L 19 R 940/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 R 246/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 940/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X steht nur dem nachrangigen Leistungsträger zu. Bei einer rechtzeitig erbrachten laufenden Leistung feht es an der Nachrangigkeit (BSG Urteil vom 19.03.1992 - 7 RAr 26/91).
2. Erbringt der Rentenversicherungsträger die Rentenzahlung für den ersten Monat rechtzeitigt zum Monatsende an den Versicherten, so besteht kein Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.07.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten beider Instanzen.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 748,73 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch für an die Versicherte erbrachte Leistungen im Monat November 2012 hat.

Die 1953 geborene Versicherte J. R. beantragte am 17.12.2009 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 08.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2011 im Hinblick auf volle Erwerbsminderungsrente abgelehnt. Eine teilweise Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit wurde mit Bescheid vom 19.05.2010 ab 01.12.2009 rückwirkend zuerkannt. Ein nachfolgendes Klageverfahren blieb ohne Erfolg. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wurde für den Zeitraum ab 01.10.2010 nicht gezahlt, da Krankengeldzahlungen bzw. die Zahlungen von Arbeitslosengeld I zu hoch waren. Mit Schreiben vom 21.09.2012 teilte die Versicherte mit, dass am 10.10.2012 die Auszahlung des Arbeitslosengeldes nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ende und sie ab diesem Zeitpunkt nur noch Anspruch auf Arbeitslosengeld II habe. Die Rentenzahlung solle wieder aufgenommen werden.

Am 24.09.2012 beantragte die Versicherte beim Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Kläger bewilligte der Versicherten mit Bescheid vom 24.09.2012 für die Zeit vom 01.10.2012 bis 31.10.2012 Leistungen in Höhe von monatlich 463,50 Euro und für die Zeit vom 01.11.2012 bis 31.03.2013 in Höhe von monatlich 922,60 Euro.

Am gleichen Tag zeigte der Kläger bei der Beklagten an, dass er der Versicherten Leistungen nach dem SGB II erbringe und machte dem Grunde nach einen Erstattungsanspruch geltend.

Am 29.10.2012 berechnete die Beklagte, dass der Versicherten ab 01.11.2012 ein Betrag von monatlich 625,22 Euro zu zahlen sei und für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.10.2012 eine Nachzahlung von 625,22 Euro angefallen sei. Die Nachzahlung werde vorläufig einbehalten. Auf die Mitteilung der Rentenzahlung an die Versicherte hin machte der Kläger mit Schreiben vom 05.11.2012, das am 07.11.2012 bei der Beklagten einging, für den Zeitraum vom 01.10.2012 bis 30.11.2012 konkrete Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 1.247,88 Euro geltend.

Die Beklagte kam zum Ergebnis, dass dem Kläger lediglich für die Zeit vom 11.10.2012 bis 31.10.2012 ein Erstattungsanspruch zustehe und sich dies auf einen Betrag von 423,54 Euro zuzüglich Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 73,27 Euro und Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von 10,40 Euro, mithin 507,21 Euro belaufe; dieser Betrag werde gezahlt. Der Erstattungsanspruch für die Zeit vom 01.10. bis 10.10.2012 und für den Monat November 2012 werde nicht gezahlt, es bestehe keine Zeitgleichheit. Der verbleibende Restbetrag von 201,68 Euro wurde der Versicherten ausgezahlt.

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 23.11.2012 erneut an die Beklagte. Ihm sei telefonisch seitens der Beklagten mitgeteilt worden, dass die Rentenzahlung von November 2012 als laufende Leistung an die Versicherte gezahlt worden sei und eine Stornierung der laufenden Leistung nur bis zum 10.11.2012 möglich gewesen sei. Der Kläger wies darauf hin, dass der kraft Gesetzes bestehende Erstattungsanspruch gemäß § 104 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nach den gesetzlichen Vorschriften uneingeschränkt bestehe und der Erlass des Rentenbescheides nicht maßgeblich sei. Da die Beklagte vom Erstattungsanspruch Kenntnis gehabt habe, komme der Direktauszahlung der Erwerbsminderungsrente an die Versicherte keine befreiende Wirkung zu (§ 104 Abs. 1 SGB X).

In den Akten der Beklagten ist ein Vermerk, wonach derartige Probleme bekannt seien. Offensichtlich habe man bei der Programmierung nicht daran gedacht, in diesen Fällen die laufende Zahlung maschinell um einen Monat zu verschieben. Gleichwohl sei Rechtsauffassung der Beklagten, dass eine Erstattung für den Monat November 2012 nicht in Betracht komme. Zur Begründung sei anzuführen, dass mit Aufnahme der laufenden Zahlung durch die Beklagte eine Vorleistungspflicht des Klägers für den Monat November 2012 nicht mehr bestanden habe.

Die Beklagte teilte diese Rechtsauffassung dem Kläger mit Schreiben vom 07.12.2012 mit. Durch die laufende nachschüssige Rentenzahlung habe ab November 2012 keine Vorleistungspflicht des Klägers mehr vorgelegen und ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X sei nicht entstanden. Eine Rückforderung der für den Monat November 2012 an die Versicherte zu Unrecht erbrachten Leistung müsse der Kläger bei der Versicherten selbst geltend machen.

Mit Schreiben vom 27.02.2013 hat der Kläger am 28.02.2013 beim Sozialgericht Nürnberg Klage gegen die Beklagte auf Zahlung von 748,73 Euro erhoben; dieser Betrag sei für an die Versicherte erbrachte Leistungen in der Zeit vom 01.11.2012 bis 30.11.2012 zu erstatten. Geltend gemacht worden seien für die Zeit vom 01.10.2012 bis 31.10.2012 der Betrag von 416,81 Euro zuzüglich Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeitrag und für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.11.2012 der Betrag von 625,22 Euro zuzüglich Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeitrag. Da die Beklagte auf die erneute Aufforderung zur Zahlung mit Schreiben vom 23.11.2012 eine Erstattung der Zahlungen für November 2012 mit Schreiben vom 07.12.2012 endgültig abgelehnt habe, sei Klage geboten.

Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruches für den Monat November 2012 seien in Höhe von insgesamt 748,73 Euro (Rentenzahlung 625,22 Euro, Krankenversicherungsbeitrag 108,16 Euro und Pflegeversicherungsbeitrag 15,35 Euro) gegeben. Dem Erstattungsanspruch stehe nicht die unmittelbare Auszahlung der Rente für den Monat November 2012 an die Versicherte entgegen. Diese Auszahlung sei in Kenntnis der Vorleistung durch den Kläger vorgenommen worden. Bereits mit Schreiben vom 24.09.2012 sei der Beklagten der Erstattungsanspruch bekannt gegeben worden und diese sei aufgefordert worden, vor Beginn einer Zahlung ein Einvernehmen herzustellen. Die Beklagte habe die Aufnahme der laufenden Leistungen einseitig zu diesem Zeitpunkt und mit einem Bewusstseinsstand der Kenntnis der Leistung des Klägers vorgenommen. Eine Leistung mit befreiender Wirkung sei der Beklagten aufgrund dieser Kenntnis verwehrt und die Beklagte sei aus diesen Gründen zur Erstattung verpflichtet.

Die Beklagte hat auf die Klage ausführlich erwidert mit Schreiben vom 03.05.2013. Sie habe sich entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen verhalten, als sie die in Rede stehende Rente gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) laufend nachschüssig, d.h. am Ende des Monats für den Monat (November) ausgezahlt habe. Ein Anspruch auf Auszahlung der Rente vor dem aus § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI resultierendem Zeitpunkt bestehe weder für die Rentenberechtigte selbst, noch könne sie für einen vermeintlich erstattungsberechtigten Leistungsträger über § 102 ff SGB X konstruiert werden. Der Kläger habe im Monat November 2012 für die Beklagte nicht mehr in Vorleistung treten können und sei es tatsächlich auch nicht. Eine Erstattungspflicht der Beklagten für den in diesem Verfahren noch eingeklagten Betrag ergebe sich nicht. Die vom Kläger angeführte Kenntnis der Beklagten führe zu keinem anderen Ergebnis, da dies nur dort eine Rolle spiele, wo überhaupt ein Erstattungsanspruch zum Tragen kommen könnte. An einem solchen fehle es aber gerade in Bezug auf den Monat November 2012. Der Kläger hat dargelegt, dass der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach seinen Vorschriften monatlich im Voraus zu erfolgen habe und da Rente für den Monat November 2012 zum 01.11.2012 noch nicht gezahlt gewesen sei, auch zu Recht eine derartige Zahlung vorgenommen worden sei. Die von der Beklagten für die Anwendung der Erstattungsregelung zugrunde gelegte Differenzierung zwischen Nachzahlungen und laufenden Leistungen sei der Erstattungsregelung des § 104 SGB X nicht zu entnehmen. Die Rechtzeitigkeit der Erfüllung einer Leistungsverpflichtung hänge auch nicht von der Fälligkeit der Leistung oder dem Verzug der Behörde ab. Maßgeblich seien soweit allein die Übereinstimmung der Anspruchs- bzw. Bezugszeiträume der im Raum stehenden Leistungen. Rechtzeitig im Sinne des § 104 SGB X bedeute vor diesem Hintergrund damit nur, dass über den Anspruch zu Beginn des jeweiligen Leistungszeitraums, für den er gesetzlich vorgesehen sei bzw. bereits zum Zeitpunkt der Zahlungsanweisung entschieden sei, dies dem vorleistenden Träger bekannt und der Anspruch im jeweiligen Leistungszeitraum auch erfüllt werde, so dass insoweit keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bestehe und eine Doppelleistung durch den vorleistenden Träger vermieden werde. Jede andere Auslegung würde dem Sinn und Zweck der Erstattungsregelung zuwiderlaufen.

Die Beklagte hat entgegnet, dass die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung zu einer Erstattungskette führen würde. Denn die infolge der nachschüssigen Rentenzahlung entstehende finanzielle Notlage der Versicherten am Anfang des Kalendermonats würde sich Monat für Monat wiederholen. Im Ergebnis bleibe daher festzustellen, dass die Beklagte ihre Leistung für den Kalendermonat November 2012 als Monat der Aufnahme der laufenden nachschüssigen Rente rechtzeitig im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X erbracht habe und dem Kläger daher ein Anspruch auf Erstattung der gezahlten SGB XII-Leistungen nicht erwachsen sei. Verwiesen werde auch Entscheidungen des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.03.1992 (Az. 7 RAr 26/91) und vom 25.01.1994 (Az. 7 RAr 42/93).

Der Kläger hat dem entgegengesetzt die Entscheidung des BSG vom 28.08.1997 (Az. 14/10 RKg 11/96). Danach seien die Ausführungen in den Entscheidungen des 7. Senats nur als obiter dictum anzusehen. Im Gegensatz zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erfolge die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II durch einen Dauerverwaltungsakt. Die Aufnahme einer laufenden Leistung durch einen vorrangig verpflichteten Leistungsträger führe nicht zu einer von Anfang an rechtswidrigen Leistungserbringung, sondern stelle eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen dar, welche eine Aufhebung und ggf. Erstattungsentscheidung nach den §§ 48 und 50 SGB X nach sich ziehe. Die Leistungsbewilligung müsse im Zeitpunkt ihres Erlasses durch den nachrangig verpflichteten Leistungsträger rechtmäßig erfolgt sein. Die Leistungsbewilligung durch den Bewilligungsbescheid vom 24.09.2012 sei für den Zeitraum vom 01.10.2012 bis 31.03.2013 nach Grund und Höhe zu Recht erfolgt. Eine Entscheidung der Beklagten über die beantragte Rentenleistung war zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt. Eine Einkommensanrechnung war daher nicht vorzunehmen. Durch die Aufnahme laufender Leistungen seitens der Beklagten, konkret durch die Auszahlung der Rentenleistung für November 2012 am Monatsende, sei die Leistungsbewilligung des Klägers durch den Bewilligungsbescheid vom 24.09.2012 nicht von Anfang an rechtswidrig. Die Ende November 2012 erfolgte Auszahlung der Rentenleistung für November 2012 stelle einen tatsächlich erfolgten Einkommenszufluss dar, welcher gemäß § 11 Abs. 2 SGB II auf den Leistungsanspruch nach dem SGB II anzurechnen sei und einen entsprechend niedrigeren Leistungsanspruch nach sich ziehe. Im Unterschied zu den Sachverhalten, welche den Urteilen des BSG vom 19.03.1992 und 25.01.1994 zugrunde gelegen hätten, sei ein Erstattungsanspruch gemäß § 104 SGB X im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen.

Die Leistungserbringung seitens der Beklagten sei nicht rechtzeitig erfolgt. Dabei sei es irrelevant, dass die Beklagte nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI zu einer nachschüssigen Rentenzahlung verpflichtet sei. Maßgeblich sei allein die Übereinstimmung der Anspruchs- bzw. Bezugszeiträume der im Raum stehenden Leistungen. Maßgeblich sei insofern der Zeitpunkt der Entscheidung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers über die Leistungsbewilligung. Der Beklagten sei es daher verwehrt gewesen, in Kenntnis der Vorleistungen durch den Kläger mit befreiender Wirkung an die Versicherte zu leisten. Die Gefahr einer Erstattungskette bestehe nicht. Die Beklagte sei im eigenen Interesse gehalten, die künftige Aufnahme der laufenden Leistungen an die Versicherte vor der Auszahlung abzustimmen und eine Beendigung der Erstattungskonstellation herbeizuführen, wie es auch der allgemeinen Verpflichtungen der Sozialleistungsträger zu einer engen Zusammenarbeit gemäß § 86 SGB X entspreche.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 30.07.2015 entschieden. Es hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger 748,73 Euro für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.11.2012 in der Angelegenheit der Versicherten zu erstatten. Der Streitwert betrage 748,73 Euro, weshalb das Urteil nicht mit der Berufung angefochten werden könne.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit Telefax vom 31.08.2015 an diesem Tag Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt.

Die Beklagte hat geltend gemacht, dass der vorliegenden Entscheidung eine Rechtsfrage zugrunde liege, die grundsätzliche Bedeutung habe. Es sei zu klären, ob ein Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI seine Leistungsverpflichtung im Monat der Aufnahme der laufenden - nach der Regelung des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI zwingend nachschüssig am Ende des Monats für den Monat zu erbringenden - Rentenzahlung rechtzeitig im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X erbringe. Die Frage sei klärungsfähig und es komme ihr eine erhebliche Breitenwirkung zu. Sie sei auch klärungsbedürftig, da sie höchstrichterlich noch nicht entschieden sei. Die vom Kläger und dem Sozialgericht in Bezug genommene Entscheidung des BSG vom 28.08.1997 - Az. 14/10 RKg 11/96 - sei nicht einschlägig, da die Fallkonstellationen nicht vergleichbar seien. Es werde auch noch einmal auf die Problematik der Kettenerstattungen hingewiesen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 04.12.2015 die Berufung zugelassen. Neue Gesichtspunkte haben die Beteiligten im Berufungsrechtsstreit nicht mehr vorgetragen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.07.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.07.2015 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beteiligten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, nachdem sie durch Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts vom 04.12.2015 (Az. L 20 R 670/15 NZB) zugelassen worden ist (§ 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die vorgeschaltete Nichtzulassungsbeschwerde wurde innerhalb der einmonatigen Rechtsmittelfrist des § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG eingelegt. Der Einlegung einer gesonderten Berufung bedurfte es gemäß § 145 Abs. 5 Satz 1 SGG nicht.

Die Berufung ist auch begründet, da das Sozialgericht zu Unrecht einen Erstattungsanspruch des Klägers in der geltend gemachten Höhe bejaht hat.

Für den Erstattungsstreit zwischen Sozialleistungsträgern, die nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis stehen, ist eine unmittelbare allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG die zutreffende Klageart.

Der Kläger hat keinen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten hinsichtlich seiner Zahlungen an die Versicherte in der Zeit vom 01.11.2012 bis 30.11.2012.

Als Grundlage für einen Erstattungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten kommt aus Sicht des Senats entweder originär oder über den rückwirkend auch für den hier betroffenen Zeitraum geltenden § 40a SGB II (Gesetz vom 28. Juli 2014, BGBl. I, S. 1306, mit Wirkung ab 01.01.2009) ausschließlich § 104 SGB X in Betracht. Erstattungsansprüche des SGB II-Trägers nach § 103 SGB X sind auf die in § 44a SGB II geregelten Fälle beschränkt, in denen zwischen den Trägern ein Dissens über das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit besteht. Dies ergibt sich daraus, dass § 40a Satz 4 SGB II durch Verweis auf § 44a Abs. 3 SGB II den dort normierten Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X unberührt lässt und systematisch damit die Abgrenzung für diese Fallkonstellationen regeln will. Dass ein Erstattungsanspruch eines nachrangigen Grundsicherungsträgers gegenüber einem Sozialversicherungsträger nach § 104 SGB X zu beurteilen ist, lässt sich auch aus der hierzu vorliegenden Rechtsprechung ersehen (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014, Az. B 1 KR 12/14 R, und Urteil vom 24.05.2012, Az. B 9 V 2/11 R - jeweils nach juris).

Gemäß § 40a Satz 2 SGB II besteht der Erstattungsanspruch auch, soweit die Erbringung des Arbeitslosengeldes II allein aufgrund einer nachträglich festgestellten vollen Erwerbsminderung rechtswidrig war oder rückwirkend eine Rente wegen Alters oder eine Knappschaftsausgleichsleistung zuerkannt wird.

§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X bestimmt, dass ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger, wenn er Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, gegenüber dem Leistungsträger einen Erstattungsanspruch hat, gegen den der Berechtigte - hier die Versicherte - vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser nicht bereits selbst in Unkenntnis der Leistung des anderen Leistungsträgers geleistet hat.

Der Kläger ist als Träger von Leistungen nach dem SGB II tätig geworden. Aus den Akten ergibt sich, dass der Kläger an die Versicherte Anfang November 2012 Leistungen in Höhe von 922,60 Euro gezahlt hat, wobei er diesen Betrag in Anwendung der Berechnungsvorschriften des SGB II iVm der ALG II-Verordnung ermittelt hatte. Dass eine Zahlung in dieser Höhe erfolgt ist, wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

Die Leistungen der beiden hier betroffenen Leistungserbringer an die Versicherte haben unstrittig denselben Zeitraum - November 2012 - betroffen. Eine zeitliche Kongruenz der Leistungen wäre somit dem Grunde nach zu bejahen. Die Versicherte hatte auch keinen Anspruch auf gleichzeitige Zahlung der Leistungen - zumindest nicht in Höhe des hier streitgegenständlichen Betrages. Aus § 104 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB X ergibt sich die Begrenzung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs im vorliegenden Fall auf den Betrag, der sich aus der Rentenzahlung der Beklagten für die Versicherte für den Monat November 2012 ergibt - "soweit" - und der unstrittig bei den geltend gemachten 748,73 Euro liegt.

Grundsätzlich führt die Zahlung einer Erwerbsminderungsrente als Anspruch aus einer Versicherungsleistung dazu, dass die am Bedarf zu orientierende, den Lebensunterhalt des Betroffenen sichernde Leistung nach dem SGB II wegfällt oder sich auf den nach Anrechnung verbleibenden Restbedarf reduziert, weil die Rente als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen ist (§§ 9 Abs.1, 11 Abs.1 SGB II). Leistungsansprüche nach dem sozialen Grundsicherungsrecht (hier SGB II) und dem Sozialversicherungsrecht (hier SGB VI) stehen nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis, vielmehr besteht ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis dahingehend, dass soziale Grundsicherungsansprüche nachrangig gegenüber den regelmäßig als Einkommen anrechenbaren Sozialversicherungsleistungen sind. Damit ist ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger grundsätzlich möglich, wie sich auch an der Durchführung des Erstattungsvorgangs für den Monat Oktober 2012 ersehen lässt.

Der Erstattungsanspruch für November 2012 scheitert in der geltend gemachten Höhe nicht an § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X, wonach ein Erstattungsanspruch nicht besteht, soweit der nachrangige Leistungsträgers seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig Verpflichteten Leistungsträgers hatte erbringen müssen. Bei Kenntnis der Rentenzahlung für und im November 2012 hätte nach § 11 Abs. 2 SGB II eine laufende Leistung für den gesamten Monat berücksichtigt werden müssen und dies hätte dazu geführt, dass eine geringere Zahlung an die Versicherte vom Kläger veranlasst worden wäre. Der Kläger hätte seine Leistung also in der geltend gemachten Höhe nicht erbringen müssen.

Ein Erstattungsanspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte in Unkenntnis der Zahlung des Klägers bereits mit befreiender Wirkung an die Versicherte geleistet hätte. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X a.E. sieht dies zwar vor: "ist ... erstattungspflichtig ..., soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat." Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte Kenntnis von der Zahlung des Klägers für November 2012, bevor sie die Zahlung an die Versicherte erbracht hatte. Der Kläger hatte bereits vorab dem Grunde nach und unmittelbar nach Bekanntwerden der - zukünftigen - Doppelleistung am 05.11.2012 (Eingang bei der Beklagten am 07.11.2012) seinen Erstattungsanspruch geltend gemacht. Die trotzdem gegenüber der Versicherten getätigte Zahlung der Beklagten ist nach Kenntniserlangung erfolgt und entfaltet keine befreiende Wirkung. Unbeachtlich ist insoweit, dass die Beklagte geltend macht, sie hätte die bereits veranlasste Auszahlung nicht mehr stoppen können, auch wenn noch mehrere Wochen bis zum Zahlungstermin offen waren. Es wäre Aufgabe der Beklagten gewesen, die zum Monatsende erfolgende Zahlung umgehend zu stoppen.

Aus Sicht des Senats scheitert der Erstattungsanspruch des Klägers jedoch daran, dass für November 2012 ein Vorrang-Nachrangverhältnis nicht mehr zu bejahen war, da die Beklagte rechtzeitig geleistet hatte. "Nachrangig verpflichtet" ist gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Im vorliegenden Fall war der Kläger - aus seiner Sicht - zur Leistung an die Versicherte für November 2012 verpflichtet, weil er zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch keine - zumindest keine sichere - Kenntnis vom einsetzenden Rentenbezug der Versicherten gehabt hatte. Die Gesetzesformulierung beinhaltet im Umkehrschluss, dass bei tatsächlich erfolgter rechtzeitiger Leistung des anderen Leistungsträgers gar keine - und damit auch keine nachrangige - Verpflichtung des anderen Leistungsträgers besteht. In Ermangelung des Status eines nachrangig verpflichteten Leistungsträgers kann der Kläger somit keinen Erstattungsanspruch aus § 104 SGB X gegenüber der Beklagten herleiten. Die Überlegung des Senats berücksichtigt, dass das BSG in seinem Urteil vom 19.03.1992 (7 RAr 26/91 - nach juris, Rn 37) darauf hingewiesen hat, dass der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X nur dem nachrangigen Leistungsträger zukommt und es bei einer rechtzeitig erbrachten, laufenden Leistung an der Nachrangigkeit fehle. Dies ist im Urteil vom 25.01.1994 (7 RAr 42/93 - nach juris) bestätigt worden.

Aus den jeweils geltenden Gesetzen ergeben sich unterschiedliche Zeitpunkte für die Erfüllung der Zahlungsverpflichtung, nämlich im Vorhinein beim Kläger (§ 41 Abs. 1 SGB II) und nachschüssig bei der Beklagten (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Dies führt bei einem Wechsel von einer vorschüssig zu einer nachschüssig zu erbringenden Leistung in den meisten Fällen zu einer faktischen finanziellen Lücke beim Betroffenen. Diese kann allenfalls durch § 24 Abs. 4 SGB II gemildert werden. In Abhängigkeit von den jeweiligen Kenntnisständen der Leistungsträger wird durch die unterschiedlich geregelten Zahlungszeitpunkte auch ein objektiver Doppelbezug von Leistungen für den ersten Monat des Leistungswechsels begünstigt.

Der Senat schließt sich in seinen Überlegungen an das Urteil des Schleswig-Holstei-nischen Landessozialgerichts vom 19.01.2016 (Az. L 7 R 181/15 - nach juris) an. Dort wird zwar auf Besonderheiten bei Altersrentengewährung eingegangen. Doch auch im vorliegenden Fall bestand eine besondere Konstellation. Der Versicherten musste nämlich die Erwerbsminderungsrente gar nicht mehr - rückwirkend - zugesprochen werden. Vielmehr war der Anspruch auf die Erwerbsminderungsrente bei der Versichertem schon seit längerem bejaht worden, eine Rentenzahlung aber wegen Hinzuverdienst eingestellt worden. Bei dem von der Versicherten vorgetragenen und nachgewiesenen Wegfall der anderweitigen Zahlungen - was Voraussetzung für die Erbringung der Leistungen nach dem SGB II war - war mit einer nahtlosen Fortführung der Rentenzahlungen nach dem SGB VI zu rechnen. Damit hätte der Kläger auf Grund des Wissens um den Rentenanspruch der Versicherten einerseits und das tatsächliche Fehlen von Zahlungen zum Monatsbeginn andererseits gerade die Vorschrift der §§ 24 Abs. 4 iVm 42a SGB II über darlehensweise Zahlungen nutzen können. Die zu Monatsbeginn November 2012 bzw. zum Entscheidungszeitpunkt des Klägers am 24.09.2012 noch nicht bekannte Tatsache einer tatsächlichen Rentenzahlung und ihrer genauen Höhe stand einer Darlehensgewährung nicht entgegen, denn § 24 Abs. 4 SGB II ermöglicht die Gewährung eines bedarfssichernden Darlehens bereits bei voraussichtlich zufließenden Einnahmen.

Die darlehensweise Weiterzahlung der Grundsicherung im Übergangsmonat erscheint gegenüber der Konstruktion eines Erstattungsanspruchs deutlich vorzugwürdig. Die Annahme eines Erstattungsanspruchs im gesamten Übergangszeitraum würde die zu erwartenden erheblichen faktischen Probleme der Versicherten bei der Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes in dem Folgemonat mit sich bringen. Hätte nämlich die Beklagte die Rentenzahlung für November 2012 am Ende dieses Monats nicht voll an die Versicherte ausgekehrt, sondern in Höhe des geltend gemachten Erstattungsanspruchs eine Zahlung gegenüber dem Kläger vorgenommen, so hätte der Versicherten zu Beginn des Folgemonats Dezember 2012 kein bedarfsdeckendes Einkommen unmittelbar zur Verfügung gestanden, so dass dann wohl der Darlehensantrag nach § 24 Abs. 4 SGB II zu stellen gewesen wäre.

Unabhängig davon wäre der Einwand der Beklagten, dass mit der vom Kläger begehrten Entscheidung notwendig die Problematik von Kettenerstattungen verbunden wäre, aus Sicht des Senats nicht zwingend. Zwar ist es richtig, dass zu Monatsbeginn die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers faktisch jeweils erneut vorliegen würde, jedoch müsste der Kläger jedenfalls bei gesicherter Kenntnis der Tatsache, dass am Monatsende eine Rentenzahlung erfolge, den Leistungsanspruch nach § 7 SGB II wegen fehlender Hilfebedürftigkeit verneinen und erforderlichenfalls ein Darlehen nach § 24 Abs. 4 SGB II zwischenschalten.

Ein anderes Ergebnis würde nur das Bejahen einer nachrangigen Verpflichtung des Klägers mit sich bringen, was man vertreten könnte, wenn man eine rechtzeitige Erfüllung der Leistungsverpflichtung der Beklagten nur dann gegeben sehen würde, wenn zusätzlich zur nachschüssigen Zahlung bereits zu Beginn des Zeitraums für den die Zahlung bestimmt ist, eine Entscheidung der Beklagten über die konkrete Leistungsgewährung vorgelegen hätte. Zur Leistungsverpflichtung müsste also nicht nur der Geldzufluss zu dem in § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI festgelegten Zeitpunkt, sondern auch die Bewilligung spätestens zu Beginn des Leistungszeitraums erforderlich sein. Im vorliegenden Fall wäre dies knapp nicht gegeben: Zwar erfolgte bereits am 29.10.2012 eine Neuberechnung mit Feststellung eines laufenden Zahlbetrags und eines Nachzahlungsanspruchs. Da aber dieser Umstand bei schriftlicher Mitteilung des Verwaltungsakts nach § 37 Abs. 2 SGB X erst als am 01.11.2012 d.h. im Lauf des Tages, bekanntgegeben gilt, hätte der Leistungszeitraum November 2012 bereits begonnen gehabt.

So hat das LSG NRW in einem Beschluss über eine Nichtzulassungsbeschwerde (vom 23.12.2013, Az. L 3 R 707/13 NZB - nach juris) die vom SG Detmold erstinstanzlich vertretene Auffassung eines Erstattungsanspruchs für Doppelleistungen in einem Fall mit unterschiedlichen Zahlungszeitpunkten aber verspäteter Bewilligung als der obergerichtlich geklärten Rechtsauffassung entsprechend angesehen. Allerdings hat entgegen der Ansicht, wie sie auch der Kläger vertritt, das BSG mit seiner Entscheidung vom 28.08.1997 (Az. 14/10 RKg 11/96 - nach juris) seine frühere Rechtsprechung (a.a.O.) nicht aufgehoben, sondern eine differenzierte Betrachtungsweise gerade bei regulär nachträglich zu erbringenden Leistungen für erforderlich angesehen, was aus Sicht des Senats die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht vorgibt.

Nach alledem ist das Bestehen eines Erstattungsanspruchs des Klägers gegen die Beklagte für den Zeitraum September 2012 allein nach den Regeln des § 104 SGB X zu betrachten. Dessen Voraussetzungen liegen indessen nicht vor. Es fehlt an der nicht rechtzeitigen Leistungserbringung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers, hier der Beklagten, gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X, denn die Beklagte hat nach der maßgebenden Regelung des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB VI die Rente für November 2012 rechtzeitig durch Auszahlung zum Monatsende an den Versicherten geleistet.

Da weder Kläger noch Beklagte zu dem von § 183 SGG erfassten Personenkreis gehören, richtet sich die Kostenentscheidung über § 197a SGG nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). § 154 VwGO bestimmt, dass der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, wobei sich dies auf beide Verfahrenszüge erstreckt.

Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die vorliegende Entscheidung und die des LSG Schleswig-Holstein (a.a.O.) nicht mit der Entscheidung des LSG NRW (a.a.O.) übereinstimmen und zudem eine grundsätzliche Frage der Rechtsanwendung entscheidungserheblich ist, nämlich ob die rechtzeitige Zahlung einer beginnenden Rentenleistung nach § 118 Abs. 1 SGB VI allein schon den Erstattungsanspruch nach § 40a SGB II iVm § 104 SGB X entfallen lässt.
Rechtskraft
Aus
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