L 1 VE 10/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 10 VE 19/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 VE 10/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 3/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 21. März 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Witwenversorgung hat.

Die 1949 geborene Klägerin ist die Witwe des 1930 geborenen und 1982 verstorbenen C. C. Der zweite Ehemann der Klägerin ist 2015 verstorben.

C. C. war bis zu seinem Tode als Bauarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland tätig. Er soll vier Jahre die Schule besucht und keinen Beruf erlernt haben.

Das Landratsamt Ludwigsburg anerkannte mit Bescheid vom 24. Oktober 1957 ihm gegenüber den Verlust des linken Auges als Schädigungsfolge mit einem Grad der Schädigung von 30 v.H. und gewährte eine Beschädigtengrundrente gemäß § 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Der Beschädigte verstarb aufgrund eines Suizids am 1982. Hierauf wurde die Gewährung der Beschädigtengrundrente im Februar 1982 eingestellt.

Die Klägerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung eine Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann in Höhe von monatlich 395,23 EUR (Bescheid vom 13. Februar 2016) sowie eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von monatlich 596,88 EUR (Bescheid vom 17. Januar 2016).

Am 27. Januar 2016 beantragte die Klägerin bei dem Landratsamt Ludwigsburg die Gewährung von Versorgung nach ihrem verstorbenen Ehemann C. C. Aufgrund des Wohnortes der Klägerin in Kroatien leitete das Landratsamt Ludwigsburg den Antrag zuständigkeitshalber an den Beklagten weiter und wies darauf hin, dass die Versorgungsakten des Beschädigten zwischenzeitlich vernichtet worden seien. Ferner verwies das Landratsamt Ludwigsburg darauf, dass aus der noch vorliegenden Karteikarte nicht zu erkennen sei, ob seinerzeit das Vorliegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne von § 30 Abs. 2 BVG geprüft worden sei. Unter Berücksichtigung der Art der anerkannten Schädigungsfolge sei jedoch davon auszugehen, dass ein solches nicht vorgelegen habe. Ebenso sei der Karteikarte zu entnehmen, dass die eingeleitete Prüfung zu dem Ergebnis geführt habe, dass der Tod nicht die Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG gewesen sei. Ursächlich für den Tod dürfte die psychische Erkrankung des Beschädigten gewesen sein, welche jedoch nicht mit der anerkannten Schädigungsfolge in Zusammenhang gestanden habe.

Mit Bescheid vom 18. Mai 2016 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Witwenrente gemäß § 38 BVG ab. Der verstorbene Ehemann der Klägerin sei nicht an den anerkannten Schädigungsfolgen verstorben.

Mit weiterem Bescheid vom 19. Mai 2016 lehnte der Beklagte die Gewährung einer Witwenbeihilfe gemäß § 48 BVG ab. Die eingeleiteten Ermittlungen hätten ergeben, dass der verstorbene erste Ehemann der Klägerin vier Jahre die Schule besucht habe, keinen Beruf erlernt habe und bis zu seinem Tode im Jahre 1982 als ungelernter Arbeiter am Bau tätig gewesen sei. Der Verstorbene habe diese Tätigkeit erst nach seiner Schädigung aufgenommen. Es sei somit davon auszugehen, dass die Folgen der Schädigung ihn bei der Wahrnehmung seiner Arbeiten nicht behindert hätten. Selbst wenn dies jedoch der Fall gewesen wäre, dürfte die Einschränkung unter Berücksichtigung der Art der anerkannten Schädigungsfolgen so gering gewesen sein, dass dies nicht zu Einkommenseinbußen geführt hätte. Unter Berücksichtigung des Ausbildungsstandes sowohl schulisch als auch beruflich wäre es dem ersten Ehemann der Klägerin mit aller Wahrscheinlichkeit auch ohne die anerkannten Schädigungsfolgen nicht möglich gewesen, eine qualifiziertere Tätigkeit mit höherem Entgelt zu ergreifen. Er sei weder aufgrund der Schädigungsfolgen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, noch sei er wegen der Schädigungsfolgen gehindert gewesen, eine höherwertige Tätigkeit zu ergreifen und auszuüben.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 3. Mai 2016 Widerspruch und machte geltend, ihr erster Ehemann sei aufgrund einer Kriegsverletzung hirnverletzt gewesen. Er habe sein ganzes Leben unter dem Verlust des Auges gelitten und deshalb auch sein Leben beendet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2016 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte er unter anderem aus, dass die Witwe eines rentenberechtigten Kriegsbeschädigten einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente habe, wenn der Kriegsbeschädigte an den Folgen einer Schädigung gestorben sei. Der Tod gelte stets dann als Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden sterbe, das als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt gewesen sei. Bei dem ersten Ehemann der Klägerin sei als Schädigungsfolge der Verlust des linken Auges anerkannt gewesen. Er habe eine entsprechende Kriegsbeschädigtenrente bezogen. Im Jahre 1982 sei er an den Folgen eines Suizids verstorben. Ein ursächlicher Zusammenhang der Schädigungsfolgen mit dem Eintritt des Todes bestehe somit nicht. Auch die Voraussetzungen für eine Witwenbeihilfe seien nicht gegeben. Der erste Ehemann der Klägerin sei vor der Einberufung zum deutschen Militärdienst als ungelernter Arbeiter erwerbstätig gewesen. Nach Kriegsende sowie Flucht und Vertreibung aus dem Sudetenland habe er in Deutschland als Hilfsarbeiter in der Bauwirtschaft gearbeitet. Aus dieser Berufstätigkeit resultiere auch der Anspruch auf eine deutsche Rente, welche die Klägerin heute selbst im Rahmen der daraus abgeleiteten Witwenrente beziehe. Diese Erwerbstätigkeit am Bau habe damals die Existenzgrundlage des verstorbenen Ehemannes gebildet. Es würden sich jedoch keine hinreichenden Gründe für die Annahme ergeben, dass dieser ohne den Verlust des linken Auges eine andere Tätigkeit ausgeübt bzw. ein erheblich höheres Einkommen erzielt hätte. Die Einäugigkeit beeinträchtige zwar das räumliche Sehvermögen, dies sei aber bei der Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter bzw. als Maurer nicht entscheidend. Die wirtschaftliche Situation der Klägerin wäre auch ohne die Kriegsverwundung ihres Ehegatten nicht wesentlich günstiger ausgefallen.

Hiergegen hat die Klägerin am 19. August 2016 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben. Sie hat geltend gemacht, dass ihr erster Ehemann wegen der Kriegsbeschädigung sehr gelitten habe und keine schweren Arbeiten habe ausüben können, vielmehr nur leichte Tätigkeiten zum Beispiel als Kranführer auf der Baustelle. Aus diesem Grund sei seine Rente gering ausgefallen. Er habe vier Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Dies sei auf die anerkannte Kriegsbeschädigung zurückzuführen.

Mit Gerichtsbescheid vom 21. März 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe weder Anspruch auf Witwenrente noch auf Witwenbeihilfe. Der Beklagte habe in den angegriffenen Bescheiden und dem Widerspruchsbescheid ausführlich die zutreffende Rechtslage dargestellt. Zu dem Beschädigten existierten keinerlei Unterlagen mehr und die Klägerin sei auch nicht in der Lage, weitere Unterlagen vorzulegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen würden.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 14. April 2017 zugestellten Gerichtsbescheid am 26. Mai 2017 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, es sei erwiesen, dass ihr erster Ehemann kriegsbeschädigt gewesen sei. Sie habe bereits im Jahre 1984 einen Antrag stellen wollen. Dies sei ihr aber nicht gewährt worden. Daher habe sie nunmehr um eine entsprechende Entschädigung gebeten. Sie wisse aus Erfahrung, dass viele Menschen, die im Krieg gewesen seien, Suizid begangen hätten. Ihr erster Ehemann habe sich nicht aus Langeweile, sondern wegen der Kriegsverletzungen umgebracht. Sie habe drei kleine Kinder versorgen müssen. Dies habe ihrer Gesundheit geschadet.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 21. März 2017 sowie die Bescheide des Beklagten vom 18. Mai 2016 und 19. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch die Berichterstatterin anstelle des Senats einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte durch die Berichterstatterin und ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben, §§ 155 Abs. 3 und 4, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte die beantragte Witwenversorgung abgelehnt und das Sozialgericht die hiergegen erhobene Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung in Form einer Witwenrente. Gemäß § 38 BVG haben die Witwe, die Waisen und die Verwandten der aufsteigenden Linie Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente, wenn ein Beschädigter an den Folgen einer Schädigung verstorben ist. Der Tod gilt dann als Folge einer Schädigung, wenn der Beschädigte an einem Leiden stirbt, welches als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes eine Rente zuerkannt war. Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung, also eine absichtliche Selbsttötung, gilt gemäß § 1 Abs. 4 BVG nicht als Schädigung im Sinne des BVG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 8. Juli 1970, 10 RV 114/68, juris). Zu Recht hat der Beklagte darauf verwiesen, dass aus den noch vorliegenden Unterlagen nicht entnommen werden kann, dass die anerkannte Schädigungsfolge ursächlich für den Tod des ersten Ehemannes der Klägerin gewesen ist. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass viele Kriegsteilnehmer nach dem Krieg Suizid begangen hätten, begründet dies nicht die erforderliche Wahrscheinlichkeit der Ursächlichkeit zwischen Schädigungsfolge und Tod des Beschädigten. Der Verweis der Klägerin auf eine Hirnverletzung des Beschädigten kann den Anspruch ebenfalls nicht begründen, da eine solche Verletzung bei diesem nicht als Schädigungsfolge anerkannt worden ist.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung in Form einer Witwenbeihilfe. Ist ein rentenberechtigter Beschädigter nicht an den Folgen der Schädigung gestorben, so ist der Witwe gemäß § 48 BVG eine Witwenbeihilfe u.a. zu zahlen, wenn der Beschädigte durch die Folgen der Schädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, und dadurch die aus der Ehe mit dem Beschädigten hervorgeleitete Witwenversorgung um einen bestimmten Prozentsatz gemindert ist. Wie von dem Beklagten zutreffend ausgeführt, ist davon auszugehen, dass den Beschädigten die Folgen der Schädigung bei der Wahrnehmung seiner Arbeiten allenfalls geringfügig behindert haben. Dass er als ungelernter Bauarbeiter ein relativ geringes Einkommen erzielt hat, ist nicht ursächlich auf die anerkannte Schädigungsfolge zurückzuführen. Maßgeblich hierfür ist vielmehr seine geringe berufliche Qualifikation. Es ist nicht ersichtlich, dass er ohne den Verlust des linken Auges eine qualifiziertere, höherwertige Tätigkeit mit höherem Entgelt hätte ergreifen können. Auch das frühzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ist nicht auf die Schädigungsfolge, sondern vielmehr auf den schädigungsunabhängigen Suizid zurückzuführen. Mithin ist nicht nachgewiesen, dass die aus der Ehe hergeleitete Witwenrente der Klägerin schädigungsbedingt gemindert ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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