Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 543/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 81/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 11. Februar 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt V G, Istr., B beigeordnet, Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 11. Februar 2018 ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für weiterhin notwendige Apherese-Behandlungen zu übernehmen, mit Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen dem Versicherten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG von den Sozialgerichten grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet (vgl. BVerfGE 79, 69 (74); 94, 166 (216); NJW 2003, 1236f.). Sind die Sozialgerichte durch eine Vielzahl von anhängigen entscheidungsreifen Rechtsstreitigkeiten belastet oder besteht die Gefahr, dass die dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu Grunde liegende Beeinträchtigung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit des Versicherten sich jederzeit verwirklichen kann, verbieten sich zeitraubende Ermittlungen in der Regel. Die Entscheidung hat sich stattdessen an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu orientieren (BVerfG NJW 2003, 1236f.). Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Folgenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat (vgl. hierzu Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, § 32 Rn. 177 mit umfassendem Nachweis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Hierbei ist insbesondere die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Verfassungsgeber getroffene objektive Wertentscheidung zu berücksichtigen. Danach haben alle staatlichen Organe die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen (vgl. BVerfGE 56, 54 (73)). Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten bedeutet dies, das diese die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die ebenfalls der Sicherung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienende Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. insbesondere aus §§ 1, 2 Abs. 1 und 4 SGB V), ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, sowie die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 68, 193 ( 218)) aus den Augen zu verlieren. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert ist oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftetet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen. Nur durch eine an diesen Grundsätzen orientierte Vorgehensweise bei der Folgenabwägung wird dem vom Gesetzgeber in allen Prozessordnungen vorgesehenen Vorrang des nachgehenden Rechtschutzes vor dem vorläufigen Rechtsschutz sowie dem sich aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatz Rechnung getragen, dass die Leistungsgewährung vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Ausnahme und nicht die Regel sein soll (Beschlüsse des Senats vom 24. Juni 2014 - L 1 KR 167/14 -, vom 3. Februar 2014 – L 1 KR 30/14 B ER – und vom 4. Mai 2015 – L 1 KR 221/15 B ER und vom 15. November 2017 – L 1 KR 447/17 B ER - sowie Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 10. Februar 2014 – L 9 KR 293/13 B ER -).
An diesen Grundsätzen gemessen, hat die Antragstellerin keinen im Wege der einstweiligen Anordnung durchsetzbaren Anspruch auf weitere Apherese- Behandlungen. Das Sozialgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf weitere Apherese-Behandlungen nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bestehen kann. Es ist aber schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin im Sinne dieser Vorschrift an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder einer wertungsmäßig damit gleichstehenden Erkrankung leidet. Der Senat vermag zudem nicht die Gefahr zu erkennen, dass die Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens sterben oder schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleiden würde. Von daher kann selbst der Umstand, dass die Wirkungslosigkeit der von der Antragstellerin begehrten Therapie noch nicht fraglos feststeht, den Erlass einer auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistung gerichteten einstweiligen Anordnung nicht zu begründen.
Versicherte haben nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch beschränkt sich nach § 12 SGB V aber auf solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Neue Behandlungsmethoden, die bisher als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) nicht enthalten sind, gehören nach § 135 SGB V nur dann in das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine positive Empfehlung ausgesprochen hat. Auf Grund des Beschlusses des Bundesausschusses vom 24. März 2003 (BAnz. 2003 Nr. 123 S. 14486) können Apheresen zwar als Leistung der GKV zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung in der Fassung vom 17. Januar 2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2006 Nr. 48 [S. 1523], in Kraft getreten am 1. April 2006, zuletzt geändert am 15. Februar 2018, veröffentlicht im Bundesanzeiger [BAnz AT 11.05.2018 B6], in Kraft getreten am 12. Mai 2018). Dies betrifft nach Anlage 1 Nr. 1 § 3 Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung allerdings nur die Indikationen schwere Hypercholesterinämie, isolierte Lp(a)-Erhöhung sowie aktive rheumatoide Arthritis.
Die Antragstellerin leidet an keiner dieser Krankheiten. Nach der Expertise ihres behandelnden Arztes Dr. St vom 18. Oktober 2017 sollen mit der therapeutischen Apherese behandelt werden die Diagnosen T78.4G MCS (Multiple-Chemical-Sensivity)-Syndrom, G62.2G Polyneuropathie, L94.0G Zirkumskripte Sklerodermie und E06.3G (Hashimoto-Thyreoiditis). Diese Diagnosen liegen sämtlich außerhalb der Anwendungsempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens ergibt sich ebenso wenig ein Leistungsanspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht trotz fehlender Anwendungsempfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausnahmsweise eine Leistungspflicht der Krankenkasse, wenn das Überprüfungsverfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der dafür bestehenden formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und § 92 Nr. 12). Bereits das Sozialgericht hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass ein solcher Fall des Systemversagens hier nicht zu erkennen ist. Gegenteilige Anhaltspunkte hat die Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen. Demnach entspricht die von der Antragstellerin begehrte Leistung nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V.
Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 1a SGB V. Nach dieser Vorschrift können Versicherte Anspruch auf Leistungen auch abweichend von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V haben, wenn sie an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer wertungsmäßig zumindest vergleichbaren Erkrankung leiden, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, sofern eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Entscheidend ist, ob eine lebensbedrohliche Notsituation besteht. Der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf muss sich nach den Umständen des Falles innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen (BSG v. 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R). Das gleiche gilt für einen gegebenenfalls gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl. Plagemann in jurisPK SGB V, 3. Aufl., § 2 Rn 57 mit weit. Nachw.). Eine "nur" schwerwiegende Erkrankung reicht nicht aus, auch wenn sie die körperliche Unversehrtheit und die Lebensqualität schwerwiegend beeinträchtigt (LSG Berlin-Brandenburg v. 24. Februar 2016 – L 9 KR 412/15 B ER – juris Rn 18).
Diese maßgeblichen Voraussetzungen lassen sich selbst aus dem von der Antragstellerin zur Begründung ihrer Beschwerde vorgelegten Bericht ihres behandelnden Arztes Dr. St nicht ableiten. Dessen Angaben erschöpfen sich in der Eröffnung völlig unbestimmter Szenarien, wenn ein "Fortschreiten" des chronischen Erschöpfungssyndroms, der Polyneuropathie, der sklerodermieartigen Hautveränderungen und der TILT als Variante der MCS in Aussicht gestellt wird. Trotz Nachfrage des Senats hat Dr. St nicht näher angegeben, welche irreversiblen gesundheitlichen Schädigungen von welchem Ausmaß innerhalb welcher Zeiträume konkret drohen, sondern lediglich Befürchtungen geäußert. Demnach macht die Antragstellerin schon selbst keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen geltend, deren Intensität und vermutete Auswirkungen über eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensqualität hinausgingen. Das reicht aber für einen Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V nicht aus.
Aus der ärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. K vom 7. Mai 2018 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Dort wird über eine schwere immunologische Reaktion berichtet. Welches Ausmaß diese Reaktion hat, ob sie konkrete Lebensgefahr bedeutet oder doch zumindest den irreversiblen Ausfall wichtiger Körperfunktionen besorgen lässt, kann der Stellungnahme nicht entnommen werden. Der Senat verweist im Übrigen auf den Entlassungsbrief aus dem Immanuel Krankenhaus vom 5. März 2018. Der dortigen nach Einschätzung des Senats sehr sachlich gehaltenen Darstellung lässt sich nichts dafür entnehmen, dass bei der Antragstellerin konkret und gegenwärtig Lebensgefahr bestehen könnte oder ein wertungsmäßig gleichstehender Zustand vorliegt. Die von dem Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 1. Mai 2018 noch vorgelegten Unterlagen geben dazu ebenso wenig etwas her. Ermittlungsverfahren zu einer Vergiftung belegen keine unmittelbaren schwerwiegenden Gesundheitsgefahren, denen nur durch regelmäßige Apheresen begegnet werden könnten. Auch die weiteren vorgelegten Laborwerte, Befunde, Verordnungen und psychologischen Stellungnahmen sind keine Nachweise dafür. Auf die Frage, welche Erkenntnisse sich aus dem vom Sozialgericht bei Frau Dr. S eingeholten Gutachten gewinnen lassen, kommt es daneben nicht entscheidend an.
Nach Einschätzung des Senats sind damit keine Tatsachen glaubhaft gemacht, aus denen sich der von der Antragstellerin geltend gemachte Leistungsanspruch ergeben könnte. Restunsicherheiten, die deswegen bestehen, weil in einem Hauptsacheverfahren möglicherweise noch weitere Ermittlungen angestellt werden würden, rechtfertigen nur dann den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wenn anderenfalls die Gefahr besteht, dass die Antragstellerin bis zu der Beendigung des Hauptsacheverfahrens schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet. Dafür ist aber aus den schon genannten Gründen nichts ersichtlich. Die von und für die Antragstellerin geltend gemachten gesundheitlichen Gefahren, soweit sie jetzt noch geltend gemacht werden, gehen über die Formulierung einer allgemeinen Besorgnis im Hinblick auf eine Zustandsverschlechterung nicht hinaus. Soweit die Antragstellerin im Verlaufe des Verfahrens vor dem Sozialgericht geltend gemacht hatte, dass die ausgebliebene Apherese einen Hörsturz verursacht habe, verweist der Senat darauf, dass es sich dabei nach der Epikrise aus dem St. J Krankenhaus P-S vom 12. Dezember 2017 jedenfalls nur um eine vorübergehende Erscheinung gehandelt haben kann. Eine nachhaltige Gesundheitsgefahr lässt sich daraus nicht begründen. Eine Systemische Sklerosierung kann nach dem Entlassungsbrief aus dem Immanuel Krankenhaus Berlin v. 5. März 2018 ausgeschlossen werden. Aus diesem Entlassungsbrief ergibt sich auch eindeutig, dass bei der Antragstellerin kein krankheitswertiges Aneurysma vorliegt. Damit ist auf der Grundlage der jetzt vorliegenden Erkenntnisse – anders als noch im Beschluss des erkennenden Senats vom 22. Januar 2016 – L 1 KR 17/16 B ER – die Gefahr des Auftretens einer Gehirnblutung mittlerweile auszuschließen.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 11. Februar 2018 ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für weiterhin notwendige Apherese-Behandlungen zu übernehmen, mit Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen dem Versicherten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG von den Sozialgerichten grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet (vgl. BVerfGE 79, 69 (74); 94, 166 (216); NJW 2003, 1236f.). Sind die Sozialgerichte durch eine Vielzahl von anhängigen entscheidungsreifen Rechtsstreitigkeiten belastet oder besteht die Gefahr, dass die dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu Grunde liegende Beeinträchtigung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit des Versicherten sich jederzeit verwirklichen kann, verbieten sich zeitraubende Ermittlungen in der Regel. Die Entscheidung hat sich stattdessen an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu orientieren (BVerfG NJW 2003, 1236f.). Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Folgenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat (vgl. hierzu Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, § 32 Rn. 177 mit umfassendem Nachweis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Hierbei ist insbesondere die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Verfassungsgeber getroffene objektive Wertentscheidung zu berücksichtigen. Danach haben alle staatlichen Organe die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen (vgl. BVerfGE 56, 54 (73)). Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten bedeutet dies, das diese die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die ebenfalls der Sicherung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienende Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. insbesondere aus §§ 1, 2 Abs. 1 und 4 SGB V), ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, sowie die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 68, 193 ( 218)) aus den Augen zu verlieren. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert ist oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftetet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen. Nur durch eine an diesen Grundsätzen orientierte Vorgehensweise bei der Folgenabwägung wird dem vom Gesetzgeber in allen Prozessordnungen vorgesehenen Vorrang des nachgehenden Rechtschutzes vor dem vorläufigen Rechtsschutz sowie dem sich aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatz Rechnung getragen, dass die Leistungsgewährung vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Ausnahme und nicht die Regel sein soll (Beschlüsse des Senats vom 24. Juni 2014 - L 1 KR 167/14 -, vom 3. Februar 2014 – L 1 KR 30/14 B ER – und vom 4. Mai 2015 – L 1 KR 221/15 B ER und vom 15. November 2017 – L 1 KR 447/17 B ER - sowie Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 10. Februar 2014 – L 9 KR 293/13 B ER -).
An diesen Grundsätzen gemessen, hat die Antragstellerin keinen im Wege der einstweiligen Anordnung durchsetzbaren Anspruch auf weitere Apherese- Behandlungen. Das Sozialgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Anspruch auf weitere Apherese-Behandlungen nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bestehen kann. Es ist aber schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin im Sinne dieser Vorschrift an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder einer wertungsmäßig damit gleichstehenden Erkrankung leidet. Der Senat vermag zudem nicht die Gefahr zu erkennen, dass die Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens sterben oder schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleiden würde. Von daher kann selbst der Umstand, dass die Wirkungslosigkeit der von der Antragstellerin begehrten Therapie noch nicht fraglos feststeht, den Erlass einer auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistung gerichteten einstweiligen Anordnung nicht zu begründen.
Versicherte haben nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch beschränkt sich nach § 12 SGB V aber auf solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Neue Behandlungsmethoden, die bisher als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) nicht enthalten sind, gehören nach § 135 SGB V nur dann in das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine positive Empfehlung ausgesprochen hat. Auf Grund des Beschlusses des Bundesausschusses vom 24. März 2003 (BAnz. 2003 Nr. 123 S. 14486) können Apheresen zwar als Leistung der GKV zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung in der Fassung vom 17. Januar 2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2006 Nr. 48 [S. 1523], in Kraft getreten am 1. April 2006, zuletzt geändert am 15. Februar 2018, veröffentlicht im Bundesanzeiger [BAnz AT 11.05.2018 B6], in Kraft getreten am 12. Mai 2018). Dies betrifft nach Anlage 1 Nr. 1 § 3 Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung allerdings nur die Indikationen schwere Hypercholesterinämie, isolierte Lp(a)-Erhöhung sowie aktive rheumatoide Arthritis.
Die Antragstellerin leidet an keiner dieser Krankheiten. Nach der Expertise ihres behandelnden Arztes Dr. St vom 18. Oktober 2017 sollen mit der therapeutischen Apherese behandelt werden die Diagnosen T78.4G MCS (Multiple-Chemical-Sensivity)-Syndrom, G62.2G Polyneuropathie, L94.0G Zirkumskripte Sklerodermie und E06.3G (Hashimoto-Thyreoiditis). Diese Diagnosen liegen sämtlich außerhalb der Anwendungsempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens ergibt sich ebenso wenig ein Leistungsanspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht trotz fehlender Anwendungsempfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausnahmsweise eine Leistungspflicht der Krankenkasse, wenn das Überprüfungsverfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der dafür bestehenden formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und § 92 Nr. 12). Bereits das Sozialgericht hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass ein solcher Fall des Systemversagens hier nicht zu erkennen ist. Gegenteilige Anhaltspunkte hat die Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen. Demnach entspricht die von der Antragstellerin begehrte Leistung nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V.
Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 1a SGB V. Nach dieser Vorschrift können Versicherte Anspruch auf Leistungen auch abweichend von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V haben, wenn sie an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer wertungsmäßig zumindest vergleichbaren Erkrankung leiden, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, sofern eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Entscheidend ist, ob eine lebensbedrohliche Notsituation besteht. Der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf muss sich nach den Umständen des Falles innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen (BSG v. 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R). Das gleiche gilt für einen gegebenenfalls gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl. Plagemann in jurisPK SGB V, 3. Aufl., § 2 Rn 57 mit weit. Nachw.). Eine "nur" schwerwiegende Erkrankung reicht nicht aus, auch wenn sie die körperliche Unversehrtheit und die Lebensqualität schwerwiegend beeinträchtigt (LSG Berlin-Brandenburg v. 24. Februar 2016 – L 9 KR 412/15 B ER – juris Rn 18).
Diese maßgeblichen Voraussetzungen lassen sich selbst aus dem von der Antragstellerin zur Begründung ihrer Beschwerde vorgelegten Bericht ihres behandelnden Arztes Dr. St nicht ableiten. Dessen Angaben erschöpfen sich in der Eröffnung völlig unbestimmter Szenarien, wenn ein "Fortschreiten" des chronischen Erschöpfungssyndroms, der Polyneuropathie, der sklerodermieartigen Hautveränderungen und der TILT als Variante der MCS in Aussicht gestellt wird. Trotz Nachfrage des Senats hat Dr. St nicht näher angegeben, welche irreversiblen gesundheitlichen Schädigungen von welchem Ausmaß innerhalb welcher Zeiträume konkret drohen, sondern lediglich Befürchtungen geäußert. Demnach macht die Antragstellerin schon selbst keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen geltend, deren Intensität und vermutete Auswirkungen über eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensqualität hinausgingen. Das reicht aber für einen Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V nicht aus.
Aus der ärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. K vom 7. Mai 2018 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Dort wird über eine schwere immunologische Reaktion berichtet. Welches Ausmaß diese Reaktion hat, ob sie konkrete Lebensgefahr bedeutet oder doch zumindest den irreversiblen Ausfall wichtiger Körperfunktionen besorgen lässt, kann der Stellungnahme nicht entnommen werden. Der Senat verweist im Übrigen auf den Entlassungsbrief aus dem Immanuel Krankenhaus vom 5. März 2018. Der dortigen nach Einschätzung des Senats sehr sachlich gehaltenen Darstellung lässt sich nichts dafür entnehmen, dass bei der Antragstellerin konkret und gegenwärtig Lebensgefahr bestehen könnte oder ein wertungsmäßig gleichstehender Zustand vorliegt. Die von dem Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 1. Mai 2018 noch vorgelegten Unterlagen geben dazu ebenso wenig etwas her. Ermittlungsverfahren zu einer Vergiftung belegen keine unmittelbaren schwerwiegenden Gesundheitsgefahren, denen nur durch regelmäßige Apheresen begegnet werden könnten. Auch die weiteren vorgelegten Laborwerte, Befunde, Verordnungen und psychologischen Stellungnahmen sind keine Nachweise dafür. Auf die Frage, welche Erkenntnisse sich aus dem vom Sozialgericht bei Frau Dr. S eingeholten Gutachten gewinnen lassen, kommt es daneben nicht entscheidend an.
Nach Einschätzung des Senats sind damit keine Tatsachen glaubhaft gemacht, aus denen sich der von der Antragstellerin geltend gemachte Leistungsanspruch ergeben könnte. Restunsicherheiten, die deswegen bestehen, weil in einem Hauptsacheverfahren möglicherweise noch weitere Ermittlungen angestellt werden würden, rechtfertigen nur dann den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wenn anderenfalls die Gefahr besteht, dass die Antragstellerin bis zu der Beendigung des Hauptsacheverfahrens schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet. Dafür ist aber aus den schon genannten Gründen nichts ersichtlich. Die von und für die Antragstellerin geltend gemachten gesundheitlichen Gefahren, soweit sie jetzt noch geltend gemacht werden, gehen über die Formulierung einer allgemeinen Besorgnis im Hinblick auf eine Zustandsverschlechterung nicht hinaus. Soweit die Antragstellerin im Verlaufe des Verfahrens vor dem Sozialgericht geltend gemacht hatte, dass die ausgebliebene Apherese einen Hörsturz verursacht habe, verweist der Senat darauf, dass es sich dabei nach der Epikrise aus dem St. J Krankenhaus P-S vom 12. Dezember 2017 jedenfalls nur um eine vorübergehende Erscheinung gehandelt haben kann. Eine nachhaltige Gesundheitsgefahr lässt sich daraus nicht begründen. Eine Systemische Sklerosierung kann nach dem Entlassungsbrief aus dem Immanuel Krankenhaus Berlin v. 5. März 2018 ausgeschlossen werden. Aus diesem Entlassungsbrief ergibt sich auch eindeutig, dass bei der Antragstellerin kein krankheitswertiges Aneurysma vorliegt. Damit ist auf der Grundlage der jetzt vorliegenden Erkenntnisse – anders als noch im Beschluss des erkennenden Senats vom 22. Januar 2016 – L 1 KR 17/16 B ER – die Gefahr des Auftretens einer Gehirnblutung mittlerweile auszuschließen.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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