L 3 AS 480/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 34 AS 4962/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 480/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Aufrechnung des Betriebskostenguthabens durch den Vermieter mit Mietrückständen eines Mieters dann nicht zulässig, wenn der Mieter Empfänger von Leistungen nach dem SGB II ist. Damit ist es einem Leistungsempfänger grundsätzlich im Rahmen der Selbsthilfeobliegenheit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II zuzumuten, auf die Rückgängigmachung einer rechtswidrigen Aufrechnung hinzuwirken und unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung die Forderung zu realisieren.
2. Wenn es für einen rechtsunkundigen Kläger nicht ersichtlich ist, dass die Aufrechnungserklärung des Vermieters rechtswidrig sein könnte, ist ein Jobcenter auf Grund seiner Hinweis- und Beratungspflicht grundsätzlich verpflichtet, dem rechtsunkundigen Hilfebedürftigen das von ihm befürwortete Vorgehen gegenüber dem Vermieter aufzeigen und ihn in die Lage versetzen, seine Rechte gegenüber dem Vermieter wahrzunehmen.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. März 2012 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger auch im Berufungsverfahren.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte als Nachfolger der ARGE A ... (im nachfolgenden ARGE) wendet sich mit seiner Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. März 2012, welches der Klage der Kläger gerichtet gegen die Anrechnung eines Guthabens aus einer Betriebskostenabrechnung als Einkommen und einer sich hieraus ergebenden teilweisen Erstattungsforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) stattgegeben hat.

Die Klägerin zu 1 bezog zusammen mit dem mit ihr in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohn, dem 2002 geborenen Kläger zu 2, seit 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von der ARGE. Mit Bescheid vom 3. August 2009 bewilligte diese den Klägern vorläufig monatliche Leistungen für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 31. Januar 2010 in Höhe von 777,76 EUR (= 528,00 EUR [Regelbedarf für die Klägerin zu 1] sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 203,88 EUR [Klägerin zu 1] und 45,88 EUR [Kläger zu 2]) sowie für die Zeit vom 1. Februar 2010 bis zum 28. Februar 2010 in Höhe von 651,76 EUR (= 402,00 EUR [Regelbedarf für die Klägerin] sowie Kosten für Unterkunft und Heizung von 233,88 EUR [Klägerin zu 1] und 45,88 EUR [Kläger zu 2]).

Mit Schreiben vom 24. August 2009 übermittelte der Vermieter der Klägerin zu 1 die Heiz- und Betriebskostenabrechnung für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2008 und teilte ihr mit, dass sich aus der Abrechnung ein Guthaben von 205,31 EUR zu ihren Gunsten ergebe. Abzüglich offener Mietrückstände in Höhe von 944,45 EUR ergebe sich allerdings eine Nachzahlung in Höhe von 739,14 EUR, die von der Klägerin zu 1 an ihn zu zahlen sei. Das Schreiben vom 24. August 2009 reichten die Kläger am 2. September 2009 bei der ARGE ein.

Mit Bescheid vom 2. Dezember 2009 änderte die ARGE daraufhin die Leistungsbewilligung für September 2009 ab und setzte Leistungen nur noch für die Klägerin zu 1 in Höhe von 572,45 EUR (= 471,23 EUR [Regelbedarf] und 101,22 EUR [Kosten für Unterkunft und Heizung]) fest. Zugleich machte die ARGE mit Bescheid vom 2. Dezember 2009 die Erstattung der in dieser Zeit zu Unrecht gewährten Leistungen im Hinblick auf die sich aus der Betriebskostenabrechnung 2008 ergebende Gutschrift geltend und forderte von den Klägern für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 30. September 2009 Leistungen in Höhe von insgesamt 205,31 EUR zurück. Hiervon entfiel auf die Klägerin zu 1 ein Betrag in Höhe von 159,43 EUR (= Regelleistungen in Höhe von 56,77 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 102,66 EUR) und auf den Kläger zu 2 ein Betrag in Höhe von 45,88 EUR (= Kosten für Unterkunft und Heizung). Den von den Klägern gegen die Bescheide vom 2. Dezember 2009 am 30. Dezember 2009 eingelegten Widerspruch wies die ARGE mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2010 zurück.

Hiergegen haben die Kläger am 6. August 2010 Klage erhoben und darauf verwiesen, dass sie das Guthaben nie erhalten hätten. Dieses habe der Vermieter auf noch offene Miet- und Betriebskostenschulden angerechnet. Das Guthaben sei für sie nie ein tatsächlich vorhandener Geldwert gewesen.

Mit Urteil vom 23. März 2012 hat das Sozialgericht die Bescheide vom 2. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2010 aufgehoben. Eine Anrechnung des Betriebskostenguthabens nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf die Kosten für Unterkunft und Heizung komme nicht in Betracht. Denn diese Vorschrift könne nur Anwendung finden, wenn dem Hilfebedürftigen eine Rückzahlung oder ein Guthaben zufließe, über das er tatsächlich verfügen könne. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift komme eine Minderung des Bedarfs nur in Betracht, wenn dem Hilfebedürftigen tatsächlich Mittel zur Verfügung stünden, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Aufgrund der Verrechnung des Guthabens mit den Mietrückständen habe das Betriebskostenguthaben den Klägern zu keinem Zeitpunkt – nicht einmal für eine logische Sekunde – zur Bestreitung des Lebensunterhalts als bereite Mittel zur Verfügung gestanden. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.

Gegen das ihm am 3. Mai 2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 4. Juni 2012, einem Montag, Berufung eingelegt. Die Erstattung aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung stelle Einkommen im Sinne von § 11 SGB II dar. Die Aufrechnung der rückständigen Mietforderung des Vermieters gegenüber dem Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung sei rechtswidrig gewesen, da es sich aufgrund des Bezugs von Sozialleistungen durch die Kläger um eine unpfändbare Forderung gehandelt habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweisen sie auf die nach ihrer Auffassung zutreffende Entscheidung des Sozialgerichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte trotz Ausbleiben der Kläger verhandeln und entscheiden, weil hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft. Zwar übersteigt die strittige Erstattungsforderung von 159,43 EUR nicht den Grenzwert von 750,00 EUR aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Das Sozialgericht hat aber die Berufung in seinem Urteil zugelassen.

III. Die Berufung bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Das Sozialgericht hat der Klage der Kläger zu Recht stattgegeben.

Die Bescheide vom 2. Dezember 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2010 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 SGG). Die ARGE hat zu Unrecht als Betriebskostenguthaben in Höhe von 205,31 EUR als Einkommen nach § 11 SGB II angerechnet und die Erstattung in entsprechender Höhe von den Klägern geltend gemacht.

1. In Bezug auf den Änderungsbescheid vom 2. Dezember 2009 lässt sich weder aus dessen Form noch aus dessen Begründung oder der Begründung des Widerspruchsbescheides erkennen, ob er lediglich eine Änderung der vorläufigen Leistungsbewilligung beinhalten soll, oder ob mit ihm eine endgültige Leistungsfestsetzung im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II (in der vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung, vgl. Artikel 1 Nr. 5 des Gesetzes vom 14. August 2005 [BGBl. I S. 2407] i. V. m. § 328 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – [SGB III]) erfolgen soll. Für letzteres spricht, dass die Erstattungsforderung im Erstattungsbescheid vom 2. Dezember 2009 auf § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a. F. i. V. m. § 328 Abs. 3 SGB III gestützt wird.

Diesen formellen Punkten muss aber nicht weiter nachgegangen werden, weil es für die Herabsetzung der Leistungsbewilligung und in Folge dessen für die Erstattungsforderung an der materiell-rechtlichen Voraussetzung fehlt.

2. Rechtsgrundlage für die Anrechnung einer Betriebskostengutschrift ist vorliegend § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der vom 1. August 2006 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb des Gesetzes vom 20. Juli 2006 [BGBl. I S. 1706]) in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, vorliegend in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2954, 2955]).

Nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. minderten Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen waren, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie bezogen, blieben insoweit außer Betracht. Seit 1. April 2001 findet sich die im Wesentlichen unveränderte Nachfolgeregelung in § 22 Abs. 3 SGB II (vgl. Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 [BGBl. I S. 850]). Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II a. F. waren Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort genannten Leistungen als Einkommen zu berücksichtigen (ähnlich § 11 Abs. 1 Satz 1 in der vom 1. April 2011 bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung, vgl. Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 [BGBl. I S. 850]).

a) Grundsätzlich ist das sich aus einer Betriebskostenabrechnung ergebene Guthaben als Einkommen des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen, was er bereits vor Antragstellung hatte. Dabei ist im Fall der Erfüllung einer Geldforderung grundsätzlich nicht ihr Schicksal von Bedeutung, sondern es ist allein die Erzielung von Einnahmenentgelt oder Geldwert maßgebend. Auch für die Rückerstattung von Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung ist nicht davon abzuweichen, dass der tatsächliche Zufluss als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen maßgebend ist. Damit handelt es sich bei dem sich aus einer Betriebskostenabrechnung ergehenden Guthaben um Einkommen im Sinne von § 11 SGB II (vgl. BSG, Urteil von 16. Mai 2012 – B 4 AS 132/11 RSozR 4-4200 § 22 Nr. 16 = juris Rdnr. 16 m. w. N.; BSG, Urteil vom 16. Oktober 2012 – B 14 AS 188/11 RBSGE 112, 85 ff. = SozR 4-4200 § 11 Nr. 55 = juris, jeweils Rdnr. 13; Berlit, in: Münder [Hrsg.], SGB II [6. Aufl., 2017], § 22 Rdnr. 162). Dies gilt grundsätzlich auch hinsichtlich einer Betriebskostenrückzahlung, die dem Hilfebedürftigen nicht ausgezahlt wird, sondern mit aufgelaufenen oder künftigen Mietforderungen des Vermieters von diesem verrechnet wird. Denn auch in diesem Fall ergibt sich beim Hilfebedürftigen ein "wertmäßiger Zuwachs", weil sich wegen der damit gegebenenfalls verbundenen Schuldbefreiung oder Verringerung anderweitiger Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit oder Zukunft ein bestimmter, in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, a. a. O., Rdnr. 21).

b) Voraussetzung für die Berücksichtigung eines Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung als Einkommen ist jedoch, dass dieses dem Hilfebedürftigen als bereites Mittel zum Bestreiten seines Lebensunterhalts zur Verfügung steht. Denn auch wenn im Fall der Verrechnung mit Mietschulden zu berücksichtigendes Einkommen vorliegt, kann es jedenfalls dann nicht bei der Bedarfsermittlung Berücksichtigung finden, wenn es dem Hilfebedürftigen an der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die finanziellen Mittel fehlt und diese auch aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisiert werden können. Dann jedenfalls steht das Einkommen nicht als bereites Mittel der Bedarfsdeckung zur Verfügung. Steht dies fest, muss, in gleicher Weise wie bei gepfändeten Teilen des Arbeitslosgengeld II, die mögliche Folge einer Tilgung von Mietschulden aus der Vergangenheit durch Rückzahlungen aus Betriebskostenabrechnungen hingenommen werden (so BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, a. a. O., juris Rdnr. 22 mit Verweis zur Pfändung: BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 KG 1/10 RBSGE 108, 144 ff. = SozR 4-5870 § 6a Nr. 2 = juris Rdnr. 23; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II [Stand: 01/15], § 11 SGB II, Rdnr. 248; Söhngen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [4. Aufl., 2015], § 11 Rdnr. 39).

So ist die Sachlage hier. Das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung stand den Klägern zu keinem Zeitpunkt als bereites Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung. Der damalige Vermieter hatte im Abrechnungsschreiben die Aufrechnung des Betriebskostenguthabens von 205,31 EUR mit offenen Mietrückständen der Kläger aus der Vergangenheit in Höhe von 944,45 EUR erklärt und das Guthaben einbehalten. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen durch die Befragung der Vermieterin sowie der von den Klägern vorgelegten Unterlagen besteht für den Senat kein Zweifel am tatsächlichen Bestand der Mietschulden und der Ernsthaftigkeit der Durchsetzung der Rechtsansprüche durch den Vermieter. Dieser hat in der Vergangenheit bestehende Forderungen gerichtlich geltend gemacht und durchgesetzt, so dass dies auch mit den vorliegenden Mietschulden zu erwarten gewesen wäre. Ein Zusammenwirken von Vermieter und Leistungsberechtigten zum Ausgleich der Mietschulden lag ersichtlich nicht vor (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 132/11 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 60 = juris Rdnr. 23).

c) Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach der inzwischen ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Aufrechnung des Betriebskostenguthabens durch den Vermieter mit Mietrückständen eines Mieters dann nicht zulässig ist, wenn der Mieter Empfänger von Leistungen nach dem SGB II ist. In diesem Fall handelt es sich bei einem Betriebskostenguthaben um die Rückzahlung von öffentlichen Leistungen nach § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 SGB II, welche nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II die Leistungen des Folgemonats an den Hilfeempfänger mindern. Öffentliche Leistungen, die dem Leistungsbezieher das Existenzminium sichern sollen, unterliegen aber nicht der Pfändung, so dass eine Aufrechnung nach § 394 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht möglich ist (so BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – IX ZR 310/12NJW 2013, 2819 = NZS 2013, 903 f. = juris Rdnr. 8; vgl. auch BSG, Urteil vom 16. Oktober 2012, a. a. O., juris Rdnr. 20; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2014 – L 23 SO 68/12 – juris Rdnr. 48). Damit ist es einem Leistungsempfänger grundsätzlich im Rahmen der Selbsthilfeobliegenheit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 KG 1/10 RBSGE 108, 144 ff. = SozR 4-5870 § 6a Nr. 2 = juris, jeweils Rdnr. 23) zuzumuten, auf die Rückgängigmachung einer rechtswidrigen Aufrechnung hinzuwirken und unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung die Forderung zu realisieren.

Im Fall der Kläger ist aber zu berücksichtigen, dass die vorgenannte höchstrichterliche Rechtsprechung im Jahr 2009/2010 noch nicht bestand. Die Forderung war nicht "ohne Weiteres" im Sinne der grundsicherungsrechtlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes realisierbar. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es den Klägern überhaupt rechtlich möglich gewesen wäre, die Forderung aus dem Betriebskostenguthaben vom Vermieter erfolgreich vor Gericht geltend zu machen. Denn angesichts der fehlenden höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Pfändbarkeit eines Erstattungsanspruchs eines sich im Leistungsbezug nach dem SGB II befindlichen Mieters aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung war der Ausgang eines Verfahrens vor den Zivilgerichten ungewiss. So ergibt sich beispielsweises auch aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Mai 2012, dass dieses, ohne sich mit der Frage eines generellen Pfändungsverbots im Fall des Leistungsbezuges nach dem SGB II auseinanderzusetzen, noch davon ausging, dass eine Aufrechnungserklärung des Vermieters nach § 388 BGB zum Erlöschen der Forderung des Mieters aus der Betriebskostenabrechnung nach § 389 BGB führen kann (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, a. a. O., Rdnr. 23). Erst nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2012 besteht eine höchstrichterliche Rechtsprechung, auf die sich der Hilfebedürftige berufen kann.

d) Unabhängig davon war es für die rechtsunkundige Klägerin zu 1 bereits nicht ersichtlich, dass die Aufrechnungserklärung des Vermieters rechtswidrig sein könnte. In dieser Situation war früher die ARGE und ist heute ein Jobcenter grundsätzlich verpflichtet, dem rechtsunkundigen Hilfebedürftigen das von ihm befürwortete Vorgehen gegenüber dem Vermieter aufzeigen und ihn in die Lage versetzen, seine Rechte gegenüber dem Vermieter wahrzunehmen (so BSG, Urteil vom 24. November 2011, a. a. O., Rdnr. 17; BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, a. a. O., Rdnr. 24). Denn ähnlich wie in Kostensenkungsangelegenheiten (vgl. hierzu z. B. BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 – B 14/7b AS 70/06 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 8 = NZS 2009, 107 ff. = juris Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 19/09 RBSGE 105, 188 ff. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 28 = juris Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 15/11 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 53 = juris Rdnr. 16 f.) oblag auch hier der ARGE eine Hinweis- und Beratungspflicht nach §§ 14 und 15 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) gegenüber der Klägerin zu 1.

Vorliegend blieb die ARGE insoweit die gesamte Zeit untätig. Es ergingen lediglich die angefochtenen Bescheide. Erstmals im Berufungsverfahren wies der Beklagte im Schriftsatz vom 16. Januar 2013 auf die Unwirksamkeit der Aufrechnungserklärung des Vermieters hin. Zu diesem Zeitpunkt war die Forderung aus dem Betriebskostenguthaben vom 24. August 2009 aber bereits verjährt. Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB begann die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren (vgl. § 195 BGB) mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstand, mithin dem 31. Dezember 2009, und endete somit mit Ablauf des 31. Dezember 2012.

e) Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus der vom 8. Senat des Sächsischen Landessozialgerichtes aufgezeigten Möglichkeit der Klägerin zu 1, selbst gegenüber dem Vermieter die Aufrechnung ihres Guthabens mit der fälligen Mietzahlung zu erklären (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 24. November 2016 – L 8 AS 1197/15 – [n. v.], Urteilsumdruck S. 7). Denn eine solche Aufrechnung hätte nicht dazu geführt, dass den Kläger das Guthaben als bereites Mittel zur Verfügung gestanden hätte. Während es bei der grundsätzlichen Anrechnung des Betriebskostenguthabens als Einkommen verblieben wäre, hätte eine solche Aufrechnungserklärung lediglich dazu geführt, dass sich die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigenden Kosten für Unterkunft und Heizung im Monat der Aufrechnung entsprechend verringert hätten. Bereite Mittel zum Bestreiten des Lebensunterhalts hätten den Klägern hierdurch nicht zur Verfügung gestanden. Zudem hätte auch insoweit eine Hinweis- oder Beratungspflicht der ARGE bestanden.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

V. Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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