Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 181/18 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 9 KR 223/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Krankenversicherung - einstweiliger Rechtsschutz - rezidivierendes Glioblastom - Therapieversagen - Off-Label-Use - "last-line"-Therapie mit Bevacizumab (Avastin) und Irinotecan - spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf - progressionsfreies Überleben im Rezidiv
Soweit bei Standardtherapie-refraktärem rezidivierendem Glioblastom eine "last-line"-Therapie mit Bevacizumab (Avastin) und Irinotecan ärztlich verordnet wird und diese beim Patienten gut anspricht, indem sie das Tumorwachstum aufhält, ist ein Anspruch auf diese Behandlung nach den Kriterien für den Off-Label-Use i. V. m. § 2 Abs. 1a SGB V ausnahmsweise gegeben.
Soweit bei Standardtherapie-refraktärem rezidivierendem Glioblastom eine "last-line"-Therapie mit Bevacizumab (Avastin) und Irinotecan ärztlich verordnet wird und diese beim Patienten gut anspricht, indem sie das Tumorwachstum aufhält, ist ein Anspruch auf diese Behandlung nach den Kriterien für den Off-Label-Use i. V. m. § 2 Abs. 1a SGB V ausnahmsweise gegeben.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. April 2018 aufgehoben.
II. Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung im Widerspruchsverfahren vorläufig als Sachleistung die Therapie mit den Arzneimitteln Bevacizumab/Irinotecan zur Behandlung des Glioblastoms nach Verordnung der behandelnden Ärzte zu gewähren.
III. Die Beschwerdegegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers für beide Instanzen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Kostenübernahme bzw. Sachleistungsgewährung einer Chemotherapie mit Bevacizumab (Avastin®) in Kombination mit Irinotecan gegen ein rezidivierendes Glioblastom.
Der 1963 geborene Antragsteller leidet seit Oktober 2013 an einem rezidivierenden Hirntumor vom Typ Glioblastoma multiforme rechts frontal, WHO Grad IV (ICD-10: C 71.9), MGMT methyliert. Am 23.10.2013 erfolgte eine navigationsgestützte mikrochirurgische Tumorentfernung mit osteoplastischer Trepanation. In dem Zeitraum von Dezember 2013 bis Januar 2014 erfolgte eine Strahlen- und gleichzeitige Chemotherapie mit Temozolomid (Temodal®) und von Februar 2014 bis August 2014 eine 5-zyklische adjuvante Temozolomid-Therapie. Am 12.08.2014 wurde ein erstes Rezidiv operiert. Daraufhin wurde die Chemotherapie im Zeitraum von September 2014 bis Februar 2015 auf eine intensivierte zwei-zyklische PCV-Polychemotherapie (Procarbazin, CCNU (Lomustin) und Vincristin) umgestellt. Im Februar 2015 wurde ein zweites Rezidiv festgestellt. Von Februar bis Juni 2015 erhielt der Antragsteller acht Zyklen Temozolomid (Temodal®). Im Juni 2015 zeigte sich ein drittes Rezidiv mit Progression. Daraufhin empfahl das neuroonkologische Tumorboard eine Systemtherapie mit Bevacizumab in Kombination mit Irinotecan. Von Juli 2015 bis Februar 2018 erhielt der Antragsteller davon über 63 Zyklen jeweils im Abstand von ca. zwei Wochen. Bei den MRT-Untersuchungen des Schädels, zuletzt am 17.01.2018, zeigten sich jeweils unveränderte Substanzdefekte frontal rechts mit umgebender Gliosezone und kein Anhalt für einen Rezidivtumor. Den geplanten weiteren Behandlungstermin am Mittwoch, den 07.03.2018, hat die behandelnde Klinikum A ... gGmbH abgelehnt, da die Antragsgegnerin die Kostenübernahme für die Behandlung mit Bevacizumab abgelehnt hatte.
Daraufhin beantragte der Antragsteller am 12.03.2018 die Kostenübernahme für die Chemotherapie mit Bevacizumab/Irinotecan. Mit Bescheid vom 14.03.2018 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Sie holte Gutachten von Dipl.-Med. Z ... vom Medizinischen Dienst der Gesetzlichen Krankenversicherung (MDK) vom 18.08.2016, 20.03.2018 und 13.04.2018 ein, deren Begründung sie folgte. Bei dem Antragsteller liege eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, die mittlere Überlebenszeit bei aktuell gängigen Therapiemethoden betrage 15 Monate, im Einzelfall wenige Jahre. Auch die neurochirurgische Operation könne ein Fortschreiten der Erkrankung nicht verhindern, nur verlangsamen. Die medikamentösen Möglichkeiten mit der Radio-Chemotherapie (Ganzhirnbestrahlung sowie Behandlung mit Temodal, Cisplatin, Lomustin, Vincristin) seien ausgeschöpft. Alternativ habe aber eine Vorstellung an einem strahlentherapeutischen Zentrum zur Prüfung der Option einer stereotaktischen hypofraktionierten Strahlentherapie eventuell in Kombination mit IMRT (Intensitätsmodulierte Strahlentherapie) erfolgen können. Auch ein Einschluss in eine Studie für die Rezidivtherapie des Glioblastoms mit den neuen Substanzen habe erwogen werden können (Vorstellung an einem universitären Zentrum). Avastin® (Bevacizumab) sei in Kombination mit Irinotecan im Off-Label-Use angewendet worden. Bis Dezember 2017 hätten sich die Medikamentenkosten für 63 Zyklen auf 216.500,00 EUR belaufen. Avastin® sei zwar ein verkehrsfähiges Arzneimittel in Deutschland, aber nicht für die Behandlung von Glioblastomen zugelassen. Der Hersteller, F. Hoffmann-La Roche AG, habe bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (European Medicines Agency, EMA) einen Antrag auf Erweiterung der Zulassung von Avastin® gestellt. Die zuständige Fachkommission der EMA sei im Wege einer Nutzen-Risiko-Abwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Nutzen einer Therapie mit Avastin®. angesichts der erhöhten Toxizität in der AVAGlio-Studie und fehlender neuer Wirksamkeitsdaten aus randomisierten, kontrollierten Studien weder in der Erstlinienbehandlung noch in der Rezidivsituation nachgewiesen sei. Unter einer Therapie mit Bevacizumab habe sich zwar ein signifikanter Unterschied hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens ergeben, allerdings hätten in den Studien klinisch relevante Vorteile im Sinne einer Verlängerung des Gesamtüberlebens nicht aufgezeigt werden können. Zudem hätten sich erhebliche Mängel in der Größenbestimmung des Tumors ergeben. Bevacizumab könne eine Abnahme bei der Kontrastmittelverstärkung verursachen und im Allgemeinen zu hohen radiologischen Ansprechraten führen (scheinbares Ansprechen bei Dynamik der Bildgebung). Dies würde auch erklären, warum für die Patienten kein Überlebensvorteil erreicht werden könne. Hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sei kein zusätzlicher Nutzen festgestellt worden. Im vorliegenden Fall würde es sich um einen günstig verlaufenden Einzelfall eines kleinen Glioblastomrezidives (Kontrastmittelverhalten) unter einer Kombination von Irinotecan und Avastin® handeln. Welche Faktoren diesen Lauf bewirkt hätten, sei nicht zu klären. Es könne deshalb keine Kostenübernahme empfohlen werden, obwohl der Krankheitsverlauf bemerkenswert und rückblickend auf 4,5 Jahre Überlebenszeit nach Erstdiagnose sehr positiv sei.
Gegen den ablehnenden Bescheid vom 14.03.2014 legte der Antragsteller mit Schriftsatz unter dem 03.04.2018 Widerspruch ein.
Die Klinikum A ... gGmbH legte der Antragsgegnerin ein im Auftrag des Sozialgerichts Chemnitz (SG) in einem anderen Verfahren erstelltes anonymisiertes Gutachten von Prof. Dr. med. Y ... der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums X ..., W., vom 15.07.2016 vor. Bei einem Glioblastom WHO Grad IV handle es sich um eine Erkrankung mit der schlechtesten Fünf-Jahres-Überlebensrate. Die mediane Überlebenszeit liege bei ca. 14 Monaten. Kleine Kohortenstudien zeigten, dass der Anteil der Patienten, die zwei Jahre überlebten, dank intensivierter und zum Teil innovativer Therapieansätze auf über 20% angehoben habe werden können. Eine Heilung sei bisher nicht beschrieben worden. Das Glioblastom sei eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Die Standardtherapie umfasse die größtmögliche Resektion des Tumors, gefolgt von einer kombinierten Radio-/ Chemotherapie mit Temozolomid. Darüber hinaus seien weder für die Primär- noch für den Rezidivfall Standards definiert. Als Alternativen neben experimentellen Ansätzen, die nur in klinischen Studien angewandt werden würden, stehe für die Primärtherapie lediglich Lomustin (CCNU), welches als Monotherapie oder in Kombination mit Temozolomid oder Procarbazin und Vincristin (PCV-Schema) eingesetzt werden könne, zur Verfügung. Die große Palette für verschiedene weitere Krebserkrankungen zur Verfügung stehender Chemotherapeutika habe sich in der Therapie von Hirntumoren als nicht wirksam erwiesen. Die antiangiogenetische Substanz Bevacizumab bilde eine Ausnahme. Im Falle eines Rezidivs werde zunächst eine erneute operative Resektion oder eine Bestrahlung in Erwägung gezogen. Als "second-line" Chemotherapeutika stünden lediglich dieselben Substanzen zur Verfügung, die auch in der Primärtherapie angewandt würden, nur die Anwendungsschemata würden variiert. Bevacizumab sei in den USA zunächst für das rezidivierende Glioblastom und danach auch für die Primärbehandlung dieses Tumors zugelassen worden. Der EMA hätten die vorgelegten Daten nicht für eine Zulassung ausgereicht, so dass sie weitere Studien gefordert habe. Daraufhin seien zwei große randomisierte Studien der Phase III durchgeführt worden. Diese hätten jedoch das Studienziel verfehlt, einen statistisch signifikanten Effekt auf das Gesamtüberleben zu zeigen. Die Zulassung sei daraufhin verwehrt worden. Das habe dazu geführt, dass Bevacizumab z. B. in der Schweiz oder in Frankreich großzügig eingesetzt werden würde, wiederum in Deutschland nur im Rahmen von klinischen Studien bzw. nach Einzelantrag. Der großzügige Einsatz von Bevacizumab in den USA und anderen europäischen Ländern habe aber dazu geführt, dass weitere Erfahrungen über die Effektivität der Substanz hätten gewonnen werden können. Es habe sich bestätigt, dass sehr viele Patienten von der Behandlung mit Bevacizumab profitiert hätten, was auch in den großen prospektiven Studien habe gezeigt werden können. Dort sei der Anteil der Patienten nicht groß genug gewesen und das Gesamtziel der Studien sei nicht erreicht worden. Welche Patienten von einer derartigen Therapie profitieren können und welche nicht, könne nicht vorhergesagt werden. Ein therapeutischer Effekt von Bevacizumab in der Behandlung von Glioblastomen sei offensichtlich und mehrfach publiziert und ohne zur Verfügung stehende und onkologisch vertretbare Alternative absolut indiziert. Bevacizumab zeige zwar eine ganze Reihe von potentiellen unerwünschten Wirkungen. Diese relativierten sich jedoch bei einem Patienten mit rezidivierendem Glioblastom, der mit dem Rücken an der Wand stünde und nur wenige Möglichkeiten habe, seine ihm verbleibende Lebenszeit zu verlängern. Therapierisiken würden in einer solchen Situation von einem Patienten eher in Kauf genommen. Bevacizumab sei zur Therapie anderer Krebsarten sehr gut bekannt und das Risiko einer schwerwiegenden, also letalen Komplikation, liege unter 1 %. In der gegebenen Situation überwiege ein potentieller Nutzen für den Patienten die Risiken der Anwendung dieses Arzneimittels.
Am 12.03.2018 stellte der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Chemnitz (SG), die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Arzneimittel Bevacizumab/Irinotecan für die weitere Durchführung der Chemotherapie entsprechend ärztlicher Verordnung als Sachleistung vorläufig zu gewähren. Die herkömmlichen Anwendungsmethoden hätten zu Rezidiven des Glioblastoms geführt und den Krankheitsverlauf nicht aufhalten können. Erst die regelmäßige und engmaschige Systemtherapie mit Bevacizumab und Irinotecan habe den Tumorprogress aufgehalten. Die Behandlung sei medizinisch indiziert, zweckmäßig und die einzig mögliche, um sein weiteres Überleben zu sichern. Die Erkrankung verlaufe tödlich. Beigelegt hat der Antragsteller einen Auszug aus dem Krankheitsverlauf, ein Protokoll des Tumorboards Neuroonkologie vom 01.03.2018, eine eidesstattliche Versicherung vom 12.03.2018 und gutachtliche Stellungnahmen des behandelnden Facharztes für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin III der Klinikum A ... gGmbH, PD Dr. med. V ... vom 15.03.2018, 09.04.2018 und 17.04.2018. Bei dem Antragsteller liege eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Das Glioblastom gelte als der bösartigste Hirntumor mit einem zu erwartenden medianen Überleben von 23 Monaten (MGMT-Status methyliert) bzw. 14 Monaten (Wildtyp MGMT-Status unmethyliert). Die Standardtherapie in der Primärbehandlung sei das sogenannte Stupp-Protokoll, Temozolomid und Radiatio über sechs Wochen, anschließend adjuvante Chemotherapie mit Temozolomid für weitere sechs Monate. Im Rezidiv sei die Situation völlig frustran. Es gebe Therapieversuche mit einer Wiederholung der Temozolomid-Behandlung oder einer intensivierten Temozolomid-Therapie oder das PCV-Protokoll (Procarbazin, CCNU, Vincristin). Mit diesen Therapien erreiche man Ansprechdaten von unter 10 %, das zu erwartende progressionsfreie Überleben liege bei Rezidivpatienten bei unter zwei Monaten, das zu erwartende Gesamtüberleben bei ca. sieben bis acht Monaten. Auch in der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie gebe es keine Standardtherapie für Glioblastom-Rezidiv Patienten. Die durchgeführte Therapie sei wirksam. Der Antragsteller habe mit einem rezidivierten Glioblastom mittlerweile seit 2015 überlebt und die MRT-Verlaufskontrolle beschreibe eine Remission des bösartigen Hirntumors. Derzeit gebe es drei randomisierte Phase-III-Studien zum Stellenwert von Bevacizumab in der Primärtherapie des Glioblastoms. Dabei handle es sich um die AVAGlio-Studie, die RTOG-0825-Studie und die GLARIUS-Studie, an der sie teilgenommen hätten. Alle drei Studien hätten im progressionsfreien Überleben signifikante Vorteile und damit einen Wirksamkeitsnachweis zugunsten des Bevacizumab-Therapiearmes gezeigt. Dass es im Gesamtüberleben keinen signifikanten Vorteil zugunsten der Bevacizumab-Therapie (BEV-Therapie) gegeben habe, sei vordergründig der Tatsache geschuldet, dass bei allen drei Studien die Crossover-BEV-Option bestanden habe, was unter ethischen Gesichtspunkten nachvollziehbar sei. D. h. in allen drei Studien habe ein sehr großer Teil der Patienten, die primär auf Placebo randomisiert worden seien, dann im Rezidiv doch noch Bevacizumab erhalten. Die verzögerte BEV-Therapie habe dazu geführt, dass der Vorteil im progressionsfreien Überleben von Bevacizumab nicht zu einem Überlebensvorteil geführt habe, was eine vor zwei Jahren publizierte Nachuntersuchung der AVAGlio-Studie gezeigt habe. Verglichen worden seien 225 Patienten, die im Rezidiv nach Studientherapie keine weitere Behandlung erhalten, mit 696 Patienten, die bei Progress eine Rezidivtherapie bekommen hätten (dabei 48,2 % der Placebopatienten mit nachträglichem Bevacizumab). Während bei der zweiten Gruppe zwar im progressionsfreien Überleben, nicht aber im Gesamtüberleben ein signifikanter Vorteil zugunsten Bevacizumab aufgetreten sei, sei in der ersten Gruppe sowohl das progressionsfreie Überleben als auch das Gesamtüberleben signifikant besser gewesen als nach initialer BEV-Therapie. Diese Daten sprächen eindeutig dafür, dass in allen drei Studien die Crossover-Therapie die Gesamtüberlebensergebnisse angeglichen habe, obwohl im progressionsfreien Überleben jeweils signifikante Vorteile zugunsten Bevacizumab bestanden hätten. Bei einem Glioblastomrezidiv liege das mediane Überleben in der Literatur bei ca. sechs Monaten oder weniger. Zur Behandlung von Patienten mit Glioblastomrezidiv sei Bevacizumab in verschiedenen Ländern, z. B. USA, Kanada und Schweiz bereits seit Jahren zugelassen. Vor diesem Hintergrund seien kürzlich retrospektive kanadische Daten (Zulassung dort seit 2010) publiziert worden, das mediane progressionsfreie Überleben habe bei 9,2 Monaten und damit ca. 50 % besser als sonst in der Literatur angegeben, gelegen. Die Klinikum A ... gGmbH sei selbst Studienzentrum für verschiedenste Tumorentitäten und habe an der GLARIUS-Studie teilgenommen. Beigefügt hat PD Dr. med. V ... die Leitlinie der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen von Gliomen im Erwachsenenalter, ICD-10 C 71 mit Stand August 2017 sowie Originalartikel des The NEW ENGLAND JOURNAL of MEDICINE über Bevacizumab-Studien vom 20.02.2014, 22.03.2016 und einen im Journal of Clinical Oncology vom 10.05.2016 veröffentlichten Originalbericht zur GLARIUS-Studie vom 10.05.2016. Der Antragsteller hat ferner eine Stellungnahme des Chefarztes der Klinik für Radioonkologie des Klinikums A ... gGmbH PD Dr. med. U ... vom 17.04.2018 vorgelegt. Die Radioonkologie sei fester Bestandteil des neuroonkologischen Tumorboards, somit sei immer ein Strahlentherapeut der Klinik vor Ort. Auch im Fall des Antragstellers sei sicherlich technisch eine Re-Bestrahlung möglich gewesen, jedoch sei aufgrund der nicht ganz kleinen diffus anreichernden Rezidivregion und Ausreizen aller gängigen Chemotherapieschemata trotzdem ein Antrag auf Kostenübernahme von Bevacizumab und Irinotecan gestellt worden. Da der Patient relativ kurzfristig nach primärer Operation und quasi adjuvanter Radiochemotherapie mit höherer Dosis nach sieben Monaten ein Rezidiv und schließlich ein drittes Rezidiv mit makroskopischem Tumor entwickelt habe, habe die Nutzen- und Risikoabwägung vor dem Hintergrund einer insgesamt geringeren noch applizierbaren Gesamtstrahlendosis gegen eine erneute Strahlentherapie gesprochen. Rückwirkend gebe der positive Krankheitsverlauf der im Tumorboard getroffenen Entscheidung für Bevacizumab/Irinotecan Recht.
Mit Beschluss vom 27.04.2018 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller leide zwar an einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung und die Behandlungsalternativen seien ausgeschöpft. Aufgrund der Datenlage fehle es jedoch an einer begründeten Aussicht eines Behandlungserfolges. Von diesem sei dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorlägen, die erwarten ließen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden könne. Es müssten Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III gegenüber Standard oder Placebo veröffentlicht sein (BSG, Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 10/16 R – Rn. 16, m. w. N., juris). Diese lägen hier nicht vor. Auch aus den Grundsätzen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung gemäß § 2 Abs. 1a SGB V könne der Antragsteller keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel für eine Indikation herleiten, für die eine Genehmigung in einem Zulassungsverfahren nach der Verordnung EG Nr. 726/04 abzulehnen gewesen sei. Einer Ablehnung gleichzusetzen sei es, wenn der ständige Ausschuss für Humanarzneimittel für Avastin® gegen Glioblastome ein im Ergebnis ablehnendes Gutachten erstellt, ohne dass der antragstellende Hersteller das Verfahren weiterverfolgt habe. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98, juris) entwickelten Grundsätze seien sinngemäß auf den Arzneimittelbereich zu übertragen. Die Schutzpflichten sollten nicht nur die leistungserweiterte Konkretisierung der Leistungsansprüche definieren, sondern auch den Versicherten davor bewahren, auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine naheliegende, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen werde. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe auch nicht dazu führen, unter Berufung auf den Einzelfall institutionelle Sicherungen auszuhebeln, die der Gesetzgeber gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Gesamtbevölkerung errichtet habe.
Gegen den am 02.05.2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 15.05.2018 über das SG Beschwerde beim LSG eingelegt. Durch Bevacizumab sei der Verlauf einer ansonsten akut lebensbedrohlichen Krankheit spürbar positiv beeinflusst worden. Dieser individuelle Verlauf sei auch durch randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudien nicht widerlegt. Die Entscheidungsgründe des BSG (Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 10/16) seien nicht übertragbar, sonst würde eine unzulässige verfassungswidrige Eingrenzung der Kriterien für einen Off-Label-Use stattfinden. Im Jahre 2016 hätten möglicherweise nicht genügend Daten vorgelegen, aus denen sich im dortigen Fall eine tatsächliche positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hätte feststellen lassen. Insofern weiche sein Fall vom dort vorliegenden Sachverhalt ab. Das streitgegenständliche Arzneimittel bekämpfe nicht die Ursache des Karzinoms, sondern symptomatisch dessen Wachstum und müsse daher bis auf weiteres verabreicht werden. Wegen der äußerst kurzen Lebenserwartung der betroffenen Patienten betreffe dies oft nur einen Zeitraum von wenigen Monaten. In diesem engen Rahmen würde die Lebenserwartung nicht nur deutlich gesteigert, sondern ginge auch mit einer entsprechend relativ hohen Lebensqualität einher. Letztlich sei auf eine Veröffentlichung vom April 2018 hingewiesen, die speziell auf die Anwendung von Bevacizumab als Drittlinientherapie eingehe und auch für diesen Bereich eine erkennbar positive Wirkung im Vergleich zur Chemotherapie beschreibe. Der Antragsteller vereine eine tendenziell positive statistische Studienlage mit einem individuell sehr erfolgreichen Therapieergebnis.
Der Antragssteller beantragt (sachdienlich gefasst),
den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. April 2018 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache als Sachleistung die Therapie mit den Arzneimitteln Bevacizumab/Irinotecan zur Behandlung des Glioblastoms nach Verordnung der behandelnden Ärzte zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Avastin® sei für die betreffende Indikation nicht zugelassen. Das Bundessozialgericht habe die Rechtsprechung aufgegeben, wonach außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität ausreichten. Außerhalb und während eines Zulassungsverfahrens müsse die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen sein müsse, derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich entsprechen. Es müsse deswegen während und außerhalb eines Zulassungsverfahrens ein wissenschaftlicher Nachweis durch Studien erbracht werden, die die an eine Phase-III-Studie zu stellenden qualitativen Anforderungen erfüllen müssten. Angesichts der erhöhten Toxizität und fehlender neuer Wirksamkeitsdaten aus randomisierten kontrollierten Studien für die Rezidivsituation sei aus medizinischer Sicht der von der EMA festgestellte fehlende Nutzen einer Therapie mit Avastin® in der Rezidivsituation durch die AVAglio-Studie nicht widerlegt. Die AVAglio-Studie begründe keine hinreichenden Aussichten auf einen Therapieerfolg, da in der Studie Bevacizumab in einer Erstlinienbehandlung und nicht bei einer Therapie von Rezidiven untersucht worden sei. Im Rahmen der GLARIUS-Studie sei der Einsatz von Bevacizumab auch nur in einer Erstlinienbehandlung untersucht worden. Aufgrund der eingeschränkten Datenlage sei die Behandlung als experimentell zu betrachten. Der im Einzelfall günstige Verlauf ändere nichts daran. Als Behandlungsalternative hätten die identitätsmodulierte Strahlentherapie oder die Teilnahme an einer Studie zur Verfügung gestanden. Selbst wenn es sich um eine notstandsähnliche Situation nach dem Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 handeln würde, bestehe keine Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV, da die EMA die Zulassung abgelehnt und ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bescheinigt habe.
Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Antrag auf vorläufige Sachleistungsgewährung bzw. Kostenübernahme zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache - sofern es sich, wie hier, bei dieser nicht um eine Anfechtungssache im Sinne des § 86b Abs. 1 SGG handelt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Eine einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). In beiden Fällen ist Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Dabei bezieht sich der Anordnungsanspruch auf den im Hauptsacheverfahren streitigen Anspruch und damit auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Der Anordnungsgrund betrifft die Frage der Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit und stellt damit den Grund für den einstweiligen Rechtsschutz dar. Als Anordnungsgrund verlangt das Gesetz für die Sicherungsanordnung eine Gefahr für die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG) und für die Regelungsanordnung die Abwendung wesentlicher Nachteile (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Es muss ein gewichtiges Interesse des Antragstellers vorliegen, aufgrund dessen es ihm nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die Tatsachen, die den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen über den vorläufigen Rechtsschutz sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbesondere desjenigen aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), Rechnung zu tragen. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1, 14; Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69, 74). Dies gilt sowohl für Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803, 806; Kammerbeschluss vom 27. Mai 1998 - 2 BvR 378/98 - NVwZ-RR 1999, 217, 218). Dabei darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86 b, Rn. 31).
Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. In solchen Fällen sind die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, gehalten, die Sach- und Rechtslage eingehend zu prüfen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, 674, 675; Kammerbeschluss vom 19. März 2004 - 1 BvR 131/04 - NZS 2004, 527, 528). Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 - NVwZ 1997, 479, 480). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, 674, 675; Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365, 366; Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 – Breith. 2005, 803, 806 f.).
Ausgehend von diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfüllt. Die im vorliegenden Fall vorzunehmende Folgenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus.
Der Antragsteller hat bei der hier vorzunehmenden Interessenabwägung den Anordnungsanspruch und –grund für die Therapie mit Bevacizumab/Irinotecan als Sachleistung gemäß den Kriterien für den Off-Label-Use (vgl. Axer in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Auflage, 2017, § 31, Rn. 24-28) i. V. m. § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) glaubhaft gemacht, weshalb die Antragsgegnerin die Kosten dafür vorläufig zu übernehmen hat.
Das SG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller mangels indikationsbezogener Zulassung von Avastin® die Behandlung seines Glioblastoms zu Lasten der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Fall 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht verlangen kann. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung nach nationalem Recht (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz) oder nach dem Recht der Europäischen Union fehlt. Das Fertigarzneimittel Avastin® ist gemeinschaftsrechtlich nach Maßgabe der VO (EG) Nr. 726/2004 zwar aktuell für eine Reihe anderer Krebserkrankungen, jedoch (noch) nicht für die Behandlung von Glioblastomen zugelassen (anders als in den USA, Kanada und Schweiz vgl. dazu BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 10/16 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 2 Nr. 6, Rn. 14, juris).
Der Antragsteller hat vorliegend jedoch einen Anspruch nach den Kriterien für den Off-Label-Use in Verbindung mit § 2 Abs. 1a SGB V glaubhaft gemacht. Nach § 2 Abs. 1a SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.
Unstreitig liegt bei einem Glioblastom eine tödlich verlaufende Krankheit vor. Die begehrte neue Behandlungsmethode ist bei dem vorliegenden rezidivierenden Glioblastom die einzig verbleibende Therapieoption für den Antragsteller, nachdem alle herkömmlichen Anwendungsmethoden zu Rezidiven geführt und versagt hatten. Der Senat folgt insoweit den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der behandelnden Ärzte am Klinikum A ... PD Dr. med. V ... und PD Dr. med. U ... in ihren Stellungnahmen vom 15.03.2018, 09.04.2018 und 17.04.2018 und den im Ergebnis übereinstimmenden gutachtlichen Ausführungen von PD Dr. Y ... vom Universitätsklinikum X ... vom 15.07.2016. Die von Dipl.-Med. Z ... vom MDK in ihren Stellungnahmen vom 18.08.2018, 20.03.2018 und 13.04.2018 als Behandlungsalternative aufzeigte Strahlentherapie stellt keine geeignete Behandlungsoption mehr dar, nachdem dem Antragsteller bereits unter adjuvanter Radiochemotherapie in höherer Dosis ein Rezidiv entwickelt hatte und nur noch eine geringere Dosis applizierbar wäre. Insoweit folgt der Senat den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen PD Dr. med. U ... Angeblich zur Verfügung stehende offene Studien (§ 35c Abs. 2 SGB V) mit Avastin® gegen rezidivierende Glioblastome, deren Einschlusskriterien der Antragsteller erfüllen würde, zeigte die Gutachterin des MDK nicht auf.
Entgegen der Gutachterin des MDK und des SG besteht bei dem Antragsteller eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Mit der regelmäßigen und engmaschigen Systemtherapie mit Bevacizumab und Irinotecan wurde der Progress des ansonsten therapierefraktären Hirntumors bisher 32 Monate (Juli 2015 bis Februar 2018) erfolgreich aufgehalten. Diese Behandlung hat bei dem Antragsteller einen spürbaren Effekt auf die Verhinderung von Rezidiven und wirkt damit spürbar positiv auf den Krankheitsverlauf ein. Im Vergleich dazu liegt die mediane Überlebenszeit allen Gutachtern zufolge bei ca. 14 Monaten.
Zwar hat das Bundessozialgericht in einer neueren Entscheidung (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 10/16 R – (BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 2 Nr. 6, Rn. 17 ff., juris) für eine vom 24.06. bis 02.09.2013 durchgeführte Behandlung eines rezidivierenden Glioblastoms mit Avastin® festgestellt, dass aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht bestehe, mit dem betreffenden Präparat einen Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) gegen Glioblastome zu erzielen. Dafür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssten also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sein (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, Rn. 16, juris). An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht für Avastin® gegen Glioblastome fehle es. Der Ständige Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA habe in seinem Bericht das Präparat für diese Anwendung abgelehnt, woraufhin der Hersteller seinen Antrag nicht weiterverfolgt habe, bevor der Zulassungsantrag abgelehnt worden wäre. Dies stünde einer förmlichen Ablehnung des Zulassungsantrages gleich (vgl. BSG, a. a. O., Rn. 21, juris).
Diese Beurteilung des Ständigen Ausschusses für Humanarzneimittel der EMA (mit letztem Stand vom 26.09.2014) hat sich auf den Einsatz von Bevacizumab in Kombination mit Radiotherapie und Temozolomid gegen neu diagnostizierte Glioblastome ("newly diagnosed glioblastoma") bezogen, weil das Endziel, ein Nutzen in Bezug auf das Gesamtüberleben, damit nicht erreicht worden sei und eine Verbesserung bei dem progressionsfreien Überleben aufgrund von Einschränkungen in den verfügbaren Methoden zur Messung der Größe der Hirntumore nicht als klinisch relevant habe betrachtet werden können. Es heißt darin wörtlich (http://www.ema.europa.eu/docs/en GB/document library/ Summary of opinion /human/000582/WC500167544.pdf): "On 22 May 2014, the Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) adopted a negative opinion, recommending the refusal of a change to the marketing authorisation for the medicinal product Avastin. The change concerned an extension of indication to add treatment of glioblastoma (an aggressive type of brain cancer). The applicant requested a re-examination of the opinion. After considering the grounds for this request, the CHMP re-examined the initial opinion, and confirmed the refusal of the marketing authorisation on 22 September 2014. At the time of the initial recommendation the CHMP noted that the effectiveness of Avastin in combination with radiotherapy and temozolomide had not been sufficiently demonstrated. Although there was an improvement in progression-free survival, it could not be considered clinically relevant because of limitations in the methods available to measure the size of brain tumours. In addition, there was no benefit in terms of overall survival. Therefore, at that point in time, the CHMP was of the opinion that the benefits of Avastin in the treatment of newly diagnosed glioblastoma did not outweigh its risks. Hence, the CHMP recommended that the change to the marketing authorisation be refused.During the re-examination, the CHMP looked again at the data from the company and confirmed its opinion that the benefits of Avastin had not been sufficiently demonstrated in newly diagnosed glioblastoma. Therefore, the CHMP maintained its previous recommendation that the change to the marketing authorisation be refused."
Grund für die einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 1a SGB V durch das Bundessozialgericht in der Entscheidung vom 13.12.2016 (B 1 KR 10/16 R) war, die zwingenden Sicherungen des Arzneimittelzulassungsrechts zum Schutz von Leben und Gesundheit der Versicherten nicht außerhalb klinischer Studien gestützt auf die Prinzipien der grundrechtsorientierten Auslegung auszuhebeln, faktisch zu unterlaufen und zu umgehen (BSG, Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 10/16 R -, Rn. 20-24, juris).
Ohne der Rechtsprechung des BSG zu widersprechen, hält es der Senat aufgrund von sich zwischenzeitlich ergebenden neuen Erkenntnissen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 26.09.2006, B 1 KR 1/06 R, Rn. 22, juris) und unter Berücksichtigung des tatsächlichen Behandlungserfolges bei dem Antragsteller nicht für ausgeschlossen, dass der Nutzen der "last-line"- Therapie mit Bevacizumab und Irinotecan bei rezidivierenden Glioblastom bei vertretbaren Risiken in Bezug auf das progressionsfreie Überleben wissenschaftlich zu belegen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V unter anderem eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf voraussetzt. Eine Aussicht auf Heilung wird auch von den behandelnden Ärzten nicht angenommen. Eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ist bei dem Antragsteller aber zu verzeichnen, bei dem seit Beginn der Behandlung im Juli 2015 im MRT kein Tumorprogress mehr nachzuweisen ist. In dieser notstandsähnlichen Lage, in der der Antragsteller mit vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung regulär umfassten Mitteln nicht mehr behandelt werden kann, muss er nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen. Die Schutzwirkungen des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vermitteln in dieser ausweglosen Ausnahmesituation über diesen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruch hinaus einen subjektivrechtlichen Grundrechtsschutz. Die Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich an der grundrechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. April 2017 – 1 BvR 452/17 –, Rn. 23, 25, juris; BVerfG, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 BvR 2056/12 –, Rn. 18, juris). Daraus folgt, dass auch Versicherte, die sich aus schulmedizinischer Sicht in einer Palliativsituation befinden, grundrechtsfundiert solche Behandlungen beanspruchen können, die spürbar positiv auf den Krankheitsverlauf einwirken, etwa durch das vorübergehende Aufhalten oder Verlangsamen des Fortschreitens der nicht mehr heilbaren und deshalb kurativ nicht behandelbaren Tumorerkrankung (vgl. Immuntherapie mit dendritischen Zellen bei Glioblastom; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.2017, L 5 KR 1653/15, Rn. 49, juris).
Über das Ergebnis eines längeren progressionsfreien Überlebens im Rezidiv bei Anwendung von Bevacizumab berichten sowohl die älteren, aber auch neuere Studien: Die randomisierten Phase III-Studien (AVAGlio, RTOG 0825) haben bereits einen Zugewinn an progressionsfreier Überlebenszeit ohne Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit bei Kombination von Temozolomid mit Bevacizumab in der Primärtherapie des Glioblastoms gezeigt. Die GLARIUS Studie Phase II, die am 10.05.2016 veröffentlicht worden ist, befasste sich mit Bevacizumab in Kombination mit Irinotecan gegen die Temozolomid-Standardtherapie bei neu diagnostizierten Glioblastomen (MGMT-Status unmethyliert). Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass die neue Kombination zwar nicht zu einer Verbesserung des Gesamtüberlebens geführt, vermutlich aufgrund der hohen crossover-Rate, das progressionsfreie Überleben nach sechs Monaten gegenüber der Temozolomid-Standardtherapie jedoch deutlich verlängert habe. In einer am 14.07.2017 in den Oncology Letters veröffentlichten zurückblickenden Studie unter der Leitung des Dr. Senckenberg Instituts für Neuroonkologie des Universitätsklinikums Frankfurt (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5494648/) wurden in dem Zeitraum von Januar 2009 und Dezember 2016 Daten von Patienten ausgewertet, die an einem rezidivierenden Primärglioblastom litten, zuerst mit Radiotherapie, Temozolomid und Lomustin und nach deren Versagen, ohne weitere Therapieoptionen zu haben, mit Bevacizumab als "last-line"- Therapie behandelt wurden. Grund dafür sei das Fehlen randomisierter klinischer Studien über die Wirkung von Bevacizumab nach Versagen der Standardtherapien gewesen. Bei -wegen der begrenzten Zahl von Patienten und rückblickender Analyse- vorsichtig zu interpretierenden Ergebnissen ließen die Zeiten und Quoten des progressionsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens sowie die objektive Quote der Patienten, die auf das Medikament ansprechen ("response rate"), darauf schließen, dass Bevacizumab bei Patienten mit vorbehandelndem Glioblastom wirke, so dass weitere Studien angeraten seien. Unter "Abstract" heißt es darin wörtlich (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC 5494648/): "In previous trials, bevacizumab failed to prolong the overall survival time in newly diagnosed glioblastoma and at the first recurrence. Randomized clinical trials at the second or further recurrence following the failure of radiotherapy, temozolomide and lomustine, and retrospective analyses focusing on this specific cohort, are not yet available. A total of 62 patients with glioblastoma who received bevacizumab after the failure of standard care, including radiotherapy, temozolomide and lomustine, were retrospectively identified. Patient characteristics, previous treatment details, concomitant therapy, response based on the Response Assessment in Neuro-Oncology criteria, and progression-free survival (PFS) and overall survival (OS) times and rates were evaluated. Furthermore, the PFS and OS times and rates were analyzed for responders and non-responders. Of the patients, 54.8% (n=34) responded to treatment [complete response (CR) 3.2%, n=2; partial response (PR) 51.6%, n=32]. The median PFS time was 3.5 months and the median OS time was 7.5 months. The PFS rate at 6 months was 21.5% and the OS rate at 12 months was 11.5%. Responders (CR or PR) experienced a superior median PFS time compared with non-responders (i.e. stable or progressive disease; 5.4 vs. 1.9 months; P(0.0001) and a superior PFS rate at 6 months (34.9 vs. 7.1%; P(0.0001). The median OS time (8.6 vs. 6.4 months; P(0.0001) and OS rate at 12 months (21.3 vs. 0%; P(0.0001) were also superior in patients who exhibited a response to bevacizumab treatment. In conclusion, the objective response rate and the PFS and OS times and rates indicate that bevacizumab has activity in patients with glioblastoma following the failure of radiotherapy, temozolomide, and lomustine. A randomized trial comparing bevacizumab with best supportive care in these patients is advised."
Für August 2018 ist die Fertigstellung einer unter der Schirmherrschaft der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) erstellten Phase III Studie EORTC-26101-BTG (http://www.eortc.org/research field/clinical-detail/26101/) betreffend die Untersuchung der Kombination von Bevacizumab und Lomustin bei Patienten mit erstem Rezidiv eines Glioblastoms (Exploring the Combination of Bevacizumab and Lomustine in Patients With First Recurrence of a Glioblastoma) avisiert (https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01290939). Nach der Leitlinie der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen von Gliomen im Erwachsenenalter, ICD-10 C 71 mit Stand August 2017 wird unter Ziffer 6.3.3.2.1 beschrieben, Bevacizumab verlängere das progressionsfreie Überleben im Rezidiv. Der klinisch relevante Nutzen von Bevacizumab für das progressionsfreie Überleben im Rezidiv - zumindest bei bestimmten Patientengruppen - wird bei den hiermit befassten Onkologen inzwischen nahezu einhellig angenommen (vgl. dazu Dissertation von Jennifer Jasmin Jeck am Universitätsklinikum Ulm, insbes. Seite 68,69; https://oparu.uni ulm.de/xmlui/bitstream /handle/123456789/4208/ Dissertation Jeck.pdf? sequence=3&isAllowed=y). Bei dem Antragsteller hat sich dieses Ergebnis eines längeren progressionsfreien Überlebens im Rezidiv bis heute tatsächlich verwirklicht. Das Auftreten eines Rezidivs gleicht einem Todesurteil. Da die hier vorliegende "last-line"-Behandlung mit Bevacizumab/Irinotecan (bei einem zum dritten Mal rezidivierten, therapierefraktären Glioblastom) die letzte und noch einzig verfügbare Option des Antragstellers darstellt und diese das Tumorwachstum sowohl nach neuerer Datenlage als auch tatsächlich bereits monatelang (sogar unter Beibehalten guter Lebensqualität) aufhalten konnte, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Off-Label-Use i. V. m. § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V unter grundrechtsorientierter Auslegung erfüllt.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn der Antragsteller bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere unzumutbare rechtliche oder erhebliche wirtschaftliche Nachteile erlitte (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., 2017, § 86b, Rn. 29a). Die individuelle Interessenlage des Antragstellers – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessenlage der Antragsgegnerin, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter – muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Die medikamentöse Behandlung des Antragstellers ist für diesen lebensnotwendig, so dass die Möglichkeit des Eintritts einer lebensbedrohlichen Situation nicht ausgeschlossen werden kann. Der Rechtsschutz durch die Hauptsache käme für den Antragsteller bei dieser Sachlage möglicherweise zu spät. Dagegen führt das Unterliegen der Antragsgegnerin allenfalls zu wirtschaftlichen Auswirkungen.
Die Folgenabwägung führt daher zu dem Ergebnis, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, den Antragsteller vorläufig mit der begehrten Therapie zu versorgen bzw. die anfallenden Kosten zu übernehmen. Zur Klarstellung sei angemerkt, dass sich diese Verpflichtung ausschließlich auf die nach Erlass des Beschlusses anfallenden Maßnahmen/Kosten bezieht. In einem Verfahren, welches auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet ist, beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet. Dies folgt daraus, dass ein Anordnungsgrund ein eiliges Regelungsbedürfnis erfordert, das regelmäßig nur für die Zukunft besteht. Dies bedeutet aber zugleich, dass die Bejahung eines Anordnungsgrundes grundsätzlich ausscheidet, soweit Leistungen für die Vergangenheit begehrt worden wären (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.11.2011 - L 9 KR 284/11 B ER - juris Rn. 2), was vorliegend nicht der Fall ist.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III.
Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Dr. Scholz Schanzenbach Lohr
II. Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung im Widerspruchsverfahren vorläufig als Sachleistung die Therapie mit den Arzneimitteln Bevacizumab/Irinotecan zur Behandlung des Glioblastoms nach Verordnung der behandelnden Ärzte zu gewähren.
III. Die Beschwerdegegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers für beide Instanzen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Kostenübernahme bzw. Sachleistungsgewährung einer Chemotherapie mit Bevacizumab (Avastin®) in Kombination mit Irinotecan gegen ein rezidivierendes Glioblastom.
Der 1963 geborene Antragsteller leidet seit Oktober 2013 an einem rezidivierenden Hirntumor vom Typ Glioblastoma multiforme rechts frontal, WHO Grad IV (ICD-10: C 71.9), MGMT methyliert. Am 23.10.2013 erfolgte eine navigationsgestützte mikrochirurgische Tumorentfernung mit osteoplastischer Trepanation. In dem Zeitraum von Dezember 2013 bis Januar 2014 erfolgte eine Strahlen- und gleichzeitige Chemotherapie mit Temozolomid (Temodal®) und von Februar 2014 bis August 2014 eine 5-zyklische adjuvante Temozolomid-Therapie. Am 12.08.2014 wurde ein erstes Rezidiv operiert. Daraufhin wurde die Chemotherapie im Zeitraum von September 2014 bis Februar 2015 auf eine intensivierte zwei-zyklische PCV-Polychemotherapie (Procarbazin, CCNU (Lomustin) und Vincristin) umgestellt. Im Februar 2015 wurde ein zweites Rezidiv festgestellt. Von Februar bis Juni 2015 erhielt der Antragsteller acht Zyklen Temozolomid (Temodal®). Im Juni 2015 zeigte sich ein drittes Rezidiv mit Progression. Daraufhin empfahl das neuroonkologische Tumorboard eine Systemtherapie mit Bevacizumab in Kombination mit Irinotecan. Von Juli 2015 bis Februar 2018 erhielt der Antragsteller davon über 63 Zyklen jeweils im Abstand von ca. zwei Wochen. Bei den MRT-Untersuchungen des Schädels, zuletzt am 17.01.2018, zeigten sich jeweils unveränderte Substanzdefekte frontal rechts mit umgebender Gliosezone und kein Anhalt für einen Rezidivtumor. Den geplanten weiteren Behandlungstermin am Mittwoch, den 07.03.2018, hat die behandelnde Klinikum A ... gGmbH abgelehnt, da die Antragsgegnerin die Kostenübernahme für die Behandlung mit Bevacizumab abgelehnt hatte.
Daraufhin beantragte der Antragsteller am 12.03.2018 die Kostenübernahme für die Chemotherapie mit Bevacizumab/Irinotecan. Mit Bescheid vom 14.03.2018 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Sie holte Gutachten von Dipl.-Med. Z ... vom Medizinischen Dienst der Gesetzlichen Krankenversicherung (MDK) vom 18.08.2016, 20.03.2018 und 13.04.2018 ein, deren Begründung sie folgte. Bei dem Antragsteller liege eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, die mittlere Überlebenszeit bei aktuell gängigen Therapiemethoden betrage 15 Monate, im Einzelfall wenige Jahre. Auch die neurochirurgische Operation könne ein Fortschreiten der Erkrankung nicht verhindern, nur verlangsamen. Die medikamentösen Möglichkeiten mit der Radio-Chemotherapie (Ganzhirnbestrahlung sowie Behandlung mit Temodal, Cisplatin, Lomustin, Vincristin) seien ausgeschöpft. Alternativ habe aber eine Vorstellung an einem strahlentherapeutischen Zentrum zur Prüfung der Option einer stereotaktischen hypofraktionierten Strahlentherapie eventuell in Kombination mit IMRT (Intensitätsmodulierte Strahlentherapie) erfolgen können. Auch ein Einschluss in eine Studie für die Rezidivtherapie des Glioblastoms mit den neuen Substanzen habe erwogen werden können (Vorstellung an einem universitären Zentrum). Avastin® (Bevacizumab) sei in Kombination mit Irinotecan im Off-Label-Use angewendet worden. Bis Dezember 2017 hätten sich die Medikamentenkosten für 63 Zyklen auf 216.500,00 EUR belaufen. Avastin® sei zwar ein verkehrsfähiges Arzneimittel in Deutschland, aber nicht für die Behandlung von Glioblastomen zugelassen. Der Hersteller, F. Hoffmann-La Roche AG, habe bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (European Medicines Agency, EMA) einen Antrag auf Erweiterung der Zulassung von Avastin® gestellt. Die zuständige Fachkommission der EMA sei im Wege einer Nutzen-Risiko-Abwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Nutzen einer Therapie mit Avastin®. angesichts der erhöhten Toxizität in der AVAGlio-Studie und fehlender neuer Wirksamkeitsdaten aus randomisierten, kontrollierten Studien weder in der Erstlinienbehandlung noch in der Rezidivsituation nachgewiesen sei. Unter einer Therapie mit Bevacizumab habe sich zwar ein signifikanter Unterschied hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens ergeben, allerdings hätten in den Studien klinisch relevante Vorteile im Sinne einer Verlängerung des Gesamtüberlebens nicht aufgezeigt werden können. Zudem hätten sich erhebliche Mängel in der Größenbestimmung des Tumors ergeben. Bevacizumab könne eine Abnahme bei der Kontrastmittelverstärkung verursachen und im Allgemeinen zu hohen radiologischen Ansprechraten führen (scheinbares Ansprechen bei Dynamik der Bildgebung). Dies würde auch erklären, warum für die Patienten kein Überlebensvorteil erreicht werden könne. Hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sei kein zusätzlicher Nutzen festgestellt worden. Im vorliegenden Fall würde es sich um einen günstig verlaufenden Einzelfall eines kleinen Glioblastomrezidives (Kontrastmittelverhalten) unter einer Kombination von Irinotecan und Avastin® handeln. Welche Faktoren diesen Lauf bewirkt hätten, sei nicht zu klären. Es könne deshalb keine Kostenübernahme empfohlen werden, obwohl der Krankheitsverlauf bemerkenswert und rückblickend auf 4,5 Jahre Überlebenszeit nach Erstdiagnose sehr positiv sei.
Gegen den ablehnenden Bescheid vom 14.03.2014 legte der Antragsteller mit Schriftsatz unter dem 03.04.2018 Widerspruch ein.
Die Klinikum A ... gGmbH legte der Antragsgegnerin ein im Auftrag des Sozialgerichts Chemnitz (SG) in einem anderen Verfahren erstelltes anonymisiertes Gutachten von Prof. Dr. med. Y ... der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums X ..., W., vom 15.07.2016 vor. Bei einem Glioblastom WHO Grad IV handle es sich um eine Erkrankung mit der schlechtesten Fünf-Jahres-Überlebensrate. Die mediane Überlebenszeit liege bei ca. 14 Monaten. Kleine Kohortenstudien zeigten, dass der Anteil der Patienten, die zwei Jahre überlebten, dank intensivierter und zum Teil innovativer Therapieansätze auf über 20% angehoben habe werden können. Eine Heilung sei bisher nicht beschrieben worden. Das Glioblastom sei eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Die Standardtherapie umfasse die größtmögliche Resektion des Tumors, gefolgt von einer kombinierten Radio-/ Chemotherapie mit Temozolomid. Darüber hinaus seien weder für die Primär- noch für den Rezidivfall Standards definiert. Als Alternativen neben experimentellen Ansätzen, die nur in klinischen Studien angewandt werden würden, stehe für die Primärtherapie lediglich Lomustin (CCNU), welches als Monotherapie oder in Kombination mit Temozolomid oder Procarbazin und Vincristin (PCV-Schema) eingesetzt werden könne, zur Verfügung. Die große Palette für verschiedene weitere Krebserkrankungen zur Verfügung stehender Chemotherapeutika habe sich in der Therapie von Hirntumoren als nicht wirksam erwiesen. Die antiangiogenetische Substanz Bevacizumab bilde eine Ausnahme. Im Falle eines Rezidivs werde zunächst eine erneute operative Resektion oder eine Bestrahlung in Erwägung gezogen. Als "second-line" Chemotherapeutika stünden lediglich dieselben Substanzen zur Verfügung, die auch in der Primärtherapie angewandt würden, nur die Anwendungsschemata würden variiert. Bevacizumab sei in den USA zunächst für das rezidivierende Glioblastom und danach auch für die Primärbehandlung dieses Tumors zugelassen worden. Der EMA hätten die vorgelegten Daten nicht für eine Zulassung ausgereicht, so dass sie weitere Studien gefordert habe. Daraufhin seien zwei große randomisierte Studien der Phase III durchgeführt worden. Diese hätten jedoch das Studienziel verfehlt, einen statistisch signifikanten Effekt auf das Gesamtüberleben zu zeigen. Die Zulassung sei daraufhin verwehrt worden. Das habe dazu geführt, dass Bevacizumab z. B. in der Schweiz oder in Frankreich großzügig eingesetzt werden würde, wiederum in Deutschland nur im Rahmen von klinischen Studien bzw. nach Einzelantrag. Der großzügige Einsatz von Bevacizumab in den USA und anderen europäischen Ländern habe aber dazu geführt, dass weitere Erfahrungen über die Effektivität der Substanz hätten gewonnen werden können. Es habe sich bestätigt, dass sehr viele Patienten von der Behandlung mit Bevacizumab profitiert hätten, was auch in den großen prospektiven Studien habe gezeigt werden können. Dort sei der Anteil der Patienten nicht groß genug gewesen und das Gesamtziel der Studien sei nicht erreicht worden. Welche Patienten von einer derartigen Therapie profitieren können und welche nicht, könne nicht vorhergesagt werden. Ein therapeutischer Effekt von Bevacizumab in der Behandlung von Glioblastomen sei offensichtlich und mehrfach publiziert und ohne zur Verfügung stehende und onkologisch vertretbare Alternative absolut indiziert. Bevacizumab zeige zwar eine ganze Reihe von potentiellen unerwünschten Wirkungen. Diese relativierten sich jedoch bei einem Patienten mit rezidivierendem Glioblastom, der mit dem Rücken an der Wand stünde und nur wenige Möglichkeiten habe, seine ihm verbleibende Lebenszeit zu verlängern. Therapierisiken würden in einer solchen Situation von einem Patienten eher in Kauf genommen. Bevacizumab sei zur Therapie anderer Krebsarten sehr gut bekannt und das Risiko einer schwerwiegenden, also letalen Komplikation, liege unter 1 %. In der gegebenen Situation überwiege ein potentieller Nutzen für den Patienten die Risiken der Anwendung dieses Arzneimittels.
Am 12.03.2018 stellte der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Chemnitz (SG), die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Arzneimittel Bevacizumab/Irinotecan für die weitere Durchführung der Chemotherapie entsprechend ärztlicher Verordnung als Sachleistung vorläufig zu gewähren. Die herkömmlichen Anwendungsmethoden hätten zu Rezidiven des Glioblastoms geführt und den Krankheitsverlauf nicht aufhalten können. Erst die regelmäßige und engmaschige Systemtherapie mit Bevacizumab und Irinotecan habe den Tumorprogress aufgehalten. Die Behandlung sei medizinisch indiziert, zweckmäßig und die einzig mögliche, um sein weiteres Überleben zu sichern. Die Erkrankung verlaufe tödlich. Beigelegt hat der Antragsteller einen Auszug aus dem Krankheitsverlauf, ein Protokoll des Tumorboards Neuroonkologie vom 01.03.2018, eine eidesstattliche Versicherung vom 12.03.2018 und gutachtliche Stellungnahmen des behandelnden Facharztes für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin III der Klinikum A ... gGmbH, PD Dr. med. V ... vom 15.03.2018, 09.04.2018 und 17.04.2018. Bei dem Antragsteller liege eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Das Glioblastom gelte als der bösartigste Hirntumor mit einem zu erwartenden medianen Überleben von 23 Monaten (MGMT-Status methyliert) bzw. 14 Monaten (Wildtyp MGMT-Status unmethyliert). Die Standardtherapie in der Primärbehandlung sei das sogenannte Stupp-Protokoll, Temozolomid und Radiatio über sechs Wochen, anschließend adjuvante Chemotherapie mit Temozolomid für weitere sechs Monate. Im Rezidiv sei die Situation völlig frustran. Es gebe Therapieversuche mit einer Wiederholung der Temozolomid-Behandlung oder einer intensivierten Temozolomid-Therapie oder das PCV-Protokoll (Procarbazin, CCNU, Vincristin). Mit diesen Therapien erreiche man Ansprechdaten von unter 10 %, das zu erwartende progressionsfreie Überleben liege bei Rezidivpatienten bei unter zwei Monaten, das zu erwartende Gesamtüberleben bei ca. sieben bis acht Monaten. Auch in der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie gebe es keine Standardtherapie für Glioblastom-Rezidiv Patienten. Die durchgeführte Therapie sei wirksam. Der Antragsteller habe mit einem rezidivierten Glioblastom mittlerweile seit 2015 überlebt und die MRT-Verlaufskontrolle beschreibe eine Remission des bösartigen Hirntumors. Derzeit gebe es drei randomisierte Phase-III-Studien zum Stellenwert von Bevacizumab in der Primärtherapie des Glioblastoms. Dabei handle es sich um die AVAGlio-Studie, die RTOG-0825-Studie und die GLARIUS-Studie, an der sie teilgenommen hätten. Alle drei Studien hätten im progressionsfreien Überleben signifikante Vorteile und damit einen Wirksamkeitsnachweis zugunsten des Bevacizumab-Therapiearmes gezeigt. Dass es im Gesamtüberleben keinen signifikanten Vorteil zugunsten der Bevacizumab-Therapie (BEV-Therapie) gegeben habe, sei vordergründig der Tatsache geschuldet, dass bei allen drei Studien die Crossover-BEV-Option bestanden habe, was unter ethischen Gesichtspunkten nachvollziehbar sei. D. h. in allen drei Studien habe ein sehr großer Teil der Patienten, die primär auf Placebo randomisiert worden seien, dann im Rezidiv doch noch Bevacizumab erhalten. Die verzögerte BEV-Therapie habe dazu geführt, dass der Vorteil im progressionsfreien Überleben von Bevacizumab nicht zu einem Überlebensvorteil geführt habe, was eine vor zwei Jahren publizierte Nachuntersuchung der AVAGlio-Studie gezeigt habe. Verglichen worden seien 225 Patienten, die im Rezidiv nach Studientherapie keine weitere Behandlung erhalten, mit 696 Patienten, die bei Progress eine Rezidivtherapie bekommen hätten (dabei 48,2 % der Placebopatienten mit nachträglichem Bevacizumab). Während bei der zweiten Gruppe zwar im progressionsfreien Überleben, nicht aber im Gesamtüberleben ein signifikanter Vorteil zugunsten Bevacizumab aufgetreten sei, sei in der ersten Gruppe sowohl das progressionsfreie Überleben als auch das Gesamtüberleben signifikant besser gewesen als nach initialer BEV-Therapie. Diese Daten sprächen eindeutig dafür, dass in allen drei Studien die Crossover-Therapie die Gesamtüberlebensergebnisse angeglichen habe, obwohl im progressionsfreien Überleben jeweils signifikante Vorteile zugunsten Bevacizumab bestanden hätten. Bei einem Glioblastomrezidiv liege das mediane Überleben in der Literatur bei ca. sechs Monaten oder weniger. Zur Behandlung von Patienten mit Glioblastomrezidiv sei Bevacizumab in verschiedenen Ländern, z. B. USA, Kanada und Schweiz bereits seit Jahren zugelassen. Vor diesem Hintergrund seien kürzlich retrospektive kanadische Daten (Zulassung dort seit 2010) publiziert worden, das mediane progressionsfreie Überleben habe bei 9,2 Monaten und damit ca. 50 % besser als sonst in der Literatur angegeben, gelegen. Die Klinikum A ... gGmbH sei selbst Studienzentrum für verschiedenste Tumorentitäten und habe an der GLARIUS-Studie teilgenommen. Beigefügt hat PD Dr. med. V ... die Leitlinie der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen von Gliomen im Erwachsenenalter, ICD-10 C 71 mit Stand August 2017 sowie Originalartikel des The NEW ENGLAND JOURNAL of MEDICINE über Bevacizumab-Studien vom 20.02.2014, 22.03.2016 und einen im Journal of Clinical Oncology vom 10.05.2016 veröffentlichten Originalbericht zur GLARIUS-Studie vom 10.05.2016. Der Antragsteller hat ferner eine Stellungnahme des Chefarztes der Klinik für Radioonkologie des Klinikums A ... gGmbH PD Dr. med. U ... vom 17.04.2018 vorgelegt. Die Radioonkologie sei fester Bestandteil des neuroonkologischen Tumorboards, somit sei immer ein Strahlentherapeut der Klinik vor Ort. Auch im Fall des Antragstellers sei sicherlich technisch eine Re-Bestrahlung möglich gewesen, jedoch sei aufgrund der nicht ganz kleinen diffus anreichernden Rezidivregion und Ausreizen aller gängigen Chemotherapieschemata trotzdem ein Antrag auf Kostenübernahme von Bevacizumab und Irinotecan gestellt worden. Da der Patient relativ kurzfristig nach primärer Operation und quasi adjuvanter Radiochemotherapie mit höherer Dosis nach sieben Monaten ein Rezidiv und schließlich ein drittes Rezidiv mit makroskopischem Tumor entwickelt habe, habe die Nutzen- und Risikoabwägung vor dem Hintergrund einer insgesamt geringeren noch applizierbaren Gesamtstrahlendosis gegen eine erneute Strahlentherapie gesprochen. Rückwirkend gebe der positive Krankheitsverlauf der im Tumorboard getroffenen Entscheidung für Bevacizumab/Irinotecan Recht.
Mit Beschluss vom 27.04.2018 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller leide zwar an einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung und die Behandlungsalternativen seien ausgeschöpft. Aufgrund der Datenlage fehle es jedoch an einer begründeten Aussicht eines Behandlungserfolges. Von diesem sei dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorlägen, die erwarten ließen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden könne. Es müssten Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III gegenüber Standard oder Placebo veröffentlicht sein (BSG, Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 10/16 R – Rn. 16, m. w. N., juris). Diese lägen hier nicht vor. Auch aus den Grundsätzen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung gemäß § 2 Abs. 1a SGB V könne der Antragsteller keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel für eine Indikation herleiten, für die eine Genehmigung in einem Zulassungsverfahren nach der Verordnung EG Nr. 726/04 abzulehnen gewesen sei. Einer Ablehnung gleichzusetzen sei es, wenn der ständige Ausschuss für Humanarzneimittel für Avastin® gegen Glioblastome ein im Ergebnis ablehnendes Gutachten erstellt, ohne dass der antragstellende Hersteller das Verfahren weiterverfolgt habe. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98, juris) entwickelten Grundsätze seien sinngemäß auf den Arzneimittelbereich zu übertragen. Die Schutzpflichten sollten nicht nur die leistungserweiterte Konkretisierung der Leistungsansprüche definieren, sondern auch den Versicherten davor bewahren, auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine naheliegende, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen werde. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe auch nicht dazu führen, unter Berufung auf den Einzelfall institutionelle Sicherungen auszuhebeln, die der Gesetzgeber gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Gesamtbevölkerung errichtet habe.
Gegen den am 02.05.2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 15.05.2018 über das SG Beschwerde beim LSG eingelegt. Durch Bevacizumab sei der Verlauf einer ansonsten akut lebensbedrohlichen Krankheit spürbar positiv beeinflusst worden. Dieser individuelle Verlauf sei auch durch randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudien nicht widerlegt. Die Entscheidungsgründe des BSG (Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 10/16) seien nicht übertragbar, sonst würde eine unzulässige verfassungswidrige Eingrenzung der Kriterien für einen Off-Label-Use stattfinden. Im Jahre 2016 hätten möglicherweise nicht genügend Daten vorgelegen, aus denen sich im dortigen Fall eine tatsächliche positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hätte feststellen lassen. Insofern weiche sein Fall vom dort vorliegenden Sachverhalt ab. Das streitgegenständliche Arzneimittel bekämpfe nicht die Ursache des Karzinoms, sondern symptomatisch dessen Wachstum und müsse daher bis auf weiteres verabreicht werden. Wegen der äußerst kurzen Lebenserwartung der betroffenen Patienten betreffe dies oft nur einen Zeitraum von wenigen Monaten. In diesem engen Rahmen würde die Lebenserwartung nicht nur deutlich gesteigert, sondern ginge auch mit einer entsprechend relativ hohen Lebensqualität einher. Letztlich sei auf eine Veröffentlichung vom April 2018 hingewiesen, die speziell auf die Anwendung von Bevacizumab als Drittlinientherapie eingehe und auch für diesen Bereich eine erkennbar positive Wirkung im Vergleich zur Chemotherapie beschreibe. Der Antragsteller vereine eine tendenziell positive statistische Studienlage mit einem individuell sehr erfolgreichen Therapieergebnis.
Der Antragssteller beantragt (sachdienlich gefasst),
den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. April 2018 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache als Sachleistung die Therapie mit den Arzneimitteln Bevacizumab/Irinotecan zur Behandlung des Glioblastoms nach Verordnung der behandelnden Ärzte zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Avastin® sei für die betreffende Indikation nicht zugelassen. Das Bundessozialgericht habe die Rechtsprechung aufgegeben, wonach außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität ausreichten. Außerhalb und während eines Zulassungsverfahrens müsse die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen sein müsse, derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich entsprechen. Es müsse deswegen während und außerhalb eines Zulassungsverfahrens ein wissenschaftlicher Nachweis durch Studien erbracht werden, die die an eine Phase-III-Studie zu stellenden qualitativen Anforderungen erfüllen müssten. Angesichts der erhöhten Toxizität und fehlender neuer Wirksamkeitsdaten aus randomisierten kontrollierten Studien für die Rezidivsituation sei aus medizinischer Sicht der von der EMA festgestellte fehlende Nutzen einer Therapie mit Avastin® in der Rezidivsituation durch die AVAglio-Studie nicht widerlegt. Die AVAglio-Studie begründe keine hinreichenden Aussichten auf einen Therapieerfolg, da in der Studie Bevacizumab in einer Erstlinienbehandlung und nicht bei einer Therapie von Rezidiven untersucht worden sei. Im Rahmen der GLARIUS-Studie sei der Einsatz von Bevacizumab auch nur in einer Erstlinienbehandlung untersucht worden. Aufgrund der eingeschränkten Datenlage sei die Behandlung als experimentell zu betrachten. Der im Einzelfall günstige Verlauf ändere nichts daran. Als Behandlungsalternative hätten die identitätsmodulierte Strahlentherapie oder die Teilnahme an einer Studie zur Verfügung gestanden. Selbst wenn es sich um eine notstandsähnliche Situation nach dem Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 handeln würde, bestehe keine Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV, da die EMA die Zulassung abgelehnt und ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bescheinigt habe.
Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Antrag auf vorläufige Sachleistungsgewährung bzw. Kostenübernahme zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache - sofern es sich, wie hier, bei dieser nicht um eine Anfechtungssache im Sinne des § 86b Abs. 1 SGG handelt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Eine einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). In beiden Fällen ist Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Dabei bezieht sich der Anordnungsanspruch auf den im Hauptsacheverfahren streitigen Anspruch und damit auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Der Anordnungsgrund betrifft die Frage der Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit und stellt damit den Grund für den einstweiligen Rechtsschutz dar. Als Anordnungsgrund verlangt das Gesetz für die Sicherungsanordnung eine Gefahr für die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG) und für die Regelungsanordnung die Abwendung wesentlicher Nachteile (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Es muss ein gewichtiges Interesse des Antragstellers vorliegen, aufgrund dessen es ihm nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die Tatsachen, die den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen über den vorläufigen Rechtsschutz sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbesondere desjenigen aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), Rechnung zu tragen. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1, 14; Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69, 74). Dies gilt sowohl für Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803, 806; Kammerbeschluss vom 27. Mai 1998 - 2 BvR 378/98 - NVwZ-RR 1999, 217, 218). Dabei darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86 b, Rn. 31).
Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. In solchen Fällen sind die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, gehalten, die Sach- und Rechtslage eingehend zu prüfen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, 674, 675; Kammerbeschluss vom 19. März 2004 - 1 BvR 131/04 - NZS 2004, 527, 528). Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 - NVwZ 1997, 479, 480). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, 674, 675; Kammerbeschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - NZS 2008, 365, 366; Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 – Breith. 2005, 803, 806 f.).
Ausgehend von diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfüllt. Die im vorliegenden Fall vorzunehmende Folgenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus.
Der Antragsteller hat bei der hier vorzunehmenden Interessenabwägung den Anordnungsanspruch und –grund für die Therapie mit Bevacizumab/Irinotecan als Sachleistung gemäß den Kriterien für den Off-Label-Use (vgl. Axer in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Auflage, 2017, § 31, Rn. 24-28) i. V. m. § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) glaubhaft gemacht, weshalb die Antragsgegnerin die Kosten dafür vorläufig zu übernehmen hat.
Das SG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller mangels indikationsbezogener Zulassung von Avastin® die Behandlung seines Glioblastoms zu Lasten der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Fall 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht verlangen kann. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Fall 1 SGB V). Versicherte können Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel zu Lasten der GKV nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem es angewendet werden soll. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung nach nationalem Recht (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz) oder nach dem Recht der Europäischen Union fehlt. Das Fertigarzneimittel Avastin® ist gemeinschaftsrechtlich nach Maßgabe der VO (EG) Nr. 726/2004 zwar aktuell für eine Reihe anderer Krebserkrankungen, jedoch (noch) nicht für die Behandlung von Glioblastomen zugelassen (anders als in den USA, Kanada und Schweiz vgl. dazu BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 10/16 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 2 Nr. 6, Rn. 14, juris).
Der Antragsteller hat vorliegend jedoch einen Anspruch nach den Kriterien für den Off-Label-Use in Verbindung mit § 2 Abs. 1a SGB V glaubhaft gemacht. Nach § 2 Abs. 1a SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.
Unstreitig liegt bei einem Glioblastom eine tödlich verlaufende Krankheit vor. Die begehrte neue Behandlungsmethode ist bei dem vorliegenden rezidivierenden Glioblastom die einzig verbleibende Therapieoption für den Antragsteller, nachdem alle herkömmlichen Anwendungsmethoden zu Rezidiven geführt und versagt hatten. Der Senat folgt insoweit den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der behandelnden Ärzte am Klinikum A ... PD Dr. med. V ... und PD Dr. med. U ... in ihren Stellungnahmen vom 15.03.2018, 09.04.2018 und 17.04.2018 und den im Ergebnis übereinstimmenden gutachtlichen Ausführungen von PD Dr. Y ... vom Universitätsklinikum X ... vom 15.07.2016. Die von Dipl.-Med. Z ... vom MDK in ihren Stellungnahmen vom 18.08.2018, 20.03.2018 und 13.04.2018 als Behandlungsalternative aufzeigte Strahlentherapie stellt keine geeignete Behandlungsoption mehr dar, nachdem dem Antragsteller bereits unter adjuvanter Radiochemotherapie in höherer Dosis ein Rezidiv entwickelt hatte und nur noch eine geringere Dosis applizierbar wäre. Insoweit folgt der Senat den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen PD Dr. med. U ... Angeblich zur Verfügung stehende offene Studien (§ 35c Abs. 2 SGB V) mit Avastin® gegen rezidivierende Glioblastome, deren Einschlusskriterien der Antragsteller erfüllen würde, zeigte die Gutachterin des MDK nicht auf.
Entgegen der Gutachterin des MDK und des SG besteht bei dem Antragsteller eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Mit der regelmäßigen und engmaschigen Systemtherapie mit Bevacizumab und Irinotecan wurde der Progress des ansonsten therapierefraktären Hirntumors bisher 32 Monate (Juli 2015 bis Februar 2018) erfolgreich aufgehalten. Diese Behandlung hat bei dem Antragsteller einen spürbaren Effekt auf die Verhinderung von Rezidiven und wirkt damit spürbar positiv auf den Krankheitsverlauf ein. Im Vergleich dazu liegt die mediane Überlebenszeit allen Gutachtern zufolge bei ca. 14 Monaten.
Zwar hat das Bundessozialgericht in einer neueren Entscheidung (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 10/16 R – (BSGE (vorgesehen), SozR 4-2500 § 2 Nr. 6, Rn. 17 ff., juris) für eine vom 24.06. bis 02.09.2013 durchgeführte Behandlung eines rezidivierenden Glioblastoms mit Avastin® festgestellt, dass aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht bestehe, mit dem betreffenden Präparat einen Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) gegen Glioblastome zu erzielen. Dafür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssten also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sein (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, Rn. 16, juris). An einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht für Avastin® gegen Glioblastome fehle es. Der Ständige Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA habe in seinem Bericht das Präparat für diese Anwendung abgelehnt, woraufhin der Hersteller seinen Antrag nicht weiterverfolgt habe, bevor der Zulassungsantrag abgelehnt worden wäre. Dies stünde einer förmlichen Ablehnung des Zulassungsantrages gleich (vgl. BSG, a. a. O., Rn. 21, juris).
Diese Beurteilung des Ständigen Ausschusses für Humanarzneimittel der EMA (mit letztem Stand vom 26.09.2014) hat sich auf den Einsatz von Bevacizumab in Kombination mit Radiotherapie und Temozolomid gegen neu diagnostizierte Glioblastome ("newly diagnosed glioblastoma") bezogen, weil das Endziel, ein Nutzen in Bezug auf das Gesamtüberleben, damit nicht erreicht worden sei und eine Verbesserung bei dem progressionsfreien Überleben aufgrund von Einschränkungen in den verfügbaren Methoden zur Messung der Größe der Hirntumore nicht als klinisch relevant habe betrachtet werden können. Es heißt darin wörtlich (http://www.ema.europa.eu/docs/en GB/document library/ Summary of opinion /human/000582/WC500167544.pdf): "On 22 May 2014, the Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) adopted a negative opinion, recommending the refusal of a change to the marketing authorisation for the medicinal product Avastin. The change concerned an extension of indication to add treatment of glioblastoma (an aggressive type of brain cancer). The applicant requested a re-examination of the opinion. After considering the grounds for this request, the CHMP re-examined the initial opinion, and confirmed the refusal of the marketing authorisation on 22 September 2014. At the time of the initial recommendation the CHMP noted that the effectiveness of Avastin in combination with radiotherapy and temozolomide had not been sufficiently demonstrated. Although there was an improvement in progression-free survival, it could not be considered clinically relevant because of limitations in the methods available to measure the size of brain tumours. In addition, there was no benefit in terms of overall survival. Therefore, at that point in time, the CHMP was of the opinion that the benefits of Avastin in the treatment of newly diagnosed glioblastoma did not outweigh its risks. Hence, the CHMP recommended that the change to the marketing authorisation be refused.During the re-examination, the CHMP looked again at the data from the company and confirmed its opinion that the benefits of Avastin had not been sufficiently demonstrated in newly diagnosed glioblastoma. Therefore, the CHMP maintained its previous recommendation that the change to the marketing authorisation be refused."
Grund für die einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 1a SGB V durch das Bundessozialgericht in der Entscheidung vom 13.12.2016 (B 1 KR 10/16 R) war, die zwingenden Sicherungen des Arzneimittelzulassungsrechts zum Schutz von Leben und Gesundheit der Versicherten nicht außerhalb klinischer Studien gestützt auf die Prinzipien der grundrechtsorientierten Auslegung auszuhebeln, faktisch zu unterlaufen und zu umgehen (BSG, Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 10/16 R -, Rn. 20-24, juris).
Ohne der Rechtsprechung des BSG zu widersprechen, hält es der Senat aufgrund von sich zwischenzeitlich ergebenden neuen Erkenntnissen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 26.09.2006, B 1 KR 1/06 R, Rn. 22, juris) und unter Berücksichtigung des tatsächlichen Behandlungserfolges bei dem Antragsteller nicht für ausgeschlossen, dass der Nutzen der "last-line"- Therapie mit Bevacizumab und Irinotecan bei rezidivierenden Glioblastom bei vertretbaren Risiken in Bezug auf das progressionsfreie Überleben wissenschaftlich zu belegen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V unter anderem eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf voraussetzt. Eine Aussicht auf Heilung wird auch von den behandelnden Ärzten nicht angenommen. Eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ist bei dem Antragsteller aber zu verzeichnen, bei dem seit Beginn der Behandlung im Juli 2015 im MRT kein Tumorprogress mehr nachzuweisen ist. In dieser notstandsähnlichen Lage, in der der Antragsteller mit vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung regulär umfassten Mitteln nicht mehr behandelt werden kann, muss er nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen. Die Schutzwirkungen des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vermitteln in dieser ausweglosen Ausnahmesituation über diesen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruch hinaus einen subjektivrechtlichen Grundrechtsschutz. Die Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich an der grundrechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. April 2017 – 1 BvR 452/17 –, Rn. 23, 25, juris; BVerfG, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 BvR 2056/12 –, Rn. 18, juris). Daraus folgt, dass auch Versicherte, die sich aus schulmedizinischer Sicht in einer Palliativsituation befinden, grundrechtsfundiert solche Behandlungen beanspruchen können, die spürbar positiv auf den Krankheitsverlauf einwirken, etwa durch das vorübergehende Aufhalten oder Verlangsamen des Fortschreitens der nicht mehr heilbaren und deshalb kurativ nicht behandelbaren Tumorerkrankung (vgl. Immuntherapie mit dendritischen Zellen bei Glioblastom; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.2017, L 5 KR 1653/15, Rn. 49, juris).
Über das Ergebnis eines längeren progressionsfreien Überlebens im Rezidiv bei Anwendung von Bevacizumab berichten sowohl die älteren, aber auch neuere Studien: Die randomisierten Phase III-Studien (AVAGlio, RTOG 0825) haben bereits einen Zugewinn an progressionsfreier Überlebenszeit ohne Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit bei Kombination von Temozolomid mit Bevacizumab in der Primärtherapie des Glioblastoms gezeigt. Die GLARIUS Studie Phase II, die am 10.05.2016 veröffentlicht worden ist, befasste sich mit Bevacizumab in Kombination mit Irinotecan gegen die Temozolomid-Standardtherapie bei neu diagnostizierten Glioblastomen (MGMT-Status unmethyliert). Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass die neue Kombination zwar nicht zu einer Verbesserung des Gesamtüberlebens geführt, vermutlich aufgrund der hohen crossover-Rate, das progressionsfreie Überleben nach sechs Monaten gegenüber der Temozolomid-Standardtherapie jedoch deutlich verlängert habe. In einer am 14.07.2017 in den Oncology Letters veröffentlichten zurückblickenden Studie unter der Leitung des Dr. Senckenberg Instituts für Neuroonkologie des Universitätsklinikums Frankfurt (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5494648/) wurden in dem Zeitraum von Januar 2009 und Dezember 2016 Daten von Patienten ausgewertet, die an einem rezidivierenden Primärglioblastom litten, zuerst mit Radiotherapie, Temozolomid und Lomustin und nach deren Versagen, ohne weitere Therapieoptionen zu haben, mit Bevacizumab als "last-line"- Therapie behandelt wurden. Grund dafür sei das Fehlen randomisierter klinischer Studien über die Wirkung von Bevacizumab nach Versagen der Standardtherapien gewesen. Bei -wegen der begrenzten Zahl von Patienten und rückblickender Analyse- vorsichtig zu interpretierenden Ergebnissen ließen die Zeiten und Quoten des progressionsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens sowie die objektive Quote der Patienten, die auf das Medikament ansprechen ("response rate"), darauf schließen, dass Bevacizumab bei Patienten mit vorbehandelndem Glioblastom wirke, so dass weitere Studien angeraten seien. Unter "Abstract" heißt es darin wörtlich (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC 5494648/): "In previous trials, bevacizumab failed to prolong the overall survival time in newly diagnosed glioblastoma and at the first recurrence. Randomized clinical trials at the second or further recurrence following the failure of radiotherapy, temozolomide and lomustine, and retrospective analyses focusing on this specific cohort, are not yet available. A total of 62 patients with glioblastoma who received bevacizumab after the failure of standard care, including radiotherapy, temozolomide and lomustine, were retrospectively identified. Patient characteristics, previous treatment details, concomitant therapy, response based on the Response Assessment in Neuro-Oncology criteria, and progression-free survival (PFS) and overall survival (OS) times and rates were evaluated. Furthermore, the PFS and OS times and rates were analyzed for responders and non-responders. Of the patients, 54.8% (n=34) responded to treatment [complete response (CR) 3.2%, n=2; partial response (PR) 51.6%, n=32]. The median PFS time was 3.5 months and the median OS time was 7.5 months. The PFS rate at 6 months was 21.5% and the OS rate at 12 months was 11.5%. Responders (CR or PR) experienced a superior median PFS time compared with non-responders (i.e. stable or progressive disease; 5.4 vs. 1.9 months; P(0.0001) and a superior PFS rate at 6 months (34.9 vs. 7.1%; P(0.0001). The median OS time (8.6 vs. 6.4 months; P(0.0001) and OS rate at 12 months (21.3 vs. 0%; P(0.0001) were also superior in patients who exhibited a response to bevacizumab treatment. In conclusion, the objective response rate and the PFS and OS times and rates indicate that bevacizumab has activity in patients with glioblastoma following the failure of radiotherapy, temozolomide, and lomustine. A randomized trial comparing bevacizumab with best supportive care in these patients is advised."
Für August 2018 ist die Fertigstellung einer unter der Schirmherrschaft der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) erstellten Phase III Studie EORTC-26101-BTG (http://www.eortc.org/research field/clinical-detail/26101/) betreffend die Untersuchung der Kombination von Bevacizumab und Lomustin bei Patienten mit erstem Rezidiv eines Glioblastoms (Exploring the Combination of Bevacizumab and Lomustine in Patients With First Recurrence of a Glioblastoma) avisiert (https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01290939). Nach der Leitlinie der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen von Gliomen im Erwachsenenalter, ICD-10 C 71 mit Stand August 2017 wird unter Ziffer 6.3.3.2.1 beschrieben, Bevacizumab verlängere das progressionsfreie Überleben im Rezidiv. Der klinisch relevante Nutzen von Bevacizumab für das progressionsfreie Überleben im Rezidiv - zumindest bei bestimmten Patientengruppen - wird bei den hiermit befassten Onkologen inzwischen nahezu einhellig angenommen (vgl. dazu Dissertation von Jennifer Jasmin Jeck am Universitätsklinikum Ulm, insbes. Seite 68,69; https://oparu.uni ulm.de/xmlui/bitstream /handle/123456789/4208/ Dissertation Jeck.pdf? sequence=3&isAllowed=y). Bei dem Antragsteller hat sich dieses Ergebnis eines längeren progressionsfreien Überlebens im Rezidiv bis heute tatsächlich verwirklicht. Das Auftreten eines Rezidivs gleicht einem Todesurteil. Da die hier vorliegende "last-line"-Behandlung mit Bevacizumab/Irinotecan (bei einem zum dritten Mal rezidivierten, therapierefraktären Glioblastom) die letzte und noch einzig verfügbare Option des Antragstellers darstellt und diese das Tumorwachstum sowohl nach neuerer Datenlage als auch tatsächlich bereits monatelang (sogar unter Beibehalten guter Lebensqualität) aufhalten konnte, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Off-Label-Use i. V. m. § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V unter grundrechtsorientierter Auslegung erfüllt.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn der Antragsteller bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere unzumutbare rechtliche oder erhebliche wirtschaftliche Nachteile erlitte (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., 2017, § 86b, Rn. 29a). Die individuelle Interessenlage des Antragstellers – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessenlage der Antragsgegnerin, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter – muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Die medikamentöse Behandlung des Antragstellers ist für diesen lebensnotwendig, so dass die Möglichkeit des Eintritts einer lebensbedrohlichen Situation nicht ausgeschlossen werden kann. Der Rechtsschutz durch die Hauptsache käme für den Antragsteller bei dieser Sachlage möglicherweise zu spät. Dagegen führt das Unterliegen der Antragsgegnerin allenfalls zu wirtschaftlichen Auswirkungen.
Die Folgenabwägung führt daher zu dem Ergebnis, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, den Antragsteller vorläufig mit der begehrten Therapie zu versorgen bzw. die anfallenden Kosten zu übernehmen. Zur Klarstellung sei angemerkt, dass sich diese Verpflichtung ausschließlich auf die nach Erlass des Beschlusses anfallenden Maßnahmen/Kosten bezieht. In einem Verfahren, welches auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet ist, beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet. Dies folgt daraus, dass ein Anordnungsgrund ein eiliges Regelungsbedürfnis erfordert, das regelmäßig nur für die Zukunft besteht. Dies bedeutet aber zugleich, dass die Bejahung eines Anordnungsgrundes grundsätzlich ausscheidet, soweit Leistungen für die Vergangenheit begehrt worden wären (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.11.2011 - L 9 KR 284/11 B ER - juris Rn. 2), was vorliegend nicht der Fall ist.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III.
Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Dr. Scholz Schanzenbach Lohr
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