S 3 KR 479/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 3 KR 479/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 591/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 12.05.2014 und des Bescheides vom 25.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2014 verurteilt, der Klägerin weitere Kosten für die Zahnersatzversorgung in Höhe von 1.575,64 Euro zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für Zahnersatz.

Die Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert.

Am 17.03.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für Zahnersatz. Sie legte ein Kostenvoranschlag ihres kroatischen Zahnarztes G T vor. Danach war der Zahnersatz der Zähne 31 - 36 und 42 - 47 geplant. Die Behandlungskosten wurden auf 3.743,90 Euro geschätzt.

Am 18.03.2014 informierte die Beklagte die Klägerin, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeschaltet werde. Am gleichen Tag erfolgte der Auftrag zur Begutachtung an den MDK.

In einem Gutachten nach Aktenlage vom 28.04.2014 kam der Zahnarzt Herr E (MDK) zu folgender Einschätzung: Die Zähne 33 - 31 und 42 und 43 zeigten keine Defekte, die eine Überkronung rechtfertigten. Der Zahn 41 könne mit einer Krone versorgt werden. Die Brücken 34 - 36 und 44 - 47 seien erneuerungsbedürftig.

Mit Bescheid vom 12.05.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, für den Zahnersatz im Unterkiefer werde ein Betrag in Höhe von 1.983,88 Euro abzüglich eines Verwaltungskostenzuschlags in Höhe von 12 % (mindestens 6,- Euro, maximal 55,- Euro) übernommen. Dieser Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.

Die Klägerin überreichte eine Stellungnahme ihres behandelnden Zahnarztes und bat um Überprüfung der vollen Kostenübernahme.

Herr E (MDK) kam in einem weiteren Aktenlagegutachten vom 30.05.2014 zu der Einschätzung die Zähne 31 - 33 und 41 - 43 bedürften keiner Behandlung mittels Zahnersatz.

Mit Bescheid vom 25.06.2014 lehnte die Beklagte eine weitergehende Kostenübernahme ab.

Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.

Am 30.06.2014 hat die Klägerin in Kroatien mit der Behandlung der Zähne begonnen. Nach deren Abschluss wurden der Klägerin am 28.07.2014 Kosten in Höhe von 3.559,52 Euro in Rechnung gestellt.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2014 als unbegründet zurück. Sie führt zur Begründung aus, nach den Feststellungen des MDK ergebe sich ein Anspruch auf einen Festzuschuss für die Brückenversorgung der Zähne 34 - 36 und 44 - 47 sowie für die Kronenversorgung des Zahnes 41 in Höhe von 1.983,88 Euro. Dieser Betrag sei noch um den Verwaltungskostenabschlag zu reduzieren. Für die Zahnersatzversorgung an den Zähnen 33 - 31 und 42 und 43 bestehe hingegen keine medizinische Notwendigkeit.

Am 08.10.0214 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend, auch die Zähne 31 - 33 und 41 und 43 seien behandlungsbedürftig gewesen. Darüber hinaus vertritt die Klägerin die Auffassung, ein Verwaltungskostenabschlag sei nicht vorzunehmen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.05.2014 und des Bescheides vom 25.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2014 zu verurteilen, die Kosten für die Zahnersatzversorgung in Höhe von 3.559, 52 Euro abzüglich der bereits geleisteten 1.928,88 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Klage ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 12.05.2014 und 25.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2014 sind insoweit rechtswidrig, als der Klägerin lediglich die Kosten der Zahnersatzversorgung der Zähne 34 - 36, 44 - 47 und 41 zugesagt worden sind. Die Klägerin ist hierdurch gemäß § 54 Abs. 2 SGG in ihren Rechten verletzt.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist vorliegend § 13 Abs. 3 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), welcher mit Wirkung vom 26.02.2013 durch Artikel 2 Nr. 1 i.V.m. Artikel 5 des Patientenrechtegesetzes vom 20.02.2013 (Bundesgesetzblatt I, Seite 277 - 282), eingefügt worden ist. Die Sätze 1 - 7 der Norm haben folgenden Wortlaut: "Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von 3 Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von 6 Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von 4 Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet."

Es sprechen vorliegend keine überzeugenden Argumente dagegen, die Regelung in § 13 Abs. 3 a SGB V auch auf ambulante Behandlungen im EU-Ausland anzuwenden. Sie wird insbesondere nicht durch die Vorschrift des § 13 Abs. 4 SGB V verdrängt. Ziel der Einführung der Regelung in § 13 Abs. 3 a SGB V war die Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens und die Schaffung von Transparenz. Die Gesetzesmaterialien heben hervor, dass den Leistungsberechtigten durch die Unterrichtung Klarheit darüber verschafft werden soll, ob die 3-Wochenfrist oder die 5-Wochenfrist gilt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/10488, Seite 32). Es sind für die Kammer keine rechtlichen Besonderheiten zu erkennen, warum dieses gesetzgeberische Ziel nicht auch bei ambulanten Behandlungen im europäischen Ausland umgesetzt werden soll.

Vorliegend ist der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für Zahnersatz bei der Beklagten am 17.03.2014 eingegangen. Der Antrag war hinreichend bestimmt, beinhaltete ein Heil- und Kostenplan und einen Kostenvoranschlag des behandelnden Zahnarztes. Der Antrag umfasste u.a. die Zahnersatzversorgung der Zähne 33 - 31 und 42 - 43 und war damit grundsätzlich fiktionsfähig.

Der Antrag der Klägerin betraf eine Leistung, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung lag (vgl. §§ 13 Abs. 4, 28 Abs. 2 SGB V). Aufgrund der fachlichen Befürwortung ihres Antrages durch den behandelnden Zahnarzt durfte die Klägerin die Behandlung für geeignet und erforderlich halten.

Die Beklagte beschied den Antrag der Klägerin nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 13 Abs. 3 a Satz 1 SGB V. Die Entscheidungsfristen für die Krankenkassen nach § 13 Abs. 3 a Satz 1 SGB V sind nach §§ 26 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 187, 188 und 193 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu bestimmen. Die Frist beginnt, da der sie auslösende "Antragseingang" ein Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB darstellt, am folgenden Tage. Nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB enden die Wochenfristen grundsätzlich mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingangs entspricht (vgl. Hauck/Noftz ,SGB V, § 13 Randziffer 50 i). Die Entscheidungsfrist begann damit am 18.03.2014. Ob vorliegend für die Beklagte die 3-Wochenfrist oder die 5-Wochenfrist galt, kann im Ergebnis offenbleiben. Als die Beklagte erstmals den Leistungsantrag mit Bescheid vom 12.05.2014 ablehnte, war sowohl die 3-Wochenfrist als auch die 5-Wochenfrist abgelaufen. Zu einer Verlängerung der Bearbeitungsfristen ist es vorliegend nicht gekommen. Das Bundessozialgericht (BSG) führt in seiner Entscheidung vom 08.03.2016 (B 1 KR 25/15 R) unter Randziffer 20 dazu wie folgt aus: "Die Mitteilung mindestens eines hinreichenden Grundes bewirkt für die von der Krankenkasse prognostizierte, taggenau anzugebende Dauer des Bestehens zumindest eines solchen Grundes, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt. Stellt sich nach Mitteilung einer ersten, sachlich gerechtfertigten Frist heraus, dass diese zunächst prognostizierte Frist sich aus hinreichenden Sachgründen als zu kurz erweist, kann die Krankenkasse zur Vermeidung des Eintritts der Genehmigungsfiktion dem Antragsteller die hinreichenden Gründe mit der geänderten taggenauen Prognose erneut - gegebenenfalls wiederholt - mitteilen."

Diesen Anforderungen entsprechen die Schreiben der Beklagten an die Klägerin aus dem Vorverfahren nicht. Rechtsfolge ist der Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V.

Durch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen. Die Leistungsberechtigung des Antragstellers ist wirksam verfügt und die Krankenkasse ist mit Einwendungen im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V ausgeschlossen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 23.02.2016, L 5 KR 351/14, m.w.N.; zitiert nach www.juris.de). Der Sanktionsgrund des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V würde leerlaufen, wenn die beklagte Krankenkasse nach Nichtbeachtung der in § 13 Abs. 3 a SGB V genannten Vorgehensweise im weiteren (Klage-) Verfahren mit Erfolg einwenden könnte, die beantrage Leistung hätte im konkreten Fall nicht bewilligt werden dürfen. Zudem hätte bei einer solchen Auslegung ein Versicherter, ungeachtet eines Verstoßes der Krankenkasse gegen die in § 13 Abs. 3 a Satz 5 SGB V normierte Hinweispflicht keine Gewissheit, dass die beantragte Leistung von der Krankenkasse bezahlt oder zu mindestens die Kosten hierfür erstattet werden. Dies kann nicht Sinn und Zweck des Patientenrechtegesetzes gewesen sein, welches gerade darauf abzielt, die Rechte der Patienten zu stärken (vgl. Sozialgericht Heilbronn, Urteil vom 10.03.2015, S 11 KR 2425/14; zitiert nach www.juris.de).

Nach Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V hat sich die Klägerin die streitige Behandlung selbst verschafft. Die Beklagte ist deshalb nach § 13 Abs. 3 a Satz 7 SGB V zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Frage der Erforderlichkeit der selbstbeschafften Leistung ist dabei nicht mehr zu prüfen. Anderenfalls bedeutete dies eine nicht gewollte Schlechterstellung desjenigen Versicherten, der sich die Leistung bereits beschafft hat, im Vergleich zu demjenigen, der auf eine Sachleistung besteht. Darüber hinaus wurde die Regelung der Genehmigungsfiktion und damit die Verpflichtung der Krankenkasse zu einem schnelleren Verwaltungshandeln ins Leere laufen, wenn nach Ablauf der Frist weiterhin die volle Prüfung der medizinischen Erforderlichkeit einer beantragten Leistung durchzuführen wäre (vgl. Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 12.04.2016, S 10 KR 50/15; zitiert nach www.juris.de).

Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht jedoch nur in Höhe von 3.504,92 Euro abzüglich der bereits von der Beklagten geleisteten 1.928,88 Euro. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Beklagte berechtigt, einen Verwaltungskostenabschlag in Höhe von 55,- Euro vom Rechnungsbetrag des behandelnden Zahnarztes abzuziehen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 13 Abs. 4 Satz 4, 5 SGB V i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 2 der Satzung der Beklagten. Danach wird im Rahmen der Kostenerstattung für eine ambulante Behandlung im EU-Ausland ein Abschlag für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung in Höhe von 12 v. H., mindestens jedoch 6,- Euro und höchstens 55,- Euro, sowie um die gesetzliche Zuzahlungen gekürzt. Diese entspricht dem gesetzgeberischen Willen und ist vor dem Hintergrund, dass die Kostenerstattung immer zusätzliche Verwaltungskosten für die Krankenkasse verursacht gerechtfertigt, zumal der Verwaltungsaufwand im fremdsprachigen Ausland größer ist. Ähnliches gilt für die fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung, da weder evtl. Honorarkürzungen oder Regressforderungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise gegenüber ausländischen Leistungserbringern Erfolg haben dürften (vgl. Wagner in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 13 SGB V Randziffer 50). Dies gilt auch im Anwendungsbereich des § 13 Abs. 3 a Satz 7 SGB V. Die Versicherten sind hierbei so zu stellen, als hätte die Krankenkasse die Sachleistung rechtzeitig zur Verfügung gestellt. Insoweit orientiert sich die Regelung an der Erstattungsregelung in § 13 Abs. 3 SGB V. Die bei der Gewährung als Sachleistung von Versicherten zu tragenden Zuzahlungen oder Kostenanteile sind dabei vom Kostenerstattungsanspruch abzuziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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