L 11 AS 870/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AS 393/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 870/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Keine Aufhebung einer Leistungsbewilligung bei schuldlos gemachten falschen Angaben zum Vermögen.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 09.11.2016 und der Bescheid vom 30.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2014 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 06.03.2013 zurückzunehmen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von Januar 2005 bis November 2011 wegen verschwiegenem Vermögen und die Erstattung erbrachter Leistungen iHv insgesamt 65.378,97 EUR.

Der 1967 geborene Kläger bezog zunächst bis 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe und beantragte am 08.09.2004 Alg II. Dabei gab er an, über kein Vermögen von mehr als 4.850 EUR zu verfügen. Seine Girokonten wiesen ein Soll von 700,06 EUR aus. Sparbücher, Sparbriefe, sonstige Wertpapiere, Kapitallebensversicherungen oder private Rentenversicherungen sowie Bausparverträge seien nicht vorhanden. Monatlich würden Heizkosten iHv "4.096,60 EUR", Nebenkosten iHv "5.022,45 EUR" und sonstige Wohnkosten iHv "618,25 EUR" anfallen. Die Angaben wurden mit grünem Stift korrigiert. Mit Bescheid vom 30.10.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg II für Januar 2005 bis Mai 2005 iHv monatlich 548,74 EUR.

Im Rahmen eines Folgeantrags vom 07.04.2005 gab der Kläger ua an, für eine Lebensversicherung monatlich 424,08 EUR aufzuwenden. Weiter wurden zwei Kontonummern bei der S. unter dem Punkt "Geldwert des Vermögen" angegeben, jedoch ohne Guthabenstand. In Bezug auf den "Arbeitgeber" führt er zunächst das "Arbeitsamt A-Stadt" an. Unter "Lohnersatzleistungen, Arbeitslosengeld, Unterhalts-/Übergangsgeld, Konkursausfallgeld" trug er immer dieselbe "Eingabennummer" ein und gab bei Renten- und Versorgungsbezügen sowie Unterhaltssicherungsleistungen das "Arbeitsamt" an. Seine Wohnung bestehe aus "neun Räumen", die "möbliert an sieben Personen untervermietet" seien. Auf der letzten Seite des Folgeantrags merkte der Kläger an, er habe iHv 1.250 EUR eine "Forderung monatlich gegen den Grundgesetzgeber". Ihm würden monatlich 3 EUR abgezogen und deswegen von 548,74 EUR nicht viel zum Leben übrig bleiben. Beispielsweise seien 2.500 DM geteilt durch 2 = 1.250 EUR, es müsse jedoch 2.500 EUR heißen. Obwohl er es vorgerechnet habe, sei nicht alles korrekt ausgerechnet worden. Weiter wurde ein Schreiben der V.-Versicherungen zu einer kapitalbildenden Lebensversicherung vorgelegt. Seit Vertragsbeginn sei ein Gesamtbetrag von 15.217,72 EUR eingezahlt worden. Der Rückkaufswert betrage 7.645,73 EUR. Aus den vorgelegten Kontoauszügen gehen verschiedene Abbuchungen auf Sparverträge (4 x 25 EUR monatlich), zugunsten der Bayer. Versicherungsbank A. (A) iHv 71,10 EUR sowie für eine FC A-Stadt-Sparkarte iHv 100 EUR bzw 10 EUR hervor. Im Rahmen eines Datenabgleichs am 12.12.2005 wurde der Beklagten ein Kapitalertrag für Zinsen iHv 44 EUR betreffend das Jahr 2004 bekannt. Der Kläger gab in den weiteren Fortzahlungsanträgen jeweils an, in seinen Vermögensverhältnissen seien keine Änderungen eingetreten. Der Beklagte bewilligte darauf Alg II wie folgt:

Bescheid vom; Zeitraum; Monatliche Höhe
28.07.2005; 06/2005 bis 11/2005; 438 EUR
17.11.2005; 12/2005 bis 05/2006;, 592 EUR
11.05.2006; 06/2006 bis 11/2006; 565 EUR
24.10.2006; 12/2006 bis 05/2007; 580 EUR
16.05.2007; 06/2007 bis 11/2007; 580 EUR
18.10.2007; 12/2007 bis 02/2008; 584 EUR
21.04.2008; 03/2008 bis 05/2008; 713 EUR
28.04.2008; 06/2008 bis 11/2008; 713 EUR
22.09.2008; 12/2008; 719 EUR
22.12.2008; 01/2009; 718,90 EUR
02.02.2009; 02/2009 bis 05/2009; 595,90 EUR
05.05.2009; 06/2009 bis 11/2009; 613,85 EUR
10.11.2009; 12/2009 bis 05/2010; 621,85 EUR
09.04.2010; 06/2010 bis 11/2010; 621,85 EUR
05.11.2010; 12/2010; 621,85 EUR
06.05.2011; 01/2011; 721,77 EUR
06.05.2011; 02/2011 bis 05/2011; 634,85 EUR
06.05.2011; 06/2011; 558,92 EUR
22.07.2011; 07/2011 bis 11/2011; 512,11 EUR

Im Rahmen der Folgeantragstellung für die Zeit ab Dezember 2011 legte der Kläger Kontoauszüge für Oktober und November 2011 vor, bei denen verschiedene Buchungen unkenntlich gemacht wären. In einem Aktenvermerk vom 03.11.2011 hielt die Beklagten fest, der Kläger sei hierauf angesprochen worden und habe angegeben, dies gehe die Beklagte nichts an. Durch die Streichungen sei aber ersichtlich gewesen, dass es sich um Abbuchungen für Sparbücher handeln müsse. Der Kläger habe dann die Existenz der Sparbücher bejaht und sei nach Aufforderung, die aktuellen Stände vorzulegen, ausfallend geworden. Er gebe die Sparbücher nicht aus der Hand. Die Beklagte ermittelte daraufhin Sparkonten und ein Depot des Klägers mit Guthabenständen iHv 22.259,56 EUR (C.), iHv 12.748,82 EUR (S.), iHv 1.000,49 EUR (H.) sowie iHv 2.552,45 EUR (P.). Den Fortzahlungsantrag für die Zeit ab Dezember 2011 lehnte sie mit Bescheid vom 14.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2012 ab. Die vom Kläger dagegen selbst erhobene Klage (S 13 AS 97/12) hat das Sozialgericht Würzburg (SG) mit Urteil vom 16.05.2012 abgewiesen.

In der Folge ermittelte die Beklagte bei den Geldinstituten und Versicherungen Guthabenstände jeweils zum 01.01. und 01.07. eines Jahres von 2005 bis 2011 zwischen 11.802,51 EUR und 37.116,65 EUR. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 18.05.2012 entsprechend angehört worden war, nahm die Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2013 die Bescheide vom 30.10.2004, 28.07.2005, 17.11.2005, 11.05.2006, 24.10.2006, 16.05.2007, 18.10.2007, 28.04.2008, 28.04.2008, 22.09.2008, 22.12.2008, 02.02.2009,.05.05.2009, 10.11.2009, 09.04.2010, 05.11.2010, 06.05.2011, 06.05.2011, 06.05.2011 und 22.07.2011 zurück (Ziffern 1-20) und forderte die Erstattung von Alg II für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2011 iHv 50.059,85 EUR zuzüglich Sozialversicherungsbeiträgen iHv 15.319,12 EUR (Ziff. 21). Der Kläger sei nicht hilfebedürftig gewesen und habe es pflichtwidrig unterlassen, die Beklagte von wesentlichen Änderungen in den Verhältnissen, nämlich das geldwerte Vermögen aus den Sparbüchern, unverzüglich und rechtzeitig zu unterrichten. Er habe dabei vorsätzlich gegen seine Mitwirkungspflicht verstoßen und das vorhandene Vermögen nicht angegeben. Erst am 14.12.2011 habe der für die Rücknahme zuständige Mitarbeiter vollständige Kenntnis von den Tatsachen erlangt, so dass auch die Ausschlussfrist noch nicht abgelaufen sei.

Der von einer Bevollmächtigten vertretene Kläger beantragte am 13.06.2013 die Überprüfung des Rücknahme- und Erstattungsbescheides. Da die Beklagte nach eigenen Angaben bereits am 14.12.2011 vollständige Kenntnis aller Tatsachen gehabt habe, sei hinsichtlich des Rückforderungsbescheides vom 06.03.2013 die Ausschlussfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) abgelaufen gewesen. Der Kläger habe bereits bei der ersten Antragstellung Kontoauszüge vorgelegt, aus denen hervorgehe, dass Sparbeträge abgehen würden. Dies sei seinerzeit offensichtlich nicht hinterfragt worden. Bei den persönlichen Vorsprachen - insbesondere im Rahmen des Übergangs von der Arbeitslosenhilfe zum Alg II - habe er immer alle seine Unterlagen und Ordner mitgebracht und vorzeigen wollen. Oft habe er jedoch zur Antwort bekommen, dies sei nicht notwendig bzw es sei alles in Ordnung. Seine massiven geistigen Defizite seien von Anfang an bekannt gewesen und die Beklagte habe selbst ein psychologisches Gutachten veranlasst, welches eine Behinderung an der Grenze zu einer geistigen Behinderung bescheinige. Eine geordnete Gesprächsführung sei mit ihm nicht möglich gewesen und er habe stets Unterstützung und Hilfestellung benötigt. Er bringe viel durcheinander und könne nicht einmal die Differenzierung "Einkommen-Vermögen" nachvollziehen, geschweige denn den gemachten Vorwurf. Er habe offenbar aus einer Auskunft eines Sparkassenmitarbeiters, dass "das Ganze steuerfrei" sei, den Rückschluss gezogen, er dürfe sein "Erspartes" behalten. Er habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig falsche Angaben gemacht und habe auch die Rechtswidrigkeit der jeweiligen Verwaltungsakte nicht erkennen können.

Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 30.12.2013 ab. Im psychologischen Gutachten vom 07.09.2007 sei bestätigt worden, dass der Kläger keine Defizite im Sinne einer geistigen Behinderung habe. Er sei mehrfach über vorhandenes Vermögen ausdrücklich befragt und auf die Strafbarkeit vorsätzlich falscher Angaben hingewiesen worden. Dennoch habe er bewusst mehrfach wahrheitswidrige Angaben gemacht. Auch könne er zwischen Einkommen und Vermögen unterscheiden, was er durch die Vorlage geschwärzter Kontoauszüge am 03.11.2011 unter Beweis gestellt habe. Der Versuch, Kontobewegungen, die mit finanziellen Transaktionen im Zusammenhang stünden, zu verschleiern, stelle Erkenntnisfähigkeit und absichtliches Handeln ebenso unter Beweis, wie seine Anlagestrategie und die Streuung des Vermögens in verschiedene Anlageformen.

Dagegen legte die Klägerbevollmächtigte Widerspruch ein. Die fehlende Bösgläubigkeit des Klägers ergebe sich auch aus dem im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten, wonach er aufgrund des Vorliegens einer Intelligenzminderung bei aufgehobener Einsichtsfähigkeit als schuldunfähig anzusehen sei. Er sei intellektuell nicht in der Lage, komplexe Sachverhalte nachzuvollziehen. Ihm mangele es an der Fähigkeit zur Abstraktion und dem Verständnis übergeordneter Zusammenhänge. Er weise deutliche Zeitgitterstörungen auf und sei nicht in der Lage, selbst einfache Rechenaufgaben zu bewältigen oder Zusammenhangsfragen zu beantworten. Ferner wisse er nicht, wie sich die rechtlichen Zusammenhänge und Begrifflichkeiten im Hinblick auf Einkommen und Vermögen gestalteten. Er habe sich auf die Mitarbeiter der Beklagten, Mitarbeiter von Geldinstituten, ehemalige Arbeitskollegen etc verlassen und hierbei vieles nicht konkret einordnen können, was ihm jedoch aufgrund seiner Minderbegabung nicht anzulasten sei. Aus seiner Sicht sei schützenswertes und "steuerfreies" Einkommen das, was er früher bezogen habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2014 zurück. Die Ausschlussfrist sei noch nicht abgelaufen gewesen. Insofern habe es sich im angefochtenen Bescheid offensichtlich um einen Schreibfehler gehandelt. Die Vorlage von Kontoauszügen mit Einzahlungen auf Sparkonten im Jahr 2004 ändere hieran nichts. Das Einkommen und die Erwerbsbiographie des Klägers habe keine Anhaltspunkte für das beträchtliche Vermögen gegeben. Gerade auch die Mehrung des Vermögens in der Zeit nach Erstantragstellung habe von der Beklagten nicht angenommen werden können. Der berücksichtigte Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte stehe nicht im Zusammenhang mit einer eingeschränkten geistigen Leistungsfähigkeit. Auch die mangelnde Schuldfähigkeit im Sinne des § 20 Strafgesetzbuch (StGB) ziehe nicht den Ausschluss der Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 SGB X nach sich. Es genüge, dass grob fahrlässig falsche Angaben gemacht worden seien. Im Erstantrag am 08.09.2004 seien Vermögenswerte über 4.850 EUR verneint worden. Tatsächlich habe sich das Vermögen aber auf insgesamt 11.802,51 EUR belaufen. Dass dem Kläger der Unterschied zwischen 4.850 EUR und beinahe 12.000 EUR nicht bekannt gewesen sei, sei nicht glaubhaft. Im Fortzahlungsantrag vom 07.04.2005 sei allein das Girokonto der S. angegeben worden. Auch habe sich das Vermögen zwischen Januar 2005 und Juli 2005 durch Einzahlungen um mehr als 2.000 EUR gemehrt. Er habe keine Berechnungen oder rechtliche Würdigungen vornehmen müssen, sondern lediglich Auskunft über tatsächliche Vermögensverhältnisse erteilen sollen. Die Vorlage der geschwärzten Kontoauszüge am 03.11.2011 und die folgende Weigerung, die aktuellen Stände zu belegen, hätten zum Ausdruck gebracht, der Kläger wolle sein Vermögen verschleiern. Er habe gegen die Versagung weiterer Leistungen selbst Widerspruch erhoben, ohne anwaltliche Vertretung hinzuzuziehen. Soweit er erklärt habe, das angesparte Geld bei der S. sei eigenes Geld, wofür man gearbeitet habe und es nur zähle, dass das Girokonto ein Guthaben von 200 EUR je Lebensjahr nicht übersteige, zeige das Bewusstsein, dass es Vermögensgrenzen gebe. Der Zusammenhang mit dem Lebensalter sei ihm bekannt gewesen. Auch sei vom Kläger auf einem Kundenfinanzstatusbericht steigende Zinssätze und die Anlagestrategie vermerkt worden. Dies belege entsprechende Vorstellungen über Vermögen und Angespartes. Noch am 29.05.2012 habe er darauf verwiesen, es gehe die Beklagte nichts an, was er mit seinem Geld mache. Im November 2012 habe er wahrheitsgemäß Guthaben bei der P. und bei der S. angegeben, welches unter den Vermögensfreibeträgen gelegen habe. Nicht angegeben habe er aber das Sparkonto bei der C. mit mehr als 29.000 EUR. Er habe so durch taktierendes Verhalten versucht, den Eindruck zu erwecken, er sei hilfebedürftig. Über einen Teil des Vermögens habe er einen Verwertungsausschluss erklärt, damit dieser anrechnungsfrei bleibe. Hiermit habe er unter Beweis gestellt, dass er sich darüber im Klaren sei, dass zu hohes Vermögen leistungsschädlich sei. Er sei geistig in der Lage, einen Führerschein zu erlangen und einen Gabelstapler zu führen. Auch zwischen 1986 und 1993 sei er in der Großindustrie beschäftigt gewesen und habe offensichtlich die Anforderungen dort erfüllen können. Im Jahr 2006 habe er eine Qualifizierungsmaßnahme mitgemacht und angegeben, nur in einer Großfabrik arbeiten zu wollen. Hier sei offensichtlich der Wunsch vordringlich gewesen, eine überdurchschnittliche Vergütung zu erlangen und damit Vermögen zu bilden.

Mit Beschluss vom 26.05.2014 hat das Amtsgericht A-Stadt für den Kläger eine Betreuung für die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Vertretung vor Gerichten, Entgegennahme, Öffnen und Bearbeiten der Post und einen Einwilligungsvorbehalt in Bezug auf die Vermögenssorge angeordnet. Aufgrund einer geistigen Behinderung mittleren Grades sei er nicht in der Lage, die entsprechenden Angelegenheiten ausreichend zu besorgen. Die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts erfolge zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für das Vermögen des Betroffenen wegen der Sorglosigkeit des Klägers. Der Anordnung lag ein psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie L. vom 16.03.2014 zugrunde. Darin ist ua ausgeführt, eine Zeitgitterstörung bestehe beim Kläger nicht, die kognitiven Fähigkeiten seien aber deutlich eingeschränkt. Komplexe Sinn- und Sachzusammenhänge könnten nicht erfasst werden. Die allgemeine Auffassung für einfache Alltagsumstände, die Konzentrationsfähigkeit und Ausdauerleistung seien nicht signifikant eingeschränkt. Es bestünden formale Denkstörungen mit Logorrhoe und sprunghaften Denkabläufen durch aufgelockerte Assoziationen. Die Kritik- und Urteilsfähigkeit sei eingeschränkt, was vor allem abstrakte Zusammenhänge wie seine Geldausgaben und Einkünfte betreffe. Seine logischen Schlussfolgerungen leite er aus einem sogenannten magischen Denken ab. Er könne Wesentliches nicht vom Unwesentlichen unterscheiden, so dass die Gewichtung und Bedeutungszuschreibung verschiedener Sachverhalte völlig undifferenziert stattfinde. Es könne nur vermutet werden, dass der Kläger den Besitz von einer größeren Summe Geld als Erfolgserlebnis und Aufwertung der eigenen Person empfunden habe und darauf nicht mehr habe verzichten wollen. Aufgrund des sehr eingeschränkten Verständnisses der Zusammenhänge zwischen der Zahlung von Arbeitslosengeld bzw Grundsicherung und dem Selbstbehalt habe er sein Geld auf verschiedene Sparbücher verteilt. Nach Aufklärung, er müsse erst sein Geld ausgeben, habe er größere Bargeldsummen abgehoben und zu Hause deponiert, was er aber gegenüber den Ermittlungsorganen unumwunden (arglos) zugegeben habe. Von Zahlen über 100 habe der Kläger kaum Vorstellungen. Bei Fragen nach konkreten Geldsummen habe er immer wieder mit "6.000 EUR" geantwortet, ohne eine Vorstellung zu haben, was er sich davon kaufen könne. Gegenüber seiner Leistungsfähigkeit vor zehn Jahren habe er deutliche Einbußen erlitten. Es sei schwer vorstellbar, dass er eine Ausbildung absolviert und sieben Jahre in der Produktion habe arbeiten können. Diagnostisch bestünde eine leichte Intelligenzminderung, einzuordnen als geistige Behinderung und der Verdacht auf eine Schizophrenia simplex, einzuordnen als psychische Krankheit. Nach wie vor könne er die Zusammenhänge zwischen den Zahlungen des Job-Centers und seinem Vermögen nicht erfassen.

Das G. stellte beim Kläger mit Bescheid vom 02.09.2014 einen GdB von 70 und mit Bescheid vom 21.11.2014 ab 08.08.2013 einen GdB von 80 mit dem Merkzeichen G und B fest. In einem Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung führt die Gutachterin Frau Dr. S. nach einer Untersuchung des Klägers am 27.10.2014 aus, er habe wohl die Regelschule besucht, sei aber am BVJ gescheitert. Bei D. habe er Metallfacharbeiter gelernt, aber nie länger an einer Stelle gearbeitet, zuletzt wohl 2011 einige Wochen als Lagerhelfer. Gravierend auffällig seien eine Logorrhoe und ein sprunghaft-konfuses Denken. Ausführungen, in die er sich hineinsteigere, würden immer unverständlicher werden. Er sei angetrieben, inkohärent, verworren im Denken, lasse den roten Faden vermissen, sei nivelliert und nicht verstimmt. Den Inhalt einer kurzen gelesenen Fabel könne er nicht begreifen. Das Rechnen erscheine erschwert. Aus nervenärztlicher Sicht bestehe vorwiegend eine einfache Intelligenzstruktur, geschätzt vom Ausmaß einer Lernbehinderung. Sekundär sei es offenbar zu einer gewissen Neurotisierung durch die sozial ausgegrenzte Lebensweise gekommen. In diesem Zustand könne er mit Sicherheit nicht am Erwerbsleben teilnehmen.

Im Rahmen eines Strafverfahrens vor dem Amtsgericht A-Stadt (8 Ds ) wegen des Verdachts eines Leistungsbetruges hat der Kläger vor dem Hauptzollamt A-Stadt angegeben, es sei ihm gesagt worden, er könne Sparbücher bei allen Banken haben. Dann habe es geheißen, man dürfe nicht so viel Guthaben haben. Dies sei ihm beim Arbeitsamt so gesagt worden, weil er vorher Arbeitslosgengeld bekommen habe. Das Geld sei doch seins, dafür habe er gearbeitet. Er habe damals seine Unterlagen von den Banken zur Beklagten mitgebracht und diese dort gezeigt. Er habe doch gearbeitet und das Geld stehe ihm zu. Er habe das Geld damals von der Bank abgehoben und es zuhause aufbewahrt, weil man ihm gesagt habe, er dürfe nicht so viel haben. In einem Aktenvermerk zur Vernehmung ist ausgeführt, der Kläger sei den Fragen ausgewichen und habe in nicht zusammenhängenden Halbsätzen geantwortet, die mit dem Sachverhalt nichts zu tun gehabt hätten oder nicht relevant gewesen seien. Konkret habe er die Frage nach seinem Vermögen nicht beantwortet. Die Klägerbevollmächtigte hat ein psychologisches Gutachten des Dipl.-Psych. B. W. für die Agentur für Arbeit vom 07.09.2007 vorgelegt. Danach habe der Kläger eine Förderschule besucht und abgesehen von einer ca siebenjährigen Tätigkeit bei der Firma F. in den vergangenen Jahren meist nur kurzfristig gearbeitet. Im Rahmen der Testdurchführung sei er mit theoretischen Aufgaben schnell überfordert und auf Zusatzinformationen angewiesen gewesen. Im Gespräch sei er einfach strukturiert, seine Assoziationen seien recht weitschweifend und umständlich. Es falle ihm schwer, eine klare gedankliche Linie zu verfolgen. Im Vergleich zu anderen Umschülern seien die Resultate bei Aufgaben zur Abklärung der geistigen Leistungsfähigkeit deutlich unter dem Durchschnitt geblieben. Erhebliche Schwierigkeiten bestünden beim Erkennen von Zahlenzusammenhängen und das figural- und sprach-logische Denken sei deutlich eingeschränkt. Das räumliche Vorstellungsvermögen entspreche jedenfalls nicht mehr dem mittleren Bereich der Vergleichsgruppe. Im schulkenntnisorientierten Bereich seien erhebliche Defizite zu beobachten. In seiner geistigen Leistungsfähigkeit sei er eingeschränkt (Lernbehinderung), zudem erscheine sein Verhalten am Arbeitsplatz problematisch in Bezug auf Unkonzentriertheit, geringe Selbstständigkeit und gedankliche Unstrukturiertheit. Reguläre Arbeiten dürften von ihm kaum zufriedenstellend verrichtet werden. Es kämen besondere Hilfen mit sozialpädagogischer Unterstützung infrage. Defizite im Sinne einer geistigen Behinderung ließen sich jedoch nicht diagnostizieren. Das Amtsgericht A-Stadt hat ein psychiatrisches Gutachten bei Prof. Dr. V. eingeholt. Dieser hat unter dem 11.09.2013 ausgeführt, nach einer testpsychologischen Untersuchung vom 08.08.2013 verfüge der Kläger über ein aktuelles Gesamtleistungsniveau von 64 IQ-Punkten, das als sehr stark unterdurchschnittlich zu klassifizieren sei. Nur 1 % seiner Altersgruppe zeige eine vergleichbare oder schlechtere Leistung auf. Im stark unterdurchschnittlichen Bereich liege eine Teilleistung "sprachliches Verständnis". Aus der Exploration am 08.08.2013 erscheine berichtenswert, dass der Kläger einen Sonderschulabschluss erzielt und die Ausbildung zu einer Hilfskraft in einer Behinderteneinrichtung vorzeitig beendet habe. Er habe weder angeben können, seit wann er arbeitslos sei, noch scheine es ihm klar zu sein, mit welchen finanziellen Mitteln genau er seinen Lebensunterhalt bestreite. Entgegen seiner Angaben, in der D.-Einrichtung in G-Stadt eine Lehre als Metallfachwerker absolviert zu haben, ergebe sich aus einem Zeugnis, dass diese Ausbildung in gegenseitigem Einverständnis vorzeitig beendet worden sei. Im Hinblick auf den Vorhalt eines Betruges habe er angegeben, es seien lediglich Daten falsch übermittelt worden. Der Kläger sei logorrhoeisch und spreche oft unzusammenhängend. Das Gespräch habe sehr stark strukturiert werden müssen. Er wirke "arglos" und zeige deutliche Zeitgitterstörungen. Selbst einfache Rechenaufgaben könne er nicht bewältigen, ganz offensichtlich liege eine Intelligenzminderung vor, selbst Zusammenhangsfragen aus dem Bereich Metall könne er nur sehr näherungsweise beantworten. Diagnostisch sei von einer leichten Intelligenzminderung auszugehen. Gesprächsnotizen verschiedener Mitarbeiter der Arbeitsagentur, aber auch des Protokolls der Hauptverhandlung beim Amtsgericht zeigten die mangelnde Übersicht des Klägers bei eklatanten Defiziten vor allem in der Abstraktionsfähigkeit, dem Verstehen übergeordneter Zusammenhänge. Insofern sei auch nochmals auf die Einvernahme des Klägers beim Hauptzollamt hinzuweisen, wo er angegeben habe, dass er Geld von der Bank abgehoben und zuhause aufbewahrt habe, weil man ihm gesagt habe, er dürfe nicht so viel haben. Dies zeige ein eklatantes Nicht-Erfassen der Bestimmungen, die natürlich auch verbieten würden, über größere Barbeträge zu verfügen. Der Kläger erkenne hier offensichtlich nicht, wie er sich mit einer solchen Aussage belaste. Es bestehe eine besondere Schwäche im Bereich Unterscheidungsfähigkeit von Wesentlichem und Unwesentlichem sowie im Sprachverständnis. Im Rahmen der Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei intelligenzgeminderten Personen gelte bei einer leichteren geistigen Behinderung, dass bei komplexen Tatumständen meist eine fehlende Einsichtsfähigkeit vorliege, bei einfacheren Tatverhältnissen je nach Tatsituation und Begleitstörung aufgehobene oder erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bestehe. Diese Anhaltspunkte könnten jedoch allgemein nicht schematisch verwandt werden. Vorliegend sei unzweifelhaft ein komplexer Zusammenhang gegeben. Wie sich aus den Äußerungen des Klägers gegenüber verschiedenen Personen ergebe, verstehe er diesen Zusammenhang nicht, führe immer wieder ganz ohne Sicherungstendenzen an, er habe Rücklagen für das Alter bilden wollen und dies doch erlaubt sei. Hieran halte er unverrückbar fest. Selbst Laien hätten beschrieben, dass sie den Eindruck gehabt hätten, der Kläger verstehe die Zusammenhänge nicht, obwohl sie sich Mühe gegeben hätten, ihm dies zu erklären. Allerdings könne er solche Erklärungen, bei den festgestellten erheblichen sprachlichen Verständnisstörungen, kaum erfassen, diese Erklärungen fielen also weitgehend ins Leere. Es sei somit von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit für den hier gegebenen komplexen Sachverhalt auszugehen. Mit Urteil vom 16.12.2013 hat das Amtsgericht A-Stadt den Kläger im Hinblick auf eine Schuldunfähigkeit vom Vorwurf des Betruges freigesprochen. Beim Kläger liege eine Intelligenzminderung vor. Ihm sei es nicht möglich, komplexe Sachverhalte zu erfassen und das Ausfüllen eines Leistungsantrages übersteige seine Fähigkeiten.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 01.07.2014 hat die Bevollmächtigte des Klägers beim SG Klage erhoben. Der Kläger habe 2004 nach Empfehlung von dritter Seite Alg II beantragt. Dabei habe es ihm bereits an der nötigen Einsichtsfähigkeit gefehlt, komplexe Sachverhalte erfassen zu können. Er sei bereits damals geschäftsunfähig gewesen. Insbesondere habe er zwischen Einkommen und Vermögen nicht differenzieren können. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass der Kläger seine bezogene Sozialleistung als "sein Einkommen" betrachtet habe und von dem er angenommen habe, er könne es uneingeschränkt für Sparzwecke beiseitelegen. Im Widerspruch vom 14.12.2011 habe er angegeben, das Alg II sei sein "Arbeitsgehalt". Die Notwendigkeit der Angaben in den jeweiligen Anträgen sei für ihn nach seiner Wertung in der Laiensphäre nicht nachvollziehbar gewesen. Aufgrund seiner Behinderung, seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand sei es ihm nicht möglich gewesen, Hinweise in Vordrucken, Merkblättern, Bescheiden, etc zu beachten oder mündliche Belehrungen zur Kenntnis zu nehmen und nachzuvollziehen, da es ihm an der individuellen Urteils- und Kritikfähigkeit und an Einsichtsfähigkeit gemangelt habe und nach wie vor mangele. Dies ergebe sich auch aus dem im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Der Beklagten seien die Konten bei der P. bereits aufgrund eines Datenabgleichs vom 12.12.2005 bekannt gewesen, ebenso wie die Konten bei der S., die den bei der ersten Antragstellung vorgelegten Kontoauszügen zu entnehmen gewesen seien. Bereits bei der ersten Antragstellung wären die Angaben und das Verhalten des Klägers zu hinterfragen gewesen. Aus Auskünften von Dritten, sein Vermögen sei "steuerfrei", habe er den Schluss gezogen, dass dies auch für das Alg II gelte. Zu den jeweiligen Antragsstellungen habe er immer Rucksäcke mit allen seinen Unterlagen dabei gehabt. Es sei ihm jeweils umfassend Hilfe geleistet worden, was sich schon aus den vielen ergänzenden Anmerkungen und Durchstreichungen seitens der zuständigen Sachbearbeiter ergebe. So habe er bei der Erstantragstellung nicht gewusst, welche Leistungen er bis zum 31.12.2004 bezogen habe. Auf die vom zuständigen Träger gemachten Änderungen bzw. Ergänzungen habe er vertraut. Im Folgeantrag vom 07.04.2005 habe er eklatant abstruse, wirre und zusammenhangslose Angaben getätigt. Damit sei der Vorwurf der Beklagten widerlegt, ihm seien von Anfang an wahrheitsgemäße Angaben zuzumuten gewesen und er sei hierzu auch in der Lage gewesen. Im Profiling-Deutschtest vom 01.08.2005 habe er von möglichen 60 Punkten nur 22 erreicht. Bei der von der Beklagten veranlassten psychologischen Begutachtung am 07.09.2007 sei bescheinigt worden, es bestünden erhebliche Schwierigkeiten beim Erkennen von Zahlenzusammenhängen. Das figural- und sprachlogische Denken sei deutlich eingeschränkt und es läge eine Lernbehinderung vor. Ein geordnetes Gespräch sei mit ihm nicht möglich. Arbeitsverhältnisse seien in der Vergangenheit oft nach nur ein bis zwei Tagen bereits wieder beendet worden. Die Beweislast für die Rücknahmevoraussetzungen treffe die Beklagte.

Mit Urteil vom 09.11.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe sich in Bezug auf eine Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht auf Vertrauen berufen können. Er habe wesentlich und willentlich unrichtige bzw unvollständige Angaben über sein Vermögen gemacht. Dies ergebe sich aus dem klägerischen Verhalten, wie beispielsweise die Vorlage der geschwärzten Kontoauszüge am 03.11.2011 im Rahmen eines Weiterbewilligungsantrages. Rechtliche Würdigungen oder Werturteile seien für den Vorsatz bei Nichtangabe von Vermögenswerten nicht erforderlich. Dem Kläger sei bewusst gewesen, dass er Vermögenswerte besessen habe und er hierauf würde zurückgreifen müssen, wenn er diese angeben und infolge dessen keine Leistungen mehr von der Beklagten erhalten würde. Dies folge auch aus dem Widerspruchsschreiben vom 04.01.2012 gegen den Ablehnungsbescheid vom 14.12.2011 und dem diesbezüglich vor dem SG geführten Rechtsstreit. Unerheblich für den Vertrauensschutz sei eine strafrechtliche Verantwortungsfähigkeit. Die Schuldfähigkeit sei die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht einer Tat, das verstehende Erkennen der Rechtswidrigkeit einer Tat. Dies sei für § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X im Hinblick auf den Vorsatz ohne Belang. Der Kläger habe genau gewusst und gewollt, was er getan habe, als er seine Vermögenswerte nicht angegeben habe. Gutachterlich sei ausgeführt worden, dass lediglich die Einsichtsfähigkeit, nicht hingegen die Steuerungs- oder gar die Handlungsfreiheit aufgehoben gewesen sei. Auch aus dem Gutachten im Betreuungsverfahren folge nichts anderes. Sofern dort als Motiv angegeben worden sei, dass der Kläger den Besitz einer größeren Summe Geldes als Erfolgserlebnis und Aufwertung der eigenen Person empfunden habe, deshalb darauf nicht mehr verzichten wolle und wahrscheinlich versuchen werde, die Zahlung der Rückforderungen an die Beklagte zu verhindern, mag dies möglicherweise ein Motiv für sein Handeln gewesen sein, was jedoch gerade nicht gegen, sondern vielmehr für dessen Handlungs- bzw Steuerungsfähigkeit spreche.

Dagegen hat die Bevollmächtigte des Klägers Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Beklagte habe 2005 die vorgelegten ungeschwärzten Kontoauszüge und das Ergebnis des Datenabgleichs nicht zum Anlass für weitere Ermittlungen genommen. Sie habe von einer Lebensversicherung des Klägers gewusst, für die auf ihre Veranlassung ein Verwertungsausschluss vereinbart wurde, der aber erst im Jahr 2007 vorgelegt worden sei. Auch hier habe die Beklagte im Vertrauen auf die Richtigkeit jahrelang Alg II gewährt. Hätte der Kläger zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung Vermögen vertuschen wollen, hätte er schon damals geschwärzte Kontoauszüge vorgelegt und nicht erst im November 2011. So sei er von Anfang an nicht in der Lage gewesen, Bedeutung und Tragweite der von ihm zu tätigen Angaben zu erkennen, geschweige denn die Antragsformulare überhaupt richtig auszufüllen. Bei der Vernehmung vor dem Hauptzollamt habe er bereits angegeben, seinerzeit seine Unterlagen von den Banken zur Beklagten mitgebracht und dort vorgezeigt zu haben. Trotz der Hinweise auf seinen Zustand habe die Beklagte darauf vertraut, er habe die Belehrungen und Hinweise verstanden. Seit 2010 sei er immer intensiver und eingehender zu seinen Sparbüchern befragt worden, habe aber nicht nachvollziehen können, warum. Er habe die Auffassung vertreten, aufgrund schriftlicher Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zum Alg II aus dem Jahr 2005 "50.000 EUR" haben zu dürfen und dass die Sparbücher "steuerfrei" sein würden. Trotz eines erfolglosen Verfahrens im Hinblick auf die Ablehnung des Fortzahlungsantrages im Jahr 2011 habe er in der Folgezeit immer wieder Alg II unter Vorlage von Bestätigungen seiner Finanzinstitute beantragt. Es habe ihm immer wieder erklärt werden müssen, dass er wegen seines übersteigenden Vermögens keinen Anspruch habe. Auch aus entsprechenden Aktenvermerken der Beklagten ergebe sich, dass er nicht verstanden habe, was den Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen anbelange. Das Alg II habe er als seinen "Arbeitsverdienst" für seine (ehrenamtliche) Ordnungshelfertätigkeit beim FC A-Stadt, Maßnahmen der Beklagten bzw die Unterschrift unter Eingliederungsvereinbarungen sowie kurzzeitigen Arbeiten bei diversen Arbeitgebern angesehen. Aus den Einlassungen und dem Gutachten im Strafverfahren gehe hervor, dass er nicht in der Lage gewesen sei, die jeweiligen Antragsformulare auszufüllen. Ähnliches werde im Rahmen des Betreuungsverfahrens festgestellt. Er habe nicht schuldhaft eine wesentliche Ursache für die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsbescheide gesetzt. Ihm sei nicht bekannt gewesen und es hätte ihm auch nicht bekannt sein müssen, dass die Angabe seiner Sparbücher bzw seines Vermögens für den Bezug von Alg II rechtlich erheblich gewesen sei. Die Beklagte habe bei der ersten Antragstellung gewusst bzw sie hätten wissen müssen, dass er weitere Sparkonten besessen und handlungs- und geschäftsunfähig sei. Bei schuldlos falschen Angaben oder bei einfacher Fahrlässigkeit dürfe ein Verwaltungsakt nicht für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Im Hinblick auf die bekannten Tatsachen sei der Anspruch der Beklagten auf Rückforderung verwirkt. Aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur des Klägers und seines Verhaltens, bezüglich dessen auf das Einsichtsvermögen abzustellen sei, sei er nicht in der Lage gewesen, die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide zu erkennen und zu wissen, dass ihm die zuerkannten Leistungen so nicht zustünden. In einem Gutachten der Rentenversicherung seien ebenfalls Einschränkungen der Intelligenz und des Kommunikationsvermögens festgestellt worden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 09.11.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2014 zu verurteilen, den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 06.03.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung "abzuweisen".

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 29.05.2017 und der mündlichen Verhandlung am 14.11.2017 wurde der Kläger durch das Gericht persönlich befragt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Akten des Zentrums A-Stadt Familie und Soziales, des Amtsgerichts A-Stadt (Strafgericht), des Amtsgerichts A-Stadt (Betreuungsgericht) und den Aktenauszug aus der Akte der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist zu verpflichten, den Bescheid vom 06.03.2013 zurückzunehmen, denn dieser ist ebenfalls rechtswidrig.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 30.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2014, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 06.03.2013 aufzuheben. Statthafte Klageart für das Begehren des Klägers ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Anfechtungsklage zielt auf die Aufhebung des Bescheides vom 30.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2014, die Verpflichtungsklage auf die Rücknahme des zur Überprüfung gestellten Bescheides vom 06.03.2013 (vgl dazu auch BSG, Urteil vom 23.02.2017 - B 4 AS 57/15 R - SozR 4-1300 § 44 Nr 34).

Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihren Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 06.03.2013 aufhebt. Nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind. Die Vorschrift ist dabei - zumindest analog - auch auf Fälle anzuwenden, in denen der zu beurteilende Verwaltungsakt selbst ein Aufhebungsverwaltungsakt ist, da jedenfalls eine mittelbare Regelungswirkung im Hinblick auf das Leistungsrecht anzunehmen ist (vgl dazu Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 44 Rn 16 mwN; allgemein hierzu: BSG, Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21).

Der den Kläger nicht begünstigende Bescheid der Beklagten vom 06.03.2013 ist rechtswidrig. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2011 aufzuheben und vom Kläger die Erstattung von Leistungen iHv insgesamt 65.378,97 EUR zu verlangen.

Nach § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 und 3 SGB X, § 330 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Zunächst handelte es sich bei den Bewilligungsentscheidungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2011 von Anfang an um rechtswidrige, begünstigende Verwaltungsakte. Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 - BGBl I 2954 bzw idF des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.04.2007 (BGBl I 554) erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet bzw die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Nach § 9 Abs 1 SGB II idF des Gesetzes vom 24.12.2003 ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Eine Hilfebedürftigkeit des Klägers lag in der Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2011 nicht vor, da er über ausreichendes, die Vermögensfreibeträge übersteigendes und einsetzbares Vermögen iSv § 12 SGB II verfügt hat. Mangels Leistungsanspruchs war die Bewilligung von Alg II damit rechtswidrig. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Die Aufhebung der Leistungsbewilligungen konnte jedoch nach § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X für die Vergangenheit nicht erfolgen, denn dies wäre nur in den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X oder § 45 Abs 3 Satz 2 SGB X möglich gewesen. Der Erlass der Bewilligungsbescheide wurde vom Kläger aber nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 1 SGB X) und Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) lagen nicht vor (§ 45 Abs 3 Satz 2 SGB X).

Der Verwaltungsakt beruhte auch nicht auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X). Keinen Vertrauensschutz kann derjenige beanspruchen, der selbst schuldhaft eine wesentliche Ursache für die Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsaktes gesetzt hat (vgl Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 44 Rn 48). Dabei kann vorliegend ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Klägers zum Umfang des bei ihm vorhandenen Vermögens im Rahmen der Erst- und Folgeantragstellungen unrichtig gewesen sind. Er hat dabei die Frage nach weiteren Vermögenswerten neben seinem Girokonto verneint. Da die von der Beklagten ermittelten Vermögenswerte des Klägers bei den Geldinstituten und Versicherungen Guthabenstände jeweils zum 01.01. und 01.07. eines Jahres von 2005 bis 2011 zwischen 11.802,51 EUR und 37.116,65 EUR aufgewiesen haben, verfügte der Kläger auch unter Berücksichtigung der Vermögensfreibeträge über ein Vermögen iSv § 12 SGB II, welches eine Hilfebedürftigkeit nicht bestehen ließ. Damit wären aber die Werte für die Beantragung von Alg II wesentlich und der Kläger war nach § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht verpflichtet gewesen, diese anzugeben.

Der Kläger hat in Bezug auf das Unterlassen der weiteren Angaben zu seinem Vermögen jedoch weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt. Allein ein Erwirken von Leistungen durch unrichtige oder unvollständige Angeben (so noch der Entwurf der Bundesregierung eines Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - der in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 14.05.1980 abgeändert worden ist - vgl BT-Drs 8/4022 S 29) genügt nicht. Von Vorsatz ist auszugehen, wenn wissentlich und willentlich falsche Angaben entweder mit sicherem Wissen (direkter Vorsatz) oder unter Inkaufnahme (bedingter Vorsatz) der Unrichtigkeit gemacht werden (vgl Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 45 Rn 52). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Verlangt wird eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem besonders hohen Maße, das heißt eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn also nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl BSG, Urteil vom 27.07.2000 - B 7 AL 88/99 R - juris). Es gilt dabei ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab, der sich nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen und Verhalten des Leistungsberechtigten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen hat (vgl BSG, Urteil vom 13.12.1972 - 7 RKg 9/69 - BSGE 35, 108). Es kommt damit wesentlich darauf an, ob der Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätte erkennen müssen, dass die betreffenden Angaben zu machen waren. Dabei ist ua zu prüfen, ob die Fragestellung durch die Behörde im Hinblick auf den Bildungsstand und die Erfahrenheit des Leistungsberechtigten hinreichend verständlich oder missverständlich war, erteilte amtliche Belehrungen verständlich waren oder Fertigkeiten oder das Wissen eines sachkundig erscheinenden Dritten zunutze gemacht wurden und sich der Leistungsberechtigten darauf verlassen konnte, dieser werde alle Einzelheiten bei ihm erfragen (so im Einzelnen: Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 45 Rn 52 mwN). Bei schuldlos gemachten falschen Angaben oder bei einfacher Fahrlässigkeit ist eine Rücknahme eines begünstigenden, rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht möglich (vgl dazu bereits BT-Drs 8/4022, S 83).

Zur Überzeugung des Senates, die sich dieser insbesondere im Rahmen eines persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat bilden können, war der Kläger auch im Zeitpunkt der Erstantragstellung und bei den Folgeanträgen schuldunfähig oder gar geschäftsunfähig, was ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln ausschließt (vgl dazu auch BayVGH, Urteil vom 07.12.2005 - 12 B 03.3099 - juris). Der Kläger konnte subjektiv nicht erkennen, dass er unrichtige Angaben bei der Beklagten im Rahmen der Antragstellungen gemacht hat. Zwar war bereits die Angabe im Rahmen der Erstantragstellung, kein Vermögen von mehr als 4.850 EUR zu haben, objektiv falsch, da der Kläger über deutlich höhere Vermögenswerte verfügt hat. Auch ist die Fragestellung im Antragsformular objektiv unmissverständlich und im Hinblick auf die Guthaben bei verschiedenen Banken wäre diese Frage für einen durchschnittlich intelligenten und besonnen handelnden Antragsteller ohne weiteres richtig zu beantworten gewesen. Nach den hier entscheidenden subjektiven Fähigkeiten des Klägers allerdings lag der Fall anders. Das Amtsgericht A-Stadt hat im Rahmen des Strafverfahrens gegen den Kläger (8 Ds ) ein psychatrisches Gutachten von Prof. Dr. W. eingeholt. Dieses Gutachten hält der Senat nach eigener Prüfung für schlüssig und zutreffend. Es wurde von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen. Danach fehlte dem Kläger im Rahmen der Antragstellungen bei der Beklagten die Einsichtsfähigkeit, die jeweiligen Sachverhalte nachvollziehen zu können. Nach dem Gutachten liegt bei ihm eine Intelligenzminderung vor, sein Gesamtleistungsvermögen ist als sehr stark unterdurchschnittlich zu klassifizieren und sein sprachliches Verständnis liegt im sehr stark unterdurchschnittlichen Bereich. Ihm fehlt eine Abstraktionsfähigkeit und er kann Zusammenhänge trotz Versuche anderer, ihm solche zu erläutern, nicht nachvollziehen. Diese Feststellungen werden im Wesentlichen auch im Gutachten von Frau Dr. S. im Rahmen des Rentenverfahrens bestätigt. So erscheint es glaubhaft, dass dem Kläger schon eine Differenzierung zwischen Einkommen und Vermögen nicht möglich war und er mit den Begrifflichkeiten und Fragen im Antragsformular nichts anfangen konnte. Nach den - auch nach den eigenen Eindrücken des Senates nachvollziehbaren - Feststellungen des psychatrischen Gutachtens des Dr. V. im Strafverfahren bestehen beim Kläger eklatante Defizite insbesondere in der Abstraktionsfähigkeit und dem Verständnis von übergeordneten Zusammenhängen. Wie sich aus seinen Aussagen u.a. auch im Erörterungstermin vor dem Senat ergibt, ist ihm auch das Wesen der Leistungen nach dem SGB II, die er erhalten hat, nicht zu vermitteln gewesen. Er ging während seines Leistungsbezuges offensichtlich davon aus, es handele sich beim Alg II nicht um eine bedürftigkeitsabhängige Sozialleistung sondern um ein Einkommen, welches ihm von einem "Arbeitgeber" gezahlt wird. So gab er beispielsweise das "Arbeitsamt" als Arbeitgeber an. Der Gutachter L. gelangt in seinem psychatrischen Gutachten im Betreuungsverfahren zu der Feststellung, der Kläger sei hinsichtlich seiner Kritik- und Urteilsfähigkeit in Bezug auf Geldausgaben und Einkünfte eingeschränkt. Weiter hat der Kläger nach der Einstellung der Leistungen wegen des vorhandenen Vermögens immer wieder neue Leistungsanträge gestellt, was ebenfalls dafür spricht, dass er die Voraussetzung der Hilfebedürftigkeit im Rahmen des SGB II einfach nicht verstehen kann. Glaubhaft erscheint es dem Senat, dass der Kläger verschiedene Dinge hinsichtlich seines Vermögens immer wieder durcheinander geworfen hat und ganz offensichtlich Auskünfte von anderen, wie zB von Sparkassen- und Bankenmitarbeitern missverstanden hat. Dies gilt insbesondere für die vorgebrachte Angabe des Sparkassenmitarbeiters, sein Vermögen sei "steuerfrei" und er dürfe es "behalten", woraus der Kläger offenbar geschlossen hat, das Vermögen stehe auch einem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht entgegen. Im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung hat er Wertgrenzen von 50.000 EUR genannt und dass ihm die S. gesagt hat, man müsse mindestens auf 100.000 EUR kommen. Es besteht zudem der Eindruck, dass der Kläger in keinster Weise zwischen seinem ehemaligen Arbeitgeber, Banken und Sparkassen, der Agentur für Arbeit und der Beklagten differenzieren kann. Auch seine ehrenamtliche Tätigkeit beim FC A-Stadt vermengt er mit dem Verwaltungsverhältnis in Bezug auf die Beklagte. So hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben, mit einer Mitarbeiterin der Beklagten Bandenwerbung gemacht zu haben.

Wie sich aus den Unterlagen der Erstantragstellung ergibt, fehlte dem Kläger ganz offensichtlich ein Verständnis für Zahlen und Geldbeträge. Er gab seinerzeit im Rahmen der Unterkunftskosten zunächst Heizkosten von 4.096,60 EUR monatlich, Nebenkosten von 5.022,45 EUR monatlich und sonstige Wohnkosten von 618,25 EUR monatlich an. Diese völlig unrealistischen und nicht nachvollziehbaren Werte lassen erkennen, dass er nicht in der Lage war, richtige Angaben zu machen. Auch im Erörterungstermin hat er angegeben, von der Beklagten 10.000 EUR monatlich zu erhalten, was dem Grunde und vor allem auch der Höhe nach völlig abwegig ist. So kommt der Gutachter L. in seinem psychatrischen Gutachten im Betreuungsverfahren ebenfalls zu der Feststellung, der Kläger habe von Zahlen über 100 kaum Vorstellungen.

Es ist schließlich keinesfalls erkennbar, der Kläger habe im Rahmen der Antragstellungen für Leistungen im Erstattungszeitraum seine tatsächlichen Vermögenswerte verschweigen wollen. Im April 2005 nahm die Beklagte Kontoauszüge des Klägers zur Akte. Hieraus ergeben sich verschiedene Abbuchungen auf Sparverträge (4 x 25 EUR monatlich), zugunsten der A iHv 71,10 EUR sowie für eine FC A-Stadt-Sparkarte iHv 100 EUR zum 11.02.2005 und 01.03.2005 iHv 10 EUR. Hieraus hätte die Beklagte ohne weiteres erkennen können, dass weiteres Vermögen beim Kläger vorhanden gewesen ist. Auch im Rahmen eines Datenabgleichs am 12.12.2005 wurde der Beklagten ein Kapitalertrag für Zinsen iHv 44 EUR betreffend das Jahr 2004 bekannt. Dennoch hat die Beklagte trotz bestehender Amtsermittlungspflicht keine weiteren Nachforschungen angestellt. Es erscheint dem Senat auch glaubhaft, wenn der Kläger vorbringt, er habe bei seinen Vorsprachen immer Rücksäcke mit seinen Unterlagen dabei gehabt, die aber keiner habe anschauen wollen. Diesen Vortrag hat die Beklagte nicht widerlegt und vielmehr selbst im Widerspruchsbescheid vom 01.07.2014 ausgeführt, man habe im Hinblick auf die Erwerbsbiographie nicht annehmen können, dass der Kläger über ein beträchtliches Vermögen verfügt hat. Offenbar hatte der Kläger schließlich subjektiv den Eindruck, die Beklagte habe alle für sie notwenigen Kenntnisse. So hat er in der mündlichen Verhandlung seine Wahrnehmung geschildert, der zuständige Mitarbeiter der Beklagten habe ihm gesagt, es stehe alles im Computer. Der Kläger hat damit ganz offensichtlich darauf vertraut, seine Angaben zutreffend gemacht zu haben bzw dass andere Dinge mangels Relevanz nicht mitzuteilen gewesen waren.

Soweit der Kläger im Rahmen eines einer Weiterbewilligungsantrages für die Zeit ab Dezember 2011 offenbar geschwärzte Kontoauszüge vorgelegt hat, bei denen Abbuchungen für die Sparkarte bei der H. nicht erkenntlich waren, könnte dies für die Fähigkeit des Klägers sprechen, erkennen zu können, dass sein Vermögen einer Leistungsbewilligung entgegenstehen würde. Dies könnte nahelegen, dass er bewusst sein Vermögen verschweigen wollte. Allerdings betrifft dies zum einen Leistungen, die ab Dezember 2011 beantragt wurden, also hier nicht streitgegenständlich sind. Zum anderen passt dies nicht in das Bild vom Kläger, das sich aus allen übrigen Vorgängen, die auch oben beschrieben worden sind, ergibt. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, er sei von einem Mitarbeiter der Beklagten auf die Möglichkeit der Schwärzung aufmerksam gemacht worden. Er hat dann lediglich dessen Anweisung befolgt. Unabhängig davon, ob der Kläger im Rahmen dieser Antragstellung ggf in der Lage war, die Bedeutung zu erkennen, lässt dies nicht zwingend den Rückschluss auch für frühere Antragszeitpunkte zu. Zum anderen hat er dann wieder auf Nachfrage der Beklagten offensichtlich unumwunden die Existenz der Sparbücher zugegeben. Dass er selbst nach Ablehnung der Leistungsbewilligung ab Dezember 2011, die für jeden vernünftig denkenden Leistungsbezieher im Hinblick auf die Vermögenswerte nachvollziehbar ist, dennoch dagegen Widerspruch eingelegt und gegen den anschließenden Widerspruchsbescheid Klage erhoben hat, spricht ebenso wieder dafür, dass er schlicht nicht in der Lage war nachzuvollziehen, das Vorhandensein seines Vermögens könnte einer Hilfebedürftigkeit entgegen stehen.

Nichts anderes ergibt sich aus dem psychatrischen Gutachten im Betreuungsverfahren, wonach nur vermutet werden könne, der Kläger habe den Besitz einer größeren Summe Geld als Erfolgserlebnis und Aufwertung der eigenen Person empfunden habe und nicht mehr darauf habe verzichten wollen. Hierbei handelt es sich nur um Mutmaßungen, für die es keine objektivierbaren Anhaltspunkte gibt. Letztlich kann dies aber auch dahinstehen, denn wie oben ausgeführt, war der Kläger jedenfalls nicht in der Lage, subjektiv die Bedeutung der Vermögenswerte im Zusammenhang mit dem Leistungsbezug zu erkennen und richtige Angaben hierzu zu machen.

Die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide kannte der Kläger nicht, auch bestand diesbezüglich keine Unkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Nach seiner subjektiven Einsichtsfähigkeit, die nach den obigen Ausführungen in Bezug auf die Beurteilung der Bedeutung seiner Vermögensverhältnisse für den Leistungsbezug nicht vorgelegen hat, konnte der Kläger zur Überzeugung des Senats für sich nicht erkennen, dass die Leistungsbewilligung zu Unrecht erfolgt ist. Die Gutgläubigkeit des Klägers wird dabei insbesondere durch das Verhalten der Beklagten gestützt, die trotz vorliegender Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Vermögen in den vom Kläger vorgelegten Unterlagen keine weiteren Ermittlungen angestellt hat und offensichtlich auch kein weiteres Interesse an den vom Kläger in Rucksäcken mitgebrachten Unterlagen im Rahmen der Leistungsbeantragung hatte, auch wenn es im Rahmen der Prüfung des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X nicht auf ein Verschulden der Beklagten ankommt.

Unerheblich ist schließlich, dass die Anwendung des § 44 SGB X dem Gebot der materiellen Gerechtigkeit zum Erfolg verhelfen soll, mithin im Zugunstenverfahren einem Betroffenen (nur) diejenige Leistung zu gewähren ist bzw - bei Ermessensentscheidungen - gewährt werden kann, die ihm nach materiellem Recht bei von Anfang an zutreffender Rechtsanwendung zugestanden hätte; eine dem materiellen Recht widersprechende Besserstellungen soll § 44 SGB X demgegenüber ausschließen (vgl dazu BSG, Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21). Dennoch ist § 44 SGB X auch im vorliegenden Fall der Rücknahme einer Leistungsbewilligung für die Vergangenheit anwendbar, wenn materiell auf die ursprünglich bewilligte Leistung zwar kein Anspruch bestanden hat, der Begünstigte jedoch aus Vertrauensschutzgesichtspunkten eine rechtswidrig erlangte Leistung behalten darf (§§ 45, 48 SGB X). Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Rücknahmevorschriften zum Ausdruck gebracht, dass er die Einräumung des Vertrauensschutzes bei Sachverhalten, die nicht dem Risiko- und Verantwortungsbereich des Begünstigten zuzurechnen sind, ebenfalls als Gebot der materiellen Gerechtigkeit ansieht, das dem in § 44 Abs 1 SGB X verankerten und bei dessen unmittelbarer Anwendung zu beachtenden allgemeinen Gebot der materiellen Gerechtigkeit, über Sozialleistungen nur dann verfügen zu dürfen, wenn die Anspruchsvoraussetzungen des entsprechenden Leistungsgesetzes erfüllt sind, gleichrangig ist. Es kann daher eine Pflicht zur Rücknahme eines unter Verstoß gegen Vertrauensschutzvorschriften ergangenen, bestandskräftig gewordenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids nach § 44 SGB X nur in Fällen, in denen auch ein Anspruch auf die Sozialleistung bestanden hat, nicht erkannt werden. Die Vertrauensschutzvorschriften sind vielmehr ein eigenständiger, materieller Rechtsgrund für das Behaltendürfen einer Leistung (vgl dazu insgesamt BSG, Urteil vom 28.05.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21 - mwN).

Ebenso ist der Bescheid vom 06.03.2013 in Bezug auf die nach § 50 SGB X geforderte Erstattung von erbrachtem Alg II iHv 50.059,85 EUR und die Erstattung von Versicherungsbeiträgen nach § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II iVm § 335 Abs 1 und 5 SGB III iHv 15.319,12 EUR rechtswidrig, da eine Aufhebung der diesen Leistungen zugrunde liegenden Bewilligungsentscheidungen nicht in Betracht kam. Damit ist auch diese Entscheidung von der Beklagten nach § 44 Abs 1 SGB X zurückzunehmen.

Damit war die Berufung des Klägers begründet und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2014 zu verpflichten, den Bescheid vom 06.03.2013 zurückzunehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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