L 17 U 541/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 29 U 332/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 541/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 25.7.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im zugrundeliegenden Verfahren streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides.

Am 27.12.2007 zeigte der bei der Beklagten als selbstständiger Unternehmer für Film und Videoproduktionen versicherte Kläger an, zur Vorbereitung einer Geschäftsreise nach England seine Unterlagen (Laptop Vertragsdokumente etc.), die er zu Hause aufbewahre, zusammen gepackt zu haben und beim Transport aller Taschen und Geräte zu seinem PKW auf der Treppe gestolpert und mehrere Stufen hinabgestürzt zu sein. Er habe dabei eine Oberschenkelfraktur links erlitten.

Die Beklagte erkannte dieses Ereignis zunächst als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger für die Zeit vom 25.04.2008 bis 17.08.2008 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H., danach von 20 v.H. Der Zahlbetrag der Rente nach MdE 20 v. H. belief sich auf 800 EUR monatlich (Bescheid vom 16.09.2008)

Zur Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit leitete die Beklagte im April 2010 medizinische Ermittlungen ein und erließ sodann nach Anhörung des Klägers den Bescheid vom 27.07.2010, mit dem sie dem Kläger die Rente ab 01.08.2010 entzog und ausführte, eine Rente auf unbestimmte Zeit werde nicht bewilligt.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 16.08.2010, auf den hin die Beklagte ihm mitteilte, der Widerspruch habe aufschiebende Wirkung, so dass die Rente bis zu einer endgültigen Entscheidung des Widerspruchsausschusses weiterzuzahlen sei. Die Rentenzahlungen seien aber zurückzuzahlen, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides durch den Widerspruchsausschuss bestätigt werde. Der Kläger könne entscheiden, ob die Rente weitergezahlt werden solle. Über seinen Prozessbevollmächtigten ließ der Kläger mitteilen, die Rente solle in unveränderter Höhe (MdE 20 v.H.) weitergezahlt werden und gab am 18.08.2010 eine entsprechende schriftliche Verpflichtungserklärung ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Das dagegen am 03.12.2010 vor dem Sozialgericht Mannheim eingeleitete Klageverfahren S 10 U 4319/10 blieb nach Durchführung medizinischer Ermittlungen erfolglos (Urteil vom 11.01.2013). Die dagegen beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung nahm der Kläger am 21.08.2013 zurück.

Während des Klageverfahrens kamen der Beklagten ausweislich eines Aktenvermerks vom 20.04.2012 Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls. Der Kläger sei noch im Haus gewesen, als er hingefallen sei. Hinsichtlich der Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall genieße er aber Vertrauensschutz, so dass ihm die Leistung nicht entzogen werden könne, vielmehr nach § 48 Abs. 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) eingefroren werden müsse. Über ihre Zweifel informierte die Beklagte sowohl den Kläger als auch das Sozialgericht Mannheim und leitete entsprechende Ermittlungen zum Unfallort ein. Deren Ergebnis fasste der Sachbearbeiter in einem weiteren Aktenvermerk vom 17.09.2012 dahingehend zusammen, es müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Treppe, auf der sich der Sturz ereignet habe, noch innerhalb des Wohnhauses befinde, so dass für den Unfall kein Versicherungsschutz bestehe.

Mit Bescheid vom 25.02.2014 stellte die Beklagte nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 25.09.2012 fest, die Bescheide vom 16.09.2008 und 27.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2010 seien insofern fehlerhaft, als das Vorliegen der Leistungspflicht dem Grunde nach anerkannt worden sei, denn bei dem erlittenen Unfall habe es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Die Leistungspflicht für den Unfall vom 06.12.2007 werde daher abgelehnt. Nach § 48 Abs. 3 SGB X würden zukünftige Änderungen zu keinem Wiederaufleben der Verletztenrente führen.

Mit weiterem Bescheid vom 25.07.2014 forderte die Beklagte sodann die während des seinerzeitigen Widerspruchsverfahrens für die Zeit von August bis November 2010 gezahlte Verletztenrente i. H. v. insgesamt 3200 EUR (800 EUR monatlich) zurück. Der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens habe die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 27.07.2010 bestätigt. Nach § 50 Abs. 2 SGB X seien Sozialleistungen, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden seien, zu erstatten. Hierbei seien § 45 SGB X und § 48 SGB X zu beachten. Der Kläger habe sich gegenüber der Beklagten bereit erklärt, die überzahlte Rentenleistung zurückzuzahlen, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides durch die Widerspruchsstelle bzw. in der Sozialgerichtsbarkeit bestätigt werde. Dem Kläger sei daher die Unrechtmäßigkeit der Zahlung der Verletztenrente für die Monate August 2010 bis November 2010 in Höhe von jeweils monatlich 800 EUR bekannt gewesen, so dass er nicht auf die Rechtmäßigkeit dieser Rentenleistungen habe vertrauen können.

Seinen hiergegen gerichteten Widerspruch begründete der Kläger damit, seine Erklärung, die Rente zurückzahlen zu wollen, habe sich ausschließlich auf medizinische Gründe bezogen, nicht aber auf den Unfallhergang als solchen. Ausweislich des Aktenvermerks vom 17.09.2012 habe die Beklagte seit diesem Tag über alle maßgeblichen Informationen verfügt, so dass sie ihre Rückforderungsansprüche bereits zu diesem Zeitpunkt hätte geltend machen müssen. Die Frist zur Rückforderung nach § 45 Abs. 4 SGB X sei zwischenzeitlich abgelaufen, so dass der Rückforderungsbescheid rechtswidrig sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ergänzend führte sie aus, der Rückforderungsbescheid basiere ausschließlich auf dem Urteil des Sozialgerichts Mannheim und der Rücknahme der hiergegen gerichteten Berufung vom 21.08.2013. In diesem Gerichtsverfahren sei streitig gewesen, ob die noch bestehenden Unfallfolgen eine MdE von mindestens 20 v.H. rechtfertigten. Die Jahresfrist könne somit erst ab 21.08.2013 beginnen, da an diesem Tag die Berufung zurückgenommen worden und damit die Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung bestätigt worden sei. Der Rückforderungsbescheid sei damit nicht verfristet. Wegen seiner Erklärung, in diesem Fall die Leistung zurückzahlen zu wollen, habe der Kläger nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit der Leistung vertrauen können, so dass keine Schutzwürdigkeit bestehe.

Hiergegen hat sich die am 07.08.2015 vor dem Sozialgericht Duisburg erhobene Klage gerichtet, mit der der Kläger die Ansicht vertreten hat, der Rückforderungsbescheid sei verfristet.

Die Beklagte ist bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden dargelegten Rechtsauffassung geblieben.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.07.2016 abgewiesen. Zur Begründung ist es im Wesentlichen der von der Beklagten vertretenen Auffassung im Widerspruchsbescheid vom 10.07.2015 gefolgt (§ 136 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Ergänzend hat es ausgeführt, der Ausgang des eingeleiteten Gerichts- und späteren Berufungsverfahrens sei abzuwarten gewesen, da davon abgehangen habe, ob die Verletztenrente zurückgefordert werde oder nicht. Danach sei die Rückforderung binnen Jahresfrist erfolgt.

Gegen den dem Bevollmächtigten des Klägers am 01.08.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers vom 26.08.2016. Das Rückforderungsbegehren der Beklagten sei verfristet. Es sei untunlich, Tatbestände, die eine Leistungspflicht der Beklagten gänzlich entfallen ließen, als unbeachtlich anzusehen Es könne dahinstehen, ob der Kläger früher zu medizinischen Sachentscheidungen eine Erklärung abgegeben habe, überzahlte Leistungen zurückzuerstatten. Das Fehlen des Versicherungsschutzes sei keine medizinische Frage. Die Beklagte habe nicht nur die Möglichkeit gehabt, diesen Umstand in den früheren Prozess einzuführen, sie sei dazu geradezu verpflichtet gewesen und habe ihre Zahlungen auch ab Kenntnis des Nichtvorliegens eines Leistungsfalles aus tatsächlichen Gründen einstellen können. Spätestens ab 17.09.2012 habe die Beklagte alle Tatsachen gekannt, die zur Rücknahme berechtigten, so dass die Jahresfrist an diesem Tag zu laufen begonnen habe.

Der Kläger beantragt nach dem Inhalt seiner Schriftsätze,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 25.07.2016 abzuändern und den Bescheid vom 25.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt nach dem Inhalt ihrer Schriftsätze,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Zur Begründung hierfür wiederholt und vertieft sie ihre im Widerspruchsbescheid vom 10.7.2015 dargelegte Rechtsauffassung.

Wegen der weiteren Darstellung des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die der Senat beigezogen und deren Inhalt er seiner Entscheidung zugrundegelegt hat sowie auf den Vortrag der Beteiligten im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 25.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2015 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die angefochtene Rückforderungsentscheidung der Beklagten ist rechtmäßig.

Es kann offen bleiben, ob die dem Kläger abverlangte Selbstverpflichtung zur Rückzahlung vom 18.08.2010 vor dem Hintergrund von § 31 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) einen eigenständigen Rückzahlungsanspruch der Beklagten begründen könnte. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Dies ist hier der Fall.

Die dem Kläger ursprünglich bewilligte vorläufige Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. hat die Beklagte mit Bescheid vom 27.07.2010 mit Wirkung ab 01.08.2010 entzogen, weil die MdE nur noch mit 10 v.H. einzuschätzen sei. Für die Zeit vom 01.08.2010 - dem ersten Tag nach dem im Rentenentziehungsbescheid festgesetzten Ende der Rentenzahlung - bis zum 02.12.2010, ein Tag vor Erhebung der Klage gegen den Rentenentziehungsbescheid und damit für den gesamten, August bis November 2010 umfassenden Rückforderungszeitraum richtet sich die Rückforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X und ist zwingend vorgeschrieben. Rechtsgrundlage für die Zahlungen war insoweit - noch - der Bewilligungsbescheid vom 16.09.2008 über die vorläufige Verletztenrente (vgl. BSG, Urteil vom 23.09.1997 - 2 RU 44/96, SozR 3-1300 § 50 Nr. 20, Rn. 14 ff). Bei gestaltenden Verwaltungsakten hat die aufschiebende Wirkung die Bedeutung, dass während des Schwebezustands keine Folgerungen aus dem angefochtenen Verwaltungsakt gezogen werden dürfen. Bei der Entziehung von Leistungen muss also, wenn Widerspruch eingelegt wird, zunächst weiter nach dem alten Verwaltungsakt gezahlt werden (BSG, aaO mwN). Durch die mit der Einlegung des Widerspruchs gegen den Rentenentziehungsbescheid gemäß § 86 Abs. 2 SGG eingetretene aufschiebende Wirkung blieb der Bewilligungsbescheid vom 16.09.2008 Rechtsgrundlage für die bis zur Klageerhebung gegen den Entziehungsbescheid geleisteten Zahlungen. Diese aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Rentenentziehungsbescheid wirkte mindestens bis zum 02.12.2010 (dh einen Tag vor Erhebung der Klage gegen diesen Verwaltungsakt, vgl. BSG aaO).

Diese Wirkung des Widerspruchs ist mit dem Eintritt der Bestandskraft des Entziehungsbescheids - dh mit der Rücknahme der Berufung hiergegen am 21.08.2013 - rückwirkend entfallen (BSG aaO mwN) mit der Folge, dass nach § 50 Abs. 1 SGB X die für die Dauer der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs geleisteten Zahlungen vom Kläger zu erstatten sind. Ermessen hat die Beklagte insoweit nicht ausüben müssen (BSG aaO; Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl, § 50 Rn 18).

Vertrauensschutzgesichtspunkte und die Frist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X sind im Rahmen von § 50 Abs. 1 SGB X nicht erneut zu prüfen. Grundlage für die Rückforderung ist die Wirksamkeit, nicht die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides vom 27.07.2010 (vgl. Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl, § 50 Rn 18). Auch unabhängig davon wäre aber ohnehin kein schützenswertes Vertrauen des Klägers zu bejahen, da der Kläger seine Verpflichtung zur Rückzahlung im Unterliegensfalle kannte. Auch die hierauf gestützte und mit Bescheid vom 25.07.2014 erhobene Rückforderung wäre binnen Jahresfrist geltend gemacht worden, da die Bestandskraft des Rentenentziehungsbescheids und damit die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides erst seit Rücknahme der Berufung, also am 21.08.2013, feststand.

Das Vorbringen des Klägers zur Begründung seiner Berufung ist unerheblich. Eine zusätzliche Möglichkeit der Rückforderung von Leistungen aufgrund der Tatsache, dass kein Arbeitsunfall vorgelegen hat, war schon tatsächlich nicht gegeben, weil die Beklagte die unter der falschen Annahme des Vorliegens eines Arbeitsunfalls bewilligten Leistungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gerade nicht hätte zurückfordern können, sondern hier nur eine Abschmelzung der Leistungen nach § 48 Abs. 3 SGB X möglich war. Hierauf wurde der Kläger sowohl im Anhörungsschreiben vom 25.09.2012 als auch im Bescheid vom 25.07.2014 hingewiesen. Eine Rangfolge des Inhalts, dass eine Rücknahme von Leistungen nicht mehr auf das Fehlen der gesundheitlichen Voraussetzungen gestützt werden kann, wenn schon kein Arbeitsunfall vorliegt, ist dem Gesetz im Übrigen nicht zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe sind nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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