S 8 AS 737/17 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 737/17 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Anrechnung einer Betriebs- und Heizkostenerstattung
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für Juli 2017 als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts weitere 100 EUR zu bewilligen.
2. Im Übrigen wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.
3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung höhere laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) vom Antragsgegner.

Der 1964 geborene Antragsteller (Ast) bezieht durchgehend seit Mitte 2013 (ergänzend) laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Antragsgegner (Ag). Zeitweise erhielt der Ast zusammen mit seinem 2007 geborenen Sohn L. Leistungen vom Ag, derzeit lebt der Ast aber alleine. Für die Unterkunft des Ast sind monatlich 240,94 EUR Grundmiete, 37,80 EUR für Betriebskosten und 43,97 EUR für Heizkosten zu entrichten. Mit Bescheid vom 19. Dezember 2017 bewilligte der Ag dem Ast Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für das Jahr 2017 von 731,71 EUR pro Monat. Dabei wurden die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt; Einkommen wurde nicht angerechnet.

Laut eines für die Bundesagentur für Arbeit erstellten ärztlichen Gutachtens vom 9. Mai 2017 leidet der Ast unter einer schwerwiegenden internistischen Erkrankung und ist voraussichtlich für bis zu sechs Monate weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig.

Im Mai 2017 floss dem Ast eine Betriebs- und Heizkostenrückerstattung für 2016 über 431,12 EUR zu.

Daraufhin verringerte der Ag mit Bescheid vom 23. Juni 2017 die Leistungsbewilligung für Juli 2017 auf 541,53 EUR. In diesem Monat würden 190,18 EUR aus der Betriebs- und Heizkostenrückerstattung bedarfsmindernd berücksichtigt.

Wegen der weiteren 240,94 EUR sowie einer ebenfalls im Mai 2017 zugeflossenen Urlaubsabgeltung von netto 178,45 EUR beabsichtigt der Ag eine Rückforderung von 389,39 EUR für Juni 2017, zu der er auch unter dem 23. Juni 2017 den Ast anhörte.

Der Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 23. Juni 2017 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2017 zurückgewiesen. Ein Teil des Guthabens aus der Betriebs- und Heizkostenerstattung werde im Juni 2017 angerechnet, da die Leistungen schon erbracht worden seien. Für Juli habe die Berechnung noch geändert werden können. Gegen die Berechnung sei nichts einzuwenden. Dass der Ast die Nachzahlung zur Schuldentilgung verwendet habe, sei unbeachtlich.

Ebenfalls am 10. Juli 2017 hat der Ast beim Sozialgericht Augsburg einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er habe das Geld verwendet, um die Ausgaben für den Unterhalt seines Sohnes L. abzudecken. Demzufolge habe er keine Leistungen zu Unrecht erhalten. Es liege eine Unterschreitung des Existenzminimums vor. Das bereits überwiesene Arbeitslosengeld II von 441,53 EUR reiche nicht zum Leben aus. Er wisse nicht, wovon er noch leben solle. Er habe eine schwerwiegende internistische Erkrankung, bei der weiterhin ein dringender Therapiebedarf gegeben sei. Als schwerwiegend erkrankter Mitbürger, der bis auf Weiteres arbeitsunfähig geschrieben sei, wolle er nicht Monat für Monat vor die Wahlgestellt werden, ob er sich noch adäquat ernähren oder seine Miete bezahlen könne. Für Genesung und schrittweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess sei eine kontinuierliche Lebensgrundlage erforderlich, die ihm zunehmend mutwillig vom Jobcenter entzogen werde. Seine Erkrankung sei so erheblich, dass ein Grad der Behinderung von 80 anerkannt worden sei.

Der Ag hat auf die Begründung des Widerspruchsbescheids verwiesen.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß):

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verurteilt, dem Antragsteller laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Juli 2017 in der Höhe zu bewilligen, wie im Bescheid vom 19. Dezember 2016 bewilligt.

Für den Antragsgegner wird beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Ast, die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Juli 2017 in der Höhe zu erhalten, wie sie ursprünglich im Bescheid vom 19. Dezember 2016 bewilligt worden waren, also 731,71 EUR pro Monat. Obschon in dem zur Niederschrift des Gerichts aufgenommenen Antrag auch vom Monat August 2017 die Rede ist, legt das Gericht den Antrag gemäß § 123 des Sozialgerichtsgesetzes dahin aus, dass nur der Juli 2017 gemeint ist. Denn der August 2017 ist von dem Änderungsbescheid vom 23. Juni 2017 nicht betroffen und der Ast hat im Antrag auch insgesamt nur einmal den Differenzbetrag von 190,18 EUR genannt. Trotz der ständigen Rechtsprechung, dass Leistungen für die Zeit vor Antragstellung bei Gericht - hier der 10. Juli 2017 - regelmäßig nicht zuzusprechen sind, außer es liege eine gegenwärtig noch fortwirkende Notlage vor, sieht sich das Gericht aber daran gehindert, eines auf die Zeit vom 10. bis 31. Juli 2017 begrenzten Antrag des Ast anzunehmen. Dafür war das Begehren zu deutlich formuliert, für den kompletten Juli 2017 die Leistungen in der Höhe zu erhalten, wie in den Vormonaten.

Der so verstandene Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, vor allem ist die Klagefrist gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2017 noch offen und damit Raum für eine vorläufige Regelung.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung führt in der Sache teilweise zum Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Anspruchs, den sogenannten Anordnungsanspruch, sowie die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist somit, dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage ist. Eine solche Eilbedürftigkeit liegt nur dann vor, wenn dem Antragsteller ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und wenn ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei summarischer Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, sondern es besteht zwischen ihnen eine Wechselbeziehung in dem Sinne, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) verringern und umgekehrt. Denn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. HessLSG, Beschluss vom 27. März 2009, L 3 U 271/08 B ER).

Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BayLSG, Beschluss vom 27. Januar 2016, L 11 AS 882/15 B ER).

Nach diesen Maßstäben sind Anordnungsanspruch und -grund gegeben.

Soweit es den Regelbedarf anbelangt, gewährt der Ag diesen für Juli 2017 in voller Höhe von 409 EUR und hat ihn so auch an den Ast ausbezahlt. Die gegenüber der bisherigen Bewilligung mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 geringere Leistung für Juli 2017 betrifft ausschließlich die Kosten für Unterkunft und Heizung. Insofern sind zwar ohne konkret drohende Wohnungslosigkeit regelmäßig keine Leistungen für Unterkunft und Heizung vorläufig zuzusprechen (vgl. BayLSG, Beschluss vom 2. August 2016, L 7 AS 461/16 B ER). Wenngleich der Ast dazu nicht ausdrücklich etwas vorgetragen hat, schließt das Gericht aus dem bisherigen Vorbringen des Ast, der auf diverse Schulden verweist, aber, dass eine Kündigung des Mietverhältnisses gemäß den §§ 543, 569 BGB zulässig wäre und daher konkret genug im Raum steht.

Nach summarischer Prüfung hat der Ast auch einen Anspruch auf weitere Leistungen für den Monat Juli 2017, weil der Ag die im Mai 2017 zugeflossene Betriebs- und Heizkostenerstattung von 431,12 EUR zu Lasten des Ast fehlerhaft aufgeteilt hat. Dass die Erstattung bei den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bedarfsmindernd abzuziehen ist, folgt aus § 22 Abs. 3 SGB II. Diese Regelung stellt eine Spezialvorschrift im Verhältnis zu § 11 Abs. 3 SGB II dar und ändert die allgemeinen Regelungen über einmalige Zuflüsse nur soweit ab, als sie abweichende Bestimmungen enthält. Das bedeutet vorliegend, dass eine Aufteilung auf mehrere Monate zu erfolgen hat, wenn der Leistungsanspruch in dem Monat, in dem die Leistungen zu berücksichtigen sind, entfiele. Dieser Monat ist hier aufgrund normativ abweichender Regelung in § 22 Abs. 3 SGB II der Juni 2017. Maßgeblich für das Entfallen kann aber - ebenfalls mit Blick auf den Regelungsgehalt der Spezialnorm - nur der Teil des Leistungsanspruchs sein, der gemindert wird, nämlich der Bedarf für Unterkunft und Heizung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 17. Februar 2016, B 4 AS 12/15 R) kann der Streitgegenstand auf diesen Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II begrenzt werden. Daraus ist zu folgern, dass im Rahmen der Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme ebenso eine Begrenzung auf einen Teil der Leistungen, hier die Kosten für Unterkunft und Heizung, vorgenommen werden kann. Dies ergibt auch deswegen Sinn, weil nach § 22 Abs. 3 SGB II ohnedies und in Umkehrung der Regel aus § 19 Abs. 3 SGB II ausschließlich eine bedarfsmindernde Anrechnung bei diesem Leistungsteil erfolgen darf. So werden sogar Anteile aus einer Erstattung von Betriebs- bzw. Heizkosten von der Anrechnung ganz freigestellt, die sich auf die Haushaltsenergie beziehen, also eines vom Regelbedarf umfassten Postens. Damit muss das Vorgehen nach § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II korrespondieren.

Das heißt für diesen Fall, dass die Erstattung von insgesamt 431,12 EUR, die den Bedarf des Ast bezogen auf Unterkunft und Heizung im Monat Juni 2017 überstieg, so dass der Anspruch darauf komplett entfallen wäre, nicht nur auf zwei Monate aufgeteilt werden darf, wie es der Ag gehandhabt hat, sondern auf sechs. Mithin ergibt sich für Juli 2017 eine Berücksichtigung mit nur 71,85 EUR anstelle von bisher 190,18 EUR.

Ein noch weitergehender Anspruch ist bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich. Insbesondere ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht glaubhaft gemacht, dass der Ast - wie er vorträgt - die Betriebs- und Heizkostennachzahlung zur Begleichung von (Unterhalts-)Schulden verwendet hat. Die Erstattungssumme ist dem Ast im Mai 2017 zugeflossen und er konnte auch über sie verfügen. In der Hauptsache wird aber zu prüfen sein, ob die - bislang nur behaupteten - Zahlungen gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II von der Betriebs- und Heizkostenerstattung abzusetzen sind, soweit auf titulierte Unterhaltsschulden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016, B 4 AS 38/15 R) geleistet worden ist. Selbst wenn dies der Fall wäre, würde sich dadurch allenfalls ein um weitere 71,85 EUR höherer Anspruch ergeben. Eine etwaige Minderleistung in diesem Rahmen wäre jedoch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hinzunehmen, weil sie nicht mehr als 30% der gesamten Leistungen ausmachen würde. In diesem Umfang sind aber keine irreversiblen und gravierenden Rechtsbeeinträchtigungen anzunehmen, so dass eine vorläufige Regelung nicht veranlasst ist (vgl. BayLSG, Beschluss vom 8. April 2016, L 11 AS 138/16 B ER).

Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen erfüllt der Ast ebenso, insbesondere ist nach dem ärztlichen Gutachten vom 9. Mai 2017 keine Erwerbsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit oder auf Dauer anzunehmen.

Der Anordnungsgrund, die Eilbedürftigkeit, ist gegeben, da es um existenzsichernde Leistungen geht.

Damit ist eine einstweilige Regelung gerechtfertigt. Dabei übt das Gericht sein Regelungsermessen dahin aus, dass dem Ast 100 EUR mehr für Juli 2017 zugesprochen werden. Das beruht auf der Überlegung, dass im vorläufigen Rechtsschutz, wie schon erwähnt, Abschläge bis zu 30% zulässig sind und auch im vorliegenden Fall noch Unsicherheiten bestehen. Zwar ist - wie oben ausgeführt - für Juli 2017 gegebenenfalls ein noch höherer Mehrleistungsanspruch des Ast als 118,33 EUR denkbar, maximal 190,18 EUR. Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, dass dafür im August 2017 und weiteren Monaten sich eine geringere Leistung ergeben dürfte und lediglich eine zeitliche Verschiebung stattfindet - soweit nicht eine Absetzung nach § 11b SGB II vorzunehmen ist. Zudem sind keine Leistungen für die Zeit vor Antragstellung bei Gericht veranlasst, sondern nur ab 10. Juli 2017, also für zwei Drittel des Monats Juli 2017. Insgesamt hält deshalb das Gericht für Juli 2017 einen Betrag von 100 EUR für angemessen, zu dessen Leistung der Ag verpflichtet wird.

In diesem Umfang erfolgt daher eine einstweilige Regelung und im Übrigen wird der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG. Da dem Ast keine nennenswerten, erstattungsfähigen Kosten entstanden sein werden und er nicht voll obsiegte, ist eine Kostenerstattung entbehrlich.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 1, § 144 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved