L 7 SO 1320/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 4159/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1320/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Vermögen im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII können auch Schenkungsrückforderungsansprüche nach § 528 Abs. 1 BGB sein. Unternimmt der Schenker keine Rückforderungsbemühungen, kann er sich nicht darauf berufen, es würde sich bei dem Schenkungsrückforderungsanspruch nicht um bereite Mittel handeln.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. März 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Hilfe zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Die Klägerin ist 1933 geboren. Sie lebt seit Ende des Jahres 2012 im Haus S., einer vollstationären Pflegeeinrichtung. Sie bezieht Renten der Deutschen Rentenversicherung, Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, eine Zusatzrente sowie Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die ungedeckten Pflegekosten belaufen sich auf monatlich ca. 160,00 EUR. Einen ersten Antrag der Klägerin vom 15. November 2012 auf Hilfe zur Pflege nahm sie wegen vorhandenen Vermögens am 14. Januar 2013 zurück.

Die Klägerin hat unter anderem zwei Töchter. Zugunsten der Tochter C. besteht eine von dieser als Versicherungsnehmerin abgeschlossene Lebensversicherung bei der Sparkassenversicherung, auf die (ausschließlich) die Klägerin seit dem 1. August 1997 einen monatlichen Beitrag von 87,64 EUR einzahlt. Der Rückkaufswert betrug zum 31. Dezember 2015 15.017,78 EUR. Zugunsten der Tochter P. besteht eine von dieser als Versicherungsnehmerin abgeschlossene Lebensversicherung bei der Sparkassenversicherung, auf die (ausschließlich) die Klägerin seit dem 1. August 1997 einen monatlichen Beitrag von 56,13 EUR einzahlt. Der Rückkaufswert betrug zum 31. Dezember 2015 8.754,69 EUR. Ein Verwertungsausschluss besteht bei beiden Lebensversicherung nicht.

Die Klägerin beantragte am 23. März 2016 erneut Hilfe zur Pflege. Sie legte unter anderem einen Depotauszug ihres Depots 266253 bei der Sparkasse F.-N. B. vom 31. Dezember 2015 vor, ausweislich dessen sie über Aktien der ...AG mit einem Wert von 9.309,60 EUR verfügt, vor.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 29. April 2016 ab. Die Klägerin habe bei Antragstellung über Vermögen in Höhe von insgesamt 27.379,39 EUR verfügt. Hierzu zählten Rückforderungen aufgrund Schenkung an ihre Töchter. Bei der Übernahme der Beiträge für die Lebensversicherungen handele es sich um Schenkungen. Diese seien gemäß § 528 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurückzufordern, wenn der Schenker außerstande sei, seinen angemessenen Unterhalt selbst zu bestreiten. Bei der Rückforderung der Schenkungen würden die letzten zehn Jahre berücksichtigt. Es ergäben sich somit Rückforderungsansprüche in Höhe von 10.516,80 EUR (zehn Jahre à monatlichen Beitrag von 87,64 EUR) sowie 6.735,60 EUR (zehn Jahre à monatlichen Beitrag von 56,13 EUR). Da beide Lebensversicherungen über genügende Rückkaufswerte verfügten, stehe einer Rückzahlung der geleisteten Schenkung nichts entgegen. Die Vermögensfreigrenze von 2.600,00 EUR werde insgesamt um 24.779,39 EUR überschritten. Es seien keine Gründe bekannt, die einer Verwertung des Vermögens der Klägerin entgegenstünden.

Hiergegen erhob die Klägerin am 30. Mai 2016 Widerspruch, der trotz anwaltlicher Vertretung nicht begründet wurde.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2016 zurück. Mangels Widerspruchsbegründung werde auf die Ausführungen im Bescheid vom 29. April 2016 verwiesen, um Wiederholungen zu vermeiden.

Hiergegen hat die Klägerin am 24. Oktober 2016 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, ohne auch diese zunächst zu begründen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. März 2017 abgewiesen und zur Begründung auf die Begründung des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2016 verwiesen. Die einzelnen Vermögensgegenstände ergäben sich aus der Begründung des Bescheides vom 29. April 2016. Dass diese von der Beklagten fehlerhaft ermittelt oder beziffert worden seien, sei nicht ersichtlich. Auch ergäben sich aus der Verwaltungsakte der Beklagten keine Anhaltspunkte für eine fehlende Verfügungsmacht der Klägerin oder für eine fehlende Verwertbarkeit dieses Vermögens.

Nach Hinausgabe des Gerichtsbescheides zum Zwecke der Zustellung hat die Klägerin am 27. März 2017 eine Klagebegründung beim SG vorgelegt. Ein Vermögen von insgesamt 24.779,39 EUR könne ihr nicht zugeordnet werden. Zu berücksichtigen sei nur tatsächlich vorhandenes Vermögen. Eine Berücksichtigung fiktiven Vermögens sehe das SGB XII nicht vor. Verschenkte Vermögensgegenstände schieden aus dem Vermögen der nachfragenden Person aus. Dies gelte jedoch nicht im Falle der Sittenwidrigkeit der Schenkung. Diese könne vorliegen, wenn Vermögensgegenstände verschenkt oder in anderer Form allein zu dem Zweck auf einen Dritten übertragen würden, um sie dem berechtigten Zugriff des Sozialhilfeträgers zu entziehen. Die Sittenwidrigkeit habe dann nach § 138 BGB nicht nur die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts, sondern auch des grundsätzlich wertneutralen Verfügungsgeschäft zur Folge. Das nicht wirksam übertragene Vermögen bleibe dann Vermögen des Hilfesuchenden. Für eine solche Annahme bestehe aber keine Veranlassung. Ein möglicher Rückforderungsanspruch des Schenkers nach § 528 BGB könne nach § 93 SGB XII übergeleitet werden. Sei die Schenkung nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig, könne bei Vorliegen der Voraussetzung des § 528 BGB der wirtschaftliche Wert des Rückforderungsanspruchs des vorhandenen Schenkers zu berücksichtigen sein. Die Rückforderung nach § 529 BGB sei ausgeschlossen, wenn seit der Schenkung zehn Jahre verstrichen seien, der Schenker seine Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig selbst herbei geführt habe oder der Beschenkte durch die Herausgabe selbst bedürftig würde. Pflicht- und Anstandsschenkungen unterlägen weder der Rückforderung noch dem Widerruf wegen groben Undanks nach § 530 BGB. Ferner habe der Beschenkte die Möglichkeit, die Rückforderung durch Zahlung des für den Unterhalt des Schenkers erforderlichen Betrags abzuwenden. Vorliegend seien die von der Beklagten angeführten Lebensversicherungen bereits 1997 abgeschlossen worden. Mithin seien Rückforderungen der vor 2006 gezahlten Beiträge ausgeschlossen. Zudem dürfte auch die Schenkung der Lebensversicherung an sich – sofern überhaupt von einer Schenkung ausgegangen werden könne – bereits 1997 vorgenommen worden sein. Zu diesem Zeitpunkt seien auch die entsprechenden Verträge abgeschlossen worden. In diesem Zusammenhang stelle sich damit auch die Frage, ob überhaupt eine Schenkung vorliege. Denn die Lebensversicherung sei als eine Gegenleistung für eine kontinuierliche Unterstützung der Klägerin von ihren Töchtern abgeschlossen worden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ihre Töchter vor Antragstellung bereits die angefallenen offenen Heimkosten mit eigenen finanziellen Mitteln abgedeckt hätten. Insoweit werde die Einrede der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB geltend gemacht. Die Summe aus dem Erlös der Wertpapiere bei Daimler seien mittlerweile verbraucht.

Gegen den ihr am 29. März 2017 zugestellten Gerichtbescheid hat die Klägerin am 4. April 2017 Berufung eingelegt. Sie hat ihr Vorbringen aus der (nachträglichen) Klagebegründung wiederholt. Darüber hinaus hat sie vorgebracht, dass das SG ohne Beachtung der Klagebegründung entschieden habe. Vor Abgabe des Gerichtsbescheides an die Post habe die Klagebegründung vorgelegen und hätte dementsprechend auch berücksichtigt werden müssen. Nach Auskunft des Postunternehmens A. sei die Sendung mit dem Gerichtsbescheid am 29. März 2017 registriert worden. Insoweit sei das Verfahren in der ersten Instanz erneut durchzuführen und die Sache an das SG zurückzuverweisen. Die Klägerin hat zuletzt eine Umsatzübersicht ihres Girokontos ... bei der Sparkasse F.-N.B. für den 10. Mai 2016 vorgelegt; hieraus ergibt sich eine Gutschrift mit dem Verwendungszweck "Wertpapiere" in Höhe von 7.161,24 EUR sowie eine Überweisung an den Träger der Pflegeeinrichtung in Höhe von 1.937,95 EUR.

Die Klägerin beantragt (teilweise sachgerecht gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. März 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22. September 2016 zu verurteilen, ihr Leistungen der Grundsicherung in Form von Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII ab dem 23. März 2016 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die Ausführung im Widerspruchsbescheid und dem angegriffenen Gerichtsbescheid sowie auf den Akteninhalt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Auf die Anfrage des Berichterstatters, ob und welche Bemühungen die Klägerin bislang zur Durchsetzung des unterstellten Schenkungsrückforderungsanspruchs unternommen hat, hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie den Abschluss der Lebensversicherungen für ihre Töchter nicht als Schenkung angesehen habe.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG) ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die Klägerin Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Streitgegenständlich ist der Bescheid des Beklagten vom 29. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2016 und damit in zeitlicher Hinsicht die Ablehnung von Leistungen der Hilfe zur Pflege ab dem 23. März 2016 bis zur Entscheidung des Senats.

3. Die Berufung der Klägerin ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 29. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2016 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege.

a) Gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII in der vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung wird Hilfe zur Pflege geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Die Regelung wird seit dem 1. Januar 2017 ergänzt durch § 61 Satz 1 SGB XII, nach dem Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII sind, Anspruch auf Hilfe zur Pflege haben, soweit ihnen und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten ist, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels aufbringen.

Gemäß dem damit als Regelung des Elften Kapitels in Bezug genommenen § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Ausnahmen hiervon regelt § 90 Abs. 2 und 3 SGB XII.

b) Vor diesem Hintergrund war und ist die Klägerin nicht hilfebedürftig. Ihr stehen jedenfalls gegen ihre Töchter C. und P. Schenkungsrückforderungsansprüche in Höhe von insgesamt 17.252,40 EUR nach § 528 BGB zu, bei denen es sich um Vermögen in Sinne des § 90 Abs. 1 SGB X handelt.

aa) Soweit der Schenker nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten und die ihm seinen Verwandten, seinem Ehegatten, seinem Lebenspartner oder seinem früheren Ehegatten oder Lebenspartner gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen, kann er gemäß § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern.

(1) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin hat ihren Töchtern seit dem 1. August 1997 monatlich Beträge von 87,64 EUR bzw. 56,13 EUR auf deren Lebensversicherungsverträge überwiesen und überweist aktuell immer noch diese Beträge. Bezogen auf die letzten 120 Monate ergibt dies Gesamtbeträge von 10.516,80 EUR bzw. 6.735,60 EUR. In dieser Höhe (insgesamt 17.252,40 EUR) stehen der Klägerin Schenkungsrückforderungsansprüche gegen ihre Töchter zu.

(2) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass es sich hierbei jeweils um Schenkungen, also nach der Legaldefintion des § 516 Abs. 1 BGB um Zuwendungen, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, bei der beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt, handelt. Die Behauptung der Klägerin, dass die Lebensversicherungen als Gegenleistung "für eine kontinuierliche Unterstützung" durch ihre Töchter abgeschlossen worden seien, bleibt so vage, dass sie die Einordnung der Zahlungen als Schenkungen nicht in Frage stellen kann. Dabei handelt es sich jeweils um einzelne monatliche Schenkungen. Der Annahme, dass Rechtsgrund für diese Zahlungen bereits im Jahr 1997 abgeschlossene Schenkungsverträge seien, steht bereits entgegen, dass Schenkungsverträge zu ihrer Wirksamkeit der notariellen Beurkundung bedürfen (§ 518 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine solche Beurkundung ist nicht erfolgt; die Klägerin hat dies zu keinem Zeitpunkt behauptet. Der Mangel der Form wird gemäß § 518 Abs. 2 BGB indes monatlich durch die Bewirkung der Schenkungen geheilt.

(3) Dass die Klägerin jedenfalls seit der Antragstellung bei der Beklagten am 23. März 2016 außerstande ist, ihren angemessenen Unterhalt zu bestreiten, ergibt sich aus dem Umstand, dass sie Leistungen der Hilfe zur Pflege beantragt hat und nach ihrem Vorbringen nicht über hinreichendes Einkommen verfügt, um die Kosten ihrer stationären Unterbringung zu tragen.

(4) § 529 Abs. 1 BGB steht dem Rückforderungsanspruch nicht entgegen. Nach dieser Norm ist der Anspruch auf Herausgabe des Geschenkes ausgeschlossen, wenn der Schenker seine Bedürftigkeit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat oder wenn zur Zeit des Eintritts seiner Bedürftigkeit seit der Leistung des geschenkten Gegenstandes zehn Jahre verstrichen sind.

Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Angesichts der geringen Höhe der monatlichen Schenkungen von 87,64 EUR und 56,13 EUR kann der Klägerin nicht der Vorwurf gemacht haben, ihre Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt zu haben. Der Zehn-Jahres-Grenze hat die Beklagte zu Recht dadurch Rechnung getragen, dass sie nur die Schenkungen der letzten zehn Jahre berücksichtigt hat.

(5) Auch § 529 Abs. 2 BGB steht dem Rückforderungsanspruch nicht entgegen. Nach dieser Norm ist der Anspruch auf Herausgabe des Geschenkes ausgeschlossen, soweit der Beschenkte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, das Geschenk herauszugeben, ohne dass sein standesmäßiger Unterhalt oder die Erfüllung der ihm kraft Gesetzes obliegenden Unterhaltspflichten gefährdet wird. Dass dies so ist, ist von der Klägerin nicht behauptet. Hierfür ist auch nichts ersichtlich.

(6) Auch § 534 BGB steht dem Rückforderungsanspruch nicht entgegen. Nach dieser Norm unterliegen Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, nicht der Rückforderung. Abgesehen davon, dass es sich (in einem zivilgerichtlichen Verfahren) um eine nicht von Amts wegen zu berücksichtigende Einrede handelt, liegt aber ohnehin weder eine Pflichtschenkung noch eine Anstandsschenkung vor.

Die Voraussetzung einer sittlichen Pflicht im Sinne des § 534 BGB wird bejaht, wenn dem Schenker bzw. Zuwendenden eine besondere, in dem Gebot der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung für die Zuwendung oblag (BSG, Urteil vom 17. März 2005 – B 7a/7 AL 4/04 R – juris Rdnr. 15 m.w.N.). Eine Schenkung zur Erfüllung einer sittlichen Pflicht liegt nicht schon dann vor, wenn der Schenker nach den Geboten der Sittlichkeit aus Nächstenliebe hilft, vielmehr muss es sich um eine Pflicht handeln, die aus den konkreten Umständen des Falls erwachsen ist und in den Geboten der Sittlichkeit wurzelt, wobei das Vermögen, die Lebensstellung der Beteiligten und ihre persönlichen Beziehungen untereinander zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 17. März 2005 – B 7a/7 AL 4/04 R – juris Rdnr. 15). Solche sittlichen Pflichten werden bejaht bei der Unterstützung bedürftiger naher Angehöriger, welche keinen rechtlichen Unterhaltsanspruch haben (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2005 – B 7a/7 AL 4/04 R – juris Rdnr. 15; Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 7. März 1984 – IVa ZR 152/82 – juris Rdnr. 17), oder bei der Erbringung umfangreicher Pflegeleistungen (Kühle in jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 534 Rdnr. 7). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Schenkung der Klägerin an ihre Tochter diente insbesondere nicht der Sicherung des Unterhaltes der Töchter oder der Hilfe in einer ähnlichen Situation.

Auch mit Blick auf die zweite Variante des § 534 BGB ergibt sich nichts anderes. Als Anstandsgeschenke im Sinne dieser Norm kommen Gelegenheitsgeschenke aus Anlass bestimmter sozialer Ereignisse in Betracht (Chiusi in Staudinger, BGB, Neubarbeitung 2013, § 534 Rdnr. 17 m.w.N.; Koch in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 534 Rdnr. 4). Als Anstandsschenkungen werden z.B. kleinere Zuwendungen wie die üblichen Gelegenheitsgaben zu besonderen Tagen oder Anlässen oder wie das Trinkgeld angesehen (BGH, Urteil vom 7. März 1984 – IVa ZR 152/82 – juris Rdnr. 16; Koch in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 534 Rdnr. 4). Anstandsgeschenke setzen daher einen geringen Wert voraus (Chiusi in Staudinger, BGB, Neubarbeitung 2013, § 534 Rdnr. 18 m.w.N.), jedenfalls dürfen sie nicht über das übliche Maß sozial Gleichgestellter hinausgehen (Landgericht Lübeck, Urteil vom 30. Januar 1996 – 6 S 136/95FamRZ 1996, 961 [962]). Die Zuwendungen müssen sich im angemessenen Rahmen halten und der Leistungsfähigkeit des Schenkers entsprechen (Chiusi in Staudinger, BGB, Neubarbeitung 2013, § 534 Rdnr. 18 m.w.N.). Auch diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Bei Zahlungen zugunsten einer Lebensversicherung handelt es sich nicht um Anstandsgeschenke.

(7) Schließlich steht auch § 818 Abs. 3 BGB dem Schenkungsrückforderungsanspruch nicht entgegen. Ein Einwand der Klägerin, ihr Töchter seien entreichert, könnte von diesen ersichtlich nicht mit Erfolg erhoben werden. Die Rückkaufswerte der Lebensversicherungen betrugen am 31. Dezember 2015 15.017,78 EUR bzw. 8.754,69 EUR. Die Töchter sind mithin nicht entreichert, sondern verfügen jedenfalls in Höhe der Schenkungsrückforderungsansprüche noch über das entsprechende Vermögen.

bb) Bei einem Schenkungsrückforderungsanspruch aus § 528 Abs. 1 BGB handelt es sich um Vermögen im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII. Dies hat das BSG bereits zum Vermögensbegriff in § 137 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz in der vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung (BSG, Urteil vom 19. Januar 2005 – B 11a/11 AL 215/04 B – juris Rdnr. 12) und zum Vermögensbegriff in § 193 Abs. 2 SGB III in der vom 1. August 2001 bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung entschieden (BSG, Urteil vom 17. März 2005 – B 7a/7 AL 10/04 R – juris Rdnr. 25). Auch dem Vermögensbegriff des § 12 SGB II wird ein Schenkungsrückforderungsanspruch zugeordnet (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. März 2008 – L 7 AS 143/07 – juris Rdnr. 24; SG Stade, Gerichtsbescheid vom 5. April 2007 – S 18 AS 107/07 – juris Rdnr. 21; wohl auch BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 71/12 R – juris Rdnr. 27; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2011 – L 13 AS 824/09 – juris Rdnr. 50 f.) Es besteht kein Anlass, für den Vermögensbegriff des § 90 Abs. 1 SGB XII eine andere Beurteilung vorzunehmen (so bereits Beschluss des Senats vom 28. März 2017 – L 7 SO 85/14 – n.v.; offen gelassen von BSG, Urteil vom 2. Februar 2010 – B 8 SO 21/08 R – juris Rdnr. 13), zumal grundsätzlich davon auszugehen ist, dass identische Termini im Recht – zumal im selben Gesetzbuch oder im selben Rechtsgebiet – auch eine gleiche Bedeutung haben. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Vermögensbegriff des § 90 Abs. 1 SGB XII anders verstehen wollte, liegen nicht vor.

Die Schenkungsrückforderungsansprüche sind auch "in angemessener Zeit" (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 KG 1/10 R – juris Rdnr. 23 m.w.N.; Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 Rdnr. 26) realisierbar. Der Schenkungsgegenstand ist in Gestalt der Lebensversicherungsverträge noch vorhanden (siehe oben) und steht im Wege des Rückkaufs der Lebensversicherung ohne zeitliche Verzögerung zur Verfügung. Der Senat ist auch der Überzeugung, dass sich die Töchter der Klägerin deren Rückforderungsverlangen nicht entgegenstellen würden. Etwas anderes hat auch die Klägerin zu keinem Zeitpunkt behauptet. Auch auf die Anfrage des Berichterstatters, ob und welche Bemühungen die Klägerin bislang zur Durchsetzung der unterstellten Schenkungsrückforderungsansprüche unternommen hat, hat die Klägerin lediglich mitgeteilt, dass sie den Abschluss der Lebensversicherungen für ihre Töchter nicht als Schenkung angesehen habe. Es gibt damit keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihre Schenkungsrückforderungsansprüche nicht in angemessener Zeit realisieren könnte. Im Gegenteil lässt sich bereits dem Schriftsatz der Klägerin vom 5. Juli 2017, in dem sie um eine "klarstellende Entscheidung" bittet, nachdem der Berichterstatter sie zuvor auf den Schenkungsrückforderungsanspruch und den Beschluss des Senats vom 28. März 2017 (L 7 SO 85/17) zu einem ähnlichen Sachverhalt hingewiesen hatte, entnehmen, dass die Klägerin (und die sie vertretende Tochter) zwar eine gerichtliche Entscheidung wünscht, auf deren Basis dann aber den Schenkungsrückforderungsanspruch realisieren würde. Es liegt in der Eigenverantwortung der leistungsbegehrenden Person, ob sie ihren zumutbaren Selbsthilfeobliegenheiten durch Verwertungsbemühungen nachkommt oder ob sie Verwertungsbemühungen unterlässt (BSG, Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 16/16 – juris Rdnr. 37). Leistungen des Sozialhilfeträgers können daher nicht dadurch erzwungen werden, dass die Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen unterlassen wird, obwohl es verwertbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 16/16 – juris Rdnr. 37). Solche Verwertungsbemühungen hat die Klägerin bislang nicht unternommen.

cc) Ein Tatbestand des § 90 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 SGB XII greift nicht. Der Rückforderungsanspruch von 17.252,40 EUR übersteigt auch den Vermögensfreibetrag der Klägerin gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII vom 22. März 2017 (BGBl. I S. 519), die am 1. April 2017 in Kraft getreten ist, in Höhe von 5.000,00 EUR sowie ihren monatlichen Bedarf von ca. 160,00 EUR erheblich.

Auch im Übrigen ist eine besondere Härte (§ 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) weder geltend gemacht noch ersichtlich.

Schließlich greift auch § 66a SGB XII in der seit dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung nicht zugunsten der Klägerin ein. Nach dieser Norm gilt für Personen, die Leistungen nach diesem Kapitel erhalten, ein zusätzlicher Betrag von bis zu 25.000,00 EUR für die Lebensführung und die Alterssicherung im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 2 als angemessen, sofern dieser Betrag ganz oder überwiegend als Einkommen aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten während des Leistungsbezugs erworben wird; letzteres ist hier aber gerade nicht der Fall.

dd) Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob als Vermögen auch die Aktien der ...AG zu berücksichtigen sind, die zumindest am 31. Dezember 2015 noch zum Vermögen der Klägerin gehörten. Die Klägerin hat zuletzt behauptet, diese Aktien seien verkauft und der Erlös hieraus mittlerweile verbraucht. Die Klägerin hat nach entsprechendem Hinweis des Berichterstatters zwar Belege vorgelegt, aus denen sich der Verkauf der Wertpapiere am 10. Mai 2016 ergeben dürfte, nicht aber den weiteren Verbleib des Verkaufserlöses belegt; die Vorlage von Rechnungen reicht insoweit nicht aus.

ee) Solange vorhandenes und nach Abzug der Freibeträge zu berücksichtigendes Vermögen vorliegt und den monatlichen Bedarf übertrifft, besteht keine Hilfebedürftigkeit (Beschluss des Senats vom 28. März 2017 – L 7 SO 85/14 – n.v.). Daher darf der Beklagte der Klägerin deren Vermögen Monat für Monat erneut entgegenhalten (vgl. Urteil des Senats vom 14. April 2011 – L 7 SO 2497/10 – juris Rdnr. 31 m.w.N.; Beschluss des Senats vom 28. März 2017 – L 7 SO 85/14 – n.v.), unabhängig davon, ob der Wert des Vermögens zur Deckung des Bedarfs für den gesamten Bedarfszeitraum ausgereicht hätte (so bereits zu §§ 11, 88 BSHG Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 19. Dezember 1997 – 5 C 7/96 – juris Rdnr. 33; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof [VGH], Beschluss vom 1. Dezember 2004 – juris Rdnr. 15). Nach § 90 Abs. 1 SGB XII zu berücksichtigendes Vermögen steht also, soweit und solange es (noch) nicht eingesetzt oder verwertet wurde, einem Bezug von Leistungen nach dem SGB XII auch dann entgegen, wenn es nicht den Bedarf für den gesamten Bedarfszeitraum gedeckt hätte (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 22. April 1999 – 12 B 97.2067 – juris Rdnr. 9; Bayerischer VGH, Beschluss vom 1. Dezember 2004 – 12 CE 04.2090 – juris Rdnr. 14). Eine fiktive Vermögensberechnung ist nicht zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 – 5 C 7/96 – juris Rdnr. 35; Bayerischer VGH, Beschluss vom 1. Dezember 2004 – 12 CE 04.2090 – juris Rdnr. 14; Oberverwaltungsgericht [OVG] Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. November 1993 – 8 A 278/92 – juris Rdnr. 61 ff.; vgl. auch BSG, Beschluss vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 14/08 B – juris Rdnr. 5). Dies folgt zwingend daraus, dass – siehe oben – Anspruchsvoraussetzung tatsächliche Hilfebedürftigkeit ist. Diese Hilfebedürftigkeit kann aber nicht fingiert werden.

4. Eine Zurückverweisung der Sache an das SG gemäß § 159 Abs. 1 SGG kam nicht in Betracht, da die Voraussetzungen dieser Norm hier nicht vorlagen. Weder hat das SG die Klage abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, noch war eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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