L 2 SO 2558/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 1940/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 2558/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren L 2 SO 2558/17 ER-B wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darum, ob und gegebenenfalls auf welcher Rechtsgrundlage (Zweites Buch Gesetzbuch - SGB II - oder Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII) die Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu beanspruchen hat und ob ein Anspruch sich gegen den Antragsgegner oder gegen den Beigeladenen richtet.

Die in Deutschland geborene Antragstellerin, die sich bis zum 14. Lebensjahr in Deutschland aufhielt, ist kroatische Staatsangehörige (wie ihre Mutter). Nach einem langjährigen Aufenthalt in den USA kehrte die Antragstellerin in den Jahren 2001 und 2002 für ca. 18 Monate nach Deutschland zurück. Am 8. Mai 2016 schließlich reiste die Antragstellerin erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein, wobei die Gründe hierfür nach ihrem Vortrag vorrangig familiärer Art waren. Die 70 Jahre alte Mutter der Klägerin ist alleinstehend und krank. Laut einem ärztlichen Attest von Dr. K. vom 25. März 2015 leidet die Mutter der Antragstellerin an einer Osteochondrose / Spondylose, an einer reaktiven Spondylarthrose L5/S1, an einer rezidivierenden Stenose L5/S1, an einer Großzehengrundgelenksarthrose beidseits sowie an einer Gonarthrose an beiden Kniegelenken. Es bestehe eine deutliche Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Außer der Antragstellerin könne sich niemand um ihre Mutter kümmern. Vom September bis Dezember 2016 bezog die Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II vom Beigeladenen. Danach stellte diese die Leistungen ein. Diesbezüglich ist ein Verfahren beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) unter dem Aktenzeichen S 9 AS 4187/16 anhängig. Mit Bescheid vom 31. Mai 2107 lehnte der Antragsgegner Leistungen nach dem SGB XII ab. Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 9. Juni 2017 Widerspruch erhoben.

Die Antragstellerin trägt vor, sie befinde sich seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland auf intensiver Arbeitssuche und habe inzwischen über 100 Bewerbungen geschrieben.

Mit Beschluss vom 27. Juni 2017 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner und gegen den Beigeladenen abgelehnt. In den Gründen hat es ausgeführt, ein Anspruch auf Sozialhilfe gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII habe die Antragstellerin nicht, denn sie sei gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2016 (BGBl I S 3155) von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. Danach würden Ausländer und deren Familienangehörigen keine Leistungen nach Abs. 1 oder nach dem Vierten Kapitel (des SGB XII) erhalten, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Ein Aufenthaltsrecht, das nicht nur aus dem Zwecke der Arbeitssuche folge, stehe der Antragstellerin nicht zu. Ein Aufenthaltsrecht nach § 4a Freizügigkeitsgesetz / EU (FreizügG/EU) für Unionsbürger habe sie nicht, da es an einem ständigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet seit mindestens fünf Jahren fehle. Auch ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige ihrer (aufenthaltsberechtigten) Mutter stehe der Antragstellerin nicht zu, da sie keine Familienangehörige im Sinne des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU sei. Ein sonstiges Aufenthaltsrecht sei nicht zu erkennen. Die Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII, welche einen Aufenthalt seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet voraussetze, erfülle die Antragstellerin nicht. Ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII komme nicht in Betracht, da § 23 Abs. 3 SGB XII "ausdrücklich" alle Leistungen nach Abs. 1 ausschließe. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 bis 6 SGB XII stünden der Antragstellerin schon deshalb nicht zu, weil sie diese nicht begehre; die Antragstellerin wolle erklärtermaßen in Deutschland bleiben und leben. Eine einstweilige Verpflichtung des Beigeladenen zur Zahlung von Arbeitslosengeld II (Alg II), komme nicht in Betracht, da die Antragstellerin dies nicht beantragt habe. Die von einer rechtskundigen Fachanwältin für Sozialrecht vertretene Antragstellerin habe mit Schriftsatz vom 12. Juni 2017 beantragen lassen, den Antragsgegner zu Leistungen nach dem SGB XII zu verpflichten. Ein etwaiger Anspruch gegen den Beigeladenen auf Alg II sei nicht thematisiert worden.

Gegen diesen der Bevollmächtigten der Antragstellerin gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Beschluss hat diese am 3. Juli 2017 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) schriftlich Beschwerde eingelegt. Sie begehrt den Beigeladenen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II ab Antragstellung zu bewilligen, hilfsweise den Antragsgegner zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB XII ab Antragstellung zu bewilligen. Der Anspruch gegen den Beigeladenen folge aus § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II. Das Sozialgericht Mainz habe beim Bundesverfassungsgericht mit Vorlagebeschluss vom 18. April 2016 die Frage vorgelegt, ob § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011, mithin der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung, mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG und dem sich hieraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sei. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes werde mit einiger Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits haben. Die zum 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II schließe zumindest die entsprechende Anwendbarkeit des § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II nicht aus. Es liege ferner eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin sei nicht ausschließlich auf die Arbeitssuche zurück zu führen, sondern vorrangig auf familiäre Gründe in Form einer Familienzusammenführung. Die Antragstellerin kümmere sich um ihre kranke und hilfebedürftige Mutter.

II.

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage 2014, § 86b RdNr. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg v. 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und v. 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Dies zu Grunde gelegt kommt die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II im Wege des einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes nicht in Betracht, da die Antragstellerin das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs für die Zeit ab Antragstellung nicht glaubhaft gemacht hat.

Vorliegend kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Antragstellerin die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4, § 8 , § 9 SGB II erfüllt. Denn die Antragstellerin ist als Ausländerin bereits nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a bzw. nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b SGB II in der seit 29. Dezember 2016 geltenden Fassung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a SGB II sind Ausländer vom Leistungsbezug ausgenommen, die kein Aufenthaltsrecht haben. Ein Aufenthaltsrecht hat vorliegend die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Ein Aufenthaltsrecht aus einem etwaigen Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG / EU kommt nicht in Betracht. Die Antragstellerin hat seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik im Mai 2016 keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Auch ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG / EU ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Danach sind freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche aufhalten für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Zwar trägt die Antragstellerin diesbezüglich vor, dass sie seit ihrer Einreise im Mai 2016 auf "intensiver Arbeitssuche" sei und schon eine Vielzahl von Bewerbungen geschrieben habe. Letztlich kann aber offen bleiben, ob dieses Vorbringen im Sinne der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG /EU ausreicht, denn selbst wenn Arbeitssuche vorläge, würde ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b SGB II führen. Die Antragstellerin ist auch nicht freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 des FreizügG /EU. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger und diese begleitenden Familienfangehörigen eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 1 FreizügG /EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existensmittel verfügen. Daran mangelt es hier gerade, da die Antragstellerin geltend macht, mittellos zu sein. Auch ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 FreizügG /EU als Familienangehörige hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Zwar trägt sie diesbezüglich vor, die Gründe für ihre Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Mai 2016 seien "vorrangig familiärer Art" gewesen; sie kümmere sich um ihre alleinstehende und kranke Mutter. Die Antragstellerin erhält jedoch von ihrer Mutter keinen Unterhalt, so dass der Senat dahingestellt sein lassen kann, ob ihre Mutter ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 FreizügG /EU hat.

Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II in der seit 1. August 2016 geltenden Fassung glaubhaft gemacht. Nach § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II kann über Erbringung von Geld- und Sachleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift dieses Buches, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Union ist (Nr. 1) oder eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung Gegenstand eines Verfahrens beim Bundessozialgericht (Nr. 2) ist. Das SG Mainz hat dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Vorlagebeschluss vom 18. April 2016 (S 2 AS 149/16) die Frage vorgelegt, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl I Nr. 23 Seite 857), mithin in der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung, mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist. Zwar ist die Vorlage zu der alten, nur bis zum 28. Dezember 2016 gültigen, Gesetzesverfassung erfolgt, jedoch wurde § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch die Neuregelung nur geringfügig, durch Einfügung der Buchstaben a) und c), geändert, so dass die Entscheidung des BVerfG mit einiger Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits haben kann. Die zum 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II schließt zumindest die entsprechende Anwendbarkeit des § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II nicht aus, zumal der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Auffassung des BSG bestätigt hat, dass der Leistungsausschluss auch bei Fehlen eines materiellen Aufenthaltsrechts eingreift (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. April 2017 - L 1 AS 854/17 ER-B -; LSG Niedersachsen - Bremen - Beschluss vom 16 Februar 2017 - L 8 S0 3844/16 B ER - , veröffentlicht in Juris; a. A. SG München, Beschluss vom 26. Mai 2017 - S 46 AS 843/17 ER, veröffentlicht in Juris).

Allerdings vermittelt § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II keinen unmittelbaren Anspruch auf vorläufige Leistungen, sondern stellt deren Gewährung in das Ermessen des Antragsgegners (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O. ; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. Mai 2017 - L 11 AS 247/17 B ER -; Beschluss vom 18. April 2017 - L 13 AS 113/17 B ER -, veröffentlicht in Juris). Obwohl es sich mit Blick auf die Formulierung des § 41a Abs. 1 SGB II auch bei der Regelung in Abs. 7 nicht um eine reine Ermächtigungsnorm des Leistungsträgers zur Verwaltungsvereinfachung handelt, bedarf es daher für die Annahme eines Anspruchs des Antragstellers auf vorläufige Leistungen einer Verdichtung des Ermessens zu einem Anspruch im Wege der Ermessensreduzierung auf Null (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 1319/10 R - , SozR - 4200 § 11 Nr. 38, Rd. Nr. 16, zu § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung i.V.m. § 328 Abs. 1 SGB III).

Die Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen von § 23 SGB XII (vgl. Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R) ist nicht auf § 41a Abs. 7 SGB II übertragbar (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. Mai 2017, a.a.O; Beschluss vom 18. April 2017, a.a.O.; insoweit jedenfalls Zweifel äußernd LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. April 2017, a.a.O.). Nicht schon auf Grund einer etwaigen drohenden Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch den Ausschluss von unterhaltssichernden Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII folgt eine Ermessensreduzierung auf Null und nicht allein auf Grund des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach SGB II ist das Ermessen stets auf Null reduziert. Der Gesetzgeber hat § 41a Abs. 7 SGB II unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei den Leistungen nach SGB II um das Existenzminimums sichernde Leistungen handelt, als Ermessensvorschrift ausgestaltet. Deshalb müssen neben den Umstand der Existenzsicherung weiterer Punkte hinzutreten, um eine Ermessensreduzierung auf Null zu begründen (vgl. dazu im Einzelnen: LSG Niedersachsen -Bremen, Beschluss vom 18. April 2017 - , a.a.O.).

Die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des § 41a Abs. 7 SGB II bedarf nach Auffassung des Senats einer sorgfältigen Prüfung. Dabei wird der Grundsicherungsträger im Rahmen seines Entschließungsermessens berücksichtigen dürfen, dass eine höchstrichterliche Vorlage zum BVerfG derzeit ebenso wenig vorliegt wie ein höchstrichterliches Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH und sich zudem in der Rechtsprechung und Literatur ein Konsens oder auch nur eine überwiegende Meinung dahingehend, dass der Leistungsausschluss für arbeitssuchende EU-Bürger nach altem und / oder neuem Recht verfassungswidrig ist, nicht herausgebildet hat. Ferner wird der Grundsicherungsträger berücksichtigen dürfen, dass das Existenzminimum der Antragstellerin vorerst dadurch sichergestellt ist, dass bis zur etwaigen Ausreise aus dem Bundesgebiet Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3, 4 SGB XII (in der ab 29. Dezember 2016 gültigen Fassung), bei Vorliegen unzumutbarer Härten nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII auch für einen Zeitraum von mehr als einem Monat gewährt werden können. Für die Bewilligung von vorläufigen Leistungen nach § 41a Abs. 7 SGB XII besteht daher im Ergebnis kein Bedarf (vgl. insoweit auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. April 2017, a.a.O). Dies gilt insbesondere für EU-Ausländer, die ohne weiteres grundsätzlich auf die Möglichkeit einer Ausreise aus dem Bundesgebiet zulässiger - und zumutbarerweise verwiesen werden können. Denn diese halten sich unter Inanspruchnahme der Möglichkeit der Freizügigkeit innerhalb des Gebietes der Europäischen Union auf Grund einer autonomen Entscheidung in der Bundesrepublik Deutschland auf. Diese Entscheidung können sie, gerade wegen der herrschenden Freizügigkeit, jederzeit rückgängig machen. Eine Ausreise scheitert insbesondere nicht an fehlenden finanziellen Mitteln, da nach § 23 Abs. 3a SGB XII die Kosten einer Rückreise (darlehensweise) übernommen werden können.

Andererseits wird der Grundsicherungsträger bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen haben, dass die Antragstellerin jedenfalls vorträgt, zum Zwecke des "Kümmerns um ihre alleinstehende und kranke Mutter" in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Diesbezüglich ist jedoch anzumerken, dass jedenfalls in diesem einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Notwendigkeit als solche wie - gegebenenfalls - das Ausmaß, in welchem die Antragstellerin sich um ihre Mutter kümmern muss, weil diese nicht (allein) zurechtkommt, nicht ausreichend - auch nicht durch Vorlage des ärztlichen Attests von Dr. K. vom 25. März 2015 - dargestellt ist. Im Übrigen trägt die Antragstellerin gleichzeitig vor, dass sie sich seit ihrer Einreise im Mai 2016 auf intensiver Arbeitssuche befindet. Inwieweit sich ggf. eine (Vollzeit) Beschäftigung mit der gleichzeitigen Notwendigkeit, dass sich die Antragstellerin um ihre allein nicht zurecht kommende Mutter kümmern muss, vereinbaren lässt, ist offen.

Nach alledem vermag der Senat nicht zu erkennen, dass das Entschließungsermessen des Grundsicherungsträgers im Rahmen des § 41a Abs. 7 SGB II im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null gebunden sein könnte.

Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ist mit Europarecht vereinbar, wie der EuGH entschieden hat (EuGH vom 15. September 2015 - Rs. C 67/14 - Alimanovic - ). Die Vereinbarkeit des § 7 Abs. 2 SGB II in der seit 29. Dezember 2016 geltenden Fassung ist nicht Gegenstand eines Verfahrens bei dem BVerfG oder dem Gerichtshof der Europäischen Union und auch nicht Gegenstand eines Verfahrens beim BSG.

Soweit die Antragstellerin hilfsweise begehrt, dass der Antragsgegner zur Leistungsgewährung nach dem SGB XII einstweilen verpflichtet werden soll, hat das SG zutreffend dargelegt und begründet, warum nach summarischer Prüfung die Antragstellerin dem Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 SGB XII unterfällt. Der Senat schließt sich diesen Ausführung an, nimmt darauf Bezug und sieht von einer erneuten Wiedergabe der Gründe insoweit ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Über Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII war nicht zu entscheiden. Diese sind ein anderer Streitgegenstand als laufende Leistungen zum Lebensunterhalt und sie setzen nach Wortlaut, Systematik und Begründung des Gesetzgebers einen Ausreisewillen voraus, der bei der Antragstellerin erkennbar nicht vorliegt. Dies ist auch für Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII Voraussetzung.

Da die Beschwerde aus den vorstehenden Gründen auch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben konnte (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114ff Zivilprozessordnung - ZPO-), war für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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