L 14 P 207/02

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 20 P 172/01
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 14 P 207/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 P 1/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 10. Januar 2002 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat dem Beklagten dessen notwendige außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Ferner hat die Klägerin die Kosten des Mahnverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Beiträgen zur privaten Krankenversicherung.

Der Beklagte beantragte bei der Klägerin am 24. Oktober 1997 für sich und Frau F. den Abschluss einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung, und zwar für Frau F. mit Wirkung ab 1. Oktober 1997 und für sich selbst ab 1. Februar 1998. Die Klägerin nahm dieses Vertragsangebot an und stellte den Versicherungsschein aus. Auf Antrag des Beklagten vom 9. Januar 1998 wurde der Versicherungsbeginn für ihn auf den 1. April 1998 verlegt. Mit Schreiben vom 7. März 1998 kündigte der Beklagte und führte zur Begründung aus, dass er ein Angestelltenverhältnis gegründet habe und Frau F. im Dezember 1997 geheiratet habe; damit sei er versicherungspflichtig kraft Gesetzes und seine Ehefrau sei familienversichert. Er legte Bescheinigungen der Techniker-Krankenkasse vom 6. März 1998 bei. Die Klägerin akzeptierte die Beendigung des Teilvertrages zugunsten der Ehefrau des Beklagten zum 31. März 1998, im Übrigen hielt die Klägerin den Beklagten am Versicherungsvertrag fest.

Nachdem der Beklagte ab Januar 1998 keine Zahlungen mehr tätigte, erwirkte die Klägerin beim Amtsgericht Euskirchen einen Mahnbescheid in Höhe von 2.591,05 DM (1.324,78 Euro). Auf den Widerspruch des Beklagten hin gab das Amtsgericht Euskirchen den Rechtsstreit an das Sozialgericht Gießen ab. Die Klägerin hat vorgetragen, der Beklagte schulde für Januar bis März 1998 für seine Ehefrau 162,00 DM (82,83 Euro) und für seine eigene Versicherung von April 1998 bis September 2000 2.156,50 DM (1.107,30 Euro). Der Vertrag sei bedingungsgemäß erst zum 30. September 2000 kündbar gewesen. Dem Beklagten stehe vorher kein Kündigungsrecht zu. Im Übrigen habe er zu keinem Zeitpunkt wirksam gekündigt, da er keinen Nachweis geführt habe, dass tatsächlich Versicherungspflicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung eingetreten sei. Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass er seit dem 12. August 1991 Mitglied der Techniker-Krankenkasse und dort seit dem 1. Januar 1995 pflegeversichert sei. Er hat ein Schreiben der Techniker-Krankenkasse vom 7. Januar 2002 vorgelegt, wonach er seit dem 1. Januar 1995 bei der Techniker-Krankenkasse pflegeversichert ist und seit dem 1. Januar 1998 nach § 20 Abs. 3 SGB XI. Das Sozialgericht hat die Akten des Amtsgerichtes Bad Vilbel (Az.: 3 C 658/98) beigezogen, in denen der Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin Krankenversicherungsbeiträge für Februar bis September 1998 zu zahlen. Die Berufung des Beklagten wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. Mai 2000 zurückgewiesen (Az.: 2-21 S 4/00). Im Streit stand, ob überhaupt ein Versicherungsvertrag zustande gekommen ist; der Beklagte hatte den Zugang des Versicherungsscheines bestritten. Das Gericht hat den Beweis, dass der Beklagte den Versicherungsschein im November 1997 erhalten hat, als geführt angesehen.

Mit Urteil vom 10. Januar 2002 hat das Sozialgericht Gießen den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 82,83 Euro nebst 4 % Zinsen seit Zustellung des Mahnbescheides zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Zahlungsanspruch für die Zeit von Januar bis März 1998 für den zwischen der Klägerin und Ehefrau des Beklagten zustande gekommenen Versicherungsvertrag. Zwar habe der Beklagte im zivilrechtlichen Verfahren den Zugang des Versicherungsscheines bestritten, aber beide Instanzen (Amtsgericht Bad Vilbel und Landgericht Frankfurt am Main) hätten den Beweis, dass dem Beklagten der Versicherungsschein zugegangen ist, als geführt angesehen. Nach den Feststellungen des Zivilgerichtes habe die Klägerin die "Arbeitgeberbescheinigung" als auch den Versicherungsschein übersandt. Mithin schuldete der Beklagte für die mitversicherte Ehefrau ab 1. Oktober 1997 monatlich 54,00 DM Prämie für die Pflegeversicherung. Von dem Kündigungsrecht habe der Beklagte erst am 7. März 1998 Gebrauch gemacht mit der Folge, dass der Teilvertrag bis zum 31. März 1998 wirksam gewesen sei. Eine rückwirkende Kündigung sei gemäß § 178 h Abs. 2 VVG nur innerhalb von zwei Monaten möglich. Auf die geltend gemachte Prämie für April 1998 bis September 2000 für den Beklagten habe die Klägerin keinen Anspruch, da der Beklagte durch sein Schreiben vom 7. März 1998 wirksam von seinem Kündigungsrecht nach § 27 Satz 1 SGB XI Gebrauch gemacht habe. Wie sich aus dem Schreiben der Techniker-Krankenkasse vom 7. Januar 2000 ergebe, sei der Beklagte dort seit dem 1. Januar 1998 laufend nach § 20 Abs. 3 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert, so dass er berechtigt gewesen sei, den privaten Pflegeversicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht an zu kündigen. Das Kündigungsschreiben des Beklagten vom 7. März 1998 beziehe sich auf den gesamten Versicherungsvertrag. Anders als von der Klägerin behauptet, sei das Kündigungsrecht nach § 27 SGB XI nicht davon abhängig, dass der Versicherte bereits mit seiner Kündigung den Nachweis von der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung führe. Für eine derartige Auslegung gebe sich nichts aus dem Wortlaut von § 27 SGB XI; maßgebend sei alleine, dass der Versicherungsnehmer in der gesetzlichen Pflegeversicherung pflichtversichert sei, so dass der Nachweis auch noch zu einem späteren Zeitpunkt geführt werden könne.

Gegen das am 25. Januar 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Februar 2002 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Nachweis in der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht zu einem späteren Zeitpunkt geführt werden könne. Bei der mit Schreiben von dem Beklagten vom 7. März 1998 vorgelegten Bescheinigungen handele es sich "lediglich um eine Mitgliedsbescheinigung". Die Klägerin legt ferner fünf Kopien von zivilgerichtlichen Urteilen vor, wonach dem Versicherungsnehmer kein außerordentliches Kündigungsrecht aufgrund des Eintrittes der Krankenversicherungspflicht zustehe, wenn diese bei Vertragsabschluss mit dem privaten Versicherungsunternehmen bereits bestanden habe. Außerdem gebe es höchstens ein Recht zur außerordentlichen Kündigung, wenn die Versicherungspflicht in der privaten Pflegeversicherung wegen Eintrittes der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 oder § 21 SGB XI ende. Diese Voraussetzung erfülle der Beklagte nicht, da er nicht "nachträglich sozialversicherungspflichtig" in der Pflegeversicherung geworden sei, sondern wie sich aus der Techniker-Krankenkasse-Bescheinigung vom 7. Januar 2002 ergebe, bereits seit dem 1. Januar 1995 durchgehend nach § 20 SGB XI versichert gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 10. Januar 2002 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 1.102,70 Euro nebst 4 % Zinsen seit Zustellung des Mahnbescheides zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil insoweit für zutreffend. Da er seit dem 1. Januar 1998 nach § 20 Abs. 3 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig sei, habe er den privaten Pflegeversicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht ankündigen können. Er legt sein Kündigungsschreiben vom 7. März 1998 nebst zwei Bescheinigungen vom 6. März 1998 der Techniker-Krankenkasse Frankfurt am Main für ihn und seine Ehefrau vor. Einen weiteren Nachweis habe die Klägerin von ihm nicht verlangt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten des Amtsgerichtes Bad Vilbel (3 C 658/98) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft, da der Beschwerdewert von 500,00 Euro überschritten wird (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung der Klägerin ist jedoch sachlich unbegründet. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10. Januar 2002 insoweit zu Recht die Klage abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Prämie für April 1998 bis September 2000 für den Beklagten in Höhe von insgesamt 1.102,70 Euro.

Das Sozialgericht ist für den Rechtsstreit zuständig, auch wenn die Klägerin eine private Versicherungsgesellschaft ist. Die Sonderzuständigkeit ergibt sich aus § 51 Abs. 2 Satz 3 SGG, wonach die Sozialgerichte für die Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zuständig sind. Werden Beitragsansprüche im Mahnverfahren geltend gemacht, erfolgt die Abgabe an das Sozialgericht, wenn ein Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid erhoben wird (vgl. § 182 a SGG).

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der Beiträge ist gemäß § 23 Abs. 1 SGB XI der zwischen dem Beklagten und der Klägerin zustande gekommene Pflegversicherungsvertrag. Insoweit verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dieser Vertrag wurde von dem Beklagten mit Schreiben vom 7. März 1998 gekündigt, so dass keine Beiträge ab 1. April 1998 – dem Vertragsbeginn – anfielen.

Nach § 27 Satz 1 SGB XI können Personen, die nach §§ 20, 21 SGB XI versicherungspflichtig werden und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen gegen Pflegebedürftigkeit versichert sind, ihren Versicherungsvertrag mit Wirkung vom Eintritt der Versicherungspflicht an kündigen. Dieses Kündigungsrecht gilt auch für Familienangehörige, wenn sie für eine Familienversicherung nach § 25 SGB XI eintritt (vgl. § 27 Satz 2 SGB XI). § 27 Satz 1 SGB XI besagt aber nicht, dass jederzeit form- und fristlos gekündigt werden kann, sondern regelt lediglich den Kündigungsgrund sowie einen bestimmten Zeitpunkt, zu dem ein Kündigungsrecht eingeräumt werden muss. Die Vorschriften des SGB XI werden hinsichtlich der formellen Vorraussetzungen durch § 178 h Abs. 2 VVG ergänzt, der durch das dritte Durchführungsgesetz/EWG zum Versicherungsaufsichtsgesetz vom 21. Juli 1994 (BGBl. I, Seite 1630) eingeführt worden ist. Durch § 178 h Abs. 2 VVG ist die Möglichkeit einer rückwirkenden Kündigung des privaten Versicherungsvertrages eingeschränkt worden. § 178 h VVG, der im Wesentlichen inhaltsgleich mit § 13 der allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung der Klägerin ist, räumt dem Versicherungsnehmer – hier dem Beklagten – in Konkretisierung des § 27 SGB XI ein Recht zur außerordentlichen Kündigung ein (Prölls/Martin, VVG, 27. Auflage, § 178 h Rdnr. 6). Das Recht zu einer rückwirkenden Kündigung hat der Versicherungsnehmer innerhalb von zwei Monaten "nach Eintritt der Versicherungspflicht". Bei einer nach Ablauf der Frist erfolgten Kündigung wird gemäß § 178 h Abs. 2 Satz 3 VVG der Zeitpunkt des Wirksamwerdens durch den Nachweis des Eintritts der Versicherungspflicht bestimmt.

Grundsätzlich lässt die Privatautonomie zu, dass neben einer gesetzlichen Versicherungspflicht ein privater Versicherungsvertrag wirksam wird. Aber nach Sinn und Zweck des § 27 SGB XI i. V. m. § 178 h VVG soll eine Doppelversicherung vermieden werden (vgl. auch § 60 VVG, Beseitigung der Doppelversicherung). Unter bestimmten Form- und Fristvoraussetzungen gibt deshalb § 27 SGB XI dem Versicherungsnehmer, der einer gesetzlichen Versicherungspflicht unterliegt, die Möglichkeit aus der privaten Pflegeversicherung auszutreten bzw. zu kündigen. Entscheidend kann hierbei auch sein, dass nach einer Antragstellung für den Versicherungsnehmer Umstände eintreten, die erneut eine Versicherungspflicht begründen und deshalb den Versicherungsnehmer ein neues außerordentliches Kündigungsrecht einräumen (vgl. Amtsgericht Schöneberg, Urteil vom 10. November 1994 – Az.: 210 C 245/94).

Der Beklagte hatte ein außerordentliches Kündigungsrecht und hat dieses auch wirksam ausgeübt. Denn laut Bescheinigung der Techniker-Krankenkasse vom 7. Januar 2002 war der Beklagte - und zwar seit dem 1. Januar 1995 - pflegeversichert, aber in der Zeit vom 1. Oktober 1997 bis 31. Dezember 1997 war er nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI (als Arbeitsloser) und ab 1. Januar 1998 nach § 20 Abs. 3 SGB XI als freiwillig versichertes Mitglied versichert. Das heißt, es ist ein neuer Umstand zum 1. Januar 1998 eingetreten, der eine gesetzliche Versicherungspflicht für den Beklagten begründet hat. Der Beklagte ist durch ein Beschäftigungsverhältnis neu versicherungspflichtig geworden. Der Beklagte hat durch Schreiben vom 7. März 1998 dann wirksam von seinem Kündigungsrecht nach § 27 Satz 1 SGB XI Gebrauch gemacht. Damit hat er zwar nicht innerhalb der Zweimonatsfrist gemäß § 178 h Abs. 2 VVG rückwirkend kündigen können. Aber nach Ablauf der Frist kann eine Kündigung gemäß § 178 h Abs. 2 Satz 3 VVG durch den Nachweis des Eintritts der Versicherungspflicht gültig werden (Prölls/Martin, a. a. O., § 178 h Rdnr. 10). Der Beklagte hat seinem Schreiben vom 7. März 1998 zwei Bescheinigungen der Techniker-Krankenkasse vom 6. März 1998 beigefügt, aus denen eindeutig zu entnehmen ist, dass sowohl der Beklagte als auch seine Ehefrau Mitglieder der Techniker-Krankenkasse sind und dort kranken- und pflegeversichert sind. Diese Bescheinigungen reichen nach Ansicht des Senates als Nachweis für eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Pflegeversicherung aus. Nach Kenntnis dieses Sachverhaltes konnte die Klägerin nicht ab 1. April 1998 eine private Pflegeversicherung für den Beklagten beginnen lassen, da eine Doppelversicherung von dem Beklagten ersichtlich nicht gewollt und auch rechtlich nicht notwendig war. Dies war eindeutig für die Klägerin ersichtlich. Falls der Klägerin die vorgelegten Nachweise nicht ausgereicht hätten, wäre sie nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, sofort einen weiteren Nachweis beim Beklagten anzufordern (Prölls/Martin, a. a. O., § 178 h Rdnr. 10), was sie jedoch nicht getan hat.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vorliegen. Der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung (siehe LSG Berlin, Urteil vom 28. Januar 2004 – L 17 P 31/01 - und Urteil vom 14. Februar 2001 – L 17 P 40/00 -).
Rechtskraft
Aus
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