S 89 KR 3924/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
89
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 3924/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Nadel-Epilation zur Behandlung von männlichem Bartwuchs bei Transsexualismus (Mann-zu-Frau) ist eine ärztliche Leistung.

2. Ist die Krankenkasse nicht in der Lage, einen leistungsbereiten Vertragsarzt zu benennen, liegt ein Systemversagen vor.

3. Zur Überwindung dieses Systemversagens dürfen allein privatärztliche Leistungen in Anspruch genommen werden und begründen einen Kostenübernahmeanspruch auch vorab.

4. Die Inanspruchnahme nichtärztlicher Leistungserbringer ist für die Erbringung der Nadel-Epilation auch im Fall des Systemversagens nicht zulässig und kann keinen Kostenübernahmeanspruch nach § 13 Abs. 2 oder 3 SGB V begründen (Abweichung zu L 16 KR 453/12 und S 51 KR 2136/13).
Die Beklagte wird in Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 26. November 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2015 verurteilt, der Klägerin über die bereits bewilligten Kosten von 69,24 Euro pro Behandlungsstunde hinaus für die benötigte dauerhafte Haarentfernung im Gesicht mittels ärztlich angeordneter und ärztlich ver-antworteter Epilationsbehandlung für 50 Stunden weitere 86,76 Euro und für 50 Stunden im Übrigen 156,00 Euro pro Stunde, damit insgesamt für 100 Stunden, gemäß der ärztlichen Verordnung vom 17. Oktober 2014 zu gewäh-ren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Epilation als Behandlung im Rahmen geschlechtsangleichender Maßnahmen Mann zu Frau.

Die 1952 geborene, bei der Beklagten Versicherte, beantragte am 30.9.2014 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Bartwuchsentfernung im Rahmen der geschlechtsanglei-chenden/-umwandelnden Maßnahmen (Mann zu Frau). Dabei übersandte sie neben einem ärztlichen Attest, wonach eine Nadelepilation des noch ausgeprägten Bartwuchses im Rahmen der Transsexualität empfohlen wurde, zwei Kosten-voranschläge über die Durchführung einer Nadelepilation über 50 Stunden der D. GmbH & Co KG zu einem Gesamtpreis von 7.800 Euro sowie der Elektrologistin B. zu einem Gesamtpreis von 18.000 Euro für 150 Stunden zu einem Stundenpreis von 120,00 Euro.

Mit formlosen Schreiben vom 2.10.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Epilati-onsbehandlung mit Elektrokoagulation bei krankhaftem und entstellendem Haarwuchs in den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung falle und grundsätzlich von dem behandelnden Arzt über die TK-Gesundheitskarte abgerechnet werden könne. Bei den vorgelegten Kostenvoranschlägen für die Elektrokoagulation handele es sich nicht um Leistungserbringer, die über eine Kassenzulassung verfügten. Eine Kostenübernahme durch die Beklagte sei daher nicht möglich; sollte eine Nadelepilation bei einem Vertragspartner nicht möglich sein, prüfe die Beklagte gerne die Kostenübernahme bei einem Nichtvertragspartner. Voraussetzung sei, dass die Behandlung durch einen Arzt durchgeführt werde. Die maximale Erstattung betrage 69,24 Euro, hierbei handele es sich um einen Vertragssatz. Die Beklagte benötige zur Prüfung eine ärztliche Verordnung mit Angabe der Anzahl der voraussichtlichen Behandlungen, einen ärztlichen Bericht über die aktuelle Situation, aktuelle Fotos und einen entsprechenden Kostenvoranschlag.

Die Klägerin übersandte Fotos, eine ärztliche Verordnung vom 17.10.2014 über die Behandlung mit einer Nadelepilation im Umfang von 100 Sitzungen à 60 Minuten (Dr. K.) sowie ein ärztliches Attest des behandelnden Hautarztes Dr. K., wonach die überwiegende Mehrzahl der Haare, die dunkel gewesen seien, in 12 Sitzungen erfolgreich mit einem Laser-Epilierer entfernt worden seien, es bestünden noch graue und weiße Haare, diese könnten mit dem Laser-Epilierer nicht entfernt werden, sondern bedürften der Nadelepilation. Dabei handele es sich um eine ursprünglich vertragsärztliche Leistung, sie werde aber von vertragsärztlichen Dermatologen nicht mehr angeboten. Im Fall der Klägerin sei eine Nadelepilation indiziert. Aus Sicht des Arztes seien mindestens 100 Stunden notwendig, um ein befriedigendes Ergebnis zu erreichen. Die vorliegende Ausprägung der Hypertrichose sei mit der Identität einer Frau nicht vereinbar und damit krankheitswertig.

Die Klägerin teilte der Beklagten ergänzend mit, seitens der Praxis von Dr. B., die ihr von der Beklagten als Leistungserbringer für die Behandlung benannt worden sei, sei mitgeteilt worden, dass das vorhandene Epilationsgerät defekt sei, irreparabel und auch kein neues angeschafft würde. Da mithin keine Behandlung bei einem Vertragsarzt möglich sei, damit eine Versorgungslücke bestehe, bitte sie um Kostenübernahme einer Behandlung bei Frau B. oder der D. GmbH & Co KG entsprechend der bereits vorliegenden Kostenvoranschläge. Die von der Beklagten vorgenommene Beschränkung der Erstattung sei rechtswidrig, auch die geforderte Ausführung durch einen Arzt. Ärzte könnten die Behandlung ja beaufsichtigen (17.10.2014).

Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme nach Aktenlage des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (14.11.2014), dies teilte sie der Klägerin mit (27.10.2014). Nach der MDK-Stellungnahme vom 14.11.2014 (Dipl. Med. L.) bestehe im Fall der Klägerin grundsätzlich eine Leistungspflicht der GKV für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei manifestem Transsexualismus. Dieser sei mit dem psychiatrischen Gutachten des MDK vom 11.10.2013 für die Klägerin bestätigt. Männlicher Bartwuchs sei mit dem Erscheinungsbild einer Mann-zu-Frau Transsexualität nicht vereinbar. Eine sachgerecht durchgeführte Epilation durch Elektro-koagulation sei geeignet, die Gesichts-Behaarung männlichen Typs zu reduzieren bzw. im Idealfall zu beseitigen. Aufgrund des individuell sehr unterschiedlichen Bartwuchses könne im Fall der Klägerin eine Prognose, wie viele Behandlungen zur Beseitigung erforderlich sein, nicht abgegeben werden. Zunächst sei von mindestens 100 Sitzungen à 60 min auszugehen, das Ergebnis bleibe abzuwarten.

Die Klägerin übersandte erneut den Kostenvoranschlag der Firma D. vom 20.11.2014 über Kosten für die Nadelepilation im Umfang von 50 Stunden zu insgesamt 7.800 EUR.

Mit Bescheid vom 26.11.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie übernehme die Kosten für die Nadelepilation. Die Bewilligung umfasse 50 Behandlungen à 60 Minuten durch D.(GmbH & Co KG) Pro Stunde würden maximal 69,24 EUR erstattet. Die Klägerin wurde gebeten, die Originalrechnung nebst ihrer Bankverbindung einzureichen.

Die Klägerin erhob Widerspruch (23.12.2014). Derzeit führe in Berlin, unter anderem auch aufgrund veralteter Epilationsgeräte, kein Arzt die benötigte Epilationsbehandlung durch. Im Rahmen laufender Gerichtsverhandlungen habe der einstmals die Nadelepilation durchführende Arzt Dr. B., mehrfach bestätigt, diese nicht mehr durchzuführen, es liege somit eine Versorgungslücke vor. Nach Auskunft von kassenärztlichen Vereinigungen werde die Epilati-onsbehandlung Transsexueller in der Regel von hierauf ausgerichteten Institutionen durchge-führt. Diese Behandlung würde von den Krankenkassen grundsätzlich auch im Rahmen der Kostenerstattung bezahlt, als eine praktische Folge aus der Tatsache, dass die Behandlung aufgrund ihres Umfanges in einer hautärztlichen Praxis in der Regel nicht zu erbringen sei. Die Beklagte sei im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrags verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Versicherten die notwendigen Vertragsleistungen auch in Anspruch nehmen könnten. Eine Kostenreduzierung könne in dem von der Beklagten vorgenommenen Umfang nicht erfolgen, da andernfalls die Leistung durch die Klägerin nicht in Anspruch genommen werden könne. Die Beklagte werde daher gebeten, die Übernahme der Kosten für die Behandlung zu erklären. Sie übersandte einen Kostenvoranschlag des Kosmetikinstituts C. K. aus N., sie gehe davon aus, dass auf der Basis dieses Kostenvoranschlags die Übernahme der Kosten in vollem Um-fang bewilligt würde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erstrecke sich der Freistellungs- bzw. Kostenerstattungsanspruch im Fall eines Systemversagens über den Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V hinaus. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) habe einer Klägerin die Nadelepi-lation bzw. die entsprechende Kostenübernahme, durchgeführt durch ein Kosmetikstudio, mangels behandlungsbereiter Ärzte, zugesprochen. Es gelte zwar grundsätzlich der Arztvor-behalt, auf der anderen Seite stehe aber das Unvermögen zur Behandlung bereite Vertrags-ärzte zu benennen. Bei dieser Sachlage liege ein Systemversagen vor, zu dessen Überwindung nach Ansicht des benannten LSG ausnahmsweise die Inanspruchnahme nicht zugelassener, nichtärztlicher Leistungserbringer in Betracht komme.

Der Widerspruchsbescheid vom 8.10.2015 wies den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erbringe die Leistungen, auf die Versicherten An-sprüche im Rahmen der Krankenbehandlung hätten. Kostenerstattung könnten Versicherte anstelle von Sachleistung und Dienstleistungen in Fällen wählen, in denen nicht zugelassener Leistungserbringer tätig würde, allerdings nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse. Die Zustimmung könne erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inan-spruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigten und eine zumindest gleichwertige Ver-sorgung gewährleistet sei. Ein Anspruch auf Erstattung bestehe höchstens in Höhe der Vergü-tung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Gemäß § 15 Abs. 1 SGB V werde die Behandlung von Ärzten erbracht, andere in der Heilkunde tätige Personen sei nicht berechtigt, ärztliche Behandlungen zu erbringen oder Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu verordnen. Der Arztvorbehalt beinhalte einen generellen Ausschluss nichtärztlicher Heiltherapeuten. Der Arzt könne die Erbringung an Mitarbeiter delegieren, die von ihrer beruflichen Qualifikation her und der all-gemeinen Fähigkeiten und Kenntnissen für die Erbringung geeignet seien. Er habe diese Per-sonen dann entsprechend anzuleiten sowie regelmäßig zu überwachen. Die Nadelepilation sei – gemessen daran – eine in einem ärztlichen Vergütungsverzeichnis geregelte ärztliche Leistung und unterliege somit dem Arztvorbehalt. Eine Erbringung durch nichtärztliche Leis-tungserbringer dürfe von den Krankenkassen nicht finanziert werden. Die von der Klägerin ausgewählte Elektrologistin Frau B. sowie die Kosmetikerin Frau S. seien nicht zur vertrags-ärztlichen Versorgung zugelassen und dürften deshalb Patienten nicht zulasten der GKV be-handeln. Die Beklagte habe eine Kostenübernahme für eine Nadelepilation bei D. (GmbH & Co KG) im Rahmen einer Einzelfallentscheidung im Umfang von 50 Behandlungen je Stunde in Höhe eines Vertragsarztes und 69,24 EUR pro Stunde bewilligt. Eine höhere Kostenübernahme sei nicht möglich. Dem Hinweis der Klägerin, es bestehe eine sogenannte Versorgungslücke könne nicht gefolgt werden. Das BSG führe hierzu aus, dass nur dann eine Ausnahmemöglichkeit bestehe, wenn sozialgerichtlich bestätigt werde, dass insofern ein Systemmangel vorliege. Demgemäß müsse das Sozialgericht im konkreten Einzelfall feststellen, dass eine vertragliche Behandlung nicht zur Verfügung stehe.

Die Klägerin hat am 9.11.2015 Klage erhoben. Die begehrte Nadelepilation stelle für sie eine notwendige Krankenbehandlung dar. Sie sei in der Gebührenordnung für Ärzte aufgeführt und daher als ärztliche Behandlung anzusehen. Es bestehe ein Anspruch auf die Erstattung der Kosten eines nichtärztlichen Leistungserbrin-gers für die Nadelepilation. Es liege eine Versorgungslücke vor, zur Schließung dieser Lücke biete § 13 Abs. 2 SGB V die Möglichkeit, dass nicht im Vierten Kapitel des SGB V genannte Leistungserbringer nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden dürfen. Voraussetzung hierfür sei, dass die Qualität und Sicherheit der Leistung ver-gleichbar sei mit derjenigen eines entsprechenden Vertragsbehandlers. Für das Teilgebiet der Epilationsbehandlung sei festzustellen, dass einzelne Heilpraktiker und Kosmetiker die Qualität ärztlicher Behandlung sogar übertreffen würden, denn sie seien oft technisch besser ausgestattet, praktisch erfahrener und erfolgreicher in der Epilationsbe-handlung als vergleichbare Arztpraxen. Insoweit lägen die Voraussetzungen für eine Zustim-mung und einen Anspruch auf Zustimmung durch einen geeigneten nichtvertraglichen Leis-tungserbringer vor. Nach § 13 Abs. 2 Satz 6 könne eine Zustimmung erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfer-tigten und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet sei. Eine bestehende Ver-sorgungslücke reduziere den Ermessensspielraum auf Null. Eine Versorgungslücke sei gege-ben, weil die Beklagte der Klägerin keinen Vertragsarzt benennen könne, der bereit und in der Lage sei, die Nadelepilation nach dem medizinisch notwendigen Standard als Vertragsärztliche Leistung vorzunehmen. Es bestehe eine anerkannte Ausnahme vom Arztvorbehalt zugunsten einer Leistungserbrin-gung durch einen nichtärztlichen Leistungserbringer. In einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle diagnostizierter Transsexualität werde von gesetzlichen Krankenkassen ein solcher Anspruch auf Durchführung aufgrund einer Versorgungslücke bejaht. Die Beklagte sei mehrfach gebeten worden, einen zugelassenen Leistungserbringer zu benennen, dem sei sie nicht nachge-kommen. Auch die vielfältigen Eigenbemühungen der Klägerin, einen solchen zu finden, seien erfolglos geblieben; Sowohl Ärzte als auch der Fachverband Elektrologie sowie die Bera-tungsstelle für Transmenschen Berlin hätten keine Ärzte benennen können. Für den örtlichen Bereich der Klägerin sei vom Sozialgericht Berlin bereits in Verfahren Beweis darüber erhoben worden, dass der einzige Nadelepilation-behandelnde Arzt in Berlin diese nicht mehr praktiziere.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. November 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2015 zu verurteilen, die Kosten für eine Epilationsbehandlung zur dauerhaften Haarentfernung im Gesicht im erforderlichen Umfang, erbracht unter der Verantwortung eines Arztes, zu übernehmen,

hilfsweise im beantragten Umfang durch einen nichtärztlichen Leistungserbringer er-bracht, zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

Die Klage könne bereits deshalb keinen Erfolg haben, da im System der GKV Leistungen bzw. Hilfsleistungen nur nach ärztlicher Verordnung und unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden dürften. Eine ärztliche Verordnung liege zwar vor, der grundsätzliche Anspruch der Klägerin auf eine Nadelepilation sei seitens der Beklagten auch nie bestritten und mit dem angefochtenen Bescheid auf der Grundlage § 13 Abs. 2 Satz 5 und 6 SGB V auch bewilligt worden. Die D. GmbH & CO KG betreibe eine unter ärztlicher Verordnung stehende Niederlassung in Berlin. Dem übersandten Urteil des SG Berlin, 51. Kammer, vom 15.3.2016 könne die Beklagte nicht näher treten, insbesondere die Ausführungen zum Arztvorbehalt seien nicht zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Die Epilation mit Elektrokoagulation gehöre zur Standardleistung des niedergelassenen Fach-arztes für Hautkrankheit. Von einem Systemversagen könne keine Rede sein. Es könnten jedoch keine Arztpraxen für die Behandlung benannt werden. Da die Leistung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) nur einmal am Tag abre-chenbar sei, sei die jeweilige Behandlungsdauer für die Patientinnen unzumutbar, daher würden die Kostenträger darum bitten, die Kosten außerhalb des EBM als Einzelfall zu übernehmen.

Das Gericht hat am 09.02.2016 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, darüber hinaus die Beiladung der KV Berlin vorgenommen, diese um Mitteilung eines leistungsbereiten Vertrags-arztes für die begehrte Leistung der Epilation gebeten sowie auch die Ärztekammer Berlin um Benennung eines Arztes, der die Leistung ggf. auch auf privatärztlicher Grundlage anbietet.

Das Gericht hat die Akte S 51 KR 2136/13 beigezogen und bei drei Fachärzten Anfragen zur Versorgung mit Elektrokoagulation gestellt. Wegen der Antworten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Kammer hat im Übrigen einen aktualisierten Kostenvoranschlag der Fa. D. & Co KG für die Durchführung einer Nadelepilation im Umfang von 100 Stunden, überwacht und verantwortet durch einen Vertragsarzt, eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die als Anfechtungs- und Leistungsklage zulässige Klage ist überwiegend begründet.

I. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 26.11.2014 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 8.10.2015, mit dem die Beklagte Kostenerstattung für die dauerhafte Entfernung des Bartwuchses als Teil der Behandlung einer Geschlechtsangleichung bewilligt hat. Das formlose Schreiben der Beklagten vom 2.10.2014, welches zuerst auf den Antrag der Klägerin erstellt wurde, enthält keine Entscheidung über den Antrag, sondern hat informatori-schen Charakter. Eine bindende Bewilligung oder Ablehnung liegt darin nicht, die Beklagte bittet vielmehr um Vorlage u.a. einer vertragsärztlichen Verordnung, um den Antrag prüfen zu können.

Die Klägerin kann im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage sowohl die Höhe der Bewil-ligung (Stundenanzahl) inhaltlich angreifen als auch die Bewilligung weiterer Kosten für die Behandlung durch einen ärztlichen Leistungserbringer zulässigerweise zum Gegenstand der Klage erheben, eine anfechtbare hoheitliche Entscheidung der Beklagten und das notwendige Vorverfahren nach § 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen für beides vor. Die Beklagte hat im Wege einer teilweisen Kostenhöchstbewilligung für die dauerhafte Bartwuchsentfernung im Umfang von 50 Stunden mit seinem Bescheid vom 26.11.2014 entschieden.

II. Die Klägerin hat Anspruch auf Bewilligung weiterer Kosten, nämlich der Kosten, die not-wendig sind, um die erforderliche Nadel-Epilation gemäß der ärztlichen Verordnung (Dr. K. vom 17.10.2014) im Umfang von 100 Behandlungsstunden zur dauerhaften Haar-/Bart-Entfernung im Gesicht durch einen privatärztlich abrechnenden Facharzt zu erhalten.

1. Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), hingegen nicht § 13 Abs. 3a SGB V.

a. Gilt nach Abs. 3a eine Leistung, die beantragt wird und über die innerhalb von drei Wochen oder soweit eine medizinische Stellungnahme eingeholt wurde, nach Ablauf von fünf Wochen als genehmigt, wenn kein zureichender Grund für die verspätete Entscheidung mitgeteilt wurde, so erfasst § 13 Abs. 3a SGB V (Satz 1 i.V.m. Satz 6) nicht den Fall, dass Versicherte Kos-tenerstattung beantragen. Abs. 3a gewährt nach der Gesetzesbegründung (lediglich) eine Ausnahme vom Sachleistungsprinzip (BSG, Urt. v. 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R - juris Rn. 11). Die Klägerin begehrte mit dem Antrag vom 29.8.2014 und dem Antrag vom 17.10.2014 jeweils Kostenerstattung.

b. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kostenbewilligung nach § 13 Abs. 3 SGB V sind dagegen erfüllt.

§ 13 Abs. 3 SGB V lautet: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war."

Gemessen daran kann die Beklagte eine Leistung für die Klägerin nicht rechtzeitig erbringen, die unaufschiebbar ist.

aa. Die Klägerin hat als versichertes Mitglied der Beklagten Anspruch auf die Elektroepilation als Teil der Behandlung bei Transsexualismus in dem Umfang, wie er zur Erreichung des Er-gebnisses erforderlich ist. Versicherte haben nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V. Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit. Zur Krankenbehandlung gehören nach § 27 SGB V neben den ärztlichen Leistungen Heil- und Hilfsmittel.

Gemessen daran hat die Klägerin Anspruch auf die Behandlung mittels Nadel-Epilation zur dauerhaften Entfernung der Barthaare als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Barthaarentfernung durch Elektroepilation (Nadelepilation) im Rahmen der Behandlung von Transsexualismus gehört zu den Leistungen der Krankenbehandlung, die vorgesehen sind und einem Arzt vorbehalten sind. Sie ist Inhalt des Leistungskomplexes "Kleinchirurgischer Eingriff I und/oder primäre Wundversorgung und/oder Epilation" und kann mit der Ge-bührenordnungsposition 02300 EBM bzw. von Dermatologen mit der Gebührenordnungsposi-tion 10340 EBM abgerechnet werden ("Epilation durch Elektrokoagulation im Gesicht und/oder an den Händen bei krankhaftem und entstellendem Haarwuchs"). Als ärztliche Leistung (privatärztlich nach GoÄ Nrn. 742, 1323) muss sie von einem Arzt erbracht oder wenn sie als Hilfeleistungen anderer Personen erbracht wird, von einem Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden (§ 15 Abs. 1 SGB V). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin einen Anspruch auf die Behandlung mittels Nadelepilation hat. Der Anspruch ergibt sich für die Klägerin auch zur Überzeugung der Kammer aus der vertragsärztlichen Verordnung vom 17.10.2014 und der sozialmedizinischen Stellungnahme des MDK vom 14.11.2014. Der MDK führt aus, es bestehe eine Leistungspflicht der Beklagten für geschlechtsangleichende Maßnahmen im Rahmen eines manifesten Transsexualismus. Ein männlicher Bartwuchs sei mit dem Erscheinungsbild Mann-zu-Frau Transsexualität nicht vereinbar. Eine sachgerecht durchgeführte Epilation durch Elektro-koagulation sei geeignet, die Gesichtsbehaarung männlichen Typs zu reduzieren, im Idealfall zu beseitigen. Es werde von dem Erfordernis von (mindestens) 100 Sitzungen à 60 Minuten ausgegangen, um die männlichen Barthaare zu beseitigen, das Ergebnis bleibe abzuwarten. Eine Alternativbehandlung mittels Laser-Epilation scheidet für die Klägerin aus. Im Hinblick darauf, dass eine Epilation mittels des gängigen und praktisch weit verbreiteten Laser-Epilationsgerätes für graue Barthaare nicht möglich ist, ist für die Klägerin bereits praktisch allein eine Behandlung mittels Elektrokoagulation (Nadel-Epilation) erfolgversprechend. Zudem ist allein diese im EBM vorgesehen, ein Verweis auf eine Laser-Epilation scheidet demgemäß auch aus, weil sie als im EBM nicht vorgesehene Behandlungsmethode und damit als eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode mit dem Vorbehalt des § 135 SGB V behaftet ist; sie ist damit grundsätzlich keine Leistung der GKV (dazu zuletzt LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18. Februar 2016 – L 5 KR 226/15, juris). bb. Die Beklagte kann die geschuldete Leistung (als Sach- bzw. Dienstleistung) durch vertrag-liche Leistungserbringer nicht erbringen. Es besteht de facto eine Versorgungslücke.

Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ist grundsätzlich bestimmt von dem in § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V verankerten Sachleistungsprinzip. Danach erhalten die Versicherten "die Leistungen als Dienst- und Sachleistungen" d.h. als Naturalleistung und damit – abgesehen von gesetzlichen Zuzahlungsregelungen – grundsätzlich kostenfrei, vorfinanzierungslos und risikolos. Die Verschaffungspflicht von Naturalleistungen gewährleistet, dass der oder die Versicherte eine notwendige Leistung der Krankenbehandlung erhält, ohne sie sich selbst erst beschaffen und insbesondere ohne bei ihrer Inanspruchnahme eine unmittelbare finanzielle Gegenleistung erbringen zu müssen (BSG, Urt. v. 18.07.2006, Az. B 1 KR 24/05 R, m.w.N., zit. nach juris).

Von diesem Sachleistungsprinzip darf nur in gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen abgewi-chen werden (dazu auch SG Berlin, Urt. v. 15.3.2016 – S 51 KR 2136/13, Rn. 23 juris).

Zwar ist die von der Klägerin zu beanspruchende Sach-Leistung – wie bereits oben ausgeführt – im EBM vorgesehen, damit Teil der von Vertragsärzten zu erbringenden Sach- und Dienstleistung in Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung und keine neue und damit grundsätzlich nicht zugelassene Untersuchungs- und Behandlungsmethode (§ 135 Abs. 1 SGB V). Sie wird jedoch als (ärztliche) Sach- und Dienstleistung im für die Klägerin zumutbaren räumlich erreichbaren Umfeld nicht angeboten. Es gibt in Berlin-Brandenburg insoweit keinen leis-tungsbereiten Vertragsarzt, der die der Klägerin geschuldete Leistung (Krankenbehandlung) als vertragsärztliche Leistung tatsächlich anbietet und erbringt. Es liegt ein sog. Systemversagen vor.

Das ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus ihren eigenen Ermittlungen, aber auch aus den Ermittlungen und Feststellungen der 51. Kammer des SG Berlin in dem Verfahren S 51 KR 2136/13).

Die 51. Kammer stellt dazu bereits im März 2016 aufgrund eigener Ermittlungen fest: "Die Ermittlungen des Gerichts bezüglich zur Verfügung stehenden Ärzten durch Nachfrage bei dem von der Beklagten angegebenen Arzt und der Kassenärztlichen Vereinigung hat keinen konkreten, behandlungsbereiten Arzt ergeben. Auch die Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren nach entsprechender Aufforderung des Gerichts keinen konkreten Arzt benennen können, obwohl sie ausweislich des Schriftsatzes vom 3. September 2015 bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, dem Berufsverband Deutscher Dermatologen und bei der Ärztekammer um Unterstützung gebeten hatte." (SG Berlin, Urteil vom 15. März 2016 – S 51 KR 2136/13 –, Rn. 30, juris)

Die Kammer konnte im hiesigen Verfahren zu keiner davon abweichenden Überzeugung ge-langen, vielmehr werden die Feststellungen der 51. Kammer bestätigt.

Das ergibt sich zum einen aus den Ermittlungen der Kammer in diesem Verfahren, in welchem das Gericht bei drei Berliner Fachärzten Anfragen zur Versorgung mit Elektrokoagulation gestellt hat, nach deren Internet-Präsenz eine Versorgung mit Nadel-Epilation möglich erschien. Es zeigte sich im Ergebnis kein leistungsbereiter Vertragsarzt. Die angefragten teilten mit, kein (wegen der veralteten Methode) Gerät zur Elektrokoagulation zu besitzen, die Behandlung mittels Einsatz des verfügbaren Lasers (nur braune oder schwarze Haare) würde privatärztlich abgerechnet (Dr. A. K., 29.9.2016, so auch Hautarztpraxis L./S., 29.11.2016, und Praxis Dr. E. S., 1.12.2016).

Zum anderen konnten weder die Beklagte auf Aufforderung noch die beigeladene Kassenärzt-liche Vereinigung Berlin noch die ebenfalls von der Kammer angefragte Ärztekammer Berlin einen leistungsbereiten Vertragsarzt für die Elektro-Nadel-Epilation bei Transsexualismus be-nennen. Die Argumentation der Beigeladenen (KV Berlin) belegt dabei für die Kammer an-schaulich das Systemversagen in Gestalt eines nicht leistungsbereiten Vertragsarztes zu den Bedingungen des EBM (aber auch außerhalb des EBM). Die Beigeladene teilt einerseits mit, die Epilation mit Elektrokoagulation gehöre zur Standardleistung des niedergelassenen Facharztes für Hautkrankheiten. Von einem Systemversagen könne daher keine Rede sein. Sie kann jedoch keine Vertragsärzte benennen, die die erforderliche Behandlung anbieten, weil sie anhand der Abrechnungen nicht erkennen kann, welche Vertragsärzte die Behandlung tatsächlich erbringen und abrechnen. Im gleichen Schreiben an die Kammer teilt sie aber mit, da die Leistung nach EBM nur einmal am Tag abrechenbar sei, sei die jeweilige Behand-lungsdauer (5 Minuten) für die Patientinnen unzumutbar, daher würden Vertragsärzte die Kos-tenträger darum bitten, die Kosten außerhalb des EBM als Einzelfall zu übernehmen. Daraus zieht die Kammer den Schluss, dass zu den Bedingungen des EBM sich kein Vertragsarzt finden kann, der die geschuldete Leistung in zumutbarer Weise tatsächlich erbringt. Weder die Ärztekammer konnte keinen leistungsbereiten Vertragsarzt benennen noch die Beklagte.

Die Beklagte hat die Leistung nicht dadurch erbracht oder gewährleistet, dass sie der Klägerin eine Bewilligung in Gestalt der Übernahme von Kosten für die Behandlung der Behandlung in Höhe von maximal 69,24 EUR pro Stunde bewilligt hat. Dabei handelt es sich um den Betrag, der sich nach dem EBM (2015) für die Erbringung der Leistung im Umfang von 1 Stunde ergibt. Nach Ziff. 10340 des EBM (2015) erhält der Vertragsarzt eine Vergütung von 5,77 Euro für die die Leistung "Kleinchirurgischer Eingriff I und/oder primäre Wundversorgung oder Epilation", die er maximal 5 Minuten am Tag erbringen und abrechnen kann. Hochgerechnet auf 1 Stunde für diese Leistung ergibt sich der Betrag in Höhe von 69,24 Euro (nach derzeit 2017 geltendem EBM: - 57 Punkte – entspricht 6,00 Euro für 5 Minuten, damit 72 Euro pro Stunde). Mit der von der Beklagten bewilligten Kostenbewilligung erhält die Klägerin die Sachleistung aber nicht. Die Vergütung von jeweils 1 Stunde ist für die Leistung nur außerhalb des EBM zulässig, da der EBM selbst nur eine 5-Minuten-Erbringung (pro Behandlung) und nach der ergänzenden Abrechnungsbestimmung "einmal am Behandlungstag" zulässt. Es wurde aber praktisch auch zu dieser Bedingung (Abrechnung von 1 Stunde zum hochge-rechneten EBM-Satz) tatsächlich kein leistungsbereiter Arzt gefunden, die Beklagte hat keinen benannt, wohl auch deshalb, weil die Nadel-Epilation praktisch bei Vertragsärzten nicht vorgehalten wird. Noch in der mündlichen Verhandlung konnte die Beklagte keinen Vertragsarzt benennen, der zu dem zuletzt vergleichsweise angebotenen Stundensatz (71,40 Euro, Vergleichsangebot vom 10.11.2016) die Leistung erbringt.

cc. Die geschuldete Behandlung ist für die Klägerin zwar nicht unaufschiebbar i.S. des § 13 Abs. 3 SGB V (im engeren Sinne). Der Fall einer (festgestellten) Versorgungslücke ist der Unaufschiebbarkeit aber gleichzustellen.

Die Beklagte kann der Klägerin die geschuldete Leistung auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg als Sachleistung nicht verschaffen, andererseits kann die Klägerin nicht darauf verwiesen werden, die Leistung aufzuschieben, bis die Versorgungslücke geschlossen wird, zumal Anstrengungen in dieser Richtung für die Kammer nicht erkennbar geworden sind.

Für den Fall der Versorgungslücke und des Systemversagens des Sachleistungssystems führt das BSG aus:

"In einem solchen Fall gibt § 13 Abs. 3 SGB V dem Versicherten das Recht, sich unauf-schiebbare Leistungen auf Kosten der Krankenkasse selbst zu beschaffen (vgl BSGE 73, 271, 286 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 4 S 25 f). In gleicher Weise muß der Versicherte verlangen können, daß die Krankenkasse die Kosten vorab übernimmt und unmittelbar mit dem Leistungserbringer abrechnet, wenn feststeht, daß die Leistung unabhängig von der noch zu treffenden Entscheidung des Bundesausschusses in jedem Fall von ihr zu gewähren ist."

(BSG, Urteil vom 03. April 2001 – B 1 KR 40/00 R –, BSGE 88, 62-75, SozR 3-2500 § 27a Nr 3, SozR 3-2500 § 135 Nr 18, Rn. 32)"

Ähnlich formuliert das BSG für den Bereich der Injektion von Arzneimitteln:

"Welche Leistungen die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben, bemisst sich grundsätzlich - wie dargelegt - nach dem Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht. Fehlt es an den erforderlichen Regelungen, um Versicherten die gebotenen Leistungen in der dargelegten Weise zu verschaffen, müssen die KKn hierfür durch Vorkehrungen außerhalb des Naturalleistungssystems Sorge tragen. Hierzu dient die Rechtsgrundlage des § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V. Es genügt in diesem Sinne für den An-spruch auf Kostenfreistellung aus § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V, dass der Versicherte zwar keinen Natural- oder Sachleistungsanspruch nach Maßgabe des Leistungserbringungsrechts hat, wohl aber einen sachleistungsersetzenden Kostenerstattungs- oder Freistellungsanspruch wegen Systemversagens. Der Anspruch sichert, dass Versicherte ihren Individualanspruch trotz der Mängel im System der Leistungserbringung verwirklichen können."

(BSG, Urteil vom 02. September 2014 – B 1 KR 11/13 R –, BSGE 117, 10-21, SozR 4-2500 § 13 Nr 32, Rn. 19 – Lucentis©)

Fehlt es – wie im Fall der Klägerin – nicht an der erforderlichen (spezifischen) Abrechnungszif-fer im EBM (dazu B 1 KR 40/00 R und B 1 KR 11/13 R, Rn. 21), sondern ist die Abrechnungs-ziffer zwar vorhanden, führt aber in ihrer Ausgestaltung dazu, dass die Leistung im für die Klägerin erforderlichen Umfang nicht (wirtschaftlich) von Vertragsärzten angeboten werden kann und es auch praktisch – außerhalb des EBM – nicht wird, liegt ein der unaufschiebbaren Leistung vergleichbarer Fall des Systemversagens vor. Er ist nach den konkretisierenden Grundsätzen des BSG § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V zu unterstellen.

dd. Die Versorgungslücke kann nach § 13 Abs. 3 SGB V nicht dadurch geschlossen werden, dass Versicherte für die geschuldete Leistung einen nichtärztlichen Leistungserbringer in An-spruch nehmen und dafür einen Anspruch auf Erstattung der Kosten haben (so aber SG Berlin, Urt. v. 15.3.2016 – S 51 KR 2136/13; LSG NRW, Urt. v. 08. Mai 2014 – L 16 KR 453/12 –, Rn. 48, juris).

Zwar ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch für die Kammer erkennbar, dass die benötigte Nadel-Epilation durch KosmetikerInnen, ElektrologistInnen und HeilpraktikerInnen im Rahmen ihrer Leistungen angeboten werden und von Versicherten wie der Klägerin in Anspruch genommen werden könnten. Mit dieser Leistungserbringung darf die Versorgungslücke der GKV aber nicht geschlossen werden, Kosten können nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V von den Krankenkassen hierfür nicht übernommen werden.

Allein die Tatsache, dass die im SGB V als ärztliche Leistung definierte Behandlung (auch) von einer anderen Person praktisch und nach Berufsrecht zulässigerweise erbracht wird, führt nicht dazu, dass diese ihren Charakter ändert oder zu einer anderen Leistung wird, die im SGB V von nichtärztlichen Leistungserbringern erbracht werden kann.

Neben ärztlichen Leistungen kennt § 27 SGB V Heil- und Hilfsmittel. Die Nadelepilation wird nicht dadurch zu einem Heilmittel als persönliche medizinische, ärztlich verordnete Dienstleis-tung, dass sie praktisch nicht von einem Arzt durchgeführt wird. Für die podologische Therapie beim diabetischen Fußsyndrom hat das LSG NRW unter Berufung auf die Rechtspr. des BSG ausgeführt, dass diese (ärztlichen) Leistungen – auch bei einem Systemversagen – nicht als podologische Therapie durch einen Podologen erbracht und abgerechnet werden dürfen (Beschluss vom 23.2.2012 – L 1 KR 449/11 NZB).

Als Heilmittel ist die Barthaarentfernung in den Richtlinien des G-BA zudem nicht erwähnt. Als neues Heilmittel wäre sie nach § 138 SGB V vom Leistungsumfang der gesetzlichen Kran-kenversicherung solange ausgeschlossen, bis der Gemeinsame Bundesausschuss ihren the-rapeutischen Nutzen anerkannt und in entsprechenden Richtlinien Empfehlungen für die Si-cherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat (juris-PK/Beck, § 32 Rn. 19).

Die (derzeitige) Begrenzung der Leistungserbringung für die Epilation als Krankenbehandlung auf Ärzte findet sich im Vierten Kapitel des SGB V wieder, in dem die Beziehungen zu den nichtärztlichen Leistungserbringern (abschließend) geregelt sind (§ 69 SGB V). Vertragsbe-ziehungen zu Kosmetikerinnen oder deren Verbänden als nichtärztliche Leistungserbringer sind nicht vorgesehen.

Schließlich hat auch eine Kostenerstattung nach § 13 SGB V im Rahmen des Systems des SGB V zu erfolgen. Das gilt jedenfalls für die Kostenerstattungen nach §§ 13 Abs. 2, Abs. 3, ist offen für Abs. 3a (zu letzterem gerade jüngst BSG, Urt. v. 8. März 2016, - B 1 KR 25/15 R, Leitsatz 1 - "Leistung nicht offensichtlich außerhalb des gesetzlichen Leistungskataloges").

Der Kostenerstattungsanspruch reicht danach nicht weiter als der entsprechende Sachleis-tungsanspruch. Das hat die obergerichtliche Rechtsprechung mehrfach herausgestellt:

So formuliert das BSG in der Entscheidung zum Systemversagen aus 2001:

"Durch das zusprechende Urteil wird die Klägerin von den Beschränkungen des krankenver-sicherungsrechtlichen Leistungsrechts nur insoweit befreit, als dies zur Überwindung des Systemmangels erforderlich ist." (BSG, Urteil vom 03. April 2001 – B 1 KR 40/00 R –, BSGE 88, 62-75, SozR 3-2500 § 27a Nr 3, SozR 3-2500 § 135 Nr 18, Rn. 32)

Dem stimmt die Literatur zu:

"Er (der Kostenerstattungsanspruch) setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in natura als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urt. v. 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R; BSG, Urt. v. 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R). Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, besteht weder ein Anspruch auf Gewährung der Leistung im Rahmen des Sachleistungsprinzips noch auf Erstattung der entstandenen Kosten (LSG Stuttgart, Urt. v. 27.01.2009 - L 11 KR 3126/08; LSG München, Urt. v. 07.05.2009 - L 4 KR 465/07; BSG, Beschl. v. 28.05.2009 - B 1 KR 16/09 B; BSG, Beschl. v. 23.10.2009 - B 1 KR 98/09 B, jeweils zur Epilation durch Kosmetikstudios)."

Kerber, jurisPR-MedizinR 7/2012 Anm. 2 zum Beschluss des LSG NRW - L 1 KR 449/11 NZB).

ee. Kein anderes Ergebnis folgt aus § 13 Abs. 2 Satz 5 SGB V, welcher für den Fall eines von Versicherten anstelle des Sachleistungsanspruchs gewählten Kostenerstattungsanspruchs ausführt: "Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden."

Daraus folgt bereits nicht, dass die Krankenkassen im Bereich der gewählten Kostenerstattung (Abs. 2) Versicherten insbesondere für ärztliche Leistungen die Inanspruchnahme von (nichtärztlichen) Leistungserbringern gestatten können, die nicht zu den in §§ 69 SGB V ge-nannten gehören. Die Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 2 SGB V betont dazu, dass nicht im Vierten Kapitel genannte Berufsgruppen, die nicht die dort aufgeführten Voraussetzungen zur Teilnahme an der Versorgung Versicherter zu Lasten der GKV erfüllen, wie z.B. Heilpraktiker, auch gegen Kostenerstattung nicht in Anspruch genommen werden können (BT-Drs. 15/1525 S. 80, zu Nummer 4 (§ 13)).

Speziell für den sog. Arztvorbehalt nach § 15 Abs. 1 SGB V, wonach ärztliche Leistungen Ärz-ten vorbehalten bleiben, stellt sich die in der Gesetzesbegründung ausgeführte Beschränkung als Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes auch nach Sinn und Zweck als zwingend dar. Allein die Tatsache, dass der Wortlaut in § 13 Abs. 2 SGB V insoweit offen scheint, wenn er von "nicht im Vierten Kapitel genannten Leistungserbringern" spricht, öffnet die Ärzten vor-behaltenen Leistungen jedenfalls nach dem Schutzgedanken nicht den Nicht-Ärzten. Dieser findet auch Anwendung, wenn sich die konkrete Behandlung "im Randbereich einer (hautfach-)ärztlichen Tätigkeit" bewegt (a.A. aber mit dieser Begründung LSG NRW, Urt. vom 8.5.2014 – L 16 KR 453/12 Rn. 49 und auch SG Berlin, Urt. vom 15.3.2016 – S 51 KR 2136/13 Rn. 33 juris).

Demgegenüber betont das BSG für ärztliche Leistungen deutlich:

"Eine isolierte vertragsärztliche Verordnung, bei der anschließend eine eigentlich gebotene vertragsärztliche Anwendung nicht gesichert ist, dient keinem zulässigen Zweck einer Kran-kenbehandlung im Rahmen vertragsärztlicher Versorgung (§ 72 Abs 2 SGB V)." (BSG, Urteil vom 02. September 2014 – B 1 KR 11/13 R –, BSGE 117, 10-21, SozR 4-2500 § 13 Nr 32, Rn. 15)

Eine Verurteilung der Beklagten zur Kostenerstattung für Leistungen einer Kosmetikerin nach oben dargestellter gesetzlicher Ausgangslage als Rechtsfolge des Versagens könnte demge-mäß nicht erfolgen, ohne das System des SGB V selbst zu durchbrechen.

c. Eine solche Durchbrechung des Systems ist im Fall der Klägerin schließlich nicht notwendig zur Schließung der Lücke, denn sie hat die Möglichkeit und damit Anspruch darauf, die Leistung als privatärztliche Leistung zu erhalten.

Dazu hat das BSG ausgeführt:

"Die Reichweite des Kostenerstattungsanspruchs bestimmt sich auch insoweit maßgeblich nach der konkreten Lücke im Leistungssystem, die er zu schließen hat (vgl BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 18, 23 mwN - UAE; BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 33; E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19. Aufl, Stand: 1.1.2013, § 13 SGB V RdNr 274 mwN). Erzwingt die rechtswidrige Leistungsablehnung der KK eine privatärztliche Selbstverschaffung des Versicherten, beschränkt sich der Erstattungsanspruch auf eine der Naturalleistung entsprechende Leistung (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 20 RdNr 25, 27 mwN). Bei der Leistungskonkretisierung ziehen die Bestimmungen für privatärztliche Leistungen und nicht diejenigen für das Naturalleistungssystem die Grenzen für die Verschaffung einer entsprechenden Leistung." (BSG, Urteil vom 02. September 2014 – B 1 KR 11/13 R –, BSGE 117, 10-21, SozR 4-2500 § 13 Nr 32, Rn. 23)

In gleicher Weise sieht es die Literatur:

"Wird eine als vertragsärztliche Leistung geschuldete Behandlung nicht gewährleistet, muss insofern auf Privatärzte zurückgegriffen werden, wenn Vertragsärzte nicht zur Verfügung stehen sollten (Kerber, jurisPR-MedizinR 7/2012 Anm. 2 unter Berufung auf BSG, Urt. v. 24.09.1996 - 1 RK 33/95)."

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin einen Anspruch auf Verschaffung der geschuldeten Leistung, der im Fall der allein privatärztlich zu erbringenden Leistung in einen Anspruch auf Kostenübernahme vorab mündet.

Die privatärztlichen Leistungen werden – wie die Kammer ermittelt hat – in Berlin durch die Leistungen der Fa. D. & Co KG angeboten. Diese erbringen die erforderliche Nadel-Epilation – so angeordnet und gewünscht – auch unter ärztlicher Anordnung und vor allem ärztlicher Verantwortung i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Dies ergibt sich aus dem eingeholten Kos-tenvoranschlag der Fa. D. & Co KG, wonach die Leistung unter der Verantwortung eines Arztes erbracht werden kann. Gemäß dem Kostenvoranschlag wird die Leistung zu einer Vergütung von 156,00 Euro pro Stunde erbracht (entspr. GoÄ, Mitteilung von D. GmbH & Co KG vom 6.2.2017 auf Anfrage der Kammer). Insoweit besteht im hiesigen Fall möglicherweise auch ein Unterschied zum Fall des LSG NRW (L 16 KR 453/12), in welchem das LSG festgestellt hat, dass kein ärztlicher Behandler, also auch kein privatärztlicher Behandler, für die Nadelepilation zur Verfügung steht.

2. Die Kostenübernahme besteht in dem Umfang, in dem eine Behandlung zur dauerhaften Haarentfernung für die Klägerin erforderlich ist (vgl. dazu die Stellungnahme des MDK vom 11.2.2015) Entsprechend den bereits von der Beklagten bewilligten 50 Stunden à 69,24 Euro hat sie für diese 50 Stunden einen ergänzenden Kostenanspruch in Höhe der Differenz zu den veranschlagten 156,00 Euro pro Stunde (86,76 Euro); im Übrigen im Rahmen des darüber hinaus erforderlichen Umfangs, der auch vom MDK nicht nach einer festen Stundenzahl ermittelt wurde, damit von 156,00 Euro pro Stunde.

Den dabei auftretenden Schmerzen könnte erforderlichenfalls durch eine lokale Betäubung vorgebeugt werden (dazu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17. Oktober 2012 – L 1 KR 443/11 –, Rn. 23, juris). Feststellungen dazu oder eine Entscheidung der Beklagten liegen nicht vor.

3. Die Klägerin hat auch Anspruch auf eine Kostenübernahme vor Aufnahme der Behandlung für die Behandlung unabhängig davon, ob sie bereits selbst Kosten für eine solche Behandlung aufgewendet hat. Für den Fall des Systemversagens führt das BSG insoweit aus:

"In gleicher Weise muß der Versicherte verlangen können, daß die Krankenkasse die Kosten vorab übernimmt und unmittelbar mit dem Leistungserbringer abrechnet, wenn feststeht, daß die Leistung unabhängig von der noch zu treffenden Entscheidung des Bundesausschusses in jedem Fall von ihr zu gewähren ist. Einer analogen Anwendung des § 13 Abs 3 SGB V in diesen Fällen steht nicht entgegen, daß für den Erstattungsanspruch nach der Rechtsprechung des Senats eine tatsächliche Kostenbelastung des Versicherten, mindestens in Gestalt einer entsprechenden Verbindlichkeit, vorausgesetzt wird, weil andernfalls mit Hilfe der Vorschrift die krankenversicherungsrechtliche Bindung an die zulässigen Formen der Leistungs-erbringung umgangen werden könnte (grundlegend: BSGE 80, 181, 182 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14 S 68 f sowie BSGE 86, 66, 69, 76 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 90, 97). Dieser Aspekt hat hier keine Bedeutung, weil es nicht um Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen, sondern um die Bereitstellung einer von der Krankenkasse geschuldeten, bisher noch nicht durchgeführten Behandlung geht."

(BSG, Urteil vom 03. April 2001 – B 1 KR 40/00 R –, BSGE 88, 62-75, SozR 3-2500 § 27a Nr 3, SozR 3-2500 § 135 Nr 18, Rn. 32)

Im Hinblick auf den erfolgreichen Hauptantrag kam der nur hilfsweise gestellte Klageantrag auf Kostenübernahme für die Leistungen bei einem nichtärztlichen Leistungserbringer nicht zum Tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen der Klägerin
Rechtskraft
Aus
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