L 19 AS 1458/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 60 AS 5298/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1458/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 159/17 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.05.2016 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch über die Höhe der zu gewährenden Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Monat Mai 2014.

Die 1964 bzw. 1966 geborenen, miteinander verheirateten Kläger zu 1) und zu 2) erwarben im Jahr 2003 ein etwa 55 Jahre altes Mehrfamilienhaus mit drei Wohnungen (Erdgeschoß 85,92 m², Obergeschoß 107,67 m², Anbau 49,66 m²) in der V-straße 00 in C zu einem Preis von 146.000,00 EUR. Sie waren Miteigentümer je zur Hälfte und bewohnten mit ihren vier Kindern, u.a. mit den 1995 und 1996 geborenen Klägern zu 3) und zu 4), die Wohnung im 1. Obergeschoss. Die beiden anderen Wohnungen waren vermietet.

Am 19.02.2014 schlossen die Kläger zu 1) und 2) mit ihrem 1989 geborenen Sohn, dem Zeugen G L, einen notariellen Kaufvertrag, in dem sie ihm das Haus zu einem Kaufpreis von 144.000,00 EUR veräußerten. Der Kaufpreis entsprach der Summe der auf dem Grundstück lastenden Grundschulden; die durch die Grundschulden gesicherten Darlehensforderungen (i.H.v. 132.629,81 EUR) waren geringer. Der Kaufpreis wurde zur Tilgung der durch Grundschulden gesicherten Darlehensverbindlichkeiten der Kläger zu 1) und zu 2) verwandt, eine teilweise Auszahlung des Kaufpreises an die beiden Kläger zu 1) und zu 2) erfolgte nicht. In § 5 des Kaufvertrages wurde vereinbart, dass sich die Kläger zu 1) und 2) an den gesamten Wohnräumen des Obergeschosses ein lebenslanges, dinglich gesichertes Wohnungsrecht vorbehalten. Ferner wurde vereinbart, dass die auf das Wohnungsrecht anfallenden verbrauchsabhängigen Nebenkosten wie Wasser, Kanal, Müllabfuhr und Heizkosten von den Klägern zu 1) und 2) zu tragen sind. Die Überlassung des Wohnungsrechts an Dritte wurde nicht gestattet. Das Wohnungsrecht wurde zugunsten der Kläger zu 1) und 2) in das Grundbuch eingetragen. Zum 01.04.2014 zogen der Zeuge und sein Bruder N aus der elterlichen Wohnung aus und bezogen die im Anbau des Hauses befindliche Wohnung.

Im April 2014 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, nachdem der Kläger zu 1) bis zum 13.04.2014 Alg I bezogen hatte. Bei der Antragstellung legten die Kläger einen vom Kläger zu 1) und dem Zeugen unterzeichneten Mietvertrag vom 15.04.2014 vor, wonach sie ab dem 01.04.2014 eine Grundmiete von 400,00 EUR, Nebenkosten i.H.v. 130,00 EUR und Heizkosten i.H.v. 174,00 EUR an den Zeugen zu zahlen haben. Die Beklagte bat um Darlegung, aus welchen Gründen das Haus so kurz vor Beantragung der SGB II-Leistungen veräußert worden sei. Der Kläger zu 1) gab hierzu an, dass er sich die Hausfinanzierung nach Kündigung seines Arbeitsverhältnisses im Jahre 2012 nicht mehr habe leisten können. Er habe das Haus damals schon veräußern wollen. Sein Sohn sei an einem Erwerb interessiert gewesen, da dieser jedoch nur einen befristeten Arbeitsvertrag gehabt habe, habe er keine Finanzierung erhalten. Erst am 17.01.2014 habe dieser einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten, so dass er das Haus dann habe finanzieren können.

Die Beklagte bewilligte den Klägern daraufhin mit Bescheid vom 28.06.2014 für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. insgesamt 1.268,00 EUR und berücksichtigte dabei - neben den jeweiligen Regelbedarfen - Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. insgesamt 304,00 EUR (Nebenkosten 130,00 EUR + Heizkosten 174,00 EUR). Die Grundmiete i.H.v. 400,00 EUR blieb als Bedarf unberücksichtigt.

Hiergegen erhoben die Kläger Widerspruch und machten geltend, trotz des lebenslangen Wohnungsrechts seien sie zur Mietzahlung verpflichtet. Auf Veranlassung der Kläger teilte der Notar X, der den Kaufvertrag beurkundet hatte, der Beklagten mit, dass das dingliche Wohnungsrecht von Gesetzes wegen immer unentgeltlich sei, die Vertragsparteien daneben jedoch schuldrechtliche Vereinbarungen wie z.B. einen Mietvertrag treffen könnten. Der Kaufvertrag sage hierzu nichts aus, da schuldrechtliche Vereinbarungen nicht zum Inhalt der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit gemacht werden könnten.

Der Hochsauerlandkreis wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2014 als unbegründet zurück. Voraussetzung für die Übernahme der Miete sei, dass diese auch tatsächlich entstehe. Dies sei hier nicht der Fall, da die Unterkunft unentgeltlich gewährt werden müsse. Lediglich die Neben- und Heizkosten müssten übernommen werden, da dies der Kaufvertrag vorsehe. Auch sei eine Zahlung der Miete nicht nachgewiesen. Ferner sei auch der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Hausverkauf und Beantragung der SGB II-Leistungen zu sehen.

Am 17.09.2014 beantragten die Kläger die Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 28.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2014 nach § 44 SGB X. Sie machten erneut geltend, dass die Kaltmiete in Höhe von 400,00 EUR zu übernehmen sei. Hätte es den Hausverkauf nicht gegeben, hätten zumindest die Darlehenszinsen übernommen werden müssen.

Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 06.10.2014 ab, der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 31.10.2014 blieb ebenfalls erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.11.2014). Ergänzend wurde ausgeführt, auch wenn vorliegend ein Mietvertrag bestehe, verstoße dieser nach § 138 BGB gegen die guten Sitten, da dieser in erster Linie darauf angelegt sei, die Vermögensverhältnisse zum Schaden des Trägers der Leistungen nach dem SGB II und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln. Die Kläger könnten ihren Unterkunftsbedarf durch das eingeräumte Wohnungsrecht decken, da der Zeuge die Ausübung dulden müsse, ohne hierfür eine gesonderte Entschädigung verlangen zu können.

Hiergegen haben die Kläger am 17.12.2014 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund erhoben.

Sie haben die Auffassung vertreten, der Mietvertrag verstoße nicht gegen die guten Sitten, da dieser überhaupt Grundlage dafür gewesen sei, dass der Zeuge bereit gewesen sei, das Haus zu erwerben. Da er Darlehensverbindlichkeiten habe eingehen müssen, habe er diese in Form von Mieteinnahmen refinanzieren müssen.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 06.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2014 abzuändern und ihnen in der Zeit vom 01.04.2014 bis 30.09.2014 monatlich weitere Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 400,00 EUR zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Sohnes G L als Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30.05.2016 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 30.05.2016 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid geändert und die Beklagte verpflichtet, den Klägern für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 monatlich weitere Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 400,00 EUR zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger verfügten über einen wirksamen Mietvertrag, aufgrund dessen sie ab dem 01.04.2014 die Zahlung einer Grundmiete in Höhe von 400,00 EUR monatlich schuldeten. Die Kläger seien aufgrund des Mietvertrages einer konkreten Zahlungsverpflichtung ausgesetzt. Der Mietvertrag verstoße nicht gegen die guten Sitten und sei deshalb nicht nach § 138 BGB nichtig, denn der Mietvertrag sei nicht nach Inhalt, Zweck und Beweggrund in erster Linie darauf angelegt, Vermögensverhältnisse zum Schaden des SGB II-Trägers und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln. Die Kammer habe auch keine Veranlassung gesehen, von einem Scheingeschäft i.S.d. § 117 Abs. 1 BGB auszugehen. Dementsprechend seien die mietvertraglich vereinbarten Kosten als tatsächliche Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II von der Beklagten bei der Leistungsbewilligung zu berücksichtigen.

Gegen das ihr am 07.07.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.07.2016 Berufung eingelegt.

Sie trägt vor, die Miete stelle keine angemessene Aufwendung im Sinne des SGB II dar. Durch die vertraglich vereinbarte Zahlung einer monatlichen Kaltmiete i.H.v. 400,00 EUR würde der Steuerzahler de facto dazu beitragen, dass der Zeuge seine monatlichen Verpflichtungen gegenüber der Bank bedienen könne, obgleich die Kläger aufgrund des dinglich gesicherten Wohnungsrechts unentgeltlich wohnen könnten. Dieses dingliche Recht verleihe den Klägern nach § 1093 Abs. 1 BGB die Befugnis zum Wohnen in dem auf dem belasteten Grundstück befindlichen Gebäude unter Ausschluss des Eigentümers. Der Zeuge habe als Eigentümer die Pflicht, die Ausübung des Wohnungsrechts zu dulden, ohne dass er hierfür eine gesonderte Entschädigung verlangen könne, den Berechtigten träfen nur die Pflichten des Nießbrauchers. Vor diesem Hintergrund verstoße der Mietvertrag gegen die guten Sitten und sei nach § 138 BGB nichtig. Denn Rechtsgeschäfte, die nach Inhalt, Zweck und Beweggrund in erster Linie darauf angelegt seien, Vermögensverhältnisse zum Schaden des Sozialhilfeträgers bzw. des SGB II-Trägers und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln, verstießen gegen die guten Sitten, wenn nicht besondere Rechtfertigungsgründe vorlägen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.05.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und tragen ergänzend vor, die Beklagte unterstelle ihnen im Ergebnis ein unredliches Verhalten. Wäre die Übertragung des Hausgrundstücks nicht erfolgt, hätte die Beklagte ihnen indes ebenfalls weitere Unterkunftskosten gewähren müssen. Denn zum Zeitpunkt der Übertragung hätten Darlehensverbindlichkeiten bestanden, für die sie Zinsen hätten zahlen müssen. Diese Darlehenszinsen hätte die Beklagte ihnen auch als Unterkunftskosten gewähren müssen. Dies unterscheide den streitgegenständlichen Sachverhalt entscheidend von dem Verfahren, den das Landessozialgericht Baden-Württemberg in dem von der Beklagten zitierten Urteil zu entscheiden gehabt habe, denn dort hätten die Beteiligten eine Zahlungsverpflichtung konstruiert, die ansonsten gar nicht bestanden hätte. Vorliegend habe dagegen durchgehend eine Zahlungsverpflichtung bestanden. Insbesondere hätten die Beteiligten auch kein unentgeltliches Wohnungsrecht vereinbaren und über die rechtliche Konstruktion eines Mietvertrages eine Zahlungsverpflichtung zulasten der Beklagten schaffen wollen. Die Vereinbarung (auch) eines Wohnungsrechts sei auf Vorschlag des Notars erfolgt, eine solche Konstruktion sei ihnen überhaupt nicht bekannt gewesen. Grundlegende Überlegung sei gewesen, dass eine Übertragung gegen Übernahme der Darlehensverbindlichkeiten nur dann erfolge, wenn die Kläger ihr "Recht zum Wohnen" gegen Zahlung von Miete, Heiz- und Betriebskosten erhalten. Dieses Begehren sei ohne weiteres nachvollziehbar und verstoße nicht gegen die guten Sitten im Sinne von § 138 BGB.

Die Beteiligten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung mit Blick auf die Monate April und Juni bis September 2014 einen Unterwerfungsvergleich geschlossen und das Verfahren für diese Monate für erledigt erklärt. Der Senat hat ferner die Kläger zu 1) und 2) persönlich angehört sowie deren Sohn G L als Zeugen vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 02.03.2017 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Das Sozialgericht hat der auf die Gewährung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung gerichteten Klage zu Unrecht stattgegeben.

Die beklagte Stadt C ist die richtige Beklagte, auch wenn sie nicht Träger der geltend gemachten Leistungen ist, sondern der als Optionskommune zugelassene Kreis Hochsauerlandkreis, dem sie angehört, weil ihr die Aufgaben des Trägers zur Wahrnehmung im eigenen Namen übertragen sind (Wahrnehmungszuständigkeit) und sie daher im Außenverhältnis verpflichtet ist.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 06.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2014, mit welchem die Beklagte den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X hinsichtlich des Bewilligungsbescheides vom 28.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2014 abgelehnt hat. Mit diesem Bescheid waren den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 i.H.v. insgesamt 1.268,00 EUR monatlich bewilligt worden.

Zutreffende Klageart ist hier die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R, m.w.N.). Die Kläger begehren mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des negativen Zugunstenbescheides vom 06.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2014. Die Verpflichtungsklage ist auf die Änderung des bestandskräftigen Ausgangsbescheides vom 28.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2014 gerichtet. Dieser Bescheid ist auf der Grundlage des § 44 Abs. 1 SGB X zu überprüfen. Der die laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligende Bescheid vom 28.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2014 ist nach dem klägerischen Begehren insoweit rechtswidrig im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X, als die Leistung von Beginn des Bewilligungsabschnitts an um die Kosten für die Grundmiete i.H.v. 400,00 EUR hätte höher sein müssen. Soweit die Kläger ihr Begehren auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf die Gewährung von (höheren) Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 400,00 EUR monatlich begrenzt haben, ist diese Beschränkung des Streitstoffes zulässig, denn bei den Kosten für Unterkunft und Heizung handelt es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand (vgl. zur Rechtslage ab dem 01.04.2011 BSG, Urteil vom 17.02.2016 - B 4 AS 12/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 88, m.w.N.). Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten geschlossenen Unterwerfungsvergleichs ist Gegenstand des Verfahrens nur noch die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 28.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2014 betreffend die Leistungen für Unterkunft und Heizung im Monat Mai 2014.

Der Bescheid vom 28.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2014 ist nicht rechtswidrig im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Dies ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht der der Fall. Denn die Kläger haben - neben den bereits bewilligten Leistungen für die Kosten von Unterkunft und Heizung i.H.v. insgesamt 304,00 EUR (Nebenkosten 130,00 EUR + Heizkosten 174,00 EUR) - im Monat Mai 2014 keinen Anspruch auf weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung i.H.v. 400,00 EUR.

Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Übernahmefähig sind die tatsächlichen Mietkosten einschließlich der zu zahlenden Nebenkosten. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich eindeutig, dass der Grundsicherungsträger nur solche Kosten zu übernehmen hat, die dem Leistungsberechtigten tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein Bedarf besteht. Dies sind in erster Linie Kosten, die durch Mietvertrag entstanden sind, wie sie die Kläger vorliegend auch geltend machen. "Tatsächliche Aufwendungen" für eine Wohnung liegen allerdings nicht nur dann vor, wenn der Leistungsberechtigte die Miete bereits gezahlt hat und nunmehr deren Erstattung verlangt. Vielmehr reicht es aus, dass der Leistungsberechtigte im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (vgl. BSG, Urteile vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270, m.w.N. und vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 15). Denn bei Nichtzahlung der Miete droht regelmäßig Kündigung und Räumung der Unterkunft. Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft ist es aber gerade, existentielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern. Der Leistungsberechtigte wird - solange er im Leistungsbezug steht - zumeist auf die Übernahme der Unterkunftskosten durch den Grundsicherungsträger angewiesen sein. Ob ein rechtlicher Bindungswille der Beteiligten besteht, beurteilt sich auch bei einem Mietverhältnis zwischen Familienangehörigen nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Ausgangspunkt für die Frage, ob eine wirksame Mietzinsverpflichtung des Leistungsberechtigten vorliegt, ist dabei in erster Linie der Mietvertrag, mit dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart worden ist (vgl. BSG, Urteile vom 07.05.2009 - B 14 AS 31/07 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 21 und vom 03.03.2009, a.a.O.).

Vorliegend lässt sich eine ernsthafte Verpflichtung der Kläger zur Zahlung eines monatlichen Mietzinses i.H.v. 400,00 EUR zur Überzeugung des Senats nicht feststellen. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass es sich bei dem Mietvertrag um ein Scheingeschäft im Sinne von § 117 BGB handelt. Ein solches Scheingeschäft liegt vor, wenn die Vertragsparteien einverständlich nur den äußeren Schein eines Rechtsgeschäftes hervorrufen, dagegen die mit dem Geschäft verbundenen Rechtsfolgen nicht eintreten lassen wollen. Dies ist hier zur Überzeugung des Senats der Fall.

So ist zunächst auffallend, dass die Klägerin zu 2), die im Mietvertrag neben dem Kläger zu 1) als Mieterin aufgeführt ist, den Mietvertrag nicht unterschrieben hat, und auch die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages am 15.04.2014 volljährigen Kläger zu 3) und zu 4) nicht in den Mietvertrag mit einbezogen worden sind. Die Erklärung der Klägerin zu 2) im Termin, dass sie als Vertragspartei keine Notwendigkeit gesehen habe den Vertrag zu unterschreiben, da ihr Ehemann die Unterschrift geleistet habe, spricht eher gegen einen rechtlichen Bindungswillen der Klägerin zu 2). Ferner ist darauf hinzuweisen, dass in einem zeitlich kurzen Abstand vom Kläger zu 1) unterschiedliche Angaben zur Höhe der zu entrichtenden Miete gemacht worden sind. Während in der am 11.04.2014 unterzeichneten "Anlage KdU" die Grundmiete mit 495,00 EUR, die Nebenkosten mit 160,00 EUR (40,00 EUR pro Person) und die Heizkosten mit 100,00 EUR angegeben worden sind, wurden in dem nur vier Tage später unterzeichneten Mietvertrag vom 15.04.2014 die Netto-Kaltmiete mit 400,00 EUR, die kalten Betriebskosten mit 130,00 EUR und die Heizkostenvorauszahlung mit 174,00 EUR beziffert. Auch der Einschätzung des Sozialgerichts, es halte die Aussage des Zeugen, für ihn seien die Mietzahlungen unabdingbare Voraussetzung für den Erwerb des Hauses gewesen, da er die für den Kauf eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten aus seinem Einkommen nicht habe aufbringen können, für glaubhaft und nachvollziehbar, vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar hat der Zeuge aufgrund des Darlehens monatliche Verbindlichkeiten i.H.v. 650,00 EUR gegenüber der Bank, er hat sein monatliches Nettoeinkommen aber mit immerhin 2.100,00 EUR bis 2.200,00 EUR angegeben, darüber hinaus hatte er Mieteinnahmen aufgrund der im Erdgeschoss vermieteten Wohnung i.H.v. 430,00 EUR (bei einer ursprünglichen Kaltmiete von 300,00 EUR, die zwischenzeitlich auf 400,00 EUR angehoben worden ist). Sofern (weitere) Mieteinnahmen unabdingbare Voraussetzung für den Erwerb des Hauses gewesen wären, hätte es auch nahe gelegen, eine Miete von dem Bruder N, der zum 01.04.2014 ebenfalls in den Anbau des Hauses gezogen ist, zu verlangen. Dieser aber hat sich nach Aussage des Zeugen an den Kosten des Hauses, einschließlich der Nebenkosten, nicht beteiligt. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Kläger der vermeintlichen Mietzinsverpflichtung von Beginn an nicht nachgekommen sind - ohne dass dies für sie negative Konsequenzen haben könnte (dazu sogleich) - und lediglich die von der Beklagten erbrachten Leistungen für die Nebenkosten an ihren Sohn weitergeleitet haben. Eine Betriebs- und Nebenkostenabrechnung ist nach der Aussage des Zeugen bislang zu keinem Zeitpunkt erstellt worden. In einer Gesamtschau sprechen diese Umstände dafür, dass sich die Kläger zu 1) und 2) sowie ihr Sohn als Hauseigentümer letztlich darüber einig waren, dass (allein) die Beklagte die Grundmiete übernehmen, mithin diese die eigentliche Schuldnerin für die vermeintlichen Mietzinsverpflichtung sein sollte und nicht die Kläger.

Vermochte sich der Senat schon nicht davon zu überzeugen, dass die Kläger einer ernsthaften, mietvertraglich vereinbarten Mietzinsverpflichtung ausgesetzt sind, kommt eine Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Miete auch aus einem weiteren Grund nicht in Betracht. Das Bundessozialgericht hat unter Hinweis darauf, dass bei Nichtzahlung der Miete regelmäßig Kündigung und Räumung der Unterkunft drohe, ausdrücklich klargestellt, dass es gerade Sinn und Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft ist, existentielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern (BSG, Urteil vom 03.03.2009, a.a.O.). Vorliegend droht den Klägern aber selbst in dem Falle, dass der - auf die gesetzlichen Kündigungsfristen verweisende - Mietvertrag ernst gemeint ist, bei Nichtzahlung der Miete bzw. Kündigung des Mietvertrages seitens des Zeugen keine Wohnungslosigkeit. Vielmehr haben die Kläger zu 1) und 2) aufgrund des in dem notariellen Kaufvertrag vereinbarten und im Grundbuch eingetragenen lebenslangen Wohnungsrechts eine Rechtsposition inne, die auch durch eine etwaige Kündigung des Mietvertrages nicht zu einem Wohnungsverlust führen kann. Denn das Wohnungsrecht ist vorliegend nicht daran gebunden, dass der Mietzins entrichtet wird.

Nach § 1093 Abs. 1 S. 1 BGB kann als beschränkte persönliche Dienstbarkeit das Recht bestellt werden, ein Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu benutzen. Das dingliche Wohnungsrecht ist grundsätzlich als abstrakt dingliches Recht weder entgeltlich noch unentgeltlich. Daher kann als dinglicher Rechtsinhalt weder die Verpflichtung zur Zahlung eines Entgelts im Grundbuch eingetragen werden noch eine Vereinbarung, wonach jemand ein unentgeltliches Wohnungsrecht erhält (vgl. hierzu Reymann in Staudinger, BGB, 2017, § 1093 Rn. 11). Rechtsgrund für ein dingliches Wohnungsrecht ist der schuldrechtliche Vertrag, in dem Verpflichteter und Berechtigter die Bestellung vereinbart haben (BGH, Urteil vom 13.11.1998 - V ZR 29/98 - NJW-RR 1999, 376), wobei es den Vertragschließenden freisteht, neben der schuldrechtlichen Vereinbarung über die Bestellung eines (dinglichen) Wohnungsrechts zusätzlich einen Mietvertrag über die von dem dinglichen Recht erfasste Wohnung abzuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.1998, a.a.O.; Alpmann in jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 1093 Rn. 9; Reymann in Staudinger, a.a.O., Rn. 9f.). Die beiden Rechtsverhältnisse - schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung des Wohnungsrechts und Mietvertrag - sind grundsätzlich abstrakt voneinander, sofern nicht besondere Vereinbarungen getroffen werden. In der schuldrechtlichen Vereinbarung über die Bestellung eines dinglichen Wohnrechts kann eine periodisch wiederkehrende mietzinsähnliche Entgeltzahlung an den Eigentümer vereinbart und die Entgeltzahlung zur (auflösenden) Bedingung des Wohnungsrechts gemacht werden, so dass durch eine auflösende Bedingung das Wohnungsrecht mit einer Gegenleistung verknüpft werden kann (Joost in Münchner Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 1093 Rn. 21). Die Kündigung eines dinglichen Wohnungsrechts kommt ebenso wie die Kündigung des seiner Bestellung zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vertrags nur dann in Betracht, wenn das als Inhalt des Rechts ausdrücklich vereinbart ist (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2016 - V ZR 208/15 - NJW-RR 2017, 140, m.w.N.; Reymann in Staudinger, a.a.O., Rn. 11).

Vorliegend stellt der notarielle Kaufvertrag vom 19.02.2014 und nicht der - erst nachfolgend abgeschlossene - Mietvertrag vom 15.04.2014 den schuldrechtlichen Rechtsgrund für die Einräumung des Wohnungsrechts dar. Der Kaufvertrag enthält weder eine Vereinbarung über die Verpflichtung zur Zahlung eines Entgelts noch eine Vereinbarung über eine auflösende Bedingung, wonach die Dauer des Wohnungsrechts vom Fortbestand eines Mietverhältnisses abhängig gemacht wird. Es gibt im notariellen Kaufvertrag vom 19.02.2014 keine Anhaltspunkte dafür, dass eine etwaige Kündigung des Mietverhältnisses als auflösende Bedingung für das Wohnungsrecht vereinbart worden ist. Zum einen war der Mietvertrag im Zeitpunkt der Vereinbarung des notariellen Kaufvertrages noch gar nicht abgeschlossen, so dass schon von daher das Wohnungsrecht nicht an die Existenz des Mietvertrages gebunden werden konnte, zum anderen haben sich die Kläger zu 1) und 2) in § 5 des Kaufvertrages an den gesamten Wohnräumen des Obergeschosses ausdrücklich ein lebenslanges Wohnungsrecht vorbehalten. Auch der als Zeuge vernommene Sohn der Kläger hat in seiner Aussage eingeräumt, er sei damit einverstanden gewesen, dass er seine Eltern bei Einräumung des Wohnrechts "nicht rausschmeißen" könne. Insoweit haben die vom Zeugen bekundeten Vorstellungen, dass er auf die Mietzahlungen seiner Eltern finanziell angewiesen sei, um die aus der Übernahme der Darlehensverpflichtungen seiner Eltern sich ergebenden finanziellen Lasten zu tragen, sich nicht im Inhalt des Kaufvertrages, insbesondere im Hinblick auf Umfang und Bedingung des Wohnungsrechts seiner Eltern an der Wohnung im 1. Obergeschoss, niedergeschlagen.

Da die Kündigung des Mietvertrages im vorliegenden Fall keine auflösende Bedingung für das Wohnungsrecht darstellt, würde die Kündigung des Mietvertrages nicht zum Wegfall des Rechtsgrundes für das Wohnungsrecht führen. Vielmehr würde das Wohnungsrecht als kein der Kündigung zugängliches Dauerschuldverhältnis von der Kündigung des zusätzlich abgeschlossenen Mietvertrages unberührt bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.1998, a.a.O.). Es gibt dementsprechend keinen Hinweis darauf, dass durch Kündigung des Mietvertrages die Berechtigung der Kläger zu 1) und 2) bezüglich des Wohnungsrechtes erlöschen könnte. Weil es sich weder bei dem dinglichen Recht selbst noch bei dem Bestellungsvertrag um Dauerschuldverhältnisse handelt, können im Übrigen auch weder auf den Bestellungsvertrag noch auf das dingliche Recht die Vorschriften über die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund in §§ 314 oder 543 BGB analog angewendet werden (vgl. BGH, Urteil vom 11.03.2016, a.a.O.).

Ist nach alledem das Wohnraumbedürfnis der Kläger zu 1) und 2) unabhängig davon, ob sie jemals einen Mietzins entrichten, aufgrund des ihnen eingeräumten lebenslangen Wohnungsrechts auf Dauer befriedigt, liefe eine dennoch erfolgte Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Miete - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - faktisch darauf hinaus, dass der Steuerzahler dazu beitragen würde, dass der - nicht hilfebedürftige - Sohn der Kläger seine monatlichen Verpflichtungen gegenüber der Bank bedient.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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