L 11 KR 651/17 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 739/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 651/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.09.2017 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Übernahme der Kosten für das Erlernen der Gebärdensprache durch den Antragsteller im Rahmen eines Hausgebärdensprachkurses.

Der am 00.00.2011 geborene Antragsteller ist von Geburt an gehörlos. Er wurde im Juli 2012 mit einem Cochlear-Implantat (CI) versorgt. Seither wird er durch das Cochlear-Implantat-Centrum der HNO-Universitätsklinik L, die Kinderärztin Dr. P sowie - im Rahmen einer heilpädagogischen Frühförderung für eine Stunde/Woche im Bereich "Hören und Kommunikation" - die Sonderschullehrerin S betreut. Im März 2016 stellten die Therapeuten des Cochlear-Implantat-Centrums L fest, dass beim Antragsteller bei einem Lebensalter von 4,9 Jahren ein Höralter mit CI von ca. 3,1 Jahren bestehe und die Artikulation auffällig sei. Aufgrund der Diskrepanz zwischen dem Sprachentwicklungsalter einerseits und dem Lebensalter andererseits könne über weitere sprachtherapeutische Maßnahmen nachgedacht werden (Bericht vom 03.03.2016).

Am 19.08.2016 beantragte der Antragsteller beim Sozialamt der Stadt N, ihm im Wege der Eingliederungshilfe im familiären Umfeld an die Grundlagen der Gebärdensprache heranzuführen. Auf diese Weise könnte er ohne Einschränkungen kommunizieren. Das würde wiederum helfen, ihm den mühsamen und wichtigen Weg zur Lautsprache zu ebnen. Dem Antrag fügte der Antragsteller eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin Dr. P vom 30.05.2016 bei; danach leidet er trotz Versorgung mit CI-Implantaten im Jahre 2012 und "trotz intensiver Fördermaßnahmen" noch unter erheblichen Kommunikationsproblemen, so dass "dringend das Erlernen der Gebärdensprache zur Abwendung einer Verschlechterung seiner Behinderung" empfohlen werde. Weiter fügte er eine Stellungnahme der Sonderschullehrerin S vom 12.06.2016 bei, die einen Hausgebärdenkurs für "unbedingt notwendig" hielt. Wenn der Antragsteller die CIs nicht tragen könne (z.B. beim Duschen, im Schwimmbad, nach dem Zubettgehen, aufgrund einer Entzündung der Ohren oder bei Defekt des Sprachprozessors), dann könne er derzeit nicht mittels Lautsprache angesprochen werden. Es gebe somit "im Familienalltag viele Situationen", in denen der Antragsteller auf Gebärden angewiesen sei; es sei daher für ihn und die Eltern unabdingbar, die deutsche Gebärdensprache zu erlernen. Trotz Versorgung des Antragstellers mit CI-Implantaten bereits im Jahr 2012 sei deren Optimierung erst spät erfolgt. So sei der Antragsteller beim Erwerb der Lautsprache "sehr deutlich verzögert". Nach neueren Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung könnten Kenntnisse in der Gebärdensprache dem Antragsteller helfen, die Lautsprache zu lernen und seinen Wortschatz zu erweitern.

Diesen Antrag leitete das Sozialamt noch am selben Tag an den S-Kreis O, Abteilung Eingliederungshilfe, und dieser am 29.08.2016 an die Antragsgegnerin als dem nach seiner Auffassung zuständigen Reha-Träger weiter. Nach anfänglichem Streit zwischen der Antragsgegnerin und dem S-Kreis O über die Zuständigkeit für den Antrag informierte die Antragsgegnerin unter dem 06.04.2017 den Antragsteller darüber, dass sie zur Prüfung des Antrags den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einschalte. Dieser gelangte am 19.04.2017 zum Ergebnis, dass es sich beim beantragten Unterricht zum Erlernen der Gebärdensprache um eine Eingliederungshilfe gemäß dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) handele und im Rahmen der Frühförderung in die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers falle. "Eine medizinische oder eine rehabilitative Leistung" kämen nicht in Betracht. Daraufhin wandte sich die Antragsgegnerin am 20.04.2017 mit dem Ersuchen um Amtshilfe an den beigeladenen S-Kreis-O und teilte dies dem Antragsteller mit. Am 30.05.2017 übersandte der Antragsteller der Antragsgegnerin den Kostenvoranschlag des GIB ZEIT e.V., der den Behandlungs- und Betreuungsbedarf auf eine Stunde pro Woche bei einem Stundensatz von 64,60 EUR taxierte, d.h. mit 258,40 EUR im Monat. Die Offenlegung seiner Einkommenssituation bzw. diejenige seiner Eltern lehnte der Antragsteller hingegen ab, da nach § 92 Abs. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) kein eigenes Einkommen einzusetzen sei. Auf Drängen des Antragstellerbevollmächtigten auf Bescheidung lehnte es die Antragstellerin ab, die Kosten für den begehrten Sprachkurs zu übernehmen, ohne die Antwort der Beigeladenen auf das Rechtshilfeersuchen abzuwarten (Bescheid vom 12.06.2017). Begehrt werde eine Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII, die Sozialhilfebedürftigkeit voraussetze. Da keinerlei Unterlagen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers vorgelegt würden, könnten die Anspruchsvoraussetzungen nicht geprüft werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch.

Zudem hat er beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kosten des Gebärdensprachkurses im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu übernehmen. Er habe Anspruch auf Eingliederungshilfe ohne dass er oder seine Eltern vorrangig ihr Einkommen oder Vermögen einsetzen müssten (§ 92 SGB XII). Auf Anforderung des Gerichts hat er die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Familie dann doch mitgeteilt; danach beläuft sich die "Vermögensreserve der Familie" auf 10.750,00 EUR, die Einkünfte der Eltern übersteigen die Ausgaben um 500,00 EUR/Monat, die als (weitere) "Rücklagen" gespart werden.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, die Kosten für das Erlernen der Gebärdensprache im Rahmen eines Hausgebärdensprachkurses in gesetzlicher Höhe und Laufzeit zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweilen Anordnung abzulehnen.

Es läge kein Anordnungsgrund vor, hierzu habe der Antragsteller nichts vorgetragen. Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben, so sei der MDK zum Ergebnis gelangt, dass es sich bei dem beantragten Gebärdensprachkurs um eine Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII handele. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht erfüllt.

Der beigeladene Sozialhilfeträger hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt. Er hat geltend gemacht, dass die Privilegierung des § 92 Abs. 2 SGB XII nicht anwendbar sei, da ein spezifischer Förderungsbedarf nicht vorliege. So weise der streitgegenständliche Gebärdensprachkurs keinen erforderlichen spezifischen Bildungsbezug auf; die Gebärdensprache sei für den Antragsteller nicht notwendig, um eine Schule besuchen zu können. Schulen für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche vermittelten im Übrigen selbst Gebärdensprachkenntnisse, wobei der Antragsteller durch seine heilpädagogisch ausgerichtete Frühförderung bereits über Grundkenntnisse verfüge. Zudem werde das Grundbedürfnis des Antragstellers durch die CI gedeckt. Soweit seine Artikulation noch auffällig sei, kämen weitere sprachtherapeutische Maßnahmen in Betracht und nicht das Erlernen der Gebärdensprache.

Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (Beschluss vom 14.09.2017). Sie sei nicht notwendig, um wesentliche Nachteile vom Antragsteller bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwenden. Dem Antragsteller bzw. seinen Eltern sei es möglich, die Kosten des streitbefangenen Kurses vorzuschießen, denn sie würden monatlich Rücklagen i.H.v. 500,00 EUR bilden. Der veranschlagte Kostenbedarf für den Gebärdensprachkurs belaufe sich hingegen auf "lediglich" 258,40 EUR pro Monat. Die Entscheidung der Antragsgegnerin sei auch nicht offensichtlich rechtswidrig. So könne nicht mit der für eine einstweilige Verpflichtung erforderlichen Sicherheit vom Eintritt der Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a SGB V ausgegangen werden. Zwar handele es sich beim Gebärdensprachkurs im häuslichen Umfeld nicht um eine ausgeschlossene Maßnahme gemäß § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V, denn unter diesen Ausschluss fielen lediglich medizinische Rehabilitationsmaßnahmen im engeren Sinne (BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -). Der begehrte Gebärdensprachkurs sei keine solche Rehabilitationsmaßnahme, sondern ein ärztlich verordnetes Heilmittel (§ 32 SGB V) oder eine Rehabilitationsmaßnahme im weiteren Sinne. Allerdings habe die Antragsgegnerin binnen der Drei-Wochenfrist des § 13 Abs. 3a SGB V entschieden. Insoweit sei zu beachten, dass der ursprüngliche Antrag vom 19.08.2016 nicht fiktionsfähig gewesen sei. Zwar habe damals bereits die ärztliche Bescheinigung der Kinderärztin Dr. P vorgelegen, die als ärztliche Verordnung i.S. dieser Vorschrift qualifiziert werden könne. Weder der Antrag noch die Bescheinigung hätten jedoch Angaben zur Frequenz und (vorläufigen) Dauer der beantragten Maßnahme enthalten. Daher habe der Antragsteller auch ausdrücklich mitgeteilt, dass "entsprechende Unterlagen über den geschätzten Therapiebedarf" des Vereins GIB ZEIT noch eingereicht würden. Diese Unterlage seien jedoch erst am 30.05.2017 bei der Antragsgegnerin eingegangen. Den erst seit diesem Zeitpunkt hinreichend bestimmten Antrag habe die Antragsgegnerin am 12.06.2017 beschieden und damit binnen zwei Wochen. Auch bestehe kein Primäranspruch auf Versorgung mit dem Heilmittel eines Gebärdensprachkurses, zumindest nicht mit der erforderlichen Sicherheit. Schließlich erscheine die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin, dass kein Eingliederungshilfeanspruch unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers vorläge, nicht offensichtlich rechtswidrig. Als Anspruchsgrundlage komme allenfalls § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1., 2, oder 3. SGB XII in Betracht. Diese Vorschrift scheide indes aus, weil der am 06.09.2011 geborene Antragsteller seit dem 01.08.2017 schulpflichtig sei, und die Vorschrift Maßnahmen lediglich für noch nicht eingeschulte Kinder vorsehe. Bezogen auf die Eingliederungshilfe zu einer angemessenen Schulbildung gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII sei zudem der Einwand der Beigeladenen, dass ein Gebärdensprachkurs als Hilfe zur angemessenen Schulbildung bei Schulen für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche nicht erforderlich sei, durchaus beachtlich. Dies müsse gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Im Übrigen habe der Antragsteller bisher nicht zu den vom Gericht gestellten Fragen Stellung genommen, ob er den Gebärdensprachkurs bereits begonnen habe und ob und gegebenenfalls welche Empfehlung das Hörzentrum der Uni L erteilt habe.

Der Beschluss des SG ist dem Antragsteller am 20.09.2017 zugestellt worden. Hiergegen hat er am 27.09.2017 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, dass seine Eltern mit den monatlichen "Rücklagen" i.H.v. 500,00 EUR ungeplante Ausgaben abfederten. So seien beispielsweise im Juni 1.750,00 EUR, im August 1.500,00 EUR und im September 2017 700,00 EUR "zurückgebucht" worden. Eine Reduktion der Rücklagen würde anstehende größere Reparaturen an den Autos gefährden, auf die die Eltern beruflich angewiesen seien. Er selbst besuche noch nicht die Schule, sei vielmehr zurückgestellt worden. Daher bestehe ein Anspruch nach den §§ 53, 54 SGB XII. Die Antragsgegnerin sei nach § 14 SGB IX leistungsverpflichtet.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin unter Änderung des Beschlusses des SG Düsseldorf vom 14.09.2017 zu verpflichten, die Kosten für das Erlernen der Gebärdensprache im Rahmen eines Hausgebärdensprachkurses in gesetzlicher Höhe zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das SG Düsseldorf hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Die beantragte einstweiligen Anordnung ist unzulässig (dazu 1.) und wäre - sähe man sie als zulässig an - unbegründet, denn es fehlt an einem Anordnungsgrund (dazu 2.).

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist bereits unzulässig. Das insoweit notwendige Rechtsschutzbedürfnis wäre nur dann gegeben, wenn die begehrte gerichtliche Eilentscheidung dem Antragsteller einen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil brächte (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz (SGG), 12. Auflage, 2017, § 86b Rn. 26). Das ist hier nicht der Fall. Würde dem Eilantrag des Antragstellers stattgegeben und die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, die Kosten für das Erlernen der Gebärdensprache im Rahmen eines Hausgebärdensprachkurses "in gesetzlicher Höhe" zu übernehmen, bliebe offen, in welchem Umfang und für welche Laufzeit Kosten zu übernehmen sind. Damit wäre dem Antragsteller nicht geholfen.

Gegen eine - grundsätzlich zulässige - Umdeutung des Antrags des Antragstellers nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz in einen zulässigen Antrag (vgl. hierzu: Keller, a.a.O. Rn. 9b) sprechen mehrere Gesichtspunkte. Zum einen wird der Antragsteller durch einen Fachanwalt für Sozialrecht und Lehrbeauftragten der Universität Oldenburg vertreten, der in der streitbefangenen Materie bewandert ist. Die Annahme, dass der Bevollmächtigte etwas anderes für den Antragsteller begehrt als in beiden Instanzen ausdrücklich formuliert, liegt fern. Das gilt insbesondere auch deswegen, weil die Fragen nach dem Umfang und der Dauer des begehrten Hausgebärdensprachkurses bereits im Verwaltungsverfahren zwischen den Beteiligten problematisiert worden sind. Der Antragsteller und sein Bevollmächtigter haben insoweit die Ansicht vertreten, die Antragsgegnerin müsse den Bedarf von Amts wegen mittels eines Gutachtens feststellen lassen (Schreiben vom 30.05.2017). Dass ist nicht geschehen, weil die Antragsgegnerin einen Anspruch schon dem Grund nach verneint hat. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum "gesetzlich geschuldeten Bedarf" kommt im vorliegenden Eilverfahren nicht in Betracht (vgl. Senat, Beschluss vom 05.04.2012 - L 11 KA 85/11 B ER -), ist vielmehr dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Zudem weichen die vom Antragstellerbevollmächtigten nach eigener "Erfahrung" bei "vielen Mandanten" bekannten Bedarfe von "2-3 Stunden" wöchentlich und der von einem Mitarbeiter des Vereins GIB ZEIT e.V. taxierte "Behandlungsbedarf" von einer Zeitstunde pro Woche voneinander ab, so dass auch hieraus nicht hinreichend sicher ein beantragter Bedarf abgeleitet werden kann.

Hinzu kommt: Selbst wenn die Antragsgegnerin die Kosten eines Hausgebärdensprachkurses für den Antragsteller übernehmen würde, wäre diesem damit nicht geholfen. Die bei der Verständigung im Familienalltag (beim Duschen, nach dem Zu-Bett-Gehen, bei Defekten der Hörgeräte etc.) auftretenden Probleme werden nicht (allein) dadurch gelöst, dass der Antragsteller Gebärdensprache erlernt. Zugleich wäre notwendig, dass auch seine Eltern diese Sprache beherrschen. Das wird vom Antragsteller nicht behauptet und ist für das Gericht auch sonst nicht ersichtlich. Einen Antrag auf Erlernen der Gebärdensprache für sich selbst haben sie nicht gestellt, sondern ausschließlich für den Antragsteller ("wir beantragen für unseren Sohn ").

2. Im Übrigen ist auch ein Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.

Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung verlangt insoweit grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -; Senat, Beschlüsse vom 11.10.2016 - L 11 KR 259/16 B ER -, 14.01.2015 - L 11 KA 44/14 B ER - und 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER -), es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -). Andererseits müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (Senat, Beschlüsse vom 11.10.2016 - L 11 KR 259/16 B ER -, 14.01.2015 - L 11 KA 44/14 B ER -, 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER - und 12.10.2009 - L 11 B 17/09 KA ER -). Ferner darf oder muss das Gericht ggf. auch im Sinne einer Folgenbetrachtung bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11.10.2016 - L 11 KR 259/16 B ER -, 14.01.2015 -L 11 KA 44/14 B ER, 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER - und 21.01.2012 - L 11 KA 77/11 B ER -).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

a) Zunächst behauptet nicht einmal der Antragsteller (substantiiert), dass ihm bei Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens nicht wiedergutzumachende, unzumutbare Nachteile entstehen würden. Welche das sein können, ist für das Gericht auch nicht zu erkennen, insbesondere in Bezug auf die von der Sonderschullehrerin des Antragstellers geschilderten Ausnahmefallgestaltungen (beim Duschen, nach dem Zu-Bett-Gehen, bei Defekten der Hörgeräte etc.). Dass der Antragsteller ohne umgehendes Erlernen der Gebärdensprache in seiner Lautsprache dauerhaft benachteiligt bleiben würde, wird ebenfalls nicht behauptet und liegt auch nicht nahe. Die Gebärdensprache hilft dem Antragsteller nicht, besser zu hören und seine Aussprache verbessert sie ebenfalls nicht. Entsprechend hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) den therapeutischen Nutzen eines Gebärdensprachkurses bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit nicht in den Heilmittelkatalog aufgenommen (Ziffer 2.3 Heilmittelkatalog).

b) Schließlich hat bereits das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass die dem Antragsteller gegenüber unterhaltspflichtigen Eltern finanziell in der Lage sind, die Kosten des streitbefangenen Kurses i.H.v. 258,40 EUR im Monat bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens bzw. zum Beginn der Schulzeit zu übernehmen. Darauf nimmt der Senat nach eigener Prüfung zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren hiergegen erhobenen Einwände führen zu keinem anderen Ergebnis. Soweit er behauptet, seine Eltern hätten im Juni 1.750,00 EUR, im August 1.500,00 EUR und im September 2017 weitere 700,00 EUR von den monatlichen "Rücklagen" verbraucht, ist dies nicht glaubhaft gemacht. Auch fehlen Angaben, wozu das Geld verbraucht worden ist. Dem Gericht ist insoweit nicht möglich zu prüfen, ob nicht der primäre Einsatz für den streitbefangenen Sprachkurs möglich und zumutbar gewesen wäre. Im Übrigen verfügt die Familie nach eigenen Angaben noch über Rücklagen i.H.v. 10.750,00 EUR. Diese mögen zwar bei der Frage, wer endgültig die Kosten des Sprachkurses zu tragen hat, aufgrund ihrer "SGB-II-Festigkeit" nicht zu berücksichtigen sein. Die Zumutbarkeit des teilweisen und vorläufigen Einsatzes im Rahmen eines Verfahrens nach § 86b Abs. 2 SGG schließt dies indes nicht aus, zumal bei daneben möglichen Sparraten von 500,00 EUR/Monat aus laufenden Einkünften.

Auch die vom Antragsteller behaupteten, künftig "anstehenden größere Reparaturen" an den beiden Pkw der Familie sind weder glaubhaft gemacht noch entscheidungserheblich. Sie können allenfalls im Fall ihres Eintretens die Eilbedürftigkeit im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG begründen. Inwieweit tatsächlich mit solchen Kosten zu rechnen ist, obwohl nach der Einnahmen-Überschussrechnung des Antragstellers bereits monatliche Wartungskosten für die Pkw i.H.v. 100,00 EUR/Monat aufgewandt werden, kann daher offen bleiben. Das gilt ebenso für die Fragen, was sich hinter den Kosten "Miete Stall + NK" in Höhe von 500,00 EUR monatlich verbirgt und ob diese vorliegend von Relevanz sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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