S 12 KA 120/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 120/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Wird ein Widerspruchsbescheid, der mehrere Widerspruchsverfahren gegen verschiedene Honorarbescheide umfasst, angefochten, so wird jeder Honorarbescheid streitgegenständlich (vgl. SG Marburg, Beschl. v. 18.09.2015 - S 12 KA 120/15 - juris sowie LSG Hessen, Beschl. v. 30.11.2015 - L 4 KA 40/15 B -). Wird im Nachhinein erklärt, Klage habe gar nicht erhoben werden sollen, so handelt es sich bei einer Erledigungserklärung der Klägerseite um eine verdeckte Klagerücknahme (vgl. BVerwG, Beschl. vom 24.06.2008 - 3 C 5/07 - juris Rdnr. 3) und hat diese die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten noch um die Tragung der Kostenlast nach übereinstimmender Erledigungserklärung in einem Rechtsstreit, in dem sie ursprünglich um die Höhe des Honorars für das Quartal I/11 gestritten haben.

Die Klägerin ist als Fachärztin für Humangenetik seit dem 01.07.1997 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Einen Antrag auf Änderung des Regelleistungsvolumens für die Quartale III/10 bis I/11 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.03.2011 ab, den sie mit Bescheid vom 08.04.2011 korrigierte. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 07.04.2011 Widerspruch ein. Die Beklagte verband das Verfahren mit weiteren Widerspruchsverfahren. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2015, der Klägerin zugegangen am 13.02.2011, entschied die Beklagte über vier klägerische Widersprüche, die einen Antrag auf Änderung der Regelleistungsvolumina für die Quartale III/2010 bis I/2011 sowie die Honorarbescheide für die Quartale III/2010, IV/2010 und I/2012 betrafen. Sie gab den Widersprüchen insoweit statt, als sie für das Quartal III/2010 einen neuen RLV-Fallwert von 228,80 EUR und für das Quartal IV/2010 von 272,94 EUR zusprach; im Übrigen wies sie die Widersprüche als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.03.2015 die Klage zum Az.: S 12 KA 94/15 erhoben. Die Kammer hat mit Beschluss vom 23.03.2013 die Verfahren für die Quartale IV/10, I/11 und I/12 unter den Az.: S 12 KA 119 bis 121/15 abgetrennt. Das Verfahren betreffend das Quartal I/11 erhielt das hiesige Aktenzeichen. Die Verfahren bzgl. der Quartale III und IV/10 (Az.: S 12 KA 94/15 und S 12 KA 119/15) wurden zwischenzeitlich am 15.04.2016 zurückgenommen.

Die Beklagte berechnete mit Schreiben vom 01.07.2015 das Honorar der Klägerin für die Quartale III/10 und IV/10 neu, woraus sich für diese zusätzliches Honorar in Höhe von ca. 137.000,00 EUR ergab. Die Klägerin teilte mit Schriftsatz vom 02.07.2015 mit, die Klage richte sich nicht gegen die Neufestsetzung des RLV-Fallwertes für das Quartal III/10 sowie auch nicht gegen die Feststellungen des angefochtenen Widerspruchsbescheides im Hinblick auf die Festsetzung des Regelleistungsvolumens für das Quartal I/11. Insoweit werde vorgeschlagen, den Streitwert für dieses Verfahren auf 0,00 EUR festzusetzen. Auf die gerichtliche Anregung hin, die Klage im Hinblick auf das Quartal I/11 zurückzunehmen, erwiderte die Klägerin mit Schriftsatz vom 28.07.2015, aus ihrer Sicht komme eine Klagerücknahme nicht in Betracht, weil die Klage im Hinblick auf das Quartal I/11 niemals erhoben worden sei.

Die Kammer stellte mit Beschluss vom 18.09.2015 fest, dass mit der Klage vom 12.03.2015 der Bescheid über den Antrag auf Änderung des Regelleistungsvolumens für das Quartal I/11 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2015 anhängig geworden und durch Klagerücknahme am 28.07.2017 beendet worden sei. Mit Berichtigungsbeschluss vom 11.11.2015 korrigierte das Gericht den Zeitpunkt der Klagerücknahme auf den 28.07.2015. Auf Beschwerde der Klägerin hob das LSG Hessen, Beschluss vom 30.11.2015 - L 4 KA 40/15 B - den Beschluss der Kammer auf, weil es an einer Klagerücknahme fehle.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 20.06.2016 den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 13.09.2016 erklärt, sie könne sich vorstellen, den Rechtsstreit ebf. für erledigt zu erklären, wenn sich die Klägerin bereit erkläre, den Rechtsstreit für erledigt zu erklären.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 22.09.2016 eine Kostengrundentscheidung beantragt.

Die Beklagte hat daraufhin die Abgabe einer Erledigungserklärung ausdrücklich abgelehnt.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 01.12.2016 die Trennung der Verfahren beanstandet und nochmals vorgetragen, bei der Festsetzung des Streitwerts sei unberücksichtigt geblieben, dass die Klage beschränkt worden sei.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 23.01.2017 ausdrücklich erklärt, eine Klagerücknahme erfolge nicht.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 27.03.2017 den Rechtsstreit für erledigt erklärt und sich gegen die Tragung der Kosten des Rechtsstreits verwahrt. II.

Nach § 197a SGG i. V. m. § 161 VWGO entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens auf Antrag durch Beschluss.

Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Personen, was hier der Fall ist, werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 SGG finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen (vgl. § 161 Abs. 2 VwGO). Weitere Ermittlungen sind nicht anzustellen.

Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist durch beiderseitige Erledigungserklärung eingetreten.

Ein Rechtsstreit wurde auch bzgl. des Quartals I/11 erhoben. Die Kammer hat bereits im Beschluss vom 18.09.2015 ausführlich dargelegt, dass der Widerspruchbescheid vom 11.02.2015 vollumfänglich angefochten wurde und damit auch der Bescheid zum Antrag auf Änderung des Regelleistungsvolumens gemäß Honorarvertrag für die Quartale III/10 bis I/11 und damit eben auch das Quartal I/11. Das LSG Hessen hat diese Rechtsauffassung im Beschluss vom 30.11.2015 ausdrücklich bestätigt. Die Differenz zum Kammerbeschluss bestand nur in der Frage, ob die Klage zurückgenommen worden war. Das LSG Hessen führt in seinem Beschluss vom 30.11.2015 aus, für die Bestimmung des ursprünglichen Umfangs der Klage komme es auf den Inhalt der Klageschrift an, nicht auf die nachfolgenden, erst lange nach Ablauf der Klagefrist eingegangenen Schriftsätze. Denn schon aus Gründen der Rechtsklarheit müsse jedenfalls ab dem Zeitpunkt, ab dem die Klagefrist verstrichen sei, feststehen, was Gegenstand der Klage sein soll und ob und inwieweit ein Bescheid – weil nicht vollständig angegriffen – bestandskräftig geworden sei. Die Klage richte sich gegen den gesamten Widerspruchsbescheid, wenn dieser in der Klageschrift ohne Einschränkungen angefochten werde. Eine Begrenzung folge nicht aus dem Zusatz, die Antragstellung sowie die Klagebegründung blieben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, sich durch detailliertes Studium des Widerspruchsbescheides zu bemühen herauszufinden, ob die Einbeziehung einzelner Quartale in das Verfahren unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin sachgerecht sei oder nicht. Für diese Entscheidung seien die Klägerin bzw. ihre Prozessbevollmächtigen zuständig.

Mit der beidseitigen Erledigungserklärung ist der Rechtsstreit in der Hauptsache beendet. Das Gericht hatte nur noch über die Kosten zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung ist nach sachgerechtem Ermessen zu treffen. Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände des Einzelfalles. Wesentlich sind grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat. Grundgedanke dieses Prinzips ist, dass die Kosten des Gerichtsverfahrens demjenigen aufzuerlegen sind, der Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat. Hierzu rechnet die falsche Sachbehandlung, eine fehlende oder fehlerhafte Begründung des Bescheides, unrichtige Beratung oder unzutreffende Rechtsmittelbelehrung. Gleichermaßen ist das Verhalten des Klägers zu würdigen (z. B. verspätete Vorlage einer Vollmacht oder unzureichender Sachvortrag). Für die Kostenentscheidung wesentlich ist im Übrigen, ob sich die Sach- und Rechtslage nach Erlass des Bescheides geändert hat; trägt ein Beteiligter dem sofort Rechnung, hat er ggf. keine Kosten zu tragen. Das Anerkenntnis muss unverzüglich (§ 121 Abs. 1 BGB) abgegeben werden, um kostenrechtlich beachtlich zu sein (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 197a, Rdnr. 25b und § 193, Rdnr. 12b, 13 ff.).

Zu berücksichtigen ist insofern auch, dass eine Erledigungserklärung als verdeckte Rücknahme der Klage gewertet werden kann und deshalb in Anwendung des Rechtsgedankens des § 155 Abs. 2 VwGO einem Kläger die gesamten Verfahrenskosten auferlegt werden können. Von einer Erledigungserklärung als verdeckter Klagerücknahme kann nur dann die Rede sein, wenn ein Kläger die Rechtsverfolgung aufgibt, obwohl der Rechtsstreit in Wirklichkeit noch nicht erledigt ist (oder er die Erledigung selbst herbeigeführt hat), um auf diese Weise die Kostenfolge einer Klagerücknahme zu umgehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 24.06.2008 - 3 C 5/07 - juris Rdnr. 3).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind der Klägerin die Verfahrenskosten aufzuerlegen.

Die Klägerin hat Klage auch bzgl. des Quartals I/11 erhoben und im Nachhinein erklärt, sie habe gar nicht Klage erheben wollen. Die Erledigungserklärung steht in diesem Fall einer Klagerücknahme gleich. Bei der Erledigungserklärung der Klägerin handelt es sich um eine verdeckte Klagerücknahme. Es soll offensichtlich auf diese Weise die Kostenfolge einer Klagerücknahme umgangen werden. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte aufgrund eines Irrtums oder geänderten Prozessverhaltens der anwaltlich beratenen Klägerin mit Kosten belastet werden sollte.

Von daher hat die Klägerin die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 158 Abs. 2 VwGO) (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 197a Rdnr. 21b).
Rechtskraft
Aus
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