L 4 SO 58/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 SO 338/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 58/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für eine Fortbildung, die der Kläger von August 2011 bis Juli 2012 am Universitätsklinikum H. durchlaufen hat.

Der Kläger ist 1962 geboren. Er hat einen Realschulabschluss und war bis 1996 als Chemiefacharbeiter tätig. Seitdem bezieht er eine Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung in bedarfsdeckender Höhe. Ein Grad der Behinderung von 50 ist anerkannt. In der Zeit von März 2008 bis Juni 2011 hat der Kläger aufgrund seiner psychischen Erkrankung Leistungen zur Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form von personenbezogenen Hilfen für psychisch kranke Menschen erhalten. Der sozialpädagogische Fachdienst der Beklagten hat die Zugehörigkeit des Klägers zum Personenkreis des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII für das Gesamtplanverfahren 2010 festgestellt.

Nachdem ein nach Angaben des Klägers schon früher beim Bezirksamt Altona gestellter Antrag nicht gefunden werden konnte, stellte der Kläger am 24. August 2011 einen Antrag bei der Beklagten, gerichtet auf die Bewilligung eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets als Eingliederungshilfe zur Teilhabe an der Gemeinschaft zwecks Teilnahme an einer Fortbildung am U ... Hierbei handelte es sich um den Kurs "E. durch Erfahrung in der Gesundheitsversorgung". Mit der Fortbildung sollen Psychiatrie-Erfahrene und Menschen, die schwere psychische Krisen durchlebt haben, für eine Tätigkeit als Dozenten und Mitarbeiter in psychosozialen Diensten qualifiziert werden. Die Maßnahme bestand aus Basis- und Aufbaumodulen, verteilt auf 12 Monate, die Kursgebühren beliefen sich auf 2.220 Euro. Den Vertrag mit der Verpflichtung zur Teilnahme an der gesamten Fortbildung unterschrieb der Kläger am 26. August 2011. Noch im August 2011 trat er die Fortbildung an und schloss sie im Juli 2012 mit einer entsprechenden Zertifizierung ab.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung hieß es, die Finanzierung des Projektes E. stelle keine Eingliederungshilfe dar und sei daher keine budgetfähige Leistung.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 22. November 2011 Widerspruch. Im März 2014 machte er über die Kursgebühr hinaus auch Kosten für Literatur und Schreibmittel sowie Fahrtkosten für das gesamte Jahr der Teilnahme in Höhe von insgesamt 1.933,40 Euro geltend. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2014, zugestellt am 12. Mai 2014, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Bewilligung von Eingliederungshilfe in Form des persönlichen Budgets setze voraus, dass zumindest ein Teil der begehrten Leistungen eine Sachleistung sei. Das persönliche Budget sei keine eigenständige Leistung, sondern nur eine eigenständige Form der Eingliederungshilfe. Für die beantragte Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft gelten nach § 53 Absatz 4 SGB XII die Normen des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX), insbesondere auch § 15 Abs. 1 SGB IX. Der dort geregelte Kostenerstattungsanspruch für selbstbeschaffte Leistungen bestehe nur, wenn der Träger die Leistung nicht rechtzeitig erbringen könne oder zu Unrecht abgelehnt habe. Der Beschaffungsweg sei nur eingehalten, wenn der Antragsteller die ablehnende Entscheidung des Trägers der Leistung abwarte, bevor er sich die Leistung selbst beschaffe. Das gelte selbst dann, wenn mit einer ablehnenden Entscheidung zu rechnen gewesen sei. Anderenfalls fehle es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung der Leistung und der Selbstbeschaffung. Diese zu § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) entwickelte Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 20.5.2013 – B 1 KR 9/03 R) sei auf die Fälle selbstbeschaffter Leistungen, die unter § 15 SGB IX fallen, zu übertragen, weil die Norm im SGB IX § 13 Abs. 3 SGB V nachgebildet sei (BSG, Urteil vom 20.10.2009 – B 5 R 5/07 R). Da die Fortbildung von Anfang an auf beide Module angelegt gewesen sei, stelle sie eine einheitliche Maßnahme dar, so dass auch eine Bewilligung von Eingliederungshilfe für einen Teil nach der Antragstellung und Ergehen des ablehnenden Bescheides nicht in Betracht käme.

Am 12. Juni 2014 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Er meint, die Anwendung von § 15 Abs. 1 SGB IX könne nicht zu einem vollständigen Verlust seines Kostenerstattungsanspruchs führen. Ihm müssten zumindest ab dem Tag nach Erlass des Bescheides Leistungen gewährt werden. Der vom Bundessozialgericht entschiedene und zitierte Fall betreffe eine vollständig andere Konstellation. Er habe mit der Ablehnung durch die Beklagte gerechnet, weil die Beklagte in vergleichbaren Fällen die generelle Auffassung vertreten habe, das Projekt sei nicht förderfähig. Er habe daher die Entscheidung der Beklagten nicht abwarten müssen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. Juni 2015 wegen Nichteinhaltung des Beschaffungsweges unter Bezugnahme auf § 15 Abs. 1 SGB IX abgelehnt.

Gegen das am 6. Oktober 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. November 2015 Berufung eingelegt. Er meint nun, die besuchte Fortbildungsmaßnahme sei bewilligungsfähig als Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit nach § 54 Absatz 1 Satz 1 SGB XII. Die Einhaltung des Beschaffungsweges sei ihm nicht möglich gewesen, weil sein Antrag aus Mai 2011 im Verwaltungsapparat verschwunden sei. Er habe den ablehnenden Bescheid nicht abwarten müssen, weil es eine entsprechende Dienstanweisung der Hamburger Sozialbehörde gegeben habe und damit die Ablehnung von vornherein festgestanden habe. Die Beklagte habe ferner innerhalb von 3 Wochen über den Antrag entscheiden müssen. Danach sei er zur Selbstbeschaffung berechtigt gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Juni 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2014 aufzuheben und die Beklage zu verurteilen, ihm die Kosten für die Teilnahme an der Fortbildung "E." des U. in der Zeit von August 2011 bis Juli 2012 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und führt weiter aus, der Kläger habe sich mit dem Vertragsabschluss im Hinblick auf die gesamte Fortbildung gebunden. Insofern stelle die Entscheidung der Beklagten keine Zäsur dar.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt. Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte, die vorgelegen haben und Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 143, 144 SGG und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 SGG). Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte Fortbildung.

Nachdem der Kläger sich die Fortbildung selbst beschafft hat, kann er sein ursprünglich auf die Bewilligung eines persönlichen Budgets gerichtetes Begehren nur noch als Kostenerstattungsanspruch geltend machen. Als allgemeiner Rechtsgedanke ist im Sozialrecht anerkannt, dass bei Selbstbeschaffung unaufschiebbarer Sozialleistungen (also in Eil- und Notfällen) sowie im Fall einer rechtswidrigen Leistungsablehnung die Kosten für die selbstbeschaffte Leistung zu erstatten sind (vgl. BSG, Urteil vom 23.5.2013 – B 4 AS 79/12 R, Rn. 21; Urteil vom 6.8.2014 – B 4 AS 37/13 R, Rn. 14; Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 12/06 R).

Voraussetzung für einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung ist das Bestehen des Anspruchs auf die (ursprünglich) begehrte Leistung, des Primäranspruchs. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der begehrten Leistung nicht vor, kann auch kein Kostenerstattungsanspruch entstehen (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 12/06 R). Der Primäranspruch war hier nicht gegeben.

Anspruchsgrundlage für die durchgeführte Fortbildung ist § 54 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII, wonach Eingliederungshilfe auch als Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit erbracht werden kann. Dem Inhalt und der Intention des Kurses nach stellt er dagegen keine Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft dar. Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Personen, die durch eine Behinderung im Sinne vom § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Dass der Kläger nach der Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Beklagten zum Gesamtplan unter einer wesentlichen Behinderung im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII leidet, ist unstreitig. Sind die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, besteht ein Anspruch auf eine Ermessensentscheidung des Sozialhilfeträgers. Diese unterliegt der gerichtlichen Überprüfung auf Ermessensfehler – Ermessensunterschreitung, Ermessensfehlgebrauch, Ermessensüberschreitung – (Bieritz-Harder in: LPK-SGB XII § 54 Rn. 66f.). Auf einen Ermessensfehler der Beklagten kann sich der Kläger vorliegend allerdings nicht berufen, weil durch die voreilige Selbstbeschaffung der begehrten Fortbildung für eine Ermessensausübung der Beklagten kein Raum war. Er kann mit seinem Kostenerstattungsanspruch daher nur durchdringen, wenn das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert war. Dafür gibt es schon deshalb keine Anhaltspunkte, weil mögliche Alternativen nicht geprüft werden konnten. Gegen die begehrte Fortbildung sprach jedenfalls, dass sie allenfalls eine sehr vage Perspektive im Sinne der Aufnahme einer Tätigkeit bot. Ex post ist festzustellen, dass die Qualifikation des Klägers u.a. aus Gründen des Arbeitsmarktes nicht zur Aufnahme einer Beschäftigung geführt hat. Die persönlichen und gesundheitlichen Umstände des Klägers lassen auch Zweifel an seiner Eignung für die Aufnahme einer Tätigkeit überhaupt aufkommen.

Auch § 15 Abs. 1 S. 3 SGB IX erfordert das Vorliegen des Primäranspruchs, so dass im Ergebnis hieraus ebenfalls ein Kostenerstattungsanspruch nicht abgeleitet werden kann. Es kann daher offen bleiben, ob § 15 Abs. 1 S. 3 SGB IX auch für Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII eine Anspruchsgrundlage darstellt mit der Folge, dass uneingeschränkt die strengen Maßstäbe des vom Sachleistungsprinzip beherrschten Krankenversicherungsrechts für die Geltendmachung der Kostenerstattung, insbesondere die Kausalität zwischen Ablehnung und Selbstbeschaffung, zu Grunde zu legen sind. Dies erscheint u.a. angesichts des Vorranges der Geldleistung im Sozialhilferecht (§ 10 Abs. 3 SGB XII) zweifelhaft. Auf die in diesem Zusammenhang erörterten Aspekte wie die Frage eines früheren Antrages, die Frage einer teilweisen Kostenerstattung oder die generelle Ablehnung der Förderung dieser Fortbildung durch die Beklagte kommt es daher nicht an.

Insofern kann auch dahin stehen, ob eine Genehmigungsfiktion die Einhaltung des Beschaffungsweges entbehrlich macht. Die in § 15 Abs. 1 S. 3 SGB IX geregelte Kostenerstattungspflicht des Sozialhilfeträgers nach Ablauf einer vom Antragsteller gesetzten Frist gilt ohnehin gemäß § 15 Abs. 1 S. 5 SGB IX ausdrücklich nicht für die Träger der Sozialhilfe. Die entsprechende Regelung in § 13 Abs. 3a S.1 SGB V ist erst zum 26. Februar 2013 und eingeführt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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