Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 3570/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 28.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2017 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Bescheide vom 12.12.2013, 14.02.2014, 06.03.2014, 26.09.2014, 22.10.2014, 22.11.2014, 01.04.2015 und 27.03.2017 zu ändern und dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 Leistungen nach dem SGB II ohne die Anrechnung eines monatlichen Einkommens von 50 Euro zu gewähren. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung eines monatlichen Taschengeldes in Höhe von 50 Euro auf die Gewährung von aufstockenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 im Streit.
Der 1992 geborene Kläger bezieht vom Beklagten seit 2013 als Alleinstehender aufstockend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Daneben betreibt er seit dem 01.02.2015 ein Gewerbe mit Dienstleistungen im IT- Bereich (Bl. 118 VA). Ferner wird der Kläger seit November 2013 durch monatliche Zuwendungen in Höhe von 110 Euro durch seine Mutter sowie ein Taschengeld in Höhe von 50 Euro durch seine Großmutter unterstützt (Bl. 62-63 VA). Unter Anrechnung dieser Zahlungen wurden dem Kläger vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 vom Beklagten Leistungen in folgender monatlicher Höhe bewilligt:
- 680,79 Euro vom 01.01.2014 bis 28.02.2014 (Bescheid 11.12.2013)
- 689,99 Euro vom 01.03.2014 bis 30.06.2014 und 01.08.2014 bis 31.08.2014 sowie 313,19 Euro vom 01.07.2014 bis 31.07.2014 (Bescheid 14.02.2014, Änderungsbescheide 06.03.2014 und 22.10.2014)
- 465,99 Euro vom 01.09.2014 bis 28.02.2015 (vorläufiger Bescheid 26.09.2014, Änderungsbescheid 22.10.2014)
- 658,18 Euro vom 01.03.2015 bis 31.08.2015 (vorläufiger Bescheid 01.04.2015, festgesetzt mit Bescheid vom 27.03.2017 in selber Höhe).
Mit Schreiben vom 14.07.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Überprüfung der o.g. Bewilligungsbescheide nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit der Begründung, dass das Taschengeld seiner Großmutter in Höhe von 50 Euro monatlich anrechnungsfrei sein müsse. Der Antrag wurde mit Überprüfungsbescheid vom 28.07.2015 abgelehnt. Der dagegen am 05.08.2015 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Das dem Kläger zugeflossene Taschengeld seiner Großmutter sei auf die Leistungen anzurechnen, eine grobe Unbilligkeit im Sinne des § 11 a Abs. 5 Nr. 1 SGB II werde vom Beklagten dabei nicht gesehen.
Am 17.09.2015 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben. Da die erhaltenen Zuwendungen seiner Großmutter in Höhe von 50 Euro monatlich dazu dienen, seine Chancen für die Ausbildungsplatzsuche zu verbessern, sei dieser Betrag nach Meinung des Klägers nicht als Einkommen nach § 11 a Abs. 5 SGB II zu berücksichtigen. Schließlich sei die Berücksichtigung in Anbetracht dieses verfolgten Ziels besonders unbillig.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 28.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Bescheide vom 12.12.2013,14.02.2014, 06.03.2014, 26.09.2014, 22.10.2014, 22.11.2014, 01.04.2015 und 27.03.2017 zu ändern und ihm für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 Leistungen nach dem SGB II ohne die Anrechnung eines monatlichen Einkommens von 50 Euro zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, dass die Anrechnung eines Einkommens in Höhe von 50 Euro aus Zuwendungen von Verwandten an den volljährigen Kläger nicht unbillig sei, weshalb zu Recht nicht davon abgesehen worden sei.
Die den Kläger betreffende Akte des Beklagten wurde beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Zulässigkeit der Klage steht hier nicht entgegen, dass Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis 28.02.2015 mit Bescheiden vom 26.09. und 22.10.2014 nach Aktenlage lediglich vorläufig bewilligt und bisher nicht festgesetzt wurden, ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage ist dennoch gegeben. Das Rechtsschutzbedürfnis besteht deshalb fort, weil der – mögliche – Antrag auf endgültige Bewilligung nicht dazu geführt hätte, dass die Kläger das angestrebte Ergebnis auf einfacherem Wege erreichen könnte (BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 42/12 R -, juris (Rn. 23)), mithin in anderer Weise umfassender, leichter und schneller zu seinem Recht kommen würde (vgl. BSG, Urteil vom 4. August 1998 - B 4 RA 72/97 R -, juris (Rn. 21)). Im vorliegenden Fall steht nicht das für die Vorläufigkeit der Bewilligung maßgebliche Einkommen des Klägers im Streit, sondern die Frage der Anrechnung des Taschengeldes als Einkommen. Da der Beklagte im Verwaltungsverfahren sowie im Laufe des hiesigen Klageverfahrens zu erkennen gegeben hat, in dieser Hinsicht auch im Falle der endgültigen Bewilligung an seiner Auffassung festzuhalten , was u.a. aus dem endgültigen Bewilligungsbescheid vom 27.03.2017, der nach § 96 SGG klagegegenständlich ist, hervorgeht, würde die Durchführung eines weiteren Verwaltungsverfahrens einen gerichtlichen Rechtsstreit nur dann vermeiden, wenn erkennbar wäre, dass es auf die Entscheidung der Frage nicht mehr ankommt. Hierfür gibt es im vorliegenden Fall aber keinerlei Anhaltspunkte. Das gerichtliche Verfahren ist somit geeignet, dem Kläger rechtliche Vorteile zu verschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - B 4 AS 203/10 R -, juris (Rn. 14)), zumal davon auszugehen ist, dass der Beklagte auch bei einer künftigen endgültigen Bewilligung an der Anrechnung des Taschengeldes als Einkommen festhalten wird.
Die Klage ist auch begründet, denn die Anrechnung des Taschengeldes als bedarfsmindernden Einkommen in Höhe von 50 Euro monatlich vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 durch den Beklagten war rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf (Teil-)Rücknahme der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide des Beklagten für den Zeitraum von Januar 2014 bis August 2015 ist § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X. Die zuletzt genannte Vorschrift trifft folgende Regelung: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X liegen insoweit vor, als der Beklagte das Recht unrichtig angewandt hat, denn er hat bei den zu überprüfenden Bewilligungsbescheiden zu Unrecht monatlich 50 Euro als bedarfsminderndes Einkommen berücksichtigt.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten höheren - ohne die Anrechnung des Taschengeldes zu erbringenden – Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II sind die §§ 19 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Der Kläger erfüllt die Grundvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (bestimmtes Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland), während ein Ausschlusstatbestand (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2, §§ 4, 5 SGB II) nicht vorliegt.
Die Anrechnung des von der Großmutter des Klägers an diesen zugewendeten Betrages von monatlich 50 Euro war unzulässig, da die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes nach § 11 a Abs. 5 SGB II gegeben sind. Nach dieser Vorschrift sind Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit
1. ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder
2.sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.
Die Kammer sieht bereits den Fall der groben Unbilligkeit nach § 11 a Abs. 5 Nr. 1 SGB II als gegeben an. Grobe Unbilligkeit liegt vor, wenn der Einsatz der Einnahmen zum Lebensunterhalt anders als im Regelfall durch Hinzutreten atypischer Umstände als übermäßig hart, d.h. als nicht zumutbar oder als in hohem Maße unbillig erscheint (vgl. SG Reutlingen, Urteil vom 13. Oktober 2014 – S 7 AS 2735/13 –). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Kläger das zugeflossene Taschengeld nach seinem glaubhaften Vortrag dazu nutzte, um davon Bewerbungsaktivitäten (Fahrtkosten, Bewerbungsschreiben etc.) zu finanzieren. Diesen Zuwendungszweck bestätigt auch die Großmutter des Klägers in ihrem Schreiben an das Gericht vom 17.08.2016 auf die gerichtliche Anfrage vom 09.08.2016 hin. Zudem hat der Kläger ab dem 01.01.2015 von dem zugeflossenen Geldern seiner Großmutter ein Darlehen zur Förderung seiner selbstständigen Tätigkeit im IT- Bereich getilgt, was sowohl aus der schriftlichen Bestätigung des Darlehensgebers, Herrn O, vom 19.08.2016 auf Anfrage des Gerichts vom 09.08.2016, als auch aus der Einzahlungsquittung vom 23.08.2014 hervorgeht. Der Kläger hat daher mithilfe des von seiner Großmutter zugeflossenen Geldes versucht, entsprechend § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II seine Hilfebedürftigkeit zu verringern, um wirtschaftlich "auf eigenen Füßen" zu stehen. Da das SGB II auf vielfältige Art und Weise Motivations- und Leistungsanreize setzt, ist es somit nicht vereinbar, die Bemühungen des Klägers zur Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit über die Anrechnung des Taschengeldes auszuhebeln. Bereits aus diesem Grund ist die hier vom Beklagten vorgenommene Anrechnung als Einkommen grob unbillig. Der Gesetzgeber hat zudem bei der Schaffung der Regelung des § 11 a Abs. 5 Nr. 1 SGB II gerade als Indiz für die gewollte Anrechnungsfreiheit genannt, dass die Zuwendung erkennbar nicht auch zur Deckung des physischen Existenzminimums verwendet werden soll (BT- Drucks. 17/1304, S. 94). Angesichts des hier erfolgten Zuwendungszwecks liegt es auf der Hand, dass das Taschengeld nicht des physische Existenzminimum des Klägers sichern sollte, sondern ihm vielmehr helfen sollte, seine Hilfebedürftigkeit durch Bewerbungsbemühungen und der Förderung der selbstständigen Tätigkeit zu verringern oder beenden.
Ferner ist der Tatbestand des § 11 b Abs. 5 Nr. 2 SGB II erfüllt, da die Einnahme eines Taschengeldes von monatlich 50 Euro die Lage des Klägers nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Hierbei verweist die Kammer explizit auf des gesetzgeberischen Willen (Bt. – Drucks. 17/3404, S. 95), wonach gelegentliche oder regelmäßige Aufwendungen Anderer, die üblich oder gesellschaftlich akzeptiert sind, ohne Berücksichtigung bleiben. Exemplarisch ist dabei in den Gesetzesunterlagen die hiesige Fallkonstellation, ein geringfügiges monatliches Taschengeld der Großeltern, genannt. Der Zuwendungsbetrag von monatlich 50 Euro ist auch so gering, dass er die Lage des Klägers nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Hier ist schließlich zu beachten, dass es sich dabei lediglich um etwa 1/8 des für den Kläger maßgeblichen Regelsatzes und somit einen geringen Betrag handelt. Zudem hat das BSG mit Urteil vom 28.02.2013 (Az.: B 8 SO 12/11 R) einen Zuwendungsbetrag von 60 Euro als "gering" bezeichnet und unter Außerachtlassung des Zuwendungsgrundes eine Anrechnung bei einer Zuwendung in dieser Höhe ausgeschlossen. Dem schließt sich die Kammer vollumfänglich an, sodass vorliegend eine Anrechnung von 50 Euro monatlich nicht zu erfolgen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung eines monatlichen Taschengeldes in Höhe von 50 Euro auf die Gewährung von aufstockenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 im Streit.
Der 1992 geborene Kläger bezieht vom Beklagten seit 2013 als Alleinstehender aufstockend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Daneben betreibt er seit dem 01.02.2015 ein Gewerbe mit Dienstleistungen im IT- Bereich (Bl. 118 VA). Ferner wird der Kläger seit November 2013 durch monatliche Zuwendungen in Höhe von 110 Euro durch seine Mutter sowie ein Taschengeld in Höhe von 50 Euro durch seine Großmutter unterstützt (Bl. 62-63 VA). Unter Anrechnung dieser Zahlungen wurden dem Kläger vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 vom Beklagten Leistungen in folgender monatlicher Höhe bewilligt:
- 680,79 Euro vom 01.01.2014 bis 28.02.2014 (Bescheid 11.12.2013)
- 689,99 Euro vom 01.03.2014 bis 30.06.2014 und 01.08.2014 bis 31.08.2014 sowie 313,19 Euro vom 01.07.2014 bis 31.07.2014 (Bescheid 14.02.2014, Änderungsbescheide 06.03.2014 und 22.10.2014)
- 465,99 Euro vom 01.09.2014 bis 28.02.2015 (vorläufiger Bescheid 26.09.2014, Änderungsbescheid 22.10.2014)
- 658,18 Euro vom 01.03.2015 bis 31.08.2015 (vorläufiger Bescheid 01.04.2015, festgesetzt mit Bescheid vom 27.03.2017 in selber Höhe).
Mit Schreiben vom 14.07.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Überprüfung der o.g. Bewilligungsbescheide nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit der Begründung, dass das Taschengeld seiner Großmutter in Höhe von 50 Euro monatlich anrechnungsfrei sein müsse. Der Antrag wurde mit Überprüfungsbescheid vom 28.07.2015 abgelehnt. Der dagegen am 05.08.2015 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Das dem Kläger zugeflossene Taschengeld seiner Großmutter sei auf die Leistungen anzurechnen, eine grobe Unbilligkeit im Sinne des § 11 a Abs. 5 Nr. 1 SGB II werde vom Beklagten dabei nicht gesehen.
Am 17.09.2015 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben. Da die erhaltenen Zuwendungen seiner Großmutter in Höhe von 50 Euro monatlich dazu dienen, seine Chancen für die Ausbildungsplatzsuche zu verbessern, sei dieser Betrag nach Meinung des Klägers nicht als Einkommen nach § 11 a Abs. 5 SGB II zu berücksichtigen. Schließlich sei die Berücksichtigung in Anbetracht dieses verfolgten Ziels besonders unbillig.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 28.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Bescheide vom 12.12.2013,14.02.2014, 06.03.2014, 26.09.2014, 22.10.2014, 22.11.2014, 01.04.2015 und 27.03.2017 zu ändern und ihm für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 Leistungen nach dem SGB II ohne die Anrechnung eines monatlichen Einkommens von 50 Euro zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, dass die Anrechnung eines Einkommens in Höhe von 50 Euro aus Zuwendungen von Verwandten an den volljährigen Kläger nicht unbillig sei, weshalb zu Recht nicht davon abgesehen worden sei.
Die den Kläger betreffende Akte des Beklagten wurde beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Zulässigkeit der Klage steht hier nicht entgegen, dass Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis 28.02.2015 mit Bescheiden vom 26.09. und 22.10.2014 nach Aktenlage lediglich vorläufig bewilligt und bisher nicht festgesetzt wurden, ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage ist dennoch gegeben. Das Rechtsschutzbedürfnis besteht deshalb fort, weil der – mögliche – Antrag auf endgültige Bewilligung nicht dazu geführt hätte, dass die Kläger das angestrebte Ergebnis auf einfacherem Wege erreichen könnte (BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 42/12 R -, juris (Rn. 23)), mithin in anderer Weise umfassender, leichter und schneller zu seinem Recht kommen würde (vgl. BSG, Urteil vom 4. August 1998 - B 4 RA 72/97 R -, juris (Rn. 21)). Im vorliegenden Fall steht nicht das für die Vorläufigkeit der Bewilligung maßgebliche Einkommen des Klägers im Streit, sondern die Frage der Anrechnung des Taschengeldes als Einkommen. Da der Beklagte im Verwaltungsverfahren sowie im Laufe des hiesigen Klageverfahrens zu erkennen gegeben hat, in dieser Hinsicht auch im Falle der endgültigen Bewilligung an seiner Auffassung festzuhalten , was u.a. aus dem endgültigen Bewilligungsbescheid vom 27.03.2017, der nach § 96 SGG klagegegenständlich ist, hervorgeht, würde die Durchführung eines weiteren Verwaltungsverfahrens einen gerichtlichen Rechtsstreit nur dann vermeiden, wenn erkennbar wäre, dass es auf die Entscheidung der Frage nicht mehr ankommt. Hierfür gibt es im vorliegenden Fall aber keinerlei Anhaltspunkte. Das gerichtliche Verfahren ist somit geeignet, dem Kläger rechtliche Vorteile zu verschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - B 4 AS 203/10 R -, juris (Rn. 14)), zumal davon auszugehen ist, dass der Beklagte auch bei einer künftigen endgültigen Bewilligung an der Anrechnung des Taschengeldes als Einkommen festhalten wird.
Die Klage ist auch begründet, denn die Anrechnung des Taschengeldes als bedarfsmindernden Einkommen in Höhe von 50 Euro monatlich vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 durch den Beklagten war rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf (Teil-)Rücknahme der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide des Beklagten für den Zeitraum von Januar 2014 bis August 2015 ist § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X. Die zuletzt genannte Vorschrift trifft folgende Regelung: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X liegen insoweit vor, als der Beklagte das Recht unrichtig angewandt hat, denn er hat bei den zu überprüfenden Bewilligungsbescheiden zu Unrecht monatlich 50 Euro als bedarfsminderndes Einkommen berücksichtigt.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten höheren - ohne die Anrechnung des Taschengeldes zu erbringenden – Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II sind die §§ 19 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Der Kläger erfüllt die Grundvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (bestimmtes Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland), während ein Ausschlusstatbestand (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2, §§ 4, 5 SGB II) nicht vorliegt.
Die Anrechnung des von der Großmutter des Klägers an diesen zugewendeten Betrages von monatlich 50 Euro war unzulässig, da die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes nach § 11 a Abs. 5 SGB II gegeben sind. Nach dieser Vorschrift sind Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit
1. ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder
2.sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.
Die Kammer sieht bereits den Fall der groben Unbilligkeit nach § 11 a Abs. 5 Nr. 1 SGB II als gegeben an. Grobe Unbilligkeit liegt vor, wenn der Einsatz der Einnahmen zum Lebensunterhalt anders als im Regelfall durch Hinzutreten atypischer Umstände als übermäßig hart, d.h. als nicht zumutbar oder als in hohem Maße unbillig erscheint (vgl. SG Reutlingen, Urteil vom 13. Oktober 2014 – S 7 AS 2735/13 –). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Kläger das zugeflossene Taschengeld nach seinem glaubhaften Vortrag dazu nutzte, um davon Bewerbungsaktivitäten (Fahrtkosten, Bewerbungsschreiben etc.) zu finanzieren. Diesen Zuwendungszweck bestätigt auch die Großmutter des Klägers in ihrem Schreiben an das Gericht vom 17.08.2016 auf die gerichtliche Anfrage vom 09.08.2016 hin. Zudem hat der Kläger ab dem 01.01.2015 von dem zugeflossenen Geldern seiner Großmutter ein Darlehen zur Förderung seiner selbstständigen Tätigkeit im IT- Bereich getilgt, was sowohl aus der schriftlichen Bestätigung des Darlehensgebers, Herrn O, vom 19.08.2016 auf Anfrage des Gerichts vom 09.08.2016, als auch aus der Einzahlungsquittung vom 23.08.2014 hervorgeht. Der Kläger hat daher mithilfe des von seiner Großmutter zugeflossenen Geldes versucht, entsprechend § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II seine Hilfebedürftigkeit zu verringern, um wirtschaftlich "auf eigenen Füßen" zu stehen. Da das SGB II auf vielfältige Art und Weise Motivations- und Leistungsanreize setzt, ist es somit nicht vereinbar, die Bemühungen des Klägers zur Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit über die Anrechnung des Taschengeldes auszuhebeln. Bereits aus diesem Grund ist die hier vom Beklagten vorgenommene Anrechnung als Einkommen grob unbillig. Der Gesetzgeber hat zudem bei der Schaffung der Regelung des § 11 a Abs. 5 Nr. 1 SGB II gerade als Indiz für die gewollte Anrechnungsfreiheit genannt, dass die Zuwendung erkennbar nicht auch zur Deckung des physischen Existenzminimums verwendet werden soll (BT- Drucks. 17/1304, S. 94). Angesichts des hier erfolgten Zuwendungszwecks liegt es auf der Hand, dass das Taschengeld nicht des physische Existenzminimum des Klägers sichern sollte, sondern ihm vielmehr helfen sollte, seine Hilfebedürftigkeit durch Bewerbungsbemühungen und der Förderung der selbstständigen Tätigkeit zu verringern oder beenden.
Ferner ist der Tatbestand des § 11 b Abs. 5 Nr. 2 SGB II erfüllt, da die Einnahme eines Taschengeldes von monatlich 50 Euro die Lage des Klägers nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Hierbei verweist die Kammer explizit auf des gesetzgeberischen Willen (Bt. – Drucks. 17/3404, S. 95), wonach gelegentliche oder regelmäßige Aufwendungen Anderer, die üblich oder gesellschaftlich akzeptiert sind, ohne Berücksichtigung bleiben. Exemplarisch ist dabei in den Gesetzesunterlagen die hiesige Fallkonstellation, ein geringfügiges monatliches Taschengeld der Großeltern, genannt. Der Zuwendungsbetrag von monatlich 50 Euro ist auch so gering, dass er die Lage des Klägers nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Hier ist schließlich zu beachten, dass es sich dabei lediglich um etwa 1/8 des für den Kläger maßgeblichen Regelsatzes und somit einen geringen Betrag handelt. Zudem hat das BSG mit Urteil vom 28.02.2013 (Az.: B 8 SO 12/11 R) einen Zuwendungsbetrag von 60 Euro als "gering" bezeichnet und unter Außerachtlassung des Zuwendungsgrundes eine Anrechnung bei einer Zuwendung in dieser Höhe ausgeschlossen. Dem schließt sich die Kammer vollumfänglich an, sodass vorliegend eine Anrechnung von 50 Euro monatlich nicht zu erfolgen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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