L 3 SB 4862/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 16 SB 416/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 4862/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin sowie die Anschlussberufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Oktober 2014 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten; im Übrigen bleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der bei der Klägerin vorliegende Grad der Behinderung (GdB) streitig.

Die 1952 geborene Klägerin beantragte am 04.06.2012 beim Beklagten erstmals die Feststellung des GdB. Nach Auswertung beigezogener Befundberichte - u.a. dem Entlassungsbericht der A.-Klinik vom 16.04.2012, Diagnosen: Mittelgradige depressive Episode, Anpassungsstörungen) - bewertete der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten die bei der Klägerin vorliegenden psychovegetativen Störungen mit Ohrgeräuschen (Tinnitus) mit einem Einzel-GdB von 20, die Allergie mit einem Einzel-GdB von 10 und die Funktionsbehinderung des Kniegelenks, Kalksalzminderung des Knochens, Fibromyalgiesyndrom mit einem weiteren Einzel-GdB von 10 und alle Funktionsbeinträchtigungen insgesamt mit einem Gesamt-GdB von 20. Mit Bescheid vom 24.09.2012 stellte der Beklagte den bei der Klägerin vorliegenden GdB mit 20 seit 04.06.2012 fest. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin hin zog der Beklagte weitere Befundunterlagen bei - u.a. einen Entlassungsbericht der B.-Kliniken, Sektion Interdisziplinäre Schmerztherapie, vom 16.03.2010 mit den Diagnosen eines chronischen Schmerzsyndroms vom Fibromyalgie-Typ, einer mittelgradigen depressiven Episode, eines degenerativen LWS-Syndroms mit pseudoradikulärer Ausstrahlung und Ausschluss eines Schlafapnoesyndroms - und unterzog diese einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. Meyer. Dieser bewertete die psychovegetativen Störungen, Ohrgeräusche und die Depression mit einem Einzel-GdB von 30 und alle Funktionsbeinträchtigungen insgesamt gleichermaßen mit 30. Mit Teil-Abhilfebescheid vom 17.12.2012 stellte der Beklagte daraufhin den GdB mit 30 seit 04.06.2012 fest und wies den Widerspruch im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2013 zurück.

Hiergegen hat sich die am 23.01.2013 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage gerichtet, mit der die Klägerin die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 80 geltend gemacht hat. Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Der behandelnde Orthopäde Dr. C. hat mitgeteilt, er habe die Klägerin letztmalig im September 2009 behandelt. Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, hat über ein- bis zweimalige jährliche Vorstellungen der Klägerin in seiner Praxis berichtet und auf beigefügte Befundberichte, zuletzt vom 27.12.2010, mit den Diagnosen diffuses Kopfgeräusch unklarer Genese, bekannter Spannungskopfschmerz, Fibromyalgiesyndrom, bekanntes burning-feet-Syndrom und rezidivierende depressive Störung verwiesen. Dr. E., Internist und Sportmediziner, hat über ein Asthma bronchiale, eine Depression, eine Fibromyalgie, einen Diabetes mellitus, eine Laktoseintoleranz, eine Osteoporose sowie Allergien berichtet. Dr. F., Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde sowie Allergologe, hat bei der Klägerin u.a. ein Asthma bronchiale vom Mischtyp sowie eine polyvalente Allergie diagnostiziert, wobei das Asthma bronchiale nicht nur vorübergehend sei und zu einer mittelgradig eingeschränkten Lungenfunktion führe. In Auswertung der ärztlichen Stellungnahmen hat für den Beklagten Dr. G. die Depression mit Fibromyalgiesyndrom, funktionellen Organbeschwerden und Ohrgeräusche nun mit einem Einzel-GdB von 40 und das Bronchialasthma mit Allergien mit einem Einzel-GdB von 20 und den Gesamt-GdB insgesamt ab 04.06.2012 mit 50 bewertet. Hierauf gestützt hat der Beklagte ein entsprechendes Vergleichsangebot unterbreitet, welchem die Klägerin nicht zugestimmt hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 23.10.2014 hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 24.09.2012 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 17.12.2012 und des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2013 verurteilt, bei der Klägerin einen GdB von 50 seit dem 04.06.2012 festzustellen, und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Bei der Klägerin stünden die Depression, das Fibromyalgiesyndrom und der Tinnitus ganz im Vordergrund und würden eine zusammenfassende Bewertung mit einem Einzel-GdB von 40 rechtfertigen. Die von Dr. F. mitgeteilten Lungenfunktionsmessungen würden eine nur leichte restriktive und eher leichtgradige periphere Obstruktion zeigen, weshalb die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 durch den Beklagten nicht zu beanstanden sei. Die darüber hinaus vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule, die Osteoporose, die Kniegelenksarthrose und die Knorpelschäden an beiden Kniegelenken seien jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Der nach Aussage von Dr. E. nur mit Metformin behandelte Diabetes mellitus begründe keinen GdB von mindestens 10, da diese Therapie regelhaft keine Hypoglykämien auslösen könne. Auch die geringfügige Herzklappeninsuffizienz gehe mit keiner Funktionsbeeinträchtigung einher. Dementsprechend sei ein Gesamt-GdB von 50 zu bilden gewesen. Soweit die Klägerin darüber hinaus einen höheren GdB begehrt habe, sei die Klage abzuweisen gewesen.

Gegen den der Klägerin am 27.10.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 25.11.2014 Berufung eingelegt und ihr auf Zuerkennung eines GdB von 80 gerichtetes Begehren weiterfolgt.

Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat der Senat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Dr. E. ein internistisches Gutachten eingeholt. Dieser hat bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom - multifaktoriell bedingt durch eine Fibromyalgie, eine Osteoporose, eine beidseitige Gonarthrose und Retropatellararthrose sowie einen degenerativen Wirbelsäulenschaden in allen Abschnitten -, eine mittelgradig ausgeprägte Depression, ein Asthma bronchiale vom Mischtyp bei vorliegenden Multiallergien, einen Diabetes mellitus Typ IIb, einen Tinnitus, ein Hämorrhoidalleiden, eine Refluxerkrankung, eine Laktoseintoleranz und eine leichtgradige Mitralinsuffizienz diagnostiziert. Das chronische Schmerzsyndrom will der Sachverständige dabei mit einem Einzel-GdB von 50, die mittelgradig ausgeprägte Depression mit einem solchen von 20 und die weiteren Beeinträchtigungen jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 (mit Ausnahme des Diabestes mellitus und der Mitralinsuffizienz; jeweils kein GdB) bewertet wissen, woraus sich nach Funktionssystemen für das chronische Schmerzsyndrom zusammengefasst mit Depression und Tinnitus insgesamt ein Einzel-GdB von 70, für das Atmungssystem eine solcher von 10, für das Verdauungssystem ein solcher von 20 und insgesamt ein solcher von 80 ergebe. Im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung des Senats vom 02.10.2015 hat der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 02.10.2015 verwiesen.

Der Vertreter der Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Oktober 2014 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 24. September 2012 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 17. Dezember 2012, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2013, zu verurteilen, bei ihr einen GdB von 80 seit dem 4. Juni 2012 festzustellen,

hilfsweise ein Obergutachten einzuholen.

Der Vertreter des Beklagten beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Oktober 2014 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist dem Gutachten des Dr. E., gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 23.10.2015, entgegen getreten.

Er hat nach Beendigung des Sitzungstermins die Anschlussberufung zurückgenommen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den der Prozessakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 SGG statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber nicht begründet. Wegen des Gesundheitszustands der Klägerin ist (nur) ein GdB von 50 anzuerkennen. Ein Anspruch auf einen höheren GdB, als in der angefochtenen Entscheidung zuerkannt, besteht nicht.

Der Beklagte hat die in der mündlichen Verhandlung erhobene Anschlussberufung nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils wieder wirksam zurückgenommen, ohne dass es hierfür der Einwilligung der Klägerin bedurft hätte; 156 Abs. 1 Satz 2 SGG findet auf die Anschlussberufung keine Anwendung. Weitere Ausführungen hierzu sind daher nicht veranlasst.

Nach § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei gemäß § 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung ab 15.01.2015 (BGBl. II S. 15) wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden, indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung ab 15.01.2015 (BGBl. II S. 15), dass - soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist - die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab 01.07.2011 (BGBl. I S. 2904) erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I 2904), 14.07.2010 (BGBl. I 928), 17.12.2010 (BGBl. I 2124), 28.10.2011 (BGBl. I 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I 2122) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).

Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50. Dies hat das SG in der angefochtenen Entscheidung auf Grundlage der in erster Instanz durchgeführten Beweiserhebung, insbesondere aufgrund der Bekundungen der als sachverständige Zeugen vernommenen behandelnden Ärzte der Klägerin zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen festgestellt. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die dortigen Ausführungen.

Das Berufungsvorbringen der Klägerin sowie die Beweiserhebung vor dem Senat rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Insbesondere ist das auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin eingeholte Gutachten des Dr. E. nicht geeignet, eine der Klägerin günstigere Beurteilung herbeizuführen.

So hat auch Dr. E. die maßgeblichen gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin im Bereich der Psyche aufgrund der Depression, des chronischen Schmerzsyndroms und der ausgeprägten "Kopfgeräusche" gesehen.

Das von Dr. E. als Fibromyalgiesyndrom eingestufte chronische Schmerzsyndrom ohne körperliches Korrelat ist gem. VG, Teil B Nr. 18.4 (S. 104 der Printausgabe) entsprechend seiner funktionellen Auswirkungen zu beurteilen. Relevante Bewegungseinschränkungen bezogen auf den Rumpf und die Glieder hat (auch) Dr. E. nicht festgestellt; soweit er in seinem schriftlichen Gutachten von einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit der Wirbelsäule in allen Abschnitten berichtet hat, hat er diese Aussage im Rahmen der mündlichen Vernehmung dahingehend korrigiert, dass lediglich anhand der Einschränkung des Finger-Boden-Abstandes von einer leichtgradigen Einschränkung der Lendenwirbelsäule ausgegangen werden könne, während er sonstige Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule nicht habe feststellen können. Dies deckt sich auch mit den Aussagen in den übrigen medizinischen Unterlagen und dem Umstand, dass die Klägerin seit 2009 um keine orthopädische Behandlung nachgesucht hat. Das Schmerzsyndrom ist damit, so zutreffend Dr. H. in seiner versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 23.10.2015, gem. VG, Teil B Nr. 3.7 (S. 42) zu bewerten; dies wird auch dadurch belegt, dass in VG, Teil B Nr. 3.7 unter anderem somatoforme Störungen zu den stärker behindernden Störungen gezählt werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob bei der Klägerin ein Tinnitus vorliegt. Tatsächlich sprechen die Behandler ganz überwiegend von einem "Geräusch im Kopf", so auch Dr. E., der weiter ausführt, die seit 2010 zunehmenden Beschwerden in Gestalt eines ausgeprägten Kopfgeräusches seien von ihrer Ausprägung her nicht "so typisch" für einen Tinnitus, da sie nicht im Ohr, sondern im Kopf auftreten würden. Maßgeblich für die Bewertung der aus einem Tinnitus herrührenden Einschränkungen sind ohnedies die psychischen bzw. psychovegetativen Begleiterscheinungen (vgl. VG, Teil B Nr. 5.4 [S. 54]), insbesondere das Ausmaß der Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.

Damit sind die bei der Klägerin vorliegenden Beeinträchtigungen in Gestalt der Depression, des chronischen Schmerzsyndroms und der Kopfgeräusche insgesamt als das Funktionssystem "Psyche" betreffend zusammenfassend zu beurteilen (vgl. VG, Teil A Nr. 2e) [S. 20]) und nach VG, Teil B Nr. 3.7 (S. 42) zu bewerten, so Dr. H ... Soweit Dr. E. gleichsam im Vorfeld der Zusammenfassung nach Funktionssystemen zunächst die Depression (GdB 20) wie auch das chronische Schmerzsyndrom (GdB 50) jeweils mit einem Einzel-GdB bewertet hat und hieraus durch schlichte Addition einen weiteren "Einzel-GdB", dann von 70, für die Psyche gebildet hat, verstößt dies gegen die vom Verordnungsgeber eindeutig zum Ausdruck gebrachten und dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin entsprechenden Grundsätze für die Bewertung von Behinderungen in den VG, Teil A Nr. 2e) (S. 20), Nr. 3ee), Teil B Nr. 3.7 (S. 42) und Nr. 18.4 (S. 104).

Unter Berücksichtigung der damit maßgeblichen VG, Teil B Nr. 3.7 (S. 42) kommt eine Bewertung der psychischen Beeinträchtigungen mit einem höheren Einzel-GdB als 40 nicht in Betracht. Ein solcher GdB entspricht bereits der Obergrenze des Beurteilungsrahmens für stärker behindernden Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Eine höhere Bewertung käme nur bei Vorliegen schwerer Störungen (z.B. schwerer Zwangskrankheiten) in Betracht. Ein Befund, der eine solche schwere Störung belegen könnte, ist indes zu keiner Zeit erhoben worden, wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat. Dr. E., zumal insoweit fachfremd tätig, hat selbst keinen aussagefähigen Befund erhoben; er spricht lediglich von einer deutlich depressiven Stimmung und vom häufigen Auftreten von Angstzuständen, ohne dies näher zu spezifizieren oder die entsprechenden Aussagen der Klägerin zu objektivieren. In den Entlassungsberichten der B.-Kliniken aus 2010 sowie der A.-Klinik vom April 2012 ist jeweils eine mittelgradige depressive Episode (Depression mit Angst gemischt) diagnostiziert worden, wobei die Klägerin aus der letztgenannten stationären Behandlung ausweislich des dortigen Entlassungsberichts sogar in einem deutlich gebesserten psychopathologischen Zustand entlassen werden konnte. Auch die geringe Frequenz der nervenärztlichen Behandlungen (laut Dr. D. zweimal jährlich) und der Umstand, dass weitere stationäre Aufenthalte seither nicht mehr erforderlich geworden sind, spricht deutlich gegen das Vorliegen einer schweren Störung und lässt vielmehr bereits die bisherige Einstufung mit einem Einzel-GdB von 40 als der Klägerin überaus günstig erscheinen.

Soweit das SG in seiner Entscheidung, gestützt insbesondere auf die sachverständige Zeugenaussage des behandelnden Lungenfacharztes Dr. F. und die Beurteilung dieser durch Dr. G., auf pulmologischem Gebiet aufgrund des Bronchialasthmas zutreffend von einer (nur) leichten restriktiven und eher leichtgradigen peripheren Obstruktion ausgegangen ist und diese mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet hat, hat dies Dr. E. nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr hat er im Rahmen seiner Untersuchung - wobei auch seine Lungenfunktionsprüfung (bereits in der Vergangenheit augenscheinlich gewordene) Mitarbeitsmängel der Klägerin dokumentiert (so zutreffend Dr. H.) - nach eigener Einschätzung Normwerte erhoben und ist deshalb sogar nur zu einem Einzel-GdB von 10 gelangt.

Im Hinblick auf die leichtgradige Mitralinsuffizienz hat Dr. E. in seinem schriftlichen Gutachten zutreffend eine Funktionseinschränkung und damit die Zuerkennung eines Einzel-GdB verneint. Wegen des Diabetes mellitus Typ IIb, der bislang zu keinen Komplikationen geführt hat, so Dr. E., ist die Klägerin mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen; auch das der Klägerin verschriebene Medikament Metformin führt, so Dr. H., nicht zu einer Hypoglykämieneigung, so dass insoweit allenfalls ein Einzel-GdB von 10 in Betracht kommt (VG, Teil B Nr. 15.1 [S. 90]).

Bezüglich des weiterhin von Dr. E. diagnostizierten Hämorrhoidalleidens liegen weder häufig rezidivierende Entzündungen noch Thrombosierungen oder stärkere Blutungen vor, weshalb auch insoweit allenfalls eine Bewertung mit einem Einzel-GdB von 10 in Betracht kommt (vgl. VG, Teil B Nr. 10.2.4 [S. 72]). Die Refluxerkrankung rechtfertigt dagegen keinen Einzel-GdB von wenigstens 10, da die damit verbundenen Beschwerden auch nicht im Gutachten von Dr. E. als anhaltend beschrieben werden (vgl. VG, Teil B Nr. 10.1 [S. 69]); vielmehr hat der Sachverständige auch im Rahmen der mündlichen Befragung die Refluxerkrankung der Klägerin als eine zwar dauerhafte Erkrankung bei gleichwohl (nur) rezidivierender Symptomatik bezeichnet. Gleiches gilt für die Laktoseintoleranz. Die Zuerkennung eines Einzel-GdB von wenigstens 10 setzt gemäß VG, Teil B Nr. 10.2.2 (S. 71) chronische Darmstörungen (irritabler Darm, Divertikulose, Divertikulitis, Darmteilresektion) voraus. Anhaltspunkte für solche chronischen Darmstörungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Auch im Rahmen der ergänzenden mündlichen Befragung des Sachverständigen hat dieser seine höhere Bewertung ausschließlich mit der weiten Verbreitung von Laktose und den hieraus sich ergebenden Schwierigkeiten, laktosefreie Produkte zu konsumieren, begründet. Anders als beispielsweise die Zöliakie oder Sprue rechtfertigt indes die Laktoseintoleranz nach den VG nicht per se einen Einzel-GdB, sondern nur, wenn die oben beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen hervorgerufen werden.

Liegen damit auf internistischem Gebiet durchgehend lediglich leichte Gesundheitsstörungen vor, die allenfalls einen Einzel-GdB von 10 bedingen, so können diese auch im Rahmen der grundsätzlich gebotenen Zusammenfassung zu Funktionssystemen (vgl. VG, Teil A Nr. 2e) [S. 20]) keinen Einzel-GdB von wenigstens 20 rechtfertigen. Die vom Sachverständigen vorgenommene Zusammenfassung zu einem Einzel-GdB von 20 für das Verdauungssystem verstößt zum einen gegen das Additionsverbot der VG, Teil A Nr. 3a) (S. 22), daneben gegen den in Teil A Nr. 3ee) (S. 23) niedergelegten Grundsatz, wonach, von besonderen Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen; dies auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Selbst bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen. Nachdem besondere Umstände, die eine Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung trotz nur leichter Gesundheitsstörung begründen könnten, nicht vorliegen, bleibt es vorliegend bei dem Grundsatz, dass sich die Einzel-GdB von 10 nicht erhöhend auswirken.

Zu einer von der Beurteilung durch den Beklagten und das SG abweichenden Einschätzung ist Dr. E. auf orthopädischem Gebiet nicht gelangt. Er hat lediglich leichtgradige Einschränkungen der Lendenwirbelsäule in Hinblick auf den Finger-Boden-Abstand festgestellt; weitergehende Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule hat er nicht erheben können. Diesen nur geringen funktionellen Auswirkungen trägt die vom Beklagten und vom SG vorgenommene Bewertung mit einem Einzel-GdB von 10 gemäß VG, Teil B Nr. 18.9 (S. 107) ausreichend Rechnung. Auch an den unteren Gliedmaßen hat der Sachverständige keine relevanten Funktionseinbußen über ein von ihm berichtetes "arthrotisches Reiben" in den Knien hinaus festgestellt, weshalb auch die diesbezügliche Bewertung mit einem Einzel-GdB von 10 durch den Beklagten und das SG keinen Bedenken begegnet.

Unter Berücksichtigung der vorliegenden Einzel-GdB für die Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem, internistischem und orthopädischem Fachgebiet ergibt sich unter Beachtung der vorstehend dargelegten Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdB, wie das SG bereits zutreffend festgestellt hat und worauf der Senat Bezug nimmt, kein höherer Gesamt-GdB als 50. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Den Antrag der Klägerin auf Einholung eines "Obergutachtens" nach §§ 103, 106 SGG lehnt der Senat ab. Einen in prozessordnungsgerechter Weise korrekt formulierten Beweisantrag hat die Klägerin schon nicht gestellt, da es an der Angabe eines Beweisthemas fehlt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 160 Rn. 18a). Im Übrigen ist, nachdem der Sachverhalt geklärt ist, die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen, wie von der Klägerin hilfsweise (wenngleich nicht in einer einem Beweisantrag genügenden Form) beantragt, nicht erforderlich. Das SGG sieht - wie die übrigen Prozessordnungen - keinen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein "Obergutachten" vor (BSG, Beschluss vom 23.05.2006, B 13 RJ 272/05, juris). Vielmehr ist der Senat in der Würdigung der Sachverständigengutachten grundsätzlich frei und kann deshalb auch ohne Einholung weiterer Gutachten von einem bereits eingeholten Gutachten abweichen. Ein - weiteres - Gutachten ist somit nur dann einzuholen, wenn das Gericht sich ansonsten keine hinreichend sichere Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt bilden kann. Dies ist aber vorliegend - wie oben ausgeführt - nicht der Fall.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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