Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 P 1957/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 929/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Februar 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 23. Oktober 2015.
Der am 1949 geborene, bei der Beklagten pflegeversicherte Kläger wohnt alleine in einer Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Die Räume liegen auf einer Ebene. Zur Wohnungstür führt eine Treppe mit 15 Stufen.
Der Kläger beantragte am 23. Oktober 2015 Geldleistungen der ambulanten Pflege. Im Auftrag der Beklagten erstellte Pflegefachkraft J.-A., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), am 10. Dezember 2015 aufgrund einer Untersuchung am selben Tag ein Gutachten. Als pflegebegrünende Diagnosen nannte sie einen Zustand nach Rektumkarzinom (Enddarmkrebs) sowie eine chronisch venöse Insuffizienz (Erkrankung der Beinvenen mit Abflusshindernis sowie Zirkulationsstörung) nach Ulcus cruris (schlecht heilende Wunde im Unterschenkelbereich) beidseits. Die Beine würden täglich vom Pflegedienst zur Kompression gewickelt. Bei den grundpflegerischen Verrichtungen benötige der Kläger keine Hilfestellung. Diese verrichte er selbständig. Die Hauswirtschaft führe er häufig nicht ausreichend adäquat durch, teilweise sei es in der Vergangenheit zu Verwahrlosungstendenzen gekommen. Hier bestehe ein Hilfebedarf von 30 Minuten täglich.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2015 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers unter Hinweis auf das Gutachten ab, da der Grundpflegebedarf 45 Minuten täglich nicht übersteige.
Auf den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, er benötige Hilfe beim Waschen, Anziehen und den Toilettengängen und täglich komme eine Krankenschwester, um die Kompressionsstrümpfe zu wechseln, wurde ein am 19. Januar 2016 nach Aktenlage erstelltes Gutachten der Pflegefachraft E., MDK, eingeholt, in dem diese die pflegebegründende Diagnose und den im Gutachten der Pflegefachkraft J.-A. beschriebenen Grundpflegebedarf bestätigte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Gutachter des MDK hätten einen Hilfebedarf verneint. Es sei dem Kläger u.a. möglich, sich zu waschen, zu kämmen, zu rasieren und die Toilettengänge durchzuführen. Fertige Speisen könne der Kläger selbst portionieren und aufnehmen. Innerhalb der Wohnung sei er ausreichend mobil. Dies gelte auch für den Bekleidungswechsel. Aufgrund der eindeutigen sozialmedizinischen Beurteilung seien die Voraussetzungen für Pflegestufe I nicht erfüllt.
Der Kläger erhob am 4. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Zur Begründung bezog er sich auf seinen Widerspruch und führte aus, die Beklagte habe bei ihrer Entscheidung nicht den tatsächlichen Pflegeaufwand berücksichtigt. Er sei mit den Krankenkassen und dem Gesundheitssystem nicht einverstanden. Sein offenes Bein könne nicht behandelt werden. Auch mit den Pflegediensten sei er nicht zufrieden.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG befragte den den Kläger behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte unter dem 25. Juli 2016 mit, der Kläger leide unter einem Zustand nach Adenokarzinom, chronisch venöser Insuffizienz und psychischen Problemen. Er habe Hygieneprobleme. Täglich erfolgten Besuche durch die Sozialstation. Hilfe bzw. Kontrolle sei nötig bei der Körperpflege; der Kläger wolle dies jedoch nicht oder nur zu selbst bestimmten Zeitpunkten. Weder bei Mobilität noch bei Ernährung sei Hilfe nötig. Die Vorgänge bei Körperpflege, Ernährung und Mobilität erfolgten eigenständig. Hierfür benötige der Kläger nach seinen (des Klägers) Angaben ca. 1-2 Stunden. Der Eigenpflegeaufwand sei bedingt durch den Zustand nach Rektumkarzinom mit z.T. Stuhlinkontinenz deutlich höher: allerdings gebe der Kläger absolut glaubhaft an, seit einem Jahr nicht geduscht zu haben.
Das SG beauftragte Arzt für Innere Medizin Dr. B. unter dem 27. August 2016 mit der Durchführung einer Begutachtung. Nachdem der Sachverständige vergeblich versucht hatte, mit dem Kläger einen Termin zu vereinbaren, sprach der Kläger persönlich beim SG vor, um mitzuteilen, er sehe sich außer Stande, einen Gutachter bei sich zu empfangen, sei jedoch mit einer Begutachtung nach Aktenklage einverstanden. Daraufhin hob das SG den Gutachtensauftrag mit der Begründung auf, ein Gutachten nach Aktenlage sei nicht zielführend.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Februar 2017 unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids der Beklagten ab. Der Sachverhalt habe nicht durch eine persönliche Begutachtung des Klägers geklärt werden können, da der Kläger dies abgelehnt habe. Es lasse sich nach Akteninhalt nicht feststellen, dass beim Kläger im Bereich der Grundpflege wöchentlich im Tagesdurchschnitt ein Bedarf von mehr als 45 Minuten bestehe. Die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. H. bestätige die Ergebnisse der Gutachten des MDK. Soweit der Kläger ausführe, eine Krankenschwester komme, um Kompressionsverbände zu wechseln, seien dies dem Bereich der Behandlungspflege zuzuordnende Leistungen, die im Rahmen der Grundpflege nicht berücksichtigungsfähig seien.
Gegen den ihm am 24. Februar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 1. März 2017 Berufung beim SG eingelegt. Zur Begründung führt er aus, er sei lediglich im Dezember 2015, nicht hingegen ein zweites Mal im Januar 2016 begutachtet worden. Eine Frau E. kenne er nicht. Er werfe der "AKO" (gemeint wohl der Beklagten) Prozessbetrug vor.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2016 zu verurteilen, ihm vom 23. Oktober bis 31. Dezember 2016 Pflegegeld nach Pflegestufe I und ab 1. Januar 2017 nach Pflegegrad 2 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Den Vorwurf des Prozessbetruges weise sie zurück. Die Begutachtung im Januar 2016 sei nach Aktenlage erfolgt. Dies ergebe sich aus dem Widerspruchsbescheid.
Der Senat hat Pflegesachverständigen B. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 12. Juli 2017 nennt er als pflegebegründende Diagnosen einen Zustand nach Rektumkarzinom mit partieller Stuhlinkontinenz, eine chronisch venöse Insuffizienz mit Ulcus cruris und einen Zustand nach Superinfektion sowie eine depressive Persönlichkeitsstörung. Bei der Ganzkörperwäsche bestehe ein anteiliger Hilfebedarf im Bereich des Rückens sowie punktuellen Aufforderungen und Kontrollen zur ausreichenden Reinigung anderer Körperbereiche unter Nutzung vorhandener Eigenressourcen von fünf Minuten. Angelegte Kompressionsverbände seien kein grundsätzliches Hindernis für einen zwei Mal wöchentlichen Duschvorgang. Beim Duschvorgang selbst bestehe ein Hilfebedarf im Bereich des Rückens sowie punktuellen Aufforderungen und Kontrollen bei fehlendem Pflegebedürfnis von zwei Minuten. Im Bereich Ernährung und Mobilität seien keine Grundpflegebedarfe zu ermitteln. Zu dem (Soll-)Grundpflegebedarf von insgesamt sieben Minuten seinen für Unterstützungen im Bereich der Hauswirtschaft täglich 25 Minuten in Ansatz zu bringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, ist zulässig, insbesondere statthaft. Sie bedurfte nicht der Zulassung, da der Kläger die Gewährung von Pflegegeld für einen Zeitraum für mehr als einem Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I vom 23. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 sowie nach Pflegegrad 2 ab 1. Januar 2017. Streitgegenständlich ist vorliegend allein der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2016.
3. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2016 ist rechtmäßig. Der Kläger hat weder Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I für die Zeit vom 23. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 (siehe hierzu a) noch nach Pflegegrad 2 ab 1. Januar 2017 (siehe hierzu b).
Da der Kläger seinen Antrag auf Pflegegeld am 23. Oktober 2016, mithin vor dem 31. Dezember 2016 stellte, beurteilt sich nach § 140 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) sein Anspruch nach den Vorschriften des SGB XI in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (SGB XI a.F.).
a) aa) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI a.F. Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI a.F.) der Hilfe bedürfen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI a.F. Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI a.F.).
Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI a.F.), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI a.F.) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI a.F.). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI a.F. stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – juris, Rn. 20 m.w.N.).
bb) Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I liegen beim Kläger im Zeitraum vom 23. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 nicht vor.
(1) Beim Kläger besteht ein Zustand nach Rektumkarzinom mit partieller Stuhlinkontinenz, eine chronisch venöse Insuffizienz mit Ulcus cruris und ein Zustand nach Superinfektion sowie eine depressive Persönlichkeitsstörung. Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des Pflegesachverständigen B. vom 12. Juli 2017, der Auskunft des Dr. H. vom 25. Juli 2016 sowie den Gutachten der Pflegefachkräfte J.-A. und E. vom 10. Dezember 2015 und 19. Januar 2016, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51). Die vom Kläger geschilderten Beschwerden wurden dabei berücksichtigt. Substantiierte Einwendungen gegen diese Feststellungen hat er nicht erhoben. Die Gesundheitsstörungen sind zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
(2) Ein Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von mehr als 45 Minuten besteht nicht. Der Kläger führt die gesetzlich genannten Verrichtungen der Grundpflege überwiegend selbständig durch. Der Senat entnimmt dem Sachverständigengutachten des Pflegesachverständigen B. einen Hilfebedarf bei der Körperpflege von sieben Minuten täglich; für die Bereiche Ernährung und Mobilität besteht hingegen kein Hilfebedarf. Weder im Gutachten des Pflegesachverständigen B. noch in den Gutachten der Pflegefachkräfte J.-A. und E. sind Mobilitätseinschränkungen beschrieben. Der Kläger gibt insoweit selbst an, wochentags mit dem Bus nach Heidelberg zur Universität zu fahren, um dort ein günstiges Mittagessen einzunehmen. Damit wird ein täglicher Grundpflegebedarf von allenfalls sieben Minuten erreicht.
Nicht zu berücksichtigen ist hierbei der durch das Anlegen der Kompressionsverbände bestehende tägliche Hilfebedarf. Dieser ist der so genannten Behandlungspflege zuzuordnen. Da ein unmittelbarer Zusammenhang mit einer der in § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. genannten Verrichtungen nicht erkennbar ist, kommt insoweit ein berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf (§ 15 Abs. 3 Satz 3 SGB XI a.F.) nicht in Betracht. Unter der Behandlungspflege werden die krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen erfasst, das heißt solche, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werden (BSG, Urteil vom 8. Oktober 2014 – B 3 P 4/13 R – juris, Rn. 16).
(3) Trotz des im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung vom Sachverständigen B. nachvollziehbar dargelegten Hilfebedarfs von 25 Minuten sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld in der Zeit vom 23. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 nicht erfüllt.
b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegegrad 2 ab 1. Januar 2017. Der Kläger besitzt auch mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2424) mit Wirkung zum 1. Januar 2017 nicht den geltend gemachten Anspruch. Denn die Voraussetzungen der Überleitung in die seit 1. Januar 2017 geltenden Pflegegrade sind nicht erfüllt.
Nach § 140 Abs. 2 Satz 1 SGB XI werden Versicherte der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflege-Pflichtversicherung, 1. bei denen das Vorliegen einer Pflegestufe im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt worden ist und 2. bei denen spätestens am 31. Dezember 2016 alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßig wiederkehrende Leistung der Pflegeversicherung vorliegen, mit Wirkung ab dem 1. Januar 2017 ohne erneute Antragstellung und ohne erneute Begutachtung nach Maßgabe von Satz 3 einem Pflegegrad zugeordnet. Für die Zuordnung gelten nach § 140 Abs. 2 Satz 3 SGB XI die folgenden Kriterien: 1. Versicherte, bei denen eine Pflegestufe nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung, aber nicht zusätzlich eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurde, werden übergeleitet a) von Pflegestufe I in den Pflegegrad 2, b) von Pflegestufe II in den Pflegegrad 3, c) von Pflegestufe III in den Pflegegrad 4 oder d) von Pflegestufe III in den Pflegegrad 5, soweit die Voraussetzungen für Leistungen nach § 36 Abs. 4 oder § 43 Abs. 3 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurden; 2. Versicherte, bei denen eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurde, werden übergeleitet a) bei nicht gleichzeitigem Vorliegen einer Pflegestufe nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 2, b) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe I nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 3, c) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe II nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 4, d) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe III nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung, auch soweit zusätzlich die Voraussetzungen für Leistungen nach § 36 Abs. 4 oder § 43 Abs. 3 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurden, in den Pflegegrad 5.
Das Vorliegen einer Pflegestufe im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI a.F. - wie bereits unter 3. a) ausgeführt - konnte der Senat nicht feststellen. Eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI a.F. liegt nicht vor und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Der Kläger erfüllte am 31. Dezember 2016 nicht alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßig wiederkehrende Leistung der Pflegeversicherung. Damit scheidet auch eine Zuordnung zu Pflegegrad 2 aus.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 23. Oktober 2015.
Der am 1949 geborene, bei der Beklagten pflegeversicherte Kläger wohnt alleine in einer Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Die Räume liegen auf einer Ebene. Zur Wohnungstür führt eine Treppe mit 15 Stufen.
Der Kläger beantragte am 23. Oktober 2015 Geldleistungen der ambulanten Pflege. Im Auftrag der Beklagten erstellte Pflegefachkraft J.-A., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), am 10. Dezember 2015 aufgrund einer Untersuchung am selben Tag ein Gutachten. Als pflegebegrünende Diagnosen nannte sie einen Zustand nach Rektumkarzinom (Enddarmkrebs) sowie eine chronisch venöse Insuffizienz (Erkrankung der Beinvenen mit Abflusshindernis sowie Zirkulationsstörung) nach Ulcus cruris (schlecht heilende Wunde im Unterschenkelbereich) beidseits. Die Beine würden täglich vom Pflegedienst zur Kompression gewickelt. Bei den grundpflegerischen Verrichtungen benötige der Kläger keine Hilfestellung. Diese verrichte er selbständig. Die Hauswirtschaft führe er häufig nicht ausreichend adäquat durch, teilweise sei es in der Vergangenheit zu Verwahrlosungstendenzen gekommen. Hier bestehe ein Hilfebedarf von 30 Minuten täglich.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2015 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers unter Hinweis auf das Gutachten ab, da der Grundpflegebedarf 45 Minuten täglich nicht übersteige.
Auf den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, er benötige Hilfe beim Waschen, Anziehen und den Toilettengängen und täglich komme eine Krankenschwester, um die Kompressionsstrümpfe zu wechseln, wurde ein am 19. Januar 2016 nach Aktenlage erstelltes Gutachten der Pflegefachraft E., MDK, eingeholt, in dem diese die pflegebegründende Diagnose und den im Gutachten der Pflegefachkraft J.-A. beschriebenen Grundpflegebedarf bestätigte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Gutachter des MDK hätten einen Hilfebedarf verneint. Es sei dem Kläger u.a. möglich, sich zu waschen, zu kämmen, zu rasieren und die Toilettengänge durchzuführen. Fertige Speisen könne der Kläger selbst portionieren und aufnehmen. Innerhalb der Wohnung sei er ausreichend mobil. Dies gelte auch für den Bekleidungswechsel. Aufgrund der eindeutigen sozialmedizinischen Beurteilung seien die Voraussetzungen für Pflegestufe I nicht erfüllt.
Der Kläger erhob am 4. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Zur Begründung bezog er sich auf seinen Widerspruch und führte aus, die Beklagte habe bei ihrer Entscheidung nicht den tatsächlichen Pflegeaufwand berücksichtigt. Er sei mit den Krankenkassen und dem Gesundheitssystem nicht einverstanden. Sein offenes Bein könne nicht behandelt werden. Auch mit den Pflegediensten sei er nicht zufrieden.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Das SG befragte den den Kläger behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte unter dem 25. Juli 2016 mit, der Kläger leide unter einem Zustand nach Adenokarzinom, chronisch venöser Insuffizienz und psychischen Problemen. Er habe Hygieneprobleme. Täglich erfolgten Besuche durch die Sozialstation. Hilfe bzw. Kontrolle sei nötig bei der Körperpflege; der Kläger wolle dies jedoch nicht oder nur zu selbst bestimmten Zeitpunkten. Weder bei Mobilität noch bei Ernährung sei Hilfe nötig. Die Vorgänge bei Körperpflege, Ernährung und Mobilität erfolgten eigenständig. Hierfür benötige der Kläger nach seinen (des Klägers) Angaben ca. 1-2 Stunden. Der Eigenpflegeaufwand sei bedingt durch den Zustand nach Rektumkarzinom mit z.T. Stuhlinkontinenz deutlich höher: allerdings gebe der Kläger absolut glaubhaft an, seit einem Jahr nicht geduscht zu haben.
Das SG beauftragte Arzt für Innere Medizin Dr. B. unter dem 27. August 2016 mit der Durchführung einer Begutachtung. Nachdem der Sachverständige vergeblich versucht hatte, mit dem Kläger einen Termin zu vereinbaren, sprach der Kläger persönlich beim SG vor, um mitzuteilen, er sehe sich außer Stande, einen Gutachter bei sich zu empfangen, sei jedoch mit einer Begutachtung nach Aktenklage einverstanden. Daraufhin hob das SG den Gutachtensauftrag mit der Begründung auf, ein Gutachten nach Aktenlage sei nicht zielführend.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Februar 2017 unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids der Beklagten ab. Der Sachverhalt habe nicht durch eine persönliche Begutachtung des Klägers geklärt werden können, da der Kläger dies abgelehnt habe. Es lasse sich nach Akteninhalt nicht feststellen, dass beim Kläger im Bereich der Grundpflege wöchentlich im Tagesdurchschnitt ein Bedarf von mehr als 45 Minuten bestehe. Die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. H. bestätige die Ergebnisse der Gutachten des MDK. Soweit der Kläger ausführe, eine Krankenschwester komme, um Kompressionsverbände zu wechseln, seien dies dem Bereich der Behandlungspflege zuzuordnende Leistungen, die im Rahmen der Grundpflege nicht berücksichtigungsfähig seien.
Gegen den ihm am 24. Februar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 1. März 2017 Berufung beim SG eingelegt. Zur Begründung führt er aus, er sei lediglich im Dezember 2015, nicht hingegen ein zweites Mal im Januar 2016 begutachtet worden. Eine Frau E. kenne er nicht. Er werfe der "AKO" (gemeint wohl der Beklagten) Prozessbetrug vor.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2016 zu verurteilen, ihm vom 23. Oktober bis 31. Dezember 2016 Pflegegeld nach Pflegestufe I und ab 1. Januar 2017 nach Pflegegrad 2 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Den Vorwurf des Prozessbetruges weise sie zurück. Die Begutachtung im Januar 2016 sei nach Aktenlage erfolgt. Dies ergebe sich aus dem Widerspruchsbescheid.
Der Senat hat Pflegesachverständigen B. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 12. Juli 2017 nennt er als pflegebegründende Diagnosen einen Zustand nach Rektumkarzinom mit partieller Stuhlinkontinenz, eine chronisch venöse Insuffizienz mit Ulcus cruris und einen Zustand nach Superinfektion sowie eine depressive Persönlichkeitsstörung. Bei der Ganzkörperwäsche bestehe ein anteiliger Hilfebedarf im Bereich des Rückens sowie punktuellen Aufforderungen und Kontrollen zur ausreichenden Reinigung anderer Körperbereiche unter Nutzung vorhandener Eigenressourcen von fünf Minuten. Angelegte Kompressionsverbände seien kein grundsätzliches Hindernis für einen zwei Mal wöchentlichen Duschvorgang. Beim Duschvorgang selbst bestehe ein Hilfebedarf im Bereich des Rückens sowie punktuellen Aufforderungen und Kontrollen bei fehlendem Pflegebedürfnis von zwei Minuten. Im Bereich Ernährung und Mobilität seien keine Grundpflegebedarfe zu ermitteln. Zu dem (Soll-)Grundpflegebedarf von insgesamt sieben Minuten seinen für Unterstützungen im Bereich der Hauswirtschaft täglich 25 Minuten in Ansatz zu bringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, ist zulässig, insbesondere statthaft. Sie bedurfte nicht der Zulassung, da der Kläger die Gewährung von Pflegegeld für einen Zeitraum für mehr als einem Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I vom 23. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 sowie nach Pflegegrad 2 ab 1. Januar 2017. Streitgegenständlich ist vorliegend allein der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2016.
3. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2016 ist rechtmäßig. Der Kläger hat weder Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I für die Zeit vom 23. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 (siehe hierzu a) noch nach Pflegegrad 2 ab 1. Januar 2017 (siehe hierzu b).
Da der Kläger seinen Antrag auf Pflegegeld am 23. Oktober 2016, mithin vor dem 31. Dezember 2016 stellte, beurteilt sich nach § 140 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) sein Anspruch nach den Vorschriften des SGB XI in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (SGB XI a.F.).
a) aa) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI a.F. Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI a.F.) der Hilfe bedürfen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI a.F. Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI a.F.).
Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI a.F.), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI a.F.) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI a.F.). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI a.F. stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – juris, Rn. 20 m.w.N.).
bb) Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I liegen beim Kläger im Zeitraum vom 23. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 nicht vor.
(1) Beim Kläger besteht ein Zustand nach Rektumkarzinom mit partieller Stuhlinkontinenz, eine chronisch venöse Insuffizienz mit Ulcus cruris und ein Zustand nach Superinfektion sowie eine depressive Persönlichkeitsstörung. Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten des Pflegesachverständigen B. vom 12. Juli 2017, der Auskunft des Dr. H. vom 25. Juli 2016 sowie den Gutachten der Pflegefachkräfte J.-A. und E. vom 10. Dezember 2015 und 19. Januar 2016, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51). Die vom Kläger geschilderten Beschwerden wurden dabei berücksichtigt. Substantiierte Einwendungen gegen diese Feststellungen hat er nicht erhoben. Die Gesundheitsstörungen sind zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
(2) Ein Hilfebedarf bei den Verrichtungen der Grundpflege von mehr als 45 Minuten besteht nicht. Der Kläger führt die gesetzlich genannten Verrichtungen der Grundpflege überwiegend selbständig durch. Der Senat entnimmt dem Sachverständigengutachten des Pflegesachverständigen B. einen Hilfebedarf bei der Körperpflege von sieben Minuten täglich; für die Bereiche Ernährung und Mobilität besteht hingegen kein Hilfebedarf. Weder im Gutachten des Pflegesachverständigen B. noch in den Gutachten der Pflegefachkräfte J.-A. und E. sind Mobilitätseinschränkungen beschrieben. Der Kläger gibt insoweit selbst an, wochentags mit dem Bus nach Heidelberg zur Universität zu fahren, um dort ein günstiges Mittagessen einzunehmen. Damit wird ein täglicher Grundpflegebedarf von allenfalls sieben Minuten erreicht.
Nicht zu berücksichtigen ist hierbei der durch das Anlegen der Kompressionsverbände bestehende tägliche Hilfebedarf. Dieser ist der so genannten Behandlungspflege zuzuordnen. Da ein unmittelbarer Zusammenhang mit einer der in § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. genannten Verrichtungen nicht erkennbar ist, kommt insoweit ein berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf (§ 15 Abs. 3 Satz 3 SGB XI a.F.) nicht in Betracht. Unter der Behandlungspflege werden die krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen erfasst, das heißt solche, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Heilberufe oder auch von Laien erbracht werden (BSG, Urteil vom 8. Oktober 2014 – B 3 P 4/13 R – juris, Rn. 16).
(3) Trotz des im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung vom Sachverständigen B. nachvollziehbar dargelegten Hilfebedarfs von 25 Minuten sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld in der Zeit vom 23. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2016 nicht erfüllt.
b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegegrad 2 ab 1. Januar 2017. Der Kläger besitzt auch mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2424) mit Wirkung zum 1. Januar 2017 nicht den geltend gemachten Anspruch. Denn die Voraussetzungen der Überleitung in die seit 1. Januar 2017 geltenden Pflegegrade sind nicht erfüllt.
Nach § 140 Abs. 2 Satz 1 SGB XI werden Versicherte der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflege-Pflichtversicherung, 1. bei denen das Vorliegen einer Pflegestufe im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt worden ist und 2. bei denen spätestens am 31. Dezember 2016 alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßig wiederkehrende Leistung der Pflegeversicherung vorliegen, mit Wirkung ab dem 1. Januar 2017 ohne erneute Antragstellung und ohne erneute Begutachtung nach Maßgabe von Satz 3 einem Pflegegrad zugeordnet. Für die Zuordnung gelten nach § 140 Abs. 2 Satz 3 SGB XI die folgenden Kriterien: 1. Versicherte, bei denen eine Pflegestufe nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung, aber nicht zusätzlich eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurde, werden übergeleitet a) von Pflegestufe I in den Pflegegrad 2, b) von Pflegestufe II in den Pflegegrad 3, c) von Pflegestufe III in den Pflegegrad 4 oder d) von Pflegestufe III in den Pflegegrad 5, soweit die Voraussetzungen für Leistungen nach § 36 Abs. 4 oder § 43 Abs. 3 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurden; 2. Versicherte, bei denen eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurde, werden übergeleitet a) bei nicht gleichzeitigem Vorliegen einer Pflegestufe nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 2, b) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe I nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 3, c) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe II nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 4, d) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe III nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung, auch soweit zusätzlich die Voraussetzungen für Leistungen nach § 36 Abs. 4 oder § 43 Abs. 3 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurden, in den Pflegegrad 5.
Das Vorliegen einer Pflegestufe im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI a.F. - wie bereits unter 3. a) ausgeführt - konnte der Senat nicht feststellen. Eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI a.F. liegt nicht vor und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Der Kläger erfüllte am 31. Dezember 2016 nicht alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßig wiederkehrende Leistung der Pflegeversicherung. Damit scheidet auch eine Zuordnung zu Pflegegrad 2 aus.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
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