L 1 KR 446/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 122 KR 1709/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 446/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 7/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. September 2015 abgeändert. Die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 20. August 2010 und vom 25. Februar 2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. März 2012 und 28. April 2014 wird abgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Pflichtversicherung des Klägers.

Der 1953 geborene Kläger war zunächst seit 1977 als Beamter erwerbstätig und bezog dann seit dem Jahre 2002 Versorgungsbezüge. Im Oktober 2012 erhielt er 1.332,48 EUR Brutto. Da er bis zum 2. Juni 1997 freiwilliges Mitglied der Beklagten zu 1) gewesen war und keine private Krankenversicherung unterhielt, wurde er seit dem 1. April 2007 von den Beklagten als Versicherter gem. § 5 Abs.1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) geführt. Durch Bescheid vom 10. Januar 2008 sprach die Beklagte zu 1) das Ruhen des Leistungsanspruchs aus dieser Versicherung aus, da keine Beiträge gezahlt worden seien.

Mit Schreiben vom 12. Januar 2009 wies die Beklagte zu 1) den Kläger darauf hin, dass sich die Rechtslage für Beamte mit Anspruch auf Ruhegehalt mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 geändert habe. Deren Versicherungsfreiheit erstrecke sich nunmehr auch auf Fälle, in denen keine (vollständige) anderweitige Absicherung vorliege. Deswegen bestünde nunmehr keine Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung mehr. Möglich sei die Fortführung einer freiwilligen Versicherung auf der Grundlage eines bis zum 31. März 2009 eingehenden entsprechenden Antrags. Ansonsten sei der Kläger zur Abschluss einer Krankenversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet.

Mit Bescheid vom 28. Juli 2010 forderte die Beklagte zu 1) von dem Kläger 332,92 EUR zurück. Er habe trotz fehlender Krankenversicherung Arzneimittel im Wert von 332,92 EUR in Anspruch genommen. Der Kläger legte mit Schreiben vom 20. August 2010 Widerspruch ein und machte geltend, dass er seit dem 1. Januar 2009 keinen Krankenversicherungsschutz und damit auch keine Beihilfeansprüche habe. Er beantragte die Fortführung des Versicherungsschutzes.

Durch Schreiben vom 20. August 2010 entschied die Beklagte zu 1), dass eine freiwillige Versicherung für den Kläger nicht mehr möglich sei, da er den Beitritt nicht innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Pflichtversicherung angezeigt habe. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zu 1) durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 2012 unter Hinweis auf die bereits abgelaufene Frist zur Erklärung des freiwilligen Beitritts zurück.

Mit der bereits am 22. August 2011 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Bescheidung seines Widerspruchs vom 20. August 2010 gegen den Bescheid vom 28. Juli 2010 sowie die Feststellung begehrt, dass er ab dem 1. Januar 2009 in der Kranken- und Pflegeversicherung bei den Beklagten versichert ist.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2013 zeigte der Kläger den Beklagten eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) an. Die Beklagten entschieden durch Bescheid vom 25. Februar 2014, dass für den Kläger keine Pflichtversicherung möglich sei. Er gehöre zum Personenkreis der Versicherungsfreien. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28. April 2014 zurück, wogegen der Kläger am 30. Mai 2014 Klage vor dem Sozialgericht Berlin zum Az. S 81 KR 978/14 erhoben hat.

Durch Beschluss vom 10. September 2014 hat das Sozialgericht das Verfahren mit dem Verfahren S 81 KR 978/14 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 21 September 2015 die Beklagte verurteilt, über den Widerspruch des Klägers vom 20. August 2010 gegen den Erstattungsbescheid vom 28. Juli 2010 zu entscheiden sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 20. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2012 und Aufhebung des Bescheides vom 25. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2014 festgestellt, dass der Kläger ab dem 1. Januar 2009 bei der Beklagten in der Kranken- und Pflegeversicherung versichert ist. Der Anspruch auf Bescheidung des Widerspruchs ergebe sich daraus, dass die Beklagte zu 1) über den am 20. August 2010 erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. Juli 2010 noch nicht entschieden habe. Ein wichtiger Grund dafür liege nicht vor, er ergebe sich insbesondere nicht daraus, dass über den Fortbestand des Versicherungsverhältnisses über den 1. September 2009 hinaus noch nicht abschließend entschieden worden sei. Die Bescheide vom 20. August 2010 und vom 25. Februar 2014 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides seien nach dem Verbindungsbeschluss vom 10. September 2014 beide Gegenstand der Klage. Der Kläger sei trotz der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2009 bei den Beklagten versichert geblieben, einer erneuten Anzeige der Versicherungspflicht habe es nicht bedurft. Die Beklagte zu 1) habe zutreffend die Versicherungspflicht des Klägers ab dem 1. April 2007 anerkannt, weil er zuletzt bei ihr versichert gewesen und keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfalle gehabt habe. Die Änderung des § 6 Abs. 3 SGB V durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 7. November 2008 zum 1. Januar 2009 habe daran nichts geändert. Der Kläger sei nicht als Beamter versicherungsfrei. Denn er habe keinen Anspruch auf Beihilfe. Sein Beihilfeanspruch scheitere nach der Landesbeihilfeverordnung daran, dass er seinen Krankenversicherungsschutz nicht nachweisen könne. Aus dem Urteil des BVerwG v. 19. Juli 2012 – 5 C 1.12 ergebe sich nichts anderes. Maßgeblich sei, dass der Kläger rein tatsächlich ab dem 1. Januar 2009 keine Beihilfe bezogen habe. Etwas anderes könne sich nur ergeben, wenn ihm aufgrund des genannten Urteils des BVerwG tatsächlich Beihilfe gewährt worden wäre. Davon könne indessen nicht ausgegangen werden. Der Kläger stehe ab dem 1. Januar 2009 krankenversicherungsrechtlich faktisch schutzlos. Einen solchen Zustand habe der Gesetzgeber nicht bewirken wollen.

Gegen den ihnen am 30. September 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 23. Oktober 2015 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts sei der Kläger ab dem 1. Januar 2009 versicherungsfrei. Es komme lediglich auf das Bestehen eines Anspruchs auf Beihilfe nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen an. Die zum 1. Januar 2009 im Kraft getretene Gesetzesänderung habe klarstellen wollen, dass Beamte mit Beihilfeanspruch dem Rechtskreis der privaten Krankenversicherung zuzuordnen seien und dass die Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für jene Beamte ausscheide, die zwar über einen Beihilfeanspruch, aber nicht über eine ergänzende private Krankenversicherung verfügten. Der Gesetzgeber habe die Rechtskreise der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung klar und eindeutig trennen wollen. Der grundsätzlich beihilfeberechtigte Kläger sei der privaten Krankenversicherung zuzuordnen. Seine Beihilfeberechtigung ergebe sich aus den Grundsätzen des Urteils des BVerwG vom 19. Juli 2012 – 5 C 1.12. Danach scheitere ein Beihilfeanspruch nicht an dem fehlenden Nachweis des (ergänzenden) Krankenversicherungsschutzes. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger auch tatsächlich Beihilfeleistungen erhalte. Eine landesrechtliche Verordnung könne keine bundesgesetzlichen Vorgaben außer Kraft setzen. Es könne nicht sein, dass es dem Kläger überlassen bleibe, durch die Nichtverfolgung seiner Beihilfeansprüche die Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. September 2015 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Feststellung begehrt wird, dass der Kläger ab dem 1. Januar 2009 bei ihr in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung versichert ist.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend. Der Gesetzgeber wolle eine Versicherung bei derjenigen Krankenkasse, bei der zuletzt eine Versicherung bestanden habe. Er habe nicht bestimmte Berufsgruppen aussortieren wollen. Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass er – der Kläger – Empfänger von Versorgungsleistungen sei. Auch der Anspruch auf Beilhilfe sei ohne den Nachweis von Versicherungsschutz nicht gegeben. Eine anderweitige Versicherung als bei der Beklagten habe nie bestanden. Der Versicherungsschutz in der GKV werde aber nur bei anderweitigem Versicherungsschutz verdrängt. Er – der Kläger – habe aber keine private Krankenversicherung. Für den Anspruch auf Beihilfe müsse zudem das Bestehen anderweitigen Versicherungsschutzes nachgewiesen werden.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. September 2015 ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2012 und den Bescheid vom 25. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2014 aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem 1. Januar 2009 versicherungspflichtiges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ist. Der Kläger ist nicht pflichtversichert und auch nicht freiwillig versichert bei den Beklagten.

Mit Recht haben die Beklagten mit Bescheid vom 25. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2014 das Bestehen von Pflichtversicherung abgelehnt. Als Grundlage für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung kommt allein § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind pflichtversichert Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Absatz 5 oder § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer Tätigkeit im Inland gehört hätten. Der Kläger hat zwar keinen anderweitigen Anspruch auf – vollständige – Absicherung im Krankheitsfall. Denn es fehlt jedenfalls an dem Abschluss einer privaten Krankenversicherung, welche ergänzend zur Beihilfe leisten würde, die keine Vollversorgung bietet. Der Kläger gehört aber zu dem Personenkreis des § 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB V. Er ist nämlich Beamter mit Anspruch auf Ruhegehalt und hat als solcher auch Anspruch auf Beihilfe im Krankheitsfalle nach beamtenrechtlichen Grundsätzen.

Dieser Anspruch auf Beihilfe ist ungeachtet der Tatsache als bestehend anzusehen, dass der Kläger keine ergänzende private Krankenversicherung abgeschlossen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Fehlen ergänzenden privaten Krankenversicherungsschutzes nach § 10 Abs. 2 der Berliner Landesbeihilfeverordnung einem Anspruch auf Beihilfe entgegenstehen würde, wovon nach den Grundsätzen des von der Beklagten zitierten Urteils des BVerwG vom 19. Juli 2012 - 5 C 1.12 allerdings nicht auszugehen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass der Gesetzgeber durch die Einführung des mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 geltenden § 6 Abs. 3 SGB V gerade verdeutlich wollte, dass Beihilfeberechtigte, die keine ergänzende private Krankenversicherung abgeschlossen haben, nicht länger von der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erfasst sein sollten (BT-Drucks 16/10609, S. 50). Der Kläger ist nach der Konzeption des Gesetzgebers im Rahmen des § 6 SGB V uneingeschränkt als beihilfeberechtigt und damit anderweitig abgesichert anzusehen, weil er es nach dem ebenfalls zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen § 193 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in der Hand hat, einen Vertrag über ergänzenden Versicherungsschutz abzuschließen. Dazu ist er nach § 193 Abs. 3 VVG auch verpflichtet, die damit korrespondierende Verpflichtung des Versicherers zur Annahme des Antrags ergibt sich aus § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 VVG. Der Kläger kann nicht seine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung dadurch begründen, dass er seinen anderweitig bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zuwider handelt. Die Verletzung rechtlicher Pflichten darf nicht zur Begründung günstigerer Rechtspositionen führen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann also nicht darauf abgestellt werden, ob der Kläger tatsächlich schon Beihilfeleistungen des Landes Berlin in der Zeit ab 1. Januar 2009 erhalten hat.

Auch der Bescheid vom 20. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2012 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es besteht keine freiwillige Versicherung bei der Beklagten zu 1). Von der Möglichkeit, eine freiwillige Versicherung bei der Beklagten zu 1) zu begründen, hat der Kläger innerhalb der nach § 9 Abs. 2 SGB V geltenden Antragsfrist von drei Monaten nach Ausscheiden aus der bis zum 31. Dezember 2008 bestehenden Pflichtversicherung nämlich keinen Gebrauch gemacht, obwohl er von der Beklagte auf diese Frist hingewiesen worden ist.

Mangels Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung war der Kläger nach § 20 SGB XI auch nicht versicherungspflichtig in der sozialen Pflegeversicherung.

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten hin der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts teilweise aufzuheben und die Klage gegen die Versicherungspflicht und das Bestehen einer freiwilligen Versicherung verneinenden Bescheide abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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