inaktivität zu werten.

Nachdem die Bevollmächtigten sodann eine – unter beiden Aktenzeichen verfasste – Stellungnahme abgegeben hatten, die Anfang Oktober 2012 bei Gericht eingegangen war, wurden beide Verfahren wieder sachgerecht betrieben. Insbesondere ist der Dezember 2012 nicht als Verzögerungsmonat anzusehen. Das Gericht musste hier vielmehr abwarten, ob die damaligen Beteiligten von der ihnen Ende November 2012 eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme zur angekündigten Verfahrensverbindung Gebrauch machen würden. Nachdem dies nicht geschehen war, erging sodann im Januar 2013 der Verbindungsbeschluss. Allerdings ist für die Folgezeit nicht mehr ersichtlich, dass es bis zur Terminierung der verbundenen Sachen im Juni 2015 zu irgendwelchen verfahrensfördernden Schritten gekommen wäre. Die Zeit von Februar 2013 bis Mai 2015 stellt sich damit in beiden Verfahren als Phase der gerichtlichen Inaktivität dar.

Auch das Verfahren S 38 AS 1141/12*42 ist ab Klageeingang im April 2012 zunächst bis einschließlich September 2012 sachgerecht betrieben worden. Im Folgenden lag der Vorgang als entscheidungsreif im Sitzungsfach. Zu einer Aktivität kam es erst wieder, als der Bevollmächtigte des Klägers im März 2013 die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe anmahnte, was sodann wieder bis einschließlich Juni 2013 zu Aktivität führte. Die Phase dazwischen, d.h. der Zeitraum von Oktober 2012 bis einschließlich Februar 2013 stellt sich damit als Zeit der gerichtlichen Inaktivität dar. Nicht mehr kann dies hingegen für den folgenden Zeitraum bis einschließlich Juni 2013, in dem es zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe kam, gelten. Wohl aber stellt sich der folgende Zeitraum von Juli 2013 bis Mai 2015 wieder als Phase der gerichtlichen Inaktivität dar.

Nach vorstehenden Ausführungen ist mithin in den einzelnen streitgegenständlichen Ausgangsverfahren von in den Verantwortungsbereich des Beklagten fallenden Verzögerungszeiten im Umfang von - 32 Kalendermonaten (S 38 AS 1845/11*42), - 30 Kalendermonaten (S 38 AS 3284/11*42) und - 28 Kalendermonaten (S 38 AS 1141/12*42) auszugehen.

S 38 AS 1845/11*42 S 38 AS 3284/11*42 S 38 AS 1141/12*42 Klage vom 08. Juli 2011 Klage vom 28.11.2011 Klage vom 30.04.2012 Leistungen ab 01.05.2011 und Vorschuss Darlehen (Antrag vom 01.07.2011) Aufhebungs-/ Erstattungsbescheid im Überprüfungsverfahren

Phasen der gerichtlichen Inaktivität

Mai 2012 (1 Monat) Mai – Juni 2012 (2 Monate) Juli 2012 – Sept. 2012 (3 Monate) Januar 2013: Verbindung der beiden Verfahren Oktober 2012 – Feb. 2013 (5 Monate) Februar 2013 – Mai 2015 (28 Monate) Juli 2013 – Mai 2015 (23 Monate) Juli 2015: Verbindung aller drei Verfahren und Vergleich

32 Monate 30 Monate 28 Monate

Dies heißt jedoch nicht, dass in den einzelnen Verfahren in vorstehendem Umfang tatsächlich entschädigungsrelevante Verzögerungen anzunehmen sind. Denn die Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund einer abschließenden Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien erfolgen. Dabei führt die Feststellung längerer Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht noch nicht zwangsläufig zu einer unangemessenen Verfahrensdauer. Denn es ist zu beachten, dass einem Rechtschutzsuchenden - je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels sowie abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits und von seinem eigenen Verhalten - gewisse Wartezeiten zuzumuten sind, da grundsätzlich jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen muss (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 52). Allerdings muss die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc.) andererseits so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für die Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 53, B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 46, jeweils zitiert nach juris). Vor diesem Hintergrund sind - vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten im Umfang von bis zu zwölf Monaten je Instanz regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte als begründet und gerechtfertigt angesehen werden können, und können in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer regelmäßig zudem dann, wenn sie zwölf Monate überschreitet, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 33, 54 f., B 10 ÜG 2/14 R, Rn. 47 f., jeweils zitiert nach juris). Die genannten Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 56).

Derartige Kriterien werden vom Kläger nicht geltend gemacht und vermag der Senat auch nicht zu erkennen. Vor diesem Hintergrund sind für die einzelnen Ausgangsverfahren entschädigungsrelevante Zeiten der gerichtlichen Inaktivität im Umfang von - 20 Kalendermonaten (S 38 AS 1845/11*42), - 18 Kalendermonaten (S 38 AS 3284/11*42) und - 16 Kalendermonaten (S 38 AS 1141/12*42) festzustellen.

4. Durch diese überlange Verfahrensdauer hat der Kläger einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.

5. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Absatz 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung des Senats nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat auch der Beklagte nicht geltend gemacht.

6. Ausgehend von der im jeweiligen Verfahren entschädigungspflichtigen Überlänge und dem in § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung belaufen sich die dem Kläger für die einzelnen Verfahren zustehenden angemessenen Entschädigungen auf - 2.000,00 EUR im Verfahren S 38 AS 1845/11*42, - 1.800,00 EUR im Verfahren S 38 AS 3284/11*42 und - 1.600,00 EUR im Verfahren S 38 AS 1141/12*42. Gründe, die den Ansatz des gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrages unbillig und daher eine abweichende Festsetzung notwendig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich und von den Beteiligten auch nicht vorgetragen.

III. Soweit in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG schließlich die Möglichkeit vorgesehen ist, in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung auszusprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, sieht der Senat hierfür keinen Grund. Er vermag bereits nicht zu erkennen, dass vorliegend ein schwerwiegender Fall gegeben wäre.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung. Angesichts des nur sehr geringen Unterliegens des Klägers hat der Senat von einer Quotelung der Kosten abgesehen.

V. Anlass, die Revision nach §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 202 Satz 2 SGG, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG zuzulassen, bestand nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved