Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 209 P 21/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 30 P 48/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aberkennung der Pflegestufe I zum 1. August 2009.
Der 1998 geborene Kläger ist bei der Beklagten kranken- und pflegeversichert. Er wurde als Frühgeburt in der 32. Schwangerschaftswoche geboren und leidet insbesondere an einer leichten geistigen Behinderung und einer globalen Entwicklungsverzögerung bei Frühgeburt. Der Kläger lebt mit seinem 2003 geborenen Bruder bei seiner alleinerziehenden Mutter. Seit Januar 2014 ist der Vater des Klägers allein sorgeberechtigt, nachdem für die Mutter des Klägers eine Betreuung bestellt wurde. Mittlerweile ist der Vater des Klägers zum Betreuer für ihn bestellt.
Am 17. März 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten Pflegeleistungen.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß dem Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) von dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein, welches dieser am 16. Juni 2003 erstellte. In seinem Gutachten stellte der MDK bei dem damals gut fünf Jahre alten Kläger bei einem Zustand nach der Frühgeburt und einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung, Verhaltensauffälligkeiten und Mikrocephalus eine Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe I fest. Der Zeitaufwand für die Grundpflege betrage unter Berücksichtigung des Hilfebedarfs für ein gleichaltriges gesundes Kind täglich 56 Minuten und für die Hauswirtschaft täglich 45 Minuten.
Die Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 16. September 2003 unbefristet Pflegegeld ab dem 1. März 2003 nach der Pflegestufe I.
Am 4. Juni 2009 fand eine erneute Begutachtung durch den MDK des nunmehr 11 1/2 Jahre alten Klägers statt und es wurde ein Gutachten am 5. Juni 2009 erstellt. In diesem Gutachten wurde nur noch ein Zeitaufwand für die Grundpflege von 25 Minuten pro Tag und für die Hauswirtschaft von 30 Minuten pro Tag festgestellt. Es könne festgestellt werden, dass der Kläger bei den gesetzlich definierten Verrichtungen gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern nur noch einen leicht erhöhten Pflegebedarf benötige. Bei der Grundpflege seien überwiegend Aufforderungen und Kontrollen, teils auch Nachkorrekturen notwendig. Bei der Durchführung der gesetzlich definierten Verrichtungen bestehe eine weit reichende und tendenziell zunehmende Selbständigkeit. Zum Vorgutachten habe sich der Hilfebedarf bedingt durch Entwicklungsfortschritte und der daraus resultierenden Zunahme an Selbständigkeit eindeutig verringert. Die Voraussetzungen zur Gewährung der Pflegestufe I lägen eindeutig nicht mehr vor.
Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 17. Juni 2009 hob daraufhin die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2009 die Leistungsbewilligung mit Ablauf des 31. Juli 2009 gemäß § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf.
Zu dem Anhörungsschreiben vom 17. Juni 2009 nahm der auch damals durch einen Betreuer vertretene Kläger mit Schreiben vom 17. Juli 2009 Stellung. Zu diesem Schreiben führte die Beklagte mit Schreiben vom 7. September 2009 ergänzend zu den Gründen der Leistungsaufhebung aus und wertete das Schreiben schließlich als Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung hätten nur versicherte Pflegebedürftige. Der Pflegebedarf müsse wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, hierbei müssten auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 SGB XI). Dies sei bei dem Kläger nicht mehr der Fall; der Pflegebedarf sei für die Grundpflege nur mit 25 Minuten festgestellt worden. Es sei eine wesentliche Änderung nach der Leistungsbewilligung 2003 erfolgt und daher sei die Leistungsbewilligung gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufzuheben.
Gegen diese Entscheidung hat der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger am 14. Januar 2010 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben.
Das Sozialgericht Berlin hat einen Befundbericht des behandelnden Kinderarztes Herrn W eingeholt.
Weiter hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Ärztin Frau Dr. med. M H.
Diese hat ihr Gutachten am 2. August 2010 erstellt und für den Kläger folgende pflegebegründende Diagnosen erstellt:
1. leichte geistige Behinderung und globale Entwicklungsretardierung bei Frühgeburt 2. mäßige Gangbehinderung durch eine cerebeläre Ataxie (verbunden mit Nystakmus) 3. Sehbehinderung (durch Brille adäquat korrigiert)
Aufgrund dieser Erkrankungen und Behinderungen habe der Kläger funktionelle Einschränkungen. Es bestehe eine mäßige Gangunsicherheit und eine leichte Behinderung im Bereich der Feingriffe; prinzipiell sei der Kläger aber in der Lage, sämtliche Handlungen ohne fremde Hilfe auszuführen. Die Funktionsbehinderung im Bereich der Augen sei durch die Brille gut korrigiert. Im Bereich der Psyche sei eine Verhaltensstörung zu nennen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung führe, d.h. es würde teilweise nur nach mehrmaligen Bitten und Aufforderungen irgendwelchen Ansprüchen nachgekommen. Diese Verhaltensstörung sollte psychologisch therapiert werden. Insgesamt müsse festgestellt werden, dass der Kläger aufgrund allein der körperlichen Erkrankungen in der Lage wäre, alle Punkte der Grundpflege adäquat einem sonstigen gesunden 12-Jährigen auszuführen. Es sei festzustellen, dass im körperlichen Bereich eine wesentliche Verbesserung eingetreten sei. Der Kläger sei am Tag kontinent, könne besser Laufen, das Sehen sei weniger beeinträchtigt, er könne Formulieren, Lesen und Rechnen. Er berichte sogar, in der Lage zu sein, fast alleine zum Sehbehindertensegeln zu fahren und hierbei zweimal öffentliche Verkehrsmittel zu wechseln. Als deutliche Verschlechterung sei aber die Verhaltensstörung bei dem Kläger auszuführen. Hierfür sei ein kinderpsychiatrisches Gutachten zu empfehlen.
Daraufhin hat das Sozialgericht Berlin weiter Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens des Kinder- und Jugendpsychiaters Dr. med. O B-H. Dieser hat sein Gutachten am 17. Januar 2011 erstellt und bei dem Kläger folgende Diagnose festgestellt:
Chronifizierte, lang dauernde pathologische Anpassungsreaktion mit Beeinträchtigung von Gefühlen und Sozialverhalten.
In der Familie gebe es nach Auskunft des anwesenden Einzelfallhelfers erhebliche Auseinandersetzungen um Erziehungsfragen zwischen der Mutter des Klägers, seiner Großmutter und dem Kläger. Auch das Verhältnis zum 7-jährigen Bruder sei anstrengend und provoziere gewisse Fehlverhaltensweisen des Klägers. In der Schule mache er Fortschritte und das mache ihm auch Freude. Weniger Freude gebe es zuhause, hier gebe es viel Streit und Auseinandersetzungen. Der Einzelfallhelfer und auch der Kläger selbst sähen eher Fortschritte und Stabilisierung im Rahmen der Möglichkeiten. Die psychische Beeinträchtigung sei vor allem im Bereich der Aufmerksamkeitssteuerung und der Impulsivität zu sehen. Ebenso seien Gefühle und der Selbstwert in depressiver Weise beeinträchtigt. Beides führe zur mangelnden psychosozialen Anpassung vor allem in unstrukturierten Alltagssituationen und einer ausgesprochenen Unselbstständigkeit. Hinsichtlich des konkreten Hilfebedarfs bei einzelnen Verrichtungen verwies dieser Gutachter auf die Feststellungen im Vorgutachten von Frau Dr. H. Der Kläger benötige aus psychiatrischer Sicht weniger eine spezifische Hilfe für einzelne Verrichtungen und Tätigkeiten, sondern einen regelmäßigen Begleiter, der die Ressourcen und Fähigkeiten kenne und jeweils neu erkenne und dementsprechend dem Kläger eine sozialpädagogische orientierte Kombination aus Forderung und Förderung zukommen lasse. Ohne die eingehende Unterstützung durch einen Familienhelfer würde sich die individuelle und familiäre Situation in kürzester Zeit dramatisch verschlechtern und vor allem das Aggressivitäts- und Impulsivitätsproblem stark in den Vordergrund treten. Nach einer eingehenden teilstationären Diagnostik wäre an eine aufsuchende Familientherapie mit kultursensiblem Hintergrund unter Einbezug des jetzigen Familienhelfers zu denken.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 9. Juli 2009 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 16. Dezember 2009 aufzuheben. Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 30. März 2012 abgewiesen. Der Kläger sei nicht mehr erheblich pflegebedürftig im Sinne von §§ 14, 15 SGB XI und habe daher keinen Anspruch mehr auf die begehrten Pflegeleistungen. Nach dem Gutachten des MDK aus dem Jahre 2009 und dem Gutachten im Klageverfahren von Frau Dr. H seien die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht mehr erfüllt. Nach diesen Feststellungen bestehe bei dem zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung 11-jährigen Kläger nur noch ein Hilfebedarf in der Grundpflege für 25 Minuten am Tag. Dies sei wesentlich zurückzuführen auf die Entwicklung des Klägers in der Zeit zwischen der ursprünglichen Bewilligung im fünften Lebensjahr des Klägers und seinem heutigen Entwicklungsstand als 11-Jähriger. Ein noch vorhandener Hilfebedarf resultiere im Wesentlichen aus den psychischen Einschränkungen des Klägers, die zu notwendigen Aufforderungen führen (aufzustehen, sich zu waschen, anzuziehen etc.), die als Hilfebedarf anzusehen seien. Soweit der Sachverständige Dr. B-H darüber hinaus eine therapeutische Perspektive für erforderlich halte, so sei diese Unterstützung nicht als Hilfeleistung nach dem SGB XI anzusehen und daher nicht im Rahmen der begehrten Pflegestufe zu berücksichtigen. Bei therapeutischen Maßnahmen handele sich vielmehr um Interventionen zur Heilung oder Besserung eines Gesundheitszustandes und damit um Leistungen, die in den Bereich der Krankenversicherung fielen. Dies zeige sich im Übrigen auch daran, dass die angeregten Unterstützungen nur von Personen erbracht werden könnten, die eine besondere sozialpädagogische und sozialpsychiatrische/ psychologische Kompetenz und Ausbildung ausweisen. Die Mutter als Pflegeperson des Klägers im Sinne vom SGB XI könne dies nicht leisten. Der Kläger sei danach im Bereich der Körperpflege und der Mobilität deutlich weniger auf Hilfe angewiesen und die Beklagte zur Aufhebung ihrer Bewilligung gemäß § 48 SGB X berechtigt gewesen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 3. Mai 2012 zugestellte Urteil hat er am 4. Juni 2012 (einem Montag) Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Das Sozialgericht komme fehlerhaft zu der Überzeugung, die Voraussetzungen der Pflegestufe I seien nicht mehr erfüllt. Tatsächlich habe der Kläger täglich noch einen Hilfebedarf von mindestens 90 Minuten. Der Kläger benötige bei der Ganzkörperwäsche und beim Baden Teilhilfen bzw. es müssten diese Verrichtungen vollständig übernommen werden, weil der Kläger hierzu nicht in der Lage sei. Allein hierfür sei ein Hilfebedarf von täglich insgesamt mindestens 70 Minuten erforderlich. Beim An- und Auskleiden benötige er täglich 45 Minuten Hilfe. Im Bereich der Mobilität und der Nahrungsaufnahme, insbesondere bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, habe er zudem einen Hilfebedarf von täglich 165 Minuten.
Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger einen Behandlungsbericht der C vom 31. Juli 2013 zu den Gerichtsakten gereicht. Aus diesem Befundbericht ergibt sich, dass sich nach einer Brillenneuverordnung das Sehen des Klägers deutlich gebessert habe und nach den Angaben des Vaters des Klägers sich auch sein Gangbild gebessert habe. Er bräuchte Hilfe im Verkehr und hätte einen Einzelfallhelfer für 48 Stunden im Monat. Seit drei Monaten könne er allein mit der BVG zur Schule fahren, er könne Dreiradfahren und Tischtennis spielen und sei bis vor kurzem in einem Sehbehindertensegelclub aktiv gewesen. Seit 2013 erhalte er von der Beklagten Leistungen wegen eingeschränkter Alltagskompetenz, die zum 1. Januar 2017 in Leistungen nach dem Pflegegrad 2 überführt worden seien.
Das Landessozialgericht hat vergeblich versucht, von dem Sachverständigen Dr. med. B-H eine ergänzende Stellungnahme zu erlangen; dieser ist in die Schweiz verzogen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist zulässig. Sie ist ohne Zulassung nach § 144 Abs.1 S. 2 SGG statthaft, weil die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage gegen den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2009 ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Beklagte hat zu Recht die ursprünglich ab dem 1. März 2003 erfolgte Bewilligung von Pflegegeld für den Kläger nach der Pflegestufe I mit Ablauf des 31. Juli 2009 gemäß § 48 SGB X aufgehoben. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Der ursprüngliche Bescheid der Beklagten über die unbefristete Bewilligung von Pflegegeld ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, denn dieser Verwaltungsakt erschöpfte sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage, sondern begründete oder veränderte inhaltlich ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis (u.a. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R - zitiert nach juris).
Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X liegt dann vor, wenn die Behörde unter nunmehr objektiv gegebenen Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2016, § 48 SGB X Rz. 13 ff. m.w.N.). Maßgeblich für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der "wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen" sind die Verhältnisse, die der ursprünglichen Bewilligung des Pflegegeldes zu Grunde gelegen haben, die mit jenen Verhältnissen zu vergleichen sind, die zur Entziehung der Leistung geführt haben. Eine eventuell später erneut eintretende Änderung (bspw. erneute Verschlechterung des Gesundheitszustandes) ist demgegenüber für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung unerheblich.
Für die Frage, ob eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen vorliegt, ist zudem auf das materielle der Bewilligung und auch der Entziehung der Leistung zugrunde liegende Recht abzustellen. Dies richtet sich vorliegend hinsichtlich der Bewilligung von Pflegegeld und dessen Entziehung noch nach dem vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 2016 geltenden und hier anzuwendenden Fassungen des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz - PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014 - im Folgenden: a.F.). Die Feststellung des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung erfolgt jeweils auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechts. Der Erwerb einer Anspruchsberechtigung auf Leistungen der Pflegeversicherung richtet sich ebenfalls nach dem zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht (§ 140 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung vom 21. Dezember 2015).
Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens sind damit eventuelle später entstandene Ansprüche des Klägers insbesondere auf Leistungen der Pflegekasse nach der Rechtsänderung im SGB XI zum 1. Januar 2017. Denn über solche eventuellen Ansprüche liegt weder eine überprüfbare und streitgegenständliche Verwaltungsentscheidung noch eine Entscheidung des Sozialgerichts vor.
Nach diesen Grundsätzen ist der angegriffene Bescheid der Beklagten als rechtmäßig anzusehen. Der Kläger hatte jedenfalls zum Zeitpunkt der Leistungsaufhebung keinen Anspruch mehr auf Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe I, weil die Voraussetzungen für diesen Anspruch nicht mehr vorgelegen haben.
Gemäß § 36 ff. SGB XI haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Diese erhalten Sie auf Antrag (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB XI) ab Antragstellung, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (§ 33 Absatz 1 S. 2 SGB XI).
Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichen oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen (§ 14 Abs. 1 SGB XI a.F.).
Gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. sind gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1
1. Im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige aufstehen und Zu- Bett- Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und wieder Aufsuchen der Wohnung, 4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Nach § 15 Abs. 1 SGB XI in der Fassung bis zum 31. Dezember 2016 (im Folgenden: a.F.) sind für die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz pflegebedürftige Personen (§ 14) einer der folgenden drei Pflegestufen zuzuordnen:
1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
Schließlich muss nach § 15 Abs. 3 SGB XI a.F. der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt
1. In der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen,
2. in der Pflegestufe II mindestens 3 Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen,
3. in der Pflegestufe III mindestens 5 Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen.
Nach diesen Regelungen hat die Beklagte rechtlich einwandfrei die ursprünglich mit Bescheid vom 16. September 2003 aufgrund des MDK Gutachtens vom 16. Juni 2003 ab dem 1. März 2003 bewilligten Leistungen der Pflegestufe I mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 9. Juli 2009 gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft ab dem 1. August 2009 unter Berücksichtigung des nunmehrigen neuen MDK Gutachtens vom 5. Juni 2009 aufgehoben.
Der Kläger hat zumindest ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch mehr auf die begehrten Leistungen zur Pflegestufe I, weil eine erhebliche Pflegebedürftigkeit im Sinne von § 15 SGB XI a.F. nicht mehr festgestellt werden kann.
Nach den Feststellungen des MDK im Gutachten vom 5. Juni 2009 wie auch denen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Frau Dr. med. H in ihrem Gutachten vom 2. August 2010 konnte bei dem Kläger allein im Hinblick auf die körperlichen Leiden überhaupt kein täglicher Pflegebedarf mehr festgestellt werden. Zwar bestehe noch eine mäßige Gangunsicherheit und eine leichte Behinderung im Bereich der Feingriffe, gleichwohl sei der Kläger aber in der Lage, sämtliche Handlungen ohne fremde Hilfe auszuführen. Die Behinderung im Bereich der Augen sei durch die Brille gut korrigiert, so dass der Kläger auch hier nicht wesentlich beeinträchtigt sei. Insgesamt sei festzustellen, dass der Kläger rein aufgrund der körperlichen Erkrankungen in der Lage sei, alle Punkte der Grundpflege adäquat einem sonstigen gesunden Zwölfjährigen auszuführen. Es seien allenfalls noch kleine Hinweise in Bezug auf die Kleidung notwendig, gegebenenfalls ein Pausenbrot für die Schule zuzubereiten und an Handlungen wie Waschen und Zähneputzen zu erinnern. Ansonsten sei der Kläger zu den Verrichtungen des täglichen Lebens vollkommen alleine in der Lage, auch wenn leichte körperliche Einschränkungen bestehen.
Diese Feststellungen hat der weitere medizinische Sachverständige, Herr Dr. med. B-H, in seinem Gutachten vom 17. Januar 2011 bestätigt. Dort hat er auf die Fragen der Beweisanordnung zu den Ziffern 4a bis 8c hinsichtlich des Hilfebedarfes durchweg auf das Vorgutachten von Frau Dr. H verwiesen und sich somit der Einschätzung dieser Sachverständigen hinsichtlich eines nicht mehr bestehenden Hilfebedarfes im Sinne des SGB XI angeschlossen.
Soweit der Sachverständige Dr. med. B-H in seinem Gutachten darauf hingewiesen hat, es sei allerdings ein therapeutischer Bedarf dahingehend zu sehen, dass nach einer eingehenden teilstationären Diagnostik an eine Familientherapie mit kultursensiblem Hintergrund unter Einbeziehung des jetzigen Familienhelfers zu denken sei; der Kläger benötige einen regelmäßigen Begleiter, der die Ressourcen und Fähigkeiten kenne und jeweils neu erkenne und dementsprechend dem Kläger eine sozialpädagogische orientierte Kombination aus Forderung und Förderung zukommen ließe, fällt dies nicht in den Bereich des SGB XI. Hierzu hat das Sozialgericht in der angegriffenen Entscheidung bereits umfangreich und zutreffend ausgeführt; der Senat verweist gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf diese Ausführungen und sieht von einer erneuten Darstellung ab.
Selbst wenn im Übrigen von einem Hilfebedarf im Bereich des SGB XI ausgegangen würde, der aus den Verhaltensauffälligkeiten resultiert, würde ein solcher Hilfebedarf nicht in dem Umfang der Pflegestufe I nach § 15 SGB XI a.F. nachgewiesen sein. Selbst wenn von dem Hilfebedarf ausgegangen würde, den der MDK im Verwaltungsverfahren im Umfang von 25 Minuten/täglich im Bereich der Grundpflege und 35 Minuten/täglich im Bereich der Hauswirtschaft festgestellt hat; erfüllt dies nicht die Voraussetzungen für die Pflegestufe I mit allein mindestens 45 Minuten/täglich in der Grundpflege.
Die im Berufungsverfahren vorgetragene Selbsteinschätzung des Klägers von einem Hilfebedarf zum An- und Auskleiden in einem täglichen Umfang von mindestens 45 Minuten, zum Waschen in einem täglichen Umfang von mindestens 70 Minuten und zur Nahrungsaufnahme in einem täglichen Umfang von 165 Minuten, insgesamt mithin 280 Minuten allein in der Grundpflege, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar. Zum einen würde sie dazu führen, dass dann wohl sogar die Voraussetzungen für die Pflegestufe III als erfüllt anzusehen wären, obwohl der Kläger selbständig beispielsweise am Schulunterricht teilnimmt und Segelsport betrieben hat. Zum anderen müsste eine deutliche Verschlechterung gegenüber der ehemals festgestellten Pflegestufe I eingetreten sein, obwohl nach den Gutachten und eingereichten medizinischen Unterlagen selbst der Einzelfallhelfer, der Vater des Klägers und auch der Kläger selbst wohl mit zunehmendem Alter auch eine zunehmende Selbstständigkeit und eine abnehmende Hilfebedürftigkeit festgestellt haben. Anzumerken ist hier zudem, dass bei dem im Jahre 2003 fünfjährigen Kläger auch nur ein Hilfebedarf festgestellt wurde im Umfang von 56 Minuten/täglich in der Grundpflege, der mithin schon damals nicht erheblich über den für die Pflegestufe I notwendigen 45 Minuten/täglich lag. Ohne eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands, die nicht einmal vom Kläger behauptet wird, ist eine Selbsteinschätzung eines Hilfebedarfs von 280 Minuten/täglich für ein elfjähriges Kind damit schon in sich widersprüchlich. Danach konnten weder die gerichtlich bestellten Sachverständigen noch der im Verwaltungsverfahren beauftragte MDK die Angaben der Kläger zum Pflegeaufwand bestätigen. Vielmehr gelangten alle zu einem täglichen Pflegebedarf in der Grundpflege, der nur noch unter den Voraussetzungen der Pflegestufe I liegt.
Insgesamt ist danach festzustellen, dass letztlich alle Gutachter bei der Kläger seit der ursprünglichen Bewilligung im Jahre 2003 eine erhebliche Verbesserung der Eigenständigkeit mit einer einhergehenden Reduktion der Hilfebedürftigkeit feststellen konnten und deshalb von einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit Erlass des Bewilligungsbescheides aus dem Jahre 2003 auszugehen ist. Diese Änderung ist auch nachvollziehbar auf einen stattgefundenen Reifeprozess des Klägers zurückzuführen; es entspricht der Lebenserfahrung und ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar, dass Kinder im Alter zwischen dem fünften und dem elften Lebensjahr eine Entwicklung durchlaufen, die zur Steigerung der Eigenständigkeit auch bei Verrichtungen des täglichen Lebens und damit entsprechend zu einer Reduktion des Hilfebedarfes bei regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen des täglichen Lebens im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI führt.
Auch eine Gewährung von Leistungen wegen eingeschränkter Alltagskompetenz nach §§ 45a f. SGB XI a.F. ab 2013 führt schon deshalb nicht zu einer anderen Einschätzung, weil zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Aufhebung nach § 48 SGB X auf den Zeitpunkt der Änderung, hier den 1. August 2009, abzustellen ist und spätere erneute Änderungen hierfür unerheblich sind.
Danach hat die Beklagte gemäß § 48 SGB X die Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft ab dem 1. August 2009 zu Recht aufgehoben, weil ein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach der Pflegestufe I zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ersichtlich war. Ein Hilfebedarf von mindestens 45 Minuten für die Grundpflege im Tagesdurchschnitt konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr festgestellt werden (§ 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XI a.F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aberkennung der Pflegestufe I zum 1. August 2009.
Der 1998 geborene Kläger ist bei der Beklagten kranken- und pflegeversichert. Er wurde als Frühgeburt in der 32. Schwangerschaftswoche geboren und leidet insbesondere an einer leichten geistigen Behinderung und einer globalen Entwicklungsverzögerung bei Frühgeburt. Der Kläger lebt mit seinem 2003 geborenen Bruder bei seiner alleinerziehenden Mutter. Seit Januar 2014 ist der Vater des Klägers allein sorgeberechtigt, nachdem für die Mutter des Klägers eine Betreuung bestellt wurde. Mittlerweile ist der Vater des Klägers zum Betreuer für ihn bestellt.
Am 17. März 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten Pflegeleistungen.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß dem Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) von dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein, welches dieser am 16. Juni 2003 erstellte. In seinem Gutachten stellte der MDK bei dem damals gut fünf Jahre alten Kläger bei einem Zustand nach der Frühgeburt und einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung, Verhaltensauffälligkeiten und Mikrocephalus eine Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe I fest. Der Zeitaufwand für die Grundpflege betrage unter Berücksichtigung des Hilfebedarfs für ein gleichaltriges gesundes Kind täglich 56 Minuten und für die Hauswirtschaft täglich 45 Minuten.
Die Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 16. September 2003 unbefristet Pflegegeld ab dem 1. März 2003 nach der Pflegestufe I.
Am 4. Juni 2009 fand eine erneute Begutachtung durch den MDK des nunmehr 11 1/2 Jahre alten Klägers statt und es wurde ein Gutachten am 5. Juni 2009 erstellt. In diesem Gutachten wurde nur noch ein Zeitaufwand für die Grundpflege von 25 Minuten pro Tag und für die Hauswirtschaft von 30 Minuten pro Tag festgestellt. Es könne festgestellt werden, dass der Kläger bei den gesetzlich definierten Verrichtungen gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern nur noch einen leicht erhöhten Pflegebedarf benötige. Bei der Grundpflege seien überwiegend Aufforderungen und Kontrollen, teils auch Nachkorrekturen notwendig. Bei der Durchführung der gesetzlich definierten Verrichtungen bestehe eine weit reichende und tendenziell zunehmende Selbständigkeit. Zum Vorgutachten habe sich der Hilfebedarf bedingt durch Entwicklungsfortschritte und der daraus resultierenden Zunahme an Selbständigkeit eindeutig verringert. Die Voraussetzungen zur Gewährung der Pflegestufe I lägen eindeutig nicht mehr vor.
Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 17. Juni 2009 hob daraufhin die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2009 die Leistungsbewilligung mit Ablauf des 31. Juli 2009 gemäß § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf.
Zu dem Anhörungsschreiben vom 17. Juni 2009 nahm der auch damals durch einen Betreuer vertretene Kläger mit Schreiben vom 17. Juli 2009 Stellung. Zu diesem Schreiben führte die Beklagte mit Schreiben vom 7. September 2009 ergänzend zu den Gründen der Leistungsaufhebung aus und wertete das Schreiben schließlich als Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung hätten nur versicherte Pflegebedürftige. Der Pflegebedarf müsse wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, hierbei müssten auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 SGB XI). Dies sei bei dem Kläger nicht mehr der Fall; der Pflegebedarf sei für die Grundpflege nur mit 25 Minuten festgestellt worden. Es sei eine wesentliche Änderung nach der Leistungsbewilligung 2003 erfolgt und daher sei die Leistungsbewilligung gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufzuheben.
Gegen diese Entscheidung hat der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger am 14. Januar 2010 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben.
Das Sozialgericht Berlin hat einen Befundbericht des behandelnden Kinderarztes Herrn W eingeholt.
Weiter hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Ärztin Frau Dr. med. M H.
Diese hat ihr Gutachten am 2. August 2010 erstellt und für den Kläger folgende pflegebegründende Diagnosen erstellt:
1. leichte geistige Behinderung und globale Entwicklungsretardierung bei Frühgeburt 2. mäßige Gangbehinderung durch eine cerebeläre Ataxie (verbunden mit Nystakmus) 3. Sehbehinderung (durch Brille adäquat korrigiert)
Aufgrund dieser Erkrankungen und Behinderungen habe der Kläger funktionelle Einschränkungen. Es bestehe eine mäßige Gangunsicherheit und eine leichte Behinderung im Bereich der Feingriffe; prinzipiell sei der Kläger aber in der Lage, sämtliche Handlungen ohne fremde Hilfe auszuführen. Die Funktionsbehinderung im Bereich der Augen sei durch die Brille gut korrigiert. Im Bereich der Psyche sei eine Verhaltensstörung zu nennen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung führe, d.h. es würde teilweise nur nach mehrmaligen Bitten und Aufforderungen irgendwelchen Ansprüchen nachgekommen. Diese Verhaltensstörung sollte psychologisch therapiert werden. Insgesamt müsse festgestellt werden, dass der Kläger aufgrund allein der körperlichen Erkrankungen in der Lage wäre, alle Punkte der Grundpflege adäquat einem sonstigen gesunden 12-Jährigen auszuführen. Es sei festzustellen, dass im körperlichen Bereich eine wesentliche Verbesserung eingetreten sei. Der Kläger sei am Tag kontinent, könne besser Laufen, das Sehen sei weniger beeinträchtigt, er könne Formulieren, Lesen und Rechnen. Er berichte sogar, in der Lage zu sein, fast alleine zum Sehbehindertensegeln zu fahren und hierbei zweimal öffentliche Verkehrsmittel zu wechseln. Als deutliche Verschlechterung sei aber die Verhaltensstörung bei dem Kläger auszuführen. Hierfür sei ein kinderpsychiatrisches Gutachten zu empfehlen.
Daraufhin hat das Sozialgericht Berlin weiter Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens des Kinder- und Jugendpsychiaters Dr. med. O B-H. Dieser hat sein Gutachten am 17. Januar 2011 erstellt und bei dem Kläger folgende Diagnose festgestellt:
Chronifizierte, lang dauernde pathologische Anpassungsreaktion mit Beeinträchtigung von Gefühlen und Sozialverhalten.
In der Familie gebe es nach Auskunft des anwesenden Einzelfallhelfers erhebliche Auseinandersetzungen um Erziehungsfragen zwischen der Mutter des Klägers, seiner Großmutter und dem Kläger. Auch das Verhältnis zum 7-jährigen Bruder sei anstrengend und provoziere gewisse Fehlverhaltensweisen des Klägers. In der Schule mache er Fortschritte und das mache ihm auch Freude. Weniger Freude gebe es zuhause, hier gebe es viel Streit und Auseinandersetzungen. Der Einzelfallhelfer und auch der Kläger selbst sähen eher Fortschritte und Stabilisierung im Rahmen der Möglichkeiten. Die psychische Beeinträchtigung sei vor allem im Bereich der Aufmerksamkeitssteuerung und der Impulsivität zu sehen. Ebenso seien Gefühle und der Selbstwert in depressiver Weise beeinträchtigt. Beides führe zur mangelnden psychosozialen Anpassung vor allem in unstrukturierten Alltagssituationen und einer ausgesprochenen Unselbstständigkeit. Hinsichtlich des konkreten Hilfebedarfs bei einzelnen Verrichtungen verwies dieser Gutachter auf die Feststellungen im Vorgutachten von Frau Dr. H. Der Kläger benötige aus psychiatrischer Sicht weniger eine spezifische Hilfe für einzelne Verrichtungen und Tätigkeiten, sondern einen regelmäßigen Begleiter, der die Ressourcen und Fähigkeiten kenne und jeweils neu erkenne und dementsprechend dem Kläger eine sozialpädagogische orientierte Kombination aus Forderung und Förderung zukommen lasse. Ohne die eingehende Unterstützung durch einen Familienhelfer würde sich die individuelle und familiäre Situation in kürzester Zeit dramatisch verschlechtern und vor allem das Aggressivitäts- und Impulsivitätsproblem stark in den Vordergrund treten. Nach einer eingehenden teilstationären Diagnostik wäre an eine aufsuchende Familientherapie mit kultursensiblem Hintergrund unter Einbezug des jetzigen Familienhelfers zu denken.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 9. Juli 2009 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 16. Dezember 2009 aufzuheben. Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 30. März 2012 abgewiesen. Der Kläger sei nicht mehr erheblich pflegebedürftig im Sinne von §§ 14, 15 SGB XI und habe daher keinen Anspruch mehr auf die begehrten Pflegeleistungen. Nach dem Gutachten des MDK aus dem Jahre 2009 und dem Gutachten im Klageverfahren von Frau Dr. H seien die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht mehr erfüllt. Nach diesen Feststellungen bestehe bei dem zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung 11-jährigen Kläger nur noch ein Hilfebedarf in der Grundpflege für 25 Minuten am Tag. Dies sei wesentlich zurückzuführen auf die Entwicklung des Klägers in der Zeit zwischen der ursprünglichen Bewilligung im fünften Lebensjahr des Klägers und seinem heutigen Entwicklungsstand als 11-Jähriger. Ein noch vorhandener Hilfebedarf resultiere im Wesentlichen aus den psychischen Einschränkungen des Klägers, die zu notwendigen Aufforderungen führen (aufzustehen, sich zu waschen, anzuziehen etc.), die als Hilfebedarf anzusehen seien. Soweit der Sachverständige Dr. B-H darüber hinaus eine therapeutische Perspektive für erforderlich halte, so sei diese Unterstützung nicht als Hilfeleistung nach dem SGB XI anzusehen und daher nicht im Rahmen der begehrten Pflegestufe zu berücksichtigen. Bei therapeutischen Maßnahmen handele sich vielmehr um Interventionen zur Heilung oder Besserung eines Gesundheitszustandes und damit um Leistungen, die in den Bereich der Krankenversicherung fielen. Dies zeige sich im Übrigen auch daran, dass die angeregten Unterstützungen nur von Personen erbracht werden könnten, die eine besondere sozialpädagogische und sozialpsychiatrische/ psychologische Kompetenz und Ausbildung ausweisen. Die Mutter als Pflegeperson des Klägers im Sinne vom SGB XI könne dies nicht leisten. Der Kläger sei danach im Bereich der Körperpflege und der Mobilität deutlich weniger auf Hilfe angewiesen und die Beklagte zur Aufhebung ihrer Bewilligung gemäß § 48 SGB X berechtigt gewesen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 3. Mai 2012 zugestellte Urteil hat er am 4. Juni 2012 (einem Montag) Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Das Sozialgericht komme fehlerhaft zu der Überzeugung, die Voraussetzungen der Pflegestufe I seien nicht mehr erfüllt. Tatsächlich habe der Kläger täglich noch einen Hilfebedarf von mindestens 90 Minuten. Der Kläger benötige bei der Ganzkörperwäsche und beim Baden Teilhilfen bzw. es müssten diese Verrichtungen vollständig übernommen werden, weil der Kläger hierzu nicht in der Lage sei. Allein hierfür sei ein Hilfebedarf von täglich insgesamt mindestens 70 Minuten erforderlich. Beim An- und Auskleiden benötige er täglich 45 Minuten Hilfe. Im Bereich der Mobilität und der Nahrungsaufnahme, insbesondere bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, habe er zudem einen Hilfebedarf von täglich 165 Minuten.
Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger einen Behandlungsbericht der C vom 31. Juli 2013 zu den Gerichtsakten gereicht. Aus diesem Befundbericht ergibt sich, dass sich nach einer Brillenneuverordnung das Sehen des Klägers deutlich gebessert habe und nach den Angaben des Vaters des Klägers sich auch sein Gangbild gebessert habe. Er bräuchte Hilfe im Verkehr und hätte einen Einzelfallhelfer für 48 Stunden im Monat. Seit drei Monaten könne er allein mit der BVG zur Schule fahren, er könne Dreiradfahren und Tischtennis spielen und sei bis vor kurzem in einem Sehbehindertensegelclub aktiv gewesen. Seit 2013 erhalte er von der Beklagten Leistungen wegen eingeschränkter Alltagskompetenz, die zum 1. Januar 2017 in Leistungen nach dem Pflegegrad 2 überführt worden seien.
Das Landessozialgericht hat vergeblich versucht, von dem Sachverständigen Dr. med. B-H eine ergänzende Stellungnahme zu erlangen; dieser ist in die Schweiz verzogen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. März 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist zulässig. Sie ist ohne Zulassung nach § 144 Abs.1 S. 2 SGG statthaft, weil die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage gegen den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 9. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2009 ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Beklagte hat zu Recht die ursprünglich ab dem 1. März 2003 erfolgte Bewilligung von Pflegegeld für den Kläger nach der Pflegestufe I mit Ablauf des 31. Juli 2009 gemäß § 48 SGB X aufgehoben. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Der ursprüngliche Bescheid der Beklagten über die unbefristete Bewilligung von Pflegegeld ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, denn dieser Verwaltungsakt erschöpfte sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage, sondern begründete oder veränderte inhaltlich ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis (u.a. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R - zitiert nach juris).
Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X liegt dann vor, wenn die Behörde unter nunmehr objektiv gegebenen Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2016, § 48 SGB X Rz. 13 ff. m.w.N.). Maßgeblich für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der "wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen" sind die Verhältnisse, die der ursprünglichen Bewilligung des Pflegegeldes zu Grunde gelegen haben, die mit jenen Verhältnissen zu vergleichen sind, die zur Entziehung der Leistung geführt haben. Eine eventuell später erneut eintretende Änderung (bspw. erneute Verschlechterung des Gesundheitszustandes) ist demgegenüber für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung unerheblich.
Für die Frage, ob eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen vorliegt, ist zudem auf das materielle der Bewilligung und auch der Entziehung der Leistung zugrunde liegende Recht abzustellen. Dies richtet sich vorliegend hinsichtlich der Bewilligung von Pflegegeld und dessen Entziehung noch nach dem vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 2016 geltenden und hier anzuwendenden Fassungen des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz - PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014 - im Folgenden: a.F.). Die Feststellung des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung erfolgt jeweils auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechts. Der Erwerb einer Anspruchsberechtigung auf Leistungen der Pflegeversicherung richtet sich ebenfalls nach dem zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht (§ 140 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung vom 21. Dezember 2015).
Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens sind damit eventuelle später entstandene Ansprüche des Klägers insbesondere auf Leistungen der Pflegekasse nach der Rechtsänderung im SGB XI zum 1. Januar 2017. Denn über solche eventuellen Ansprüche liegt weder eine überprüfbare und streitgegenständliche Verwaltungsentscheidung noch eine Entscheidung des Sozialgerichts vor.
Nach diesen Grundsätzen ist der angegriffene Bescheid der Beklagten als rechtmäßig anzusehen. Der Kläger hatte jedenfalls zum Zeitpunkt der Leistungsaufhebung keinen Anspruch mehr auf Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe I, weil die Voraussetzungen für diesen Anspruch nicht mehr vorgelegen haben.
Gemäß § 36 ff. SGB XI haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Diese erhalten Sie auf Antrag (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB XI) ab Antragstellung, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (§ 33 Absatz 1 S. 2 SGB XI).
Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichen oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen (§ 14 Abs. 1 SGB XI a.F.).
Gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. sind gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1
1. Im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige aufstehen und Zu- Bett- Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und wieder Aufsuchen der Wohnung, 4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Nach § 15 Abs. 1 SGB XI in der Fassung bis zum 31. Dezember 2016 (im Folgenden: a.F.) sind für die Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz pflegebedürftige Personen (§ 14) einer der folgenden drei Pflegestufen zuzuordnen:
1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
Schließlich muss nach § 15 Abs. 3 SGB XI a.F. der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt
1. In der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen,
2. in der Pflegestufe II mindestens 3 Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen,
3. in der Pflegestufe III mindestens 5 Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen.
Nach diesen Regelungen hat die Beklagte rechtlich einwandfrei die ursprünglich mit Bescheid vom 16. September 2003 aufgrund des MDK Gutachtens vom 16. Juni 2003 ab dem 1. März 2003 bewilligten Leistungen der Pflegestufe I mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 9. Juli 2009 gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft ab dem 1. August 2009 unter Berücksichtigung des nunmehrigen neuen MDK Gutachtens vom 5. Juni 2009 aufgehoben.
Der Kläger hat zumindest ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch mehr auf die begehrten Leistungen zur Pflegestufe I, weil eine erhebliche Pflegebedürftigkeit im Sinne von § 15 SGB XI a.F. nicht mehr festgestellt werden kann.
Nach den Feststellungen des MDK im Gutachten vom 5. Juni 2009 wie auch denen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Frau Dr. med. H in ihrem Gutachten vom 2. August 2010 konnte bei dem Kläger allein im Hinblick auf die körperlichen Leiden überhaupt kein täglicher Pflegebedarf mehr festgestellt werden. Zwar bestehe noch eine mäßige Gangunsicherheit und eine leichte Behinderung im Bereich der Feingriffe, gleichwohl sei der Kläger aber in der Lage, sämtliche Handlungen ohne fremde Hilfe auszuführen. Die Behinderung im Bereich der Augen sei durch die Brille gut korrigiert, so dass der Kläger auch hier nicht wesentlich beeinträchtigt sei. Insgesamt sei festzustellen, dass der Kläger rein aufgrund der körperlichen Erkrankungen in der Lage sei, alle Punkte der Grundpflege adäquat einem sonstigen gesunden Zwölfjährigen auszuführen. Es seien allenfalls noch kleine Hinweise in Bezug auf die Kleidung notwendig, gegebenenfalls ein Pausenbrot für die Schule zuzubereiten und an Handlungen wie Waschen und Zähneputzen zu erinnern. Ansonsten sei der Kläger zu den Verrichtungen des täglichen Lebens vollkommen alleine in der Lage, auch wenn leichte körperliche Einschränkungen bestehen.
Diese Feststellungen hat der weitere medizinische Sachverständige, Herr Dr. med. B-H, in seinem Gutachten vom 17. Januar 2011 bestätigt. Dort hat er auf die Fragen der Beweisanordnung zu den Ziffern 4a bis 8c hinsichtlich des Hilfebedarfes durchweg auf das Vorgutachten von Frau Dr. H verwiesen und sich somit der Einschätzung dieser Sachverständigen hinsichtlich eines nicht mehr bestehenden Hilfebedarfes im Sinne des SGB XI angeschlossen.
Soweit der Sachverständige Dr. med. B-H in seinem Gutachten darauf hingewiesen hat, es sei allerdings ein therapeutischer Bedarf dahingehend zu sehen, dass nach einer eingehenden teilstationären Diagnostik an eine Familientherapie mit kultursensiblem Hintergrund unter Einbeziehung des jetzigen Familienhelfers zu denken sei; der Kläger benötige einen regelmäßigen Begleiter, der die Ressourcen und Fähigkeiten kenne und jeweils neu erkenne und dementsprechend dem Kläger eine sozialpädagogische orientierte Kombination aus Forderung und Förderung zukommen ließe, fällt dies nicht in den Bereich des SGB XI. Hierzu hat das Sozialgericht in der angegriffenen Entscheidung bereits umfangreich und zutreffend ausgeführt; der Senat verweist gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf diese Ausführungen und sieht von einer erneuten Darstellung ab.
Selbst wenn im Übrigen von einem Hilfebedarf im Bereich des SGB XI ausgegangen würde, der aus den Verhaltensauffälligkeiten resultiert, würde ein solcher Hilfebedarf nicht in dem Umfang der Pflegestufe I nach § 15 SGB XI a.F. nachgewiesen sein. Selbst wenn von dem Hilfebedarf ausgegangen würde, den der MDK im Verwaltungsverfahren im Umfang von 25 Minuten/täglich im Bereich der Grundpflege und 35 Minuten/täglich im Bereich der Hauswirtschaft festgestellt hat; erfüllt dies nicht die Voraussetzungen für die Pflegestufe I mit allein mindestens 45 Minuten/täglich in der Grundpflege.
Die im Berufungsverfahren vorgetragene Selbsteinschätzung des Klägers von einem Hilfebedarf zum An- und Auskleiden in einem täglichen Umfang von mindestens 45 Minuten, zum Waschen in einem täglichen Umfang von mindestens 70 Minuten und zur Nahrungsaufnahme in einem täglichen Umfang von 165 Minuten, insgesamt mithin 280 Minuten allein in der Grundpflege, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar. Zum einen würde sie dazu führen, dass dann wohl sogar die Voraussetzungen für die Pflegestufe III als erfüllt anzusehen wären, obwohl der Kläger selbständig beispielsweise am Schulunterricht teilnimmt und Segelsport betrieben hat. Zum anderen müsste eine deutliche Verschlechterung gegenüber der ehemals festgestellten Pflegestufe I eingetreten sein, obwohl nach den Gutachten und eingereichten medizinischen Unterlagen selbst der Einzelfallhelfer, der Vater des Klägers und auch der Kläger selbst wohl mit zunehmendem Alter auch eine zunehmende Selbstständigkeit und eine abnehmende Hilfebedürftigkeit festgestellt haben. Anzumerken ist hier zudem, dass bei dem im Jahre 2003 fünfjährigen Kläger auch nur ein Hilfebedarf festgestellt wurde im Umfang von 56 Minuten/täglich in der Grundpflege, der mithin schon damals nicht erheblich über den für die Pflegestufe I notwendigen 45 Minuten/täglich lag. Ohne eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands, die nicht einmal vom Kläger behauptet wird, ist eine Selbsteinschätzung eines Hilfebedarfs von 280 Minuten/täglich für ein elfjähriges Kind damit schon in sich widersprüchlich. Danach konnten weder die gerichtlich bestellten Sachverständigen noch der im Verwaltungsverfahren beauftragte MDK die Angaben der Kläger zum Pflegeaufwand bestätigen. Vielmehr gelangten alle zu einem täglichen Pflegebedarf in der Grundpflege, der nur noch unter den Voraussetzungen der Pflegestufe I liegt.
Insgesamt ist danach festzustellen, dass letztlich alle Gutachter bei der Kläger seit der ursprünglichen Bewilligung im Jahre 2003 eine erhebliche Verbesserung der Eigenständigkeit mit einer einhergehenden Reduktion der Hilfebedürftigkeit feststellen konnten und deshalb von einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit Erlass des Bewilligungsbescheides aus dem Jahre 2003 auszugehen ist. Diese Änderung ist auch nachvollziehbar auf einen stattgefundenen Reifeprozess des Klägers zurückzuführen; es entspricht der Lebenserfahrung und ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar, dass Kinder im Alter zwischen dem fünften und dem elften Lebensjahr eine Entwicklung durchlaufen, die zur Steigerung der Eigenständigkeit auch bei Verrichtungen des täglichen Lebens und damit entsprechend zu einer Reduktion des Hilfebedarfes bei regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen des täglichen Lebens im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI führt.
Auch eine Gewährung von Leistungen wegen eingeschränkter Alltagskompetenz nach §§ 45a f. SGB XI a.F. ab 2013 führt schon deshalb nicht zu einer anderen Einschätzung, weil zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Aufhebung nach § 48 SGB X auf den Zeitpunkt der Änderung, hier den 1. August 2009, abzustellen ist und spätere erneute Änderungen hierfür unerheblich sind.
Danach hat die Beklagte gemäß § 48 SGB X die Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft ab dem 1. August 2009 zu Recht aufgehoben, weil ein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach der Pflegestufe I zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ersichtlich war. Ein Hilfebedarf von mindestens 45 Minuten für die Grundpflege im Tagesdurchschnitt konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr festgestellt werden (§ 15 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XI a.F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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