L 5 AS 1357/17 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 114 AS 7971/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1357/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen gem. § 2 Abs. 3 S 1 Nr. 2 FreizügG/EU das Recht nach § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1 FreizügG/EU unberührt bleibt.

Zu der Frage, ob dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gem. § 41a Abs. 7 S 1 Nr. 1 SGB II eingeräumte Ermessen aufgrund des existenzsichernden Charakters der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf Null reduziert ist.

Zum Verhältnis zwischen Anordnungsgrund und Arbeitsbemühungen.
Die unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1357/17 B ER registrierte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Auf die unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1358/17 B ER PKH registrierte Beschwerde hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2017 hinsichtlich der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch der Antragstellerin geändert. Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht und für das unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1357/17 B ER registrierte Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, beigeordnet.

Gründe:

Die unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1357/17 B ER registrierte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtete Antrag der Antragstellerin (mit dem sie ab dem 20. Juni 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ‹SGB II›, hilfsweise Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch ‹SGB XII› "in gesetzlicher Höhe" begehrt) ist zulässig, jedoch weder gegenüber dem Antragsgegner noch gegenüber dem Beigeladenen begründet.

Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht (§ 86b Abs. 2 Satz 2, 4 Sozialgerichtsgesetz ‹SGG› in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung ‹ZPO›).

Die Antragstellerin (eine erwerbsfähige, 1976 in Brasilien geborene, spanische Staatsbürgerin, die seit dem 2. Februar 2014 in der Bundesrepublik Deutschland lebt ‹vgl. Bl. 6, 8 der Akten des Antragsgegners›) ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) SGB II in der seit dem 29. Dezember 2016 gültigen Fassung des "Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" vom 22. Dezember 2016 (Bundesgesetzblatt 2016 Teil I S. 3155) – an dessen Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht der Senat keinen Zweifel hegt (vgl. dazu die Stellungnahmen der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales gehörten Sachverständigen F W D und B H ‹Ausschussdrucksache 18(11)827 S. 7 – 10, 22 – 25›; Ulmer, ZRP 2016, 224 – 226; Landessozialgericht ‹LSG› Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17. März 2016, L 9 AS 1580/15 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 14. April 2016, L 4 AS 76/16 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER; Sozialgericht ‹SG› Dresden, Beschluss vom 24. November 2016, S 32 AS 4260/16 ER; SG Dortmund, Beschluss vom 31. Januar 2017, S 62 SO 628/16 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017, L 23 SO 30/17 B ER; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 7. März 2017, S 31 AS 370/17 ER; vgl. auch: Bundessozialgericht ‹BSG›, Urteil vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016, B 14 AS 35/15 R) – von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Sie hat kein Aufenthaltsrecht. Sie ist insbesondere nicht nach § 2 Abs. 1, 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt.

Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU erfüllt sie nicht. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU sind Unionsbürger, die sich – wie die Antragstellerin – seit mehr als sechs Monaten in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, nur solange freizügigkeitsberechtigt, wie sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Die Meldung beim Arbeitsamt und die Wahrnehmung sämtlicher von dort angebotener Vermittlungen genügen nicht, um als Arbeitssuchender zu gelten. Daneben bedarf es vielmehr intensiver Eigeninitiativen. Die Stellensuche muss im Einzelnen in nachprüfbarer Weise dokumentiert werden. Dazu gehört auch die Vorlage von Bewerbungs- und Antwortschreiben (vgl. Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 2 FreizügG/EU Rn. 63; Verwaltungsgericht ‹VG› Darmstadt, Urteil vom 1. Dezember 2016, 5 K 475/15.DA; vgl. auch Ziffer 47 der Schlussanträge des Generalanwalts C O L vom 14. Januar 1987 in der Rechtssache 316/85: "Erforderlich ist also zweifellos, dass sich eine entsprechende Absicht durch ein bestimmtes Verhalten konkretisiert, die Arbeitssuche also belegt wird durch Eintragungen beim Arbeitsamt, Besuche bei Unternehmen oder die Veröffentlichung von Zeitungsanzeigen."). Ob ein Unionsbürger begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, ist im Einzelfall unter Auswertung aller verfügbaren Informationen zu auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Eignungen, Vorbildungen und sprachlichen Fertigkeiten, der aktuellen Beschaffenheit des für die jeweilige Person in Betracht kommenden Arbeitsmarktes, schließlich auch der Art und Intensität der unternommenen Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes zu prüfen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Juli 2015, L 19 AS 931/15 B ER).

Die Antragstellerin hat sich seit dem 1. April 2017 nur sieben Mal (vergeblich) um Arbeit bemüht (vgl. Bl. 73 der Akten des Gerichts). Obgleich ihr gemäß § 10 Abs. 1 SGB II im Grundsatz jede Arbeit zumutbar ist, hat sie sich zudem nur als "Assistentin Buchhaltung oder Mitarbeiterin Verwaltungsabteilung" beworben (vgl. Bl. 73 der Akten des Gerichts). Auch wenn Berücksichtigung findet, dass sie Akademikerin (Studium der Betriebswirtschaftslehre) ist (vgl. Bl. 71 – 72 der Akten des Gerichts), dass sie bemüht ist, die deutsche Sprache zu erlernen (vgl. Bl. 70, 74 der Akten des Gerichts) und dass sie sowohl im Ausland, als auch in der Bundesrepublik Deutschland bereits mehrfach beschäftigt war (vgl. Bl. 68 – 69, 86 der Akten des Gerichts), so reichen doch diese wenigen Bewerbungen – mit Blick auf die Tatsache, dass sie sich seit dreieinhalb Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und sie in diesen dreieinhalb Jahren nicht in dem von ihr erlernten Beruf tätig war – nicht hin, die Annahme zu rechtfertigen, dass sie ernsthaft und nachhaltig Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden (insbesondere als "Assistentin Buchhaltung oder Mitarbeiterin Verwaltungsabteilung").

Auf § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Die Beschäftigung, die sie zuletzt (befristet vom 1. November 2015 bis zum 15. April 2016 für die "T gemeinnützige Beschäftigungs- und Qualifizierungs mbH") ausgeübt und die sie unfreiwillig aufgegeben hat (vgl. 146 – 147, 173 der Akten des Antragsgegners), hat vor mehr als sechs Monaten geendet.

Auf § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU kann sich die Antragstellerin ebenfalls nicht berufen. Zwar war sie für mehr als ein Jahr (vom 14. April 2014 bis zum 30. Juni 2015) bei Herrn M H (ehemals Inhaber des Restaurants "N B") als Servicekraft geringfügig beschäftigt (vgl. Bl. 6, 13, 16 – 16 R der Akten des Gerichts). Es ist jedoch nicht glaubhaft, dass sie nach dem Ende dieser Beschäftigung unfreiwillig arbeitslos war, also die Gründe, die zur Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses geführt haben, nicht zu vertreten hat (vgl. zu den Voraussetzungen, unter denen nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU Arbeitslosigkeit unfreiwillig eintritt: Ziffer 2.3.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU; Oberverwaltungsgericht ‹OVG› Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. Juni 2014, 4 LB 22/13; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 2 FreizügG/EU Rn. 104; Tewocht, in: Beck scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1. Februar 2017, § 2 FreizügG/EU Rn. 49). An der "Echtheit" des von ihr vorgelegten, auf den 15. Juni 2015 datierten Schreibens – das mit den Worten "Kündigung des Arbeitsverhältnisses" überschrieben ist, das als Unterschrift ein Handzeichen (Paraphe) trägt, das aus nur einem Buchstaben besteht ("H"), und in dem es heißt, dass Herr H "aus wirtschaftlichen Gründen" den mit der Antragstellerin am 14. April 2014 begründeten Arbeitsvertrag "fristlos" kündige und das Arbeitsverhältnis am 30. Juni 2015 ende (vgl. Bl. 6 der Akten des Gerichts) – bestehen gravierende Zweifel. Denn in dem "Arbeitszeugnis", das Herr H der Antragstellerin am 30. Juni 2015 ausgestellt hat, heißt es abschließend (vgl. Bl. 13 der Akten des Gerichts): "Frau D D verlässt uns auf eigenen Wunsch, um sich beruflich neu zu orientieren." Tatsächlich hat die Antragstellerin seit dem 1. Juli 2015 nicht mehr in der Gastronomie gearbeitet und sich – soweit ersichtlich – auch nicht um Arbeit in der Gastronomie beworben. Zudem: Herr H hat sowohl das Arbeitszeugnis, das er der Antragstellerin ausgestellt hat, als auch den mit der Antragstellerin geschlossenen Arbeitsvertrag mit seinem vollen Namen unterzeichnet (vgl. Bl. 13, 16 R der Akten des Gerichts). Gleiches gilt für den "Anhang Anstellungsvertrag für geringfügig Beschäftigte" vom 1. Januar 2015 (vgl. Bl. 115 der Akten des Antragsgegners). Ein Grund, weshalb er die von der Antragstellerin vorgelegte Kündigungserklärung nur mit einem Handzeichen unterzeichnet haben soll, ist nicht ersichtlich, zumal in § 7 des zwischen ihm und der Antragstellerin geschlossenen Arbeitsvertrags vereinbart war, dass "jede Kündigung [ ] zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform" bedürfe (vgl. Bl. 16 R der Akten des Gerichts), und eine Kündigungserklärung, die lediglich ein notariell nicht beglaubigtes Handzeichen trägt, weder der in § 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 126 Abs. 1 BGB angeordneten noch der durch Rechtsgeschäft bestimmten Schriftform genügt (vgl. Bundesarbeitsgericht ‹BAG›, Urteil vom 24. Januar 2008, 6 AZR 519/07). Zu beachten ist überdies, dass die Paraphe, die das Schreiben vom 15. Juni 2015 trägt (vgl. Bl. 6 der Akten des Gerichts), kaum Ähnlichkeiten mit dem Anfangsbuchstaben der Unterschriften aufweist, die Herr H auf dem mit der Antragstellerin geschlossenen Arbeitsvertrag, auf dem "Anhang Anstellungsvertrag für geringfügig Beschäftigte" und auf dem der Antragstellerin ausgestellten Arbeitszeugnis geleistet hat (vgl. Bl. 13, 16 R der Akten des Gerichts, Bl. 115 der Akten des Antragsgegners). Zu beachten ist ferner, dass das Schreiben vom 15. Juni 2015 in sich widersprüchlich ist ("Die Kündigung erfolgt fristlos ‹sic: also zum 15. Juli 2015› und das Arbeitsverhältnis endet am 30.06.2015."). Die Behauptung der Antragstellerin, das Wort "fristlos" sei ein offensichtlicher Fehler (vgl. Bl. 2 R der Akten des Gerichts), überzeugt nicht, da eine "ordentliche" Kündigung des mit Herrn H geschlossenen Arbeitsvertrages am 15. Juni 2015 gemäß § 622 Abs. 1 BGB (dessen Anwendbarkeit in § 7 des zwischen der Antragstellerin und Herrn H geschlossenen Arbeitsvertrages vereinbart war ‹vgl. Bl. 16 R der Akten des Gerichts›) nur zum 15. Juli 2015 hätte erklärt werden können.

Ob die Worte "nach mehr als einem Jahr Tätigkeit", die § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU enthält, voraussetzen, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ein Jahr lang ununterbrochen gewährt hat (so OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2015, 12 B 312/15; Epe, in: GK-Aufenthaltsgesetz, § 2 FreizügG/EU Rn. 122; Hailbronner, Ausländerrecht, D 1, § 2 FreizügG/ EU Rn. 85) oder ob sie es genügen lassen, dass mehrere verschiedene (selbständige oder unselbständige), aneinander anschließende (so Ziffer 2.3.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU des Bundesministerium des Innern vom 3. Februar 2016; Bayrisches LSG, Beschluss vom 20. Juni 2016, L 16 AS 284/16 B ER) oder gar durch Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochene (so die Ansicht der Antragstellerin ‹vgl. Bl. 38 R, 94 der Akten des Gerichts›; so auch: SG Düsseldorf, Urteil vom 31. März 2016, S 18 AS 4381/15; dazu: BSG, Urteil vom 13. Juli 2017, B 4 AS 17/16 R; so auch: Oberhäuser, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 2 FreizügG/EU Rn. 38; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. März 2016, L 2 AS 225/16 B ER; SG Chemnitz, Beschluss vom 14. März 2017, S 26 AS 405/17 ER) Tätigkeiten zusammengerechnet mehr als ein Jahr gedauert haben, ist umstritten. Vorzugswürdig erscheint die zweite der genannten Auffassungen (die es genügen lässt, dass mehrere verschiedene ‹selbständige oder unselbständige›, aneinander anschließende Tätigkeiten zusammengerechnet mehr als ein Jahr gewährt haben). Doch selbst wenn die zuletzt genannte Auffassung vorzugswürdig wäre, könnte sich die Antragstellerin auf § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU nicht berufen. Diese Ansicht nämlich setzt voraus, dass die Zeiten der Arbeitslosigkeit (die die Tätigkeiten trennen, die zusammengerechnet werden sollen) nur kurz währten (in dem vom Sozialgericht Düsseldorf mit Urteil vom 31. März 2016 ‹S 18 AS 4381/15› und vom Bundessozialgericht mit Urteil vom 13. Juli 2017 ‹B 4 AS 17/16 R› entschiedenen Fall waren es zwei Wochen; in dem vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 14. März 2016 ‹L 2 AS 225/16 B ER› entschiedenen Fall waren waren es sechs Wochen; hier liegt zwischen den von der Klägerin vom 14. April 2014 bis zum 30. Juni 2015 für Herrn H und vom 1. November 2015 bis zum 15. April 2016 für die "T gemeinnützige Beschäftigungs- und Qualifizierungs mbH" ausgeübten Tätigkeiten ein Zeitraum von vier Monaten) und dass diese Zeiten (der Arbeitslosigkeit, die die zusammenzurechnenden Tätigkeiten trennen) Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit sind (daran fehlt es hier ‹siehe oben›) (vgl. den Leitsatz des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom Urteil vom 31. März 2016 ‹S 18 AS 4381/15› ‹Hervorhebung nicht im Original›: "Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 findet keine Anwendung auf einen Unionsbürger, der vor Eintritt unfreiwilliger Arbeitslosigkeit im Inland zwei befristete Beschäftigungsverhältnisse als Arbeitnehmer hatte, die zwar jeweils nicht zu einer Beschäftigungsdauer von mehr als einem Jahr iS des § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 FreizügG/EU 2004 geführt haben und sich nicht nahtlos, sondern erst nach sechzehn Tagen aneinander anschlossen, aber deren Beschäftigungszeiten insgesamt mehr als ein Jahr betragen.").

Im Einzelnen:

Der Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU ist offen. Die Worte "nach mehr als einem Jahr Tätigkeit" lassen sowohl die Auslegung zu, dass zwölf Kalendermonate, als auch die Auslegung, dass zwölf Beschäftigungsmonate gemeint sind (vgl. Oberhäuser, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 2 FreizügG/EU Rn. 38). Auch die Systematik des FreizügG/EU führt zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis. Zwar enthält § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU – anders als § 4a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU – nicht die Worte "ständig" oder "ununterbrochen". Die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU gibt indes keinen Hinweis darauf, dass die Worte "ständig" oder "ununterbrochen" in § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU mit Bedacht, in Abgrenzung zu § 4a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU, weggelassen wurden. Sie deutet vielmehr darauf hin, dass die Worte "nach mehr als einem Jahr Tätigkeit" zwölf (ununterbrochene) Kalendermonate bedeuten.

§ 2 Abs. 3 FreizügG/EU erhielt seine bis heute gültige Fassung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (Bundesgesetzblatt 2007 Teil I S. 1970). Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es (Bundestags-Drucksache 16/5065 S. 208), die Neufassung des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU setze Art. 7 Abs. 3 der "Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/ EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG" (RL 2004/38/EG) um.

Nach Art. 7 Abs. 3 Buchstabe b RL 2004/38/EG bleibt dem Unionsbürger, "der seine E-werbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger nicht mehr ausübt", und der "sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung" stellt "für die Zwecke des [Art. 7] Abs. 1 Buchstabe a" die "Erwerbstätigeneigenschaft" erhalten. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a RL 2004/38/EG hat "jeder Unionsbürger das "Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist".

Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38/EG geht zurück auf den von der Kommission am 29. Juni 2001 vorgelegten "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten" (Amtsblatt der Europäischen Union ‹ABl.› Nr. 270 E vom 25. September 2001, S. 150 – 160). Dieser sah vor:

"KAPITEL III
RECHT AUF AUFENTHALT WÄHREND MEHR ALS SECHS MONATEN

Artikel 7
Ausübungsbedingungen
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich für einen Zeitraum von über sechs Monaten in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten, wenn er

a) eine abhängige oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel in solcher Höhe verfügt, dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen einen Krankenversicherungsschutz genießen, der im Aufnahmemitgliedstaat alle Risiken abdeckt, oder

c) ein zwecks beruflicher Bildung zugelassener Student ist;

d) Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der die Bedingungen nach Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.

(2) Das Aufenthaltsrecht wird auf Familienangehörige eines Unionsbürgers ausgedehnt, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, wenn sie den betreffenden Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, sofern dieser die Bedingungen nach Absatz 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.

Artikel 8
Formalitäten für Unionsbürger

(1) Für Aufenthalte von über sechs Monaten kann der Aufnahmemitgliedstaat den Unionsbürgern auferlegen, sich bei den zuständigen Behörden anzumelden.

(2) Die für die Anmeldung vorgesehene Frist muss mindestens sechs Monate ab dem Zeitpunkt der Einreise betragen. Das Aufenthaltsrecht wird durch die unverzügliche Ausstellung einer Anmeldebescheinigung festgestellt, in der Name und Anschrift der betreffenden Person sowie der Zeitpunkt der Anmeldung angegeben werden. [ ]

(3) - (6) [ ]

(7) Die Anmeldebescheinigung kann dem Arbeitnehmer oder Selbständigen, der seine abhängige oder selbständige Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, nicht verweigert werden, wenn:

a) er wegen einer Krankheit oder Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist, oder

b) er sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt, oder
c) er sich bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge des Ablaufs seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten; hat er Anspruch auf eine Arbeitslosenleistung, bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten, bis der Anspruch erlischt; oder
d) er eine Berufsausbildung beginnt; die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft setzt voraus, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betreffende hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren."

Bereits ein Vergleich zwischen Art. 8 Abs. 7 Buchstabe c) dieses Entwurfs und Art. 8 Abs. 7 Buchstabe b) dieses Entwurfs zeigt, dass Art. 8 Abs. 7 Buchstabe b) dieses Entwurfs nur Arbeitnehmer erfasste, die eine unbefristete oder eine auf mehr als ein Jahr befristete (also ununterbrochene) Beschäftigung unfreiwillig verloren hatten. In der Begründung dieses Entwurfs heißt es zudem, dass Art. 8 Abs. 7 dieses Entwurfs "das Wesentliche einiger Bestimmungen der Richtlinie 68/360/EWG" übernehme und präzisiere (vgl. KOM‹2001› 257 endgültig, S. 14). Die Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur "Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft" bestimmte (soweit hier von Interesse) (ABl. Nr. L 257 vom 19. Oktober 1968, S. 13 – 16):

"Artikel 1

Die Mitgliedstaaten beseitigen nach Maßgabe dieser Richtlinie die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Anwendung findet.

Artikel 4

(1) Die Mitgliedstaaten gewähren den in Artikel 1 genannten Personen, welche die in Absatz 3 aufgeführten Unterlagen vorlegen, das Aufenthaltsrecht in ihrem Hoheitsgebiet.

(2) Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts wird eine Bescheinigung, die ʿAufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWGʾ, erteilt. [ ]

(3) - (4) [ ]

Artikel 6

(1) Die Aufenthaltserlaubnis muß

a) für das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der sie erteilt hat, gelten;

b) eine Gültigkeitsdauer von mindestens 5 Jahren vom Zeitpunkt der Ausstellung an haben und ohne weiteres verlängert werden können.

(2) [ ]

(3) Befindet sich der Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber des Aufnahmestaats oder für Rechnung eines Erbringers von Dienstleistungen in einem Beschäftigungsverhältnis mit einer Dauer von mindestens 3 Monaten und weniger als 1 Jahr, so stellt ihm der Aufnahmemitgliedstaat eine zeitweilige Aufenthaltserlaubnis aus, deren Gültigkeitsdauer auf die voraussichtliche Dauer des Beschäftigungsverhältnisses beschränkt werden kann. [ ].

Artikel 7

(1) Eine gültige Aufenthaltserlaubnis kann einem Arbeitnehmer nicht allein deshalb entzogen werden, weil er keine Beschäftigung mehr hat, sei es, weil er infolge Krankheit oder Unfall vorübergehend arbeitsunfähig ist, sei es, weil er unfreiwillig arbeitslos geworden ist, wenn letzterer Fall vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäß bestätigt wird.

(2) Bei der ersten Verlängerung kann die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis, wenn der Arbeitnehmer im Aufnahmestaat länger als zwölf aufeinanderfolgende Monate unfreiwillig arbeitslos ist, beschränkt werden ; sie darf jedoch zwölf Monate nicht unterschreiten.

Präziser und klarer als diese Bestimmungen sind die Regelungen des "Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit" vom 21. Juni 1999, die die Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreiheit von Unionsbürgern parallel zur Rechtslage in der Europäischen Union regelt (vgl. Epiney/Civitella, Die rechtliche Stellung von Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen in der Schweiz – ein Vergleich ausgewählter Aspekte, S. 4). In Anhang 1 dieses Abkommens heißt es (Hervorhebungen nicht im Original):

"II. Arbeitnehmer

Art. 6 Aufenthaltsregelung

(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist (im Folgenden «Arbeitnehmer» genannt) und mit einem Arbeitgeber des Aufnahmestaates ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von mindestens einem Jahr eingegangen ist, erhält eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis. Diese wird automatisch um mindestens fünf Jahre verlängert. Bei der ersten Verlängerung kann die Gültigkeitsdauer beschränkt werden, wenn der Inhaber seit mehr als zwölf aufeinander folgenden Monaten unfreiwillig arbeitslos ist; sie darf jedoch ein Jahr nicht unterschreiten.

(2) Ein Arbeitnehmer, der mit einem Arbeitgeber des Aufnahmestaates ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von mehr als drei Monaten und weniger als einem Jahr eingegangen ist, erhält eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer, die der Dauer des Arbeitsvertrags entspricht.

Ein Arbeitnehmer, der ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von höchstens drei Monaten hat, benötigt keine Aufenthaltserlaubnis.

(3) – (5) [ ].

(6) Eine gültige Aufenthaltserlaubnis darf dem Arbeitnehmer nicht allein deshalb entzogen werden, weil er keine Beschäftigung mehr hat, entweder weil er infolge von Krankheit oder Unfall vorübergehend arbeitsunfähig ist oder weil er unfreiwillig arbeitslos geworden ist, sofern letzteres vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäss bestätigt wird.

(7) [ ]."

Am 15. April 2003 nahm die Kommission einen "Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten" an. Dieser sah vor (vgl. KOM‹2003› 199 endgültig):

"Artikel 7 Ausübungsbedingungen

1. Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich für einen Zeitraum von über sechs Monaten in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten, wenn er

a) eine abhängige oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt oder Empfänger einer Dienstleistung ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel in solcher Höhe verfügt, dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozial hilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen einen Krankenversicherungsschutz genießen, der im Aufnahmemitgliedstaat alle Risiken abdeckt, oder

c) in einer anerkannten Bildungseinrichtung zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und über eine Krankenversicherung verfügt, die im Aufnahme mitgliedstaat sämtliche Risiken abdeckt, oder

d) Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der die Bedingungen nach Buchstabe a, b oder c erfüllt.
2. Das Aufenthaltsrecht wird auf Familienangehörige eines Unionsbürgers ausgedehnt, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, wenn sie den betreffenden Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, sofern dieser die Bedingungen nach Absatz 1 Buchstabe a, b oder c erfuellt.

2a. Im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a bleibt die Eigenschaft der abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit des Unionsbürgers nach dessen Ausscheiden aus der abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit erhalten, wenn er

a) wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist oder

b) sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt oder

c) sich bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge des Ablaufs seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten; hat er Anspruch auf eine Arbeitslosenleistung, bleibt die Erwerbstätigen eigenschaft erhalten, bis der Anspruch erlischt; oder

d) eine Berufsausbildung beginnt; die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft setzt voraus, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betreffende hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren."

Zur Begründung heißt es in dem geänderten Vorschlag (vgl. KOM‹2003› 199 endgültig S. 6):

"Artikel 7 Absatz 2a (Abänderung 30): Durch die Änderung soll nicht der Wortlaut geändert werden, sondern Artikel 8 Absatz 7 umgestellt werden. Die Bestimmung betrifft die Eigenschaft der Erwerbstätigkeit und nicht eine Verwaltungsformalität; deshalb ist es sinnvoller, sie in Artikel 7 aufzunehmen."

Im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2004, vom Rat festgelegt am 5. Dezember 2003, erhielt Art. 7 folgende, bis heute gültige Fassung (ABl. Nr. C 054 E vom 2. März 2004 S. 12 – 32):

"Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c) - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a), b) oder c) erfuellt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfuellt.

(3) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a) bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nicht mehr ausübt, in folgenden Fällen erhalten:

a) er ist wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig;

b) er stellt sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung;

c) er stellt sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten;

d) er beginnt eine Berufsausbildung; die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft setzt voraus, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(4) [ ].

Aus welchen Gründen in Art. 7 Abs. 3 Buchstabe b) die Worte "nach mehr als einjähriger Beschäftigung" und in Art. 7 Abs 3 Buchstabe c) die Worte "oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit" aufgenommen wurden, ist nicht dokumentiert. In der Begründung des Standpunkts wird lediglich ausgeführt, warum in Art. 7 Abs. 3 Buchstabe c) die Worte "hat er Anspruch auf eine Arbeitslosenleistung, bleibt die Erwerbstätigen erhalten, bis der Anspruch erlischt" gestrichen wurden (laut Ratsdokument 6147/03 vom 7. Februar 2003, S. 19 Fußnote 33, hatte die deutsche Delegation gegen diese Formulierung einen Vorbehalt angemeldet, da "bestimmte Leistungen bei Arbeitslosigkeit unbefristet bezogen werden" könnten); vollständig lautet die Begründung (ABl. Nr. C 054 E vom 2. März 2004 S. 26)

"Abänderung 30 (Artikel 7 Absatz 3): Diese Abänderung bringt keine Änderungen am Text, sondern lediglich eine Neuplatzierung des Artikels 8 Absatz 7 mit sich und ist in den Gemeinsamen Standpunkt übernommen worden. Der Rat hat jedoch den Wortlaut des Buchstabens c) geändert, um zu präzisieren, dass in diesem besonderen Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten bleibt."

Dem Ratsdokument 12218/03 vom 5. September 2003 (vgl. dort S. 3, 21) ist zwar zu entnehmen, dass die Worte "nach mehr als einjähriger Beschäftigung" in Art. 7 Abs. 3 Buchstabe b) und die Worte "oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit" in Art. 7 Abs 3 Buchstabe c) vermutlich aufgrund eines Kompromissvorschlags der "Gruppe Freizügigkeit" vom 2./3. September 2003 aufgenommen wurden. Dieser Kompromissvorschlag ist jedoch – soweit ersichtlich – nicht dokumentiert (jedenfalls nicht publiziert).

Bemerkenswert indes ist Folgendes:

Am 14. Oktober 1998 legte die Kommission einen "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 68/360/EWG des Rates zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft" vor. In diesem hieß es (ABl. C 344 vom 12. November 1998 S. 12 – 15; Hervorhebung nicht im Original):

"[ ] in Erwägung nachstehender Gründe:

[ ]

(4) Für die Erteilung einer fünfjährigen Aufenthaltserlaubnis sollte die Zusammenrechnung der Aufenthaltszeiten gestattet werden, wenn der Arbeitnehmer während eines ununterbrochenen Aufenthaltes von mehr als 18 Monaten insgesamt länger als ein Jahr in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen gestanden hat; diese Änderung ist wichtig, um vorübergehende Auslandsaufenthalte zu erfassen und der Realität des Arbeitsmarktes in der Gemeinschaft Rechnung zu tragen, die es Arbeitnehmern nicht immer erlaubt, bei ihrer ersten Anstellung gleich einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten.

[ ]

Artikel 1

Die Richtlinie 68/360/EWG wird wie folgt geändert:

[ ]

5. Artikel 6 wird wie folgt geändert:

[ ]

c) In Absatz 3 wird nach Unterabsatz 1 folgender Unterabsatz eingefügt:

ʿHat der Arbeitnehmer nacheinander in verschiedenen befristeten Beschäftigungsverhältnissen gestanden, deren Gesamtdauer zwölf Monate innerhalb eines achtzehn-monatigen Aufenthalts überschreitet, so stellt ihm der Aufnahmemitgliedstaat bei Vorlage einer Einstellungserklärung oder einer Arbeitsbescheinigung auch für eine auf weniger als ein Jahr befristete Beschäftigung eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 aus.ʾ"

Am 1. Oktober 2004 nahm die Kommission diesen Vorschlag zurück (ABl. C 75/10 vom 24. März 2005 in Verbindung mit KOM‹2004› 542 endgültig). Grund hierfür war vermutlich (die Gründe, warum die Kommission den Vorschlag zurückgezogen hat, sind nicht dokumentiert) das Inkrafttreten der RL 2004/38/EG (29. April 2004) (durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG wird die Richtlinie 68/360/EWG aufgehoben). Von Bedeutung ist jedoch, dass dieser Änderungsvorschlag in den Beratungen über die RL 2004/38/EG – soweit ersichtlich – nie Erwähnung gefunden hat. Zweierlei ist denkbar: Der Vorschlag wurde deshalb nie erwähnt, weil in den Beratungen über die RL 2004/38/EG alsbald klar geworden war, dass er sich nicht durchsetzen ließ. Oder er wurde deshalb nie erwähnt, weil Einigkeit bestand, dass dessen Zielsetzung im Vorschlag der Kommission vom 25. September 2001 bereits berücksichtigt worden war. Im zuerst genannten Fall ist dies ein wichtiges Indiz für die Annahme, dass nur durch eine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr Dauer die "Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger" gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchstabe b) RL 2004/38/EG aufrechterhalten werden kann. Im zuletzt genannten Fall bestätigt es die Annahme, dass nur mehrere verschiedene (selbständige oder unselbständige), durch Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit unterbrochene Tätigkeiten, die zusammengerechnet mehr als ein Jahr gewährt haben, die "Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger" gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchstabe b) RL 2004/38/EG aufrechterhalten.

Auf § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II in der seit dem 1. August 2016 gültigen Fassung des "Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht" vom 26. Juli 2016 (Bundesgesetzblatt 2016 Teil I S. 1824) kann die Antragstellerin (entgegen ihrer Auffassung ‹vgl. Bl. 4 – 4 R, 39 R – 40 der Akten des Gerichts›) einen gegen den Antragsgegner gerichteten Anordnungsanspruch nicht stützen. Das dem Antragsgegner eingeräumte Ermessen ("kann") ist nicht auf Null reduziert. Die Auffassung, bereits aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ergebe sich, dass der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende kein Entschließungsermessen habe (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Juni 2014, L 6 AS 980/14 B ER, L 6 AS 981/14 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Mai 2014, L 34 AS 1150/14 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 2015, L 6 AS 2085/14 B ER, L 6 AS 2086/14 B), konnte schon unter der Geltung von § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 gültigen Fassung (a. F.) des "Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch" vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt 2011 Teil I S. 453) nicht überzeugen (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Mai 2017, L 15 AS 62/17 B ER).

Denn leitend bei der Ausübung des nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III eingeräumten Ermessens ist nicht die Höhe des Geldbedarfs oder die Dringlichkeit der Leistungsgewährung (vgl. Wehrhahn, in: Estelmann, SGB II, § 40 Rn. 93; Kallert, in: Gagel, SGB III, § 328 Rn. 58), sondern die Antwort auf die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Bundesverfassungsgericht oder der Gerichtshof der Europäischen Union zu dem Schluss gelangt/gelangen, dass eine Vorschrift des SGB II oder SGB III mit höherrangigem Recht nicht in Einklang steht. § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III dient vorrangig fiskalischen Interessen. Er soll Massenwidersprüche und –klagen, mithin Personal- und Sachkosten (vor al¬lem die Erstattung von Vorverfahrens- und Gerichtskosten gemäß § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ‹SGB X›, § 193 Abs. 1 und 2 SGG) vermeiden helfen. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III.

§ 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III geht zurück auf § 147 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Dieser war Teil des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (Bundesgesetzblatt 1993 Teil I S. 2353), dessen Ziel es war, durch "Kürzungen bei Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und beim Kindergeld/Erziehungsgeld" den Bundeshaushalt zu entlasten (vgl. BT-Drucks. 12/5502 S. 1 f.). Eingefügt wurde § 147 Abs. 1 Satz 1 AFG auf Empfehlung des Haushaltsausschusses (vgl. BT-Drucks. 12/5902 S. 20). In dessen Bericht vom 20. Oktober 1993 heißt es, dass es "in bestimmten Fällen [ ] sinnvoll" sei, "vorläufige Bescheide erlassen zu können, entsprechend gängiger Praxis im Steuerrecht, um nicht mit einer Vielzahl von Rechtsbehelfen konfrontiert werden zu müssen" (vgl. BT-Drucks. 12/5929 S. 9, ‹linke Spalte, dritter Absatz, achte Zeile›). Hinzu kommt: Durch das Gesetz zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens vom 20. Dezember 2008 wurden die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 165 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) – dem § 147 Abs. 1 Satz 1 AFG und § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III nachgebildet wurden (siehe oben) – eine Steuer vorläufig festgesetzt werden kann, ergänzt. Zur Begründung gab der Gesetzgeber an (vgl. BT-Drucks. 16/10188 S. 30): "Nach den in der Verwaltungspraxis gesammelten Erfahrungen kann durch eine auf diese Vorschrift gestützte vorläufige Steuerfestsetzung der Einlegung von Masseneinsprüchen allerdings nur unzureichend begegnet werden, insbesondere dann, wenn eine strittige Frage (wie z. B. die Frage der Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen) sowohl unter verfassungsrechtlichen als auch unter ʿeinfachgesetzlichenʾ Aspekten zu beurteilen ist. Die neue Nummer 4 in § 165 Abs. 1 Satz 2 AO soll eine vorläufige Steuerfestsetzung deshalb auch dann ermöglichen, wenn wegen einer ʿeinfachgesetzlichenʾ Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Bundesfinanzhof anhängig ist."

Jedenfalls mit der Übernahme der Regelung des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III in § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II kann die Auffassung, bereits aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ergebe sich, dass der Träger der Grundsicherung kein Entschließungsermessen habe, nicht mehr überzeugen. Obgleich nämlich der Gesetzgeber um den existenzsichernden Charakter der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II weiß und nicht angenommen werden kann, dass ihm die zu § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a. F. vertretene Auffassung, bereits aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ergebe sich, dass der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende kein Entschließungsermessen habe, unbekannt ist, hat er dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II Ermessen eingeräumt. Zugleich hat er in § 41a Abs. 1 Satz 1 SGB II für die Fälle, in denen zur Feststellung der Voraussetzungen oder der Höhe des Anspruchs auf Geld- oder Sachleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen respektive ein Anspruch auf Geld- und Sachleistungen dem Grunde nach besteht und der Leistungsberechtigte die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat, geregelt, dass über die Erbringung von Leistungen von Amts wegen vorläufig zu entscheiden "ist". Im Gegensatz dazu bestimmt § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 SGB III, dass in den Fällen, in denen zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Leistungsberechtigte die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat, nur "auf Antrag" über die Erbringung von Leistungen vorläufig zu entscheiden "ist".

Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) und Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG gebieten ebenfalls, § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II dahin auszulegen, dass bei der Ausübung des durch diese Vorschrift eingeräumten Ermessens leitend die Antwort auf die Frage ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Bundesverfassungsgericht oder der Gerichtshof der Europäischen Union zu dem Schluss gelangt/gelangen, dass eine Vorschrift des SGB II oder SGB III mit höherrangigem Recht nicht in Einklang steht. Denn aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ergibt sich, dass eine Behörde ein nationales Parlamentsgesetz allenfalls dann nicht anzuwenden braucht, wenn sie nach sorgfältiger Prüfung zu der Überzeugung (nicht: Vermutung) gelangt ist/gelangen musste, dass dieses Gesetzes mit (höherrangigem) nationalem Recht/Europäischem Unionsrecht nicht in Einklang steht (vgl. OVG Saarlouis, Beschluss vom 22. Januar 2007, 3 W 14/06).

Die Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (1 BvL 4/16) über den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Mainz vom 18. April 2016 (S 3 AS 99/14) § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) SGB II nicht weiter angewandt werden kann, ist gering. Nach überwiegender Ansicht steht (stehen) der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (und der des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (vgl. die Stellungnahmen der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales gehörten Sachverständigen F W D und B H ‹Ausschussdrucksache 18(11)827 S. 7 – 10, 22 – 25›; Ulmer, ZRP 2016, 224 – 226; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17. März 2016, L 9 AS 1580/15 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 14. April 2016, L 4 AS 76/16 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER; SG Dresden, Beschluss vom 24. November 2016, S 32 AS 4260/16 ER; SG Dortmund, Beschluss vom 31. Januar 2017, S 62 SO 628/16 ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 13. Februar 2017, L 23 SO 30/17 B ER; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 7. März 2017, S 31 AS 370/17 ER; vgl. auch: Bundessozialgericht ‹BSG›, Urteil vom 16. Dezember 2015, B 14 AS 15/14 R; BSG, Urteil vom 20. Januar 2016, B 14 AS 35/15 R).

Selbst wenn jedoch das dem Antragsgegner über § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II eingeräumte Entschließungsermessen auf Null reduziert wäre, gälte Gleiches nicht für das ihm über § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II eingeräumte Auswahlermessen. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass § 41a Abs. 7 Satz 2 SGB II auf § 41a Abs. 2 Satz 1 SGB II, nicht jedoch auf § 41a Abs. 2 Satz 2, 3 SGB II verweist.

Da die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist und sie auch auf § 41a Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II einen gegen den Antragsgegner gerichteten Anordnungsanspruch nicht stützen kann, kann dahinstehen, ob sie hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II). Hingewiesen sei gleichwohl auf Folgendes: Die Behauptung des Beigeladenen, es sei anzunehmen, dass die Antragstellerin mit ihrem "Vermieter", Herrn F S, in ehelicher Gemeinschaft lebe (vgl. Bl. 87 der Akten des Gerichts), ist keineswegs abwegig. Die Versicherung an Eides statt, die die Antragstellerin am 24. Juli 2017 abgegeben hat und in der es heißt, dass sie (die Antragstellerin) in der Wohnung, unter deren Adresse sie gemeldet sei (E-W-Straße Vorderhaus Etage 2 rechts B ‹vgl. Bl. 6 der Akten des Antragsgegners›), allein lebe und dass sie nicht wisse, wo "der Vermieter Herr F" lebe (vgl. Bl. 96 der Akten des Gerichts), kann nicht überzeugen. Denn ausweislich einer vom Senat eingeholten Auskunft des Berliner Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten ist der am 1981 geborene Herr FS seit dem 27. Juli 2009 ebenfalls unter der Adresse E-W-Straße Vorderhaus Etage 2 rechts, B, gemeldet (vgl. Bl. 99 der Akten des Gerichts). Hinweisen im Internet zufolge ist er als selbständiger Immobilienmakler tätig und betreibt in der E-W-Straße B, ein Büro (vgl. www.immonet.de). Mit Schreiben vom 24. Juli 2014 hatte die Antragstellerin dem Antragsgegner gegenüber erklärt, sie habe Herrn S im Februar 2014 kennengelernt; Herr S habe eine Eigentumswohnung; diese habe damals leer gestanden; die Miete habe sie Herrn S anfangs bar gezahlt (vgl. Bl. 47 der Akten des Antragsgegners). Dem Antragsgegner legte sie einen Mietvertrag vor, in dem Herr S als (Haupt-)Vermieter bezeichnet wird (vgl. Bl. 13 – 15 R der Akten des Antragsgegners). Nunmehr behauptet sie, der "Untervermieter" habe "mündlich angekündigt, den Untervermietvertrag bis lediglich Ende August 2017 weiterlaufen zu lassen" (vgl. Bl. 95 der Akten des Gerichts).

Von den Leistungen des § 23 Abs. 1 SGB XII und den Leistungen des vierten Kapitels des SGB XII ist die Antragstellerin gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der seit dem 29. Dezember 2016 gültigen Fassung des "Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" vom 22. Dezember 2016 (Bundesgesetzblatt 2016 Teil I S. 3155) – an dessen Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht der Senat keinen Zweifel hegt (siehe oben) – ausgeschlossen. Auf Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) (Bundesgesetzblatt 1956 Teil II S. 563) kann sie sich nicht berufen. Zwar bezieht sich der Vorbehalt, den die Bundesregierung am 19. Dezember 2011 gegen dieses – vom Königreich Spanien unterzeichnete und ratifizierte – Abkommen erklärt hat, nur auf die "im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [ ] vorgesehen Leistungen" und auf die "in dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch [ ] vorgesehenen Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten" (Bundesgesetzblatt 2011 Teil II S. 144; Bundesgesetzblatt 2012 Teil 2012 S. 470). Die Antragstellerin hält sich jedoch in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr "erlaubt" (Art. 1 EFA in Verbindung mit Art. 11 EFA) auf. Denn ein "erlaubter" Aufenthalt im Sinne des Art. 1 EFA in Verbindung mit Art. 11 EFA setzt "eine (weiterhin bestehende) materielle Freizügigkeitsberechtigung" voraus (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 59/13 R ‹Hervorhebung nicht im Original›), an der es hier fehlt (siehe oben). Der Senat teilt nicht die Auffassung des 15. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2017, L 15 SO 321/16 B ER), dass die vom Bundessozialgerichts mit Urteil vom 3. Dezember 2015 (B 4 AS 59/13 R) geäußerte Antwort auf die Frage, wann ein Aufenthalt als "erlaubt" im Sinne des Art. 1 EFA in Verbindung mit Art. 11 EFA anzusehen ist, "nicht zwingend" sei und "Fragen aufwerfe".

Selbst wenn die Antragstellerin nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) SGB II von den Leistungen des SGB II und/oder sie nicht nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von den Leistungen des § 23 Abs. 1 SGB XII und den Leistungen des vierten Kapitels des SGB XII ausgeschlossen wäre, müsste der unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1357/17 B ER registrierten Beschwerde der Erfolg versagt werden. Denn jedenfalls einen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin nicht mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§ 86b Abs. 2 Satz 2, 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Ihre unzureichenden Arbeitsbemühungen (siehe oben) sind ihr (auch) im Rahmen der Antwort auf die Frage, ob überwiegend wahrscheinlich ist, dass ihr ohne den Erlass der begehrten einstweiligen wesentliche Nachteile drohen, entgegenzuhalten. Denn der Grundsatz der "Selbstwiderlegung" (in der Regel kein Anordnungsgrund, wenn die drohende oder bereits eingetretene Zwangslage, die durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung abgewendet oder beseitigt werden soll, auf einem selbstverschuldeten, dringlichkeitsschädlichem Tun oder Unterlassen des Antragstellers beruht) ist allgemein gültig (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 940 Rn. 4; Huber in: Musielak, ZPO, 8. Aufl. 2011, § 935 Rn. 13, § 940 Rn. 4, Hintz/Lowe, SGG, 1. Aufl. 2012, § 86b Rn. 135; Meßling, in: Hennig, SGG, Lsbl., § 86b Rn. 164; Frehse, in: Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 86b Rn. 94; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz in Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 132; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Lsbl., § 123 Rn. 87a; Kammergericht ‹KG›, Urteil vom 9. Februar 2001, 5 U 9667/00; KG, Beschluss vom 30. Januar 2014, 22 W 44/13; Oberlandesgericht ‹OLG› Celle, Beschluss vom 9. Juli 2008, 13 U 144/08; VG Bremen, Beschluss vom 6. Juli 2011, 5 V 304/11; Landesarbeitsgericht ‹LArbG› Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Februar 2015, 10 Ta 73/15). Ausdruck dieses Grundsatzes ist die Regel, dass derjenige, der sich nicht mit Nachdruck um Arbeit bemüht und diese Bemühungen nachweist, gemeinhin nicht mit der Behauptung gehört werden kann, dass wesentliche Nachteile zu besorgen sind, wenn die von ihm begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt wird (vgl. Kador, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 2 Rn. 30; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. April 2011, L 5 AS 57/11 B ER).

Ob die Antragstellerin dem Beigeladenen gegenüber einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen (§ 23 Abs. 3 Satz 3, 5, 6 SGB XII) hat, kann dahinstehen. Die Antragstellerin hat der Ansicht des Sozialgerichts, dass diese Leistungen von ihrem Antrag nicht umfasst seien (vgl. Bl. 28 der Akten des Gerichts), nicht widersprochen. Hinzu kommt, dass diese Leistungen im Verhältnis zu dem Anspruch auf laufende Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII einen eigenständigen Streitgegenstand darstellen (vgl. SG Dortmund, Beschluss vom 31. Januar 2017, S 62 SO 628/16 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017, L 23 SO 30/17 B ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG (analog).

Auf die unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1358/17 B ER PKH registrierte Beschwerde hin war mit Rücksicht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. Februar 2017 (1 BvR 2507/16) der Beschluss des Sozialgerichts Berlin hinsichtlich der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuchs der Antragstellerin zu ändern. Der Antragstellerin war sowohl für das Verfahren vor dem Sozialgericht als auch für das unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1357/17 B ER registrierte Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt SLB33B beizuordnen. Zwar ist nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin von Herrn FS finanziell unterstützt wird (siehe oben). Dies steht der Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedoch nicht entgegen, da eine analoge Anwendung von § 1360a Abs. 4 Satz 1 BGB auf nichteheliche Lebensgemeinschaften ausscheidet (vgl. Grandel, in: jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, § 1360a BGB Rn. 34; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. März 1993, 8 WF 41/93; Arbeitsgericht ‹ArbG› Heilbronn, Beschluss vom 16. Mai 2017, 8 Ca 34/17).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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