L 4 KR 4791/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 KR 898/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4791/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. November 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Übernahme von über den Festbetrag hinausgehende Mehrkosten für Arzneimittel.

Die 1947 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet (u.a.) unter arterieller Hypertonie. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W. verordnete der Klägerin seit zumindest 2011 die rezeptpflichtigen Fertigarzneimittel Codiovan 160/12,5 mg (Wirkstoff Valsartan/Hydrochlorothiazid) und Diovan 160 mg (Wirkstoff Valsartan) zur Behandlung des Bluthochdrucks. Seit 2012 sind die Patente für diese Arzneimittel ausgelaufen. Für den Wirkstoff Valsartan setzte der Gemeinsame Bundesauschuss (GBA) Festbeträge fest (Festbetragsgruppe Angiotensin–II–Antagonisten).

Die Klägerin machte am 13. und 16. Oktober 2014 telefonisch gegenüber der Beklagten geltend, seit dem 1. Juli 2014 erhebliche Mehrkosten für die Arzneimittel Codiovan und Diovan tragen zu müssen. Am 23. Oktober 2014 legte sie einen durch Dr. W. ausgefüllten Arztfragebogen zur Übernahme der Mehrkosten für die Festbetragsarzneimittel Codiovan und Diovan vor. Diese Arzneimittel seien die einzige Alternative zur Behandlung des Bluthochdrucks wegen einer Unverträglichkeit der Arzneimittel anderer Hersteller. Bei der Einnahme der Generika Valsartan 1A plus 160 mg und Valsartan-CT 160 mg sei es zu einem Blutdruckanstieg gekommen. Ob dies auf diese Arzneimittel zurückzuführen sei, könne nicht beurteilt werden.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstattung eines sozialmedizinischen Gutachtens; mit Schreiben desselben Tages informierte sie die Klägerin hierüber. Im Gutachten vom 3. November 2014 führte Dr. H. aus, der Wirkstoff Valsartan gehöre zu der Festbetragsgruppe der Sartane ("AT-2-Antagonisten"). Zum 1. Juli 2014 habe der GBA die Festbeträge gesenkt, weshalb vermehrt Zuzahlungen für die Versicherten fällig würden. Ein atypischer Einzelfall, wie ihn das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2012 (B 1 KR 22/11 R) für die Übernahme der über den Festbetrag hinaus gehenden Kosten für ein Arzneimittel fordere, liege nicht vor. Es gebe zahlreiche Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan, die zum Festbetrag erhältlich seien. Offenbar seien bislang nur zwei wirkstoffgleiche Generika zum Einsatz gekommen. Ob die Nebenwirkungen Krankheitswert gehabt hätten und auf diese Arzneimittel mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" zurückzuführen seien, ergebe sich aus dem Arztfragebogen nicht. Eine Meldung nach § 6 der Muster-Berufsordnung ("Mitteilung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen") sei nicht erfolgt. Es liege der Verdacht auf eine unerwünschte Reaktion auf einen Inhaltsstoff der Arzneimittel Codiovan und Diovan nahe. Empfehlenswert wäre daher ein Therapieversuch mit einem Präparat, welches keine Inhaltsstoffe enthalte, die nicht auch in Codiovan und Diovan enthalten seien.

Mit Bescheid vom 6. November 2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 28. November 2014 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, sie sei auf die Einnahme der Arzneimittel Diovan und Codiovan angewiesen. Bei der Einnahme von Nachahmerprodukten sei es zu erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen gekommen. Sie habe im Krankenhaus behandelt werden müssen. Sie legte außerdem ein Attest von Dr. W. vom 23. Januar 2015 vor, wonach es nach Einnahme von "diversen" Generika zu lebensbedrohlichen hypertensiven Krisen gekommen sei.

Der MDK erstattete daraufhin ein weiteres Gutachten. Dr. M. gab im Gutachten vom 23. Februar 2015 an, nachvollziehbare objektivierbare Befunde in Folge der Einnahme von Valsartan 1A plus und Valsartan-CT seien nicht benannt worden. Auch die Dosis der Arzneimittel sei nicht mitgeteilt worden. Eine nachvollziehbare Ausschlussdiagnostik bzgl. anderer Ursachen fehle ebenfalls. Es könne deshalb nicht bestätigt werden, dass ein unzureichender patientenrelevanter Nutzen hinreichend wahrscheinlich durch die Anwendung des Festbetragsarzneimittels bedingt sei. Es seien auch nicht alle Sartane ausgetestet worden. Dabei seien andere therapeutische Optionen vorhanden.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies daraufhin den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2015 zurück. Er stützte sich auf die beiden Gutachten des MDK.

Am 13. April 2015 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage und verwies zur Begründung auf ihre Argumentation im Vorverfahren. Ergänzend trug sie vor, im MDK-Gutachten von Dr. M. vom 23. Februar 2015, das ohne Untersuchung erstellt worden sei, werde nicht auf den konkreten Einzelfall eingegangen. Notwendig seien die deutschen Originalpräparate der Firma Novartis, nicht Importpräparate.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Es gebe zahlreiche Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan unter dem Festbetrag. Bei der Klägerin seien nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen bislang lediglich zwei wirkstoffgleiche Generika zum Einsatz gekommen. Zunächst seien weitere Therapieversuche mit einem Präparat durchzuführen, das keine Inhaltsstoffe enthalte, die nicht auch in Diovan/Codiovan enthalten seien. Daneben komme auch eines der zahlreichen zuzahlungsfreien Präparate mit anderen Wirkstoffen aus der Gruppe der Sartane in Betracht. Sie sei bereit, die Kosten für Diovan/Codiovan als re- oder parallelimportierte Präparate zu übernehmen.

Das SG befragte die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. W. teilte im Juli 2015 mit, bei der Umstellung auf Valsartan 1A plus im Mai 2012 und Valsartan-CT im Juli 2012 sei es zu rezidivierenden hypertensiven Entgleisungen gekommen. Zuletzt sei ihr ein Nitrolingualspray für Notfälle verordnet worden. Es gelte als unbestritten, dass es bei der Wirkung eines Wirkstoffs auch auf die Galenik des Medikamentes ankomme. Möglicherweise bestehe bei der Klägerin eine erhebliche Empfindlichkeit auf Antihypertensiva. Im Juli 2012 habe sie wegen einer hypertensiven Entgleisung im Krankenhaus behandelt werden müssen (beigefügter Ambulanzbrief von Prof. Dr. J., S.-B. Klinikum, vom 9. Juli 2012). In seinem Attest vom 29. Januar 2016 ergänzte Dr. W., dass andere Generika nicht ausprobiert worden seien, um eine erneute hypertensive Entgleisung nicht zu riskieren. Kardiologe Dr. Br. reichte aktuelle Arztbriefe (adressiert an Dr. W.) ein.

Das SG befragte ferner Apotheker Se., ob Unterschiede in der Zusammensetzung beider Präparate bestünden, was dieser verneinte; das unterschiedliche Aussehen der Packung könne aber einen Placebo-Effekt zur Folge haben (Auskunft vom 18. Juni 2016).

Mit Urteil vom 10. November 2016 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Übernahme der Mehrkosten für die Versorgung mit den Medikamenten Diovan und Codiovan. Nach seiner Überzeugung liege kein atypischer Einzelfall vor, in dem die Versorgung mit einem Festbetragsarzneimittel nicht möglich sei. Die Beklagte erfülle ihre Leistungspflicht durch die Übernahme der Kosten bis zur Höhe des Festbetrags. Nach den überzeugenden Gutachten des MDK gebe es in der maßgeblichen Festbetragsgruppe zur Therapie des Bluthochdrucks zahlreiche Kombinationspräparate. Im Interesse der Wirtschaftlichkeit dürfe die Klägerin auf den Festbetrag verwiesen werden, obwohl sie bisher mit den Medikamenten Diovan und Codiovan gut eingestellt sei. Es könne nicht zu Lasten der Beklagten gehen, dass der Hersteller dieser Präparate den Preis nicht auf den Festbetrag gesenkt habe. Es sei auch nicht nachgewiesen, dass die Versorgung mit Diovan und Codiovan alternativlos sei. Das Vorliegen der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für einen atypischen Ausnahmefall (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 – B 1 KR 22/11 R – juris) habe Dr. M. (MDK) überzeugend verneint. Durch den Arztbrief von Prof. Dr. J. vom 9. Juli 2012 sei zwar nachgewiesen, dass eine hypertensive Entgleisung während der Einnahme von Generika aufgetreten sei. Aus dem Arztbrief ergebe sich aber auch, dass der von der Klägerin angenommene Ursachenzusammenhang zwischen der Medikamentenumstellung und der kurzfristigen Blutdruckerhöhung medizinisch nicht gesichert sei. Weitere Umstellungsversuche seien nicht nachgewiesen.

Gegen das ihr am 2. Dezember 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Dezember 2016 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Voraussetzungen für die Annahme eines atypischen Ausnahmefalls lägen vor. Für den Ursachenzusammenhang zwischen der Medikamentenumstellung und der Blutdruckerhöhung genüge eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das SG habe diesen Umstand nicht ausreichend ermittelt. Das Ausprobieren weiterer Generika sei ihr nicht zumutbar. Hierzu hat sie ein weiteres Attest von Dr. W. vom 10. September 2017 vorgelegt, wonach er es aufgrund der hypertensiven Entgleisung aus hausärztlicher Sicht nicht vertreten könne, weitere Generika anderer Hersteller auf Verträglichkeit zu testen. Zum Gutachten des MDK (Dr. B.) vom 20. Dezember 2017 (dazu sogleich) hat die Klägerin ein weiteres Attest des Dr. W. vom 23. Februar 2018 vorgelegt, wonach die Interpretation der dokumentierten Akteneinträge zwar den von Dr. B. gezogenen Schluss zuließe. Es fiele ihm als praktisch tätiger Arzt aber schwer, potentiell gesundheitsschädigende Experimente durchzuführen, nur weil es nach Aktenlage in der Theorie vermutlich gerechtfertigt erscheine. Schließlich hat die Klägerin Rechnungen einer Apotheke über die in der Zeit vom 16. Januar 2015 bis 2. Dezember 2017 selbstbeschafften Arzneimittel Diovan 160 mg protect und Codiovan 160 mg/12,5 mg eingereicht.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. November 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die seit dem 23. Oktober 2014 selbst beschafften Arzneimittel Diovan 160 mg und Codiovan 160mg/12,5mg Kosten in Höhe von EUR 1.230,28 zu erstatten und sie künftig nach ärztlicher Verordnung mit den Arzneimitteln Diovan 160 mg und Codiovan 160mg/12,5mg der Firma Novartis ohne Begrenzung auf den Festbetrag zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, bereits der kausale Zusammenhang zwischen der Arzneimittelanwendung und der kurzfristigen Blutdruckerhöhung sei nicht nachgewiesen. Dieser Umstand müsse im Sinne des Vollbeweises nach den Regeln der ärztlichen Kunst gesichert sein. Sie hat außerdem ein weiteres Gutachten des MDK (Dr. B.) vom 20. Dezember 2017 vorgelegt, wonach aus gutachterlicher Sicht die hypertensive Entgleisung vom 9. Juli 2012 gut durch das Vorliegen von (zumindest einem) der folgenden Faktoren erklärt werden könne: Der Wirkstoff Thiazid sei zuvor abgesetzt worden. Die letzte Verordnung von Codiovan 160mg/12,5 mg (98 Tabletten) sei am 2. April 2012 erfolgt. In der Folge sei auf Valsartan-CT als Mono-Präparat umgestellt worden. Erst am Tag der Entgleisung habe Dr. W. erneut Thiazid (Valsartan 1A plus 160/25 mg) verordnet. Des Weiteren ergebe sich aus den vorliegenden Unterlagen im Vorfeld der Entgleisung eine unerklärliche Häufung der Verordnung des Schilddrüsenhormonpräparats Euthyrox, das bei einer Überdosierung zu einer Blutdruckerhöhung führen könne. Außerdem sei am 27. Juni 2012 zusätzlich Ibuprofen 800mg (100 Stück) verordnet worden, das in Wechselwirkung mit den der Klägerin verordneten Medikamenten treten könne. Davon ausgehend, dass die Blutdruckentgleisung vom 9. Juli 2012 gut durch die Reduktion der antihypertensiven Therapie (Weglassen von Thiazid) in Kombination mit Wechselwirkungen von Ibuprofen und möglicherweise auch einer Überdosierung von Thyroxin erklärt sei, sei die Umstellung von Diovan bzw. Codiovan auf Valsartan bzw. Valsartan-HCI-Thiazid Generika in gleicher Wirkstärke und gleicher Dosis ohne zusätzliche Veränderung anderer Bestandteile der medikamentösen Therapie zumutbar. Ebenfalls sei die Umstellung von Valsartan auf ein anderes Sartan in äquipotenter Wirkstärke und Dosis zumutbar. Schließlich sei auch der Einsatz eines Wirkstoffes aus der Gruppe der Kalzium-Antagonisten statt eines Sartans möglich und zumutbar. Da eine negative Erwartungshaltung der Klägerin bezüglich jeglicher Umstellung zu erwarten sei, wären solche Umstellungen jeweils unter engmaschiger klinischer Kontrolle und/oder Verordnung eines bei Bedarf einzunehmenden rasch einzusetzenden Antihypertensivums sinnvoll.

Die Beteiligten habe sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist gemäß § 143 SGG statthaft und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG auch nicht der Zulassung, denn die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten von mehr als EUR 750,00. Außerdem begehrt sie die Versorgung mit den begehrten Arzneimitteln ohne zeitliche Begrenzung und damit für die Dauer von mehr als einem Jahr (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Streitgegenstand ist der Anspruch der Klägerin auf Vollversorgung mit den Festbetragsarzneimitteln Diovan 160 mg und Codiovan 160/12,5 mg des Herstellers Novartis als Sachleistung für die Zukunft und als sachleistungsersetzende Kostenerstattung für die Vergangenheit. Nicht streitgegenständlich ist die zugrundeliegende Festbetragsfestsetzung der Sartane als Wirkstoff, die die Klägerin nicht in Zweifel zieht.

3. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 6. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

a) Rechtsgrundlage des Anspruchs der Klägerin gegen die Beklagte auf zukünftige festbetragsfreie Arzneimittelversorgung mit Diovan 160 mg und Codiovan 160mg/12,5mg der Firma Novartis als Naturalleistung ist § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 31 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Daran knüpft auch der Anspruch auf Erstattung der der Klägerin entstandenen Kosten für die Vergangenheit nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V an. Denn der Anspruch auf Kostenerstattung für die Vergangenheit reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 – B 1 KR 22/11 R – juris, Rn. 11).

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Versicherte haben nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Die Versicherten erhalten nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit das SGB V oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) nichts Abweichendes vorsehen. Für ein Arznei- oder Verbandmittel, für das ein Festbetrag nach § 35 oder § 35a SGB V festgesetzt ist, trägt nach § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB V die Krankenkasse (nur) die Kosten bis zur Höhe dieses Festbetrags. Ist für eine Leistung – wie hier für Diovan und Codiovan – wirksam ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse damit grundsätzlich ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten mit dem Festbetrag (vgl. § 12 Abs. 2 SGB V).

Die Festbetragsregelung als Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgebot garantiert für die Versicherten im Wesentlichen eine Gleichbehandlung, indem sie die Rechtsgrundlage schafft, um typische Fälle in Gruppen zusammenzufassen (auch im Folgenden BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 – B 1 KR 22/11 R – juris, Rn. 13 ff., m.w.N.; siehe auch BSG, Beschluss vom 25. Januar 2017 – B 1 KR 8/16 BH – juris, Rn. 7 f.). Dies erleichtert auch die Erfüllung der Aufgabe, die Versicherten nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Erkenntnis oder dem Stand der Technik angemessen zu versorgen. Die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch das Verfahren nach §§ 35, 36 SGB V macht das Verwaltungshandeln der Krankenkassen für die Teilnehmer am Gesundheitsmarkt effektiver und vorhersehbarer. Die Festbetragsfestsetzung gilt jeweils für eine Gruppe von Arzneimitteln (§ 35 Abs. 1 Satz 2 SGB V) und setzt hierfür die Geldbeträge fest, mit denen einerseits eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet, andererseits aber ein Preiswettbewerb unter den Herstellern ermöglicht werden soll (§ 35 Abs. 5 Satz 1 und 2 SGB V). Die gesetzlich vorgegebenen Kriterien der Festbetragsfestsetzung sind nicht an den individuellen Verhältnissen des einzelnen Patienten ausgerichtet, sondern orientieren sich in generalisierender Weise an allen Versicherten. Dementsprechend sind die Festbeträge so festzusetzen, dass sie lediglich "im Allgemeinen" eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten (§ 35 Abs. 5 Satz 1 SGB V). Nur in einem atypischen Ausnahmefall, in dem – trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen – aufgrund der ungewöhnlichen Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist, greift die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein. Aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse ist keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag mehr möglich, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V) erreichen. Die Beurteilung der Verursachung richtet sich nach der im Sozialrecht maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen muss in Gerichtsverfahren grundsätzlich zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Lediglich für die zu prüfenden Kausalzusammenhänge genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Nach allgemeinen Grundsätzen tragen die Versicherten hierfür die objektive Beweislast.

b) Unter Anlegung dieser Maßstäbe kann die Klägerin keine Vollversorgung mit den Arzneimitteln Diovan und Codiovan der Firma Novartis ohne Begrenzung auf die hierfür festgesetzten Festbeträge beanspruchen. Der Senat kann keine ungewöhnlichen Individualverhältnisse feststellen, die einer ausreichenden Arzneimittelversorgung zum Festbetrag entgegenstehen.

Aus dem Arztbrief von Prof. Dr. J. vom 9. Juli 2012 und der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. W. sowie dem Arztbrief des Kardiologen Dr. Br. vom 12. Oktober 2012 ergibt sich zwar, dass es im zeitlichen Zusammenhang zur Umstellung der Blutdruckmedikation auf Generika zu einer behandlungsbedürftigen hypertensiven Entgleisung des Blutdrucks der Klägerin gekommen ist. Die Verschlimmerung der Hypertonie war aber nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Anwendung von Generika zurückzuführen. Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. B. im MDK-Gutachten vom 20. Dezember 2017, das im Rahmen des Urkundenbeweises verwertbar ist, sind andere Bedingungen für die Verschlimmerung der Krankheit am 9. Juli 2012 wesentlich. Die Entgleisung lässt sich danach durch die Reduktion der antihypertensiven Therapie in Kombination mit Wechselwirkungen des zeitgleich verordneten Ibuprofen 800mg und einer möglichen Überdosierung des Schilddrüsenhormonpräparats Euthyrox erklären. Anhand der aktenkundigen Aufzeichnungen von Dr. W. legt Dr. B. nachvollziehbar dar, dass vor Auftreten der hypertensiven Entgleisung nicht nur Diovan durch das (wirkstoffgleiche) Generikum Valsartan-CT ersetzt wurde, sondern Codiovan 160/12,5mg ohne Ersatz abgesetzt wurde. Damit fehlte im Vorfeld der Entgleisung eine Behandlung mit dem Wirkstoff Thiazid. Dieser Wirkstoff war aber nach den Ausführungen von Dr. B. für die Behandlung der Hypertonie der Klägerin gut geeignet und ist auch in der begehrten Medikation (Codiovan 160/12,5mg) enthalten. Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, dass die Umstellung auf Generika mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ursächlich für die hypertensive Entgleisung war. Dass auch Dr. W. einen Zusammenhang zwischen der veränderten Wirkstoffzusammensetzung der Medikation der Klägerin und der hypertensiven Entgleisung sah, zeigt der Umstand, dass er noch am selben Tag der Klägerin wieder Thiazid (Valsartan 1a plus 160/25mg) verordnete und keine Meldung einer unerwünschten Nebenwirkung an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft erstattete (vgl. § 6 Musterberufsordnung der in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte; BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 – B 1 KR 22/11 R – juris, Rn. 22 ff.).

Es kann darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass der erforderliche kausale Zusammenhang zwischen der Arzneimittelanwendung und der Verschlimmerung der Erkrankung (auch) hinsichtlich aller anderen Festbetragsarzneimittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht. Notwendige Bedingung dafür, dass die Festbetragsgrenze im Einzelfall infolge der inneren Begrenzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V) entfällt, ist nämlich grundsätzlich, dass der Arzt unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst dem Versicherten die in Betracht kommenden, zum Festbetrag erhältlichen und nach ihrer Wirkungsweise therapeutisch geeigneten Arzneimittel verordnet und der Versicherte die verordneten Arzneimittel über einen therapeutisch relevanten Zeitraum hinweg auch tatsächlich in vorgeschriebener Weise anwendet (BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 – B 1 KR 22/11 R – juris, Rn. 25).

Unter Zugrundelegung der überzeugenden Ausführungen von Dr. B. ist es zunächst nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Umstellung auf Generika von Diovan und Codiovan unter Beachtung gleicher Wirkstoffe, Wirkstärke und Dosierung und ohne zusätzliche Veränderung anderer Bestandteile der medikamentösen Therapie zu einer hypertensiven Entgleisung führen wird. Dies gilt darüber hinaus für die anderen Arzneimittel der Festbetragsgruppe der Sartane und der Festbetragsarzneimittel mit dem Wirkstoff aus der Gruppe der Kalzium-Antagonisten, wie sich dem Gutachten von Dr. B. entnehmen lässt. Keine dieser in Betracht kommenden Arzneimittelalternativen hat die Klägerin bereits erfolglos ausgeschöpft. Dabei ergibt sich weder aus dem Vortrag der Klägerin noch aus den aktenkundigen medizinischen Unterlagen, dass der Einsatz dieser Alternativarzneimittel zu unerwünschten Nebenwirkungen führen würde. Auch Dr. W. liefert insoweit keinerlei Argumente. Der Klägerin sind zur Überzeugung des Senats auch weitere Therapieversuche zumutbar, weil das Ereignis vom 9. Juli 2012 sowie der sonstige Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte dafür liefert, dass die vom MDK vorgeschlagenen Arzneimittelalterativen unerwünschte Nebenwirkungen zur Folge hätten.

c) Ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit Festbetragsarzneimitteln Diovan 160 mg und Codiovan 160/12,5 mg des Herstellers Novartis ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V. Denn eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist nicht eingetreten. Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 (vorliegend nicht einschlägig) nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).

Die Klägerin wandte sich erstmalig am 13. Oktober 2014 wegen der Übernahme der über den Festbetrag hinausgehenden Kosten der Festbetragsarzneimitteln Diovan 160 mg und Codiovan 160/12,5 mg an die Beklagte. Damit begann die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V am 14. Oktober 2014 zu laufen (§ 26 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X] i.V.m. § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Maßgeblich ist vorliegend nach § 13 Abs. 3a Satz 1 und 2 SGB V die Fünfwochenfrist. Denn die Beklagte veranlasste eine gutachterliche Stellungnahme des MDK und unterrichtete hierüber die Klägerin. Die Fünfwochenfrist endete am 17. November 2014 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 188 Abs. 2, 193 BGB). Die Beklagte entschied mit Bescheid vom 6. November 2014, mithin deutlich vor Ablauf der Fünfwochenfrist. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Bescheid der Klägerin erst nach dem 17. November 2014 zuging, fehlen. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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