Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 303/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme des Eigenanteils für ein von der Kranken-versicherung als Hilfsmittel bewilligtes Therapiedreirad streitig.
Der am 26.09.2004 geborene Kläger leidet unter anderem an einem CDG-Syndrom und einer spastischen Hemiparese. Auf seinen Antrag bewilligte die AOK Plus, Gesundheits-kasse für Sachsen und Thüringen, dem Kläger mit Bescheid vom 13.08.2013 finanzielle Mittel für ein Therapiesesseldreirad in Höhe von 3.161,40 EUR. Es sei jedoch ein Eigenan-teil in Höhe von 255,00 EUR zu leisten. Mit Schreiben vom 02.09.2014 machte der Kläger gegenüber der AOK Plus geltend, dass es sich bei dem Therapiesesseldreirad auch um eine Leistung zur Teilhabe nach § 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) handele und ein Eigenanteil nicht anfallen dürfe. Er bat um entsprechende Überprüfung und be-antragte vorsorglich auch die Gewährung des Therapiesesseldreirades zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Mit Schreiben vom 03.09.2014, welches am 08.09.2014 bei der Beklagten einging, leitete die AOK Plus das Schreiben des Klägers vom 02.09.2014 an die Beklagte weiter und gab zur Begründung an, dass nach ihrer Prüfung die Beklagte für den Antrag des Klägers zuständig sei.
Mit Bescheid vom 12.09.2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Ein-gliederungshilfe in Form der Kostenübernahme des Eigenanteils für das Therapieses-seldreirad ab. Zur Begründung gab sie an, der Eigenanteil sei der Betrag, den der Versi-cherte zu den Kosten eines Hilfsmittels zuzahlen müsse. Der Eigenanteil entspreche dem Betrag, den der Versicherte hätte ausgeben müssen, wenn er das Produkt ohne medizinisch notwendige Versorgung gekauft hätte. Das bedeute, dass der Kläger mit die-sem Betrag ein Dreirad hätte kaufen können, wenn er kein spezifisches Therapiesessel-dreirad benötigen würde. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehöre die Versor-gung mit Hilfsmitteln, die als Leistung der medizinischen Rehabilitation zu erbringen wä-re. Leistungen der medizinischen Rehabilitation entsprächen aber jeweils den Rehabili-tationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die bei der gesetzlichen Kran-kenversicherung geltenden Festpreise für Hilfsmittel hätten auch für die Hilfsmitteler-bringung durch die Sozialhilfe Geltung. Eigenanteile, die aufgrund der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu leisten sei-en, könnten deshalb nicht Bestandteile der Eingliederungshilfe sein. Dementsprechend könne über den Festbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus keine Kos-tenübernahme für die Versorgung mit einem Therapiesesseldreirad als medizinische Rehabilitationsleistung im Rahmen der Eingliederungshilfe erfolgen.
Hiergegen legte der Kläger am 20.09.2014 Widerspruch ein und machte geltend, dass die faktische Leistung des Therapiesesseldreirades durch den zu leistenden Eigenanteil in Höhe von 255,00 EUR gefährdet sei. Insofern bestehe noch ein sozialrechtlicher Hilfebe-darf.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2014 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation genau den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprächen. Eine Übernahme des Eigenanteils im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII könne bereits aus diesem Grund nicht erfolgen. Denn Eigenanteile, die aufgrund der Vorschriften des SGB V geleistet werden müssten, seien keine Bestandteile der Einglie-derungshilfe. Sozialhilfe erhalte gemäß § 2 SGB XII nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen Sozialleistungsträgern erhalte. In diesem Sinne sei dem Kläger bereits durch die gesetzliche Krankenversicherung als vorrangigem Sozialleistungsträger die erforderliche Hilfe als Festzuschuss unter Anrechnung eines Eigenanteils gewährt wor-den.
Mit der am 03.12.2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger das auf die Übernahme des Eigenanteils für das Therapiesesseldreirad gerichtete Begehren weiter. Er trägt vor, § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sehe ausdrücklich vor, dass Leistungen zur Teilhabe neben ande-ren Sozialleistungen erbracht werden könnten. Insoweit sei ein Nebeneinander von Leistungen nach dem SGB IX und dem SGB V möglich. Ein Therapiesesseldreirad kön-ne sowohl ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB V als auch ein Hilfsmittel im Sinne von § 31 SGB IX sein. Es diene vor allem zur Integration in den Kreis Gleichaltriger und sei somit eine Leistung zur Teilhabe. Der Anspruch gegen die Beklagte beruhe gerade nicht auf den die medizinischen Rehabilitation betreffenden Regelungen des Kapitels 4 in Teil 1 des SGB IX, sondern auf den Vorschriften über die Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft, mithin auf den Regelungen des Kapitels 7 in Teil 1 des SGB IX. Darüber hinaus stünden die Leistungsbeschränkungen des SGB V einer Leistungspflicht im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht entgegen. Die Abgren-zung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur sozialen Re-habilitation erfolge nämlich nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegen-ständen. Entscheidend sei vielmehr der Leistungszweck. Leistungszwecke des SGB V bzw. der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation könnten sich überschneiden. Die Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Ge-meinschaft sei mit der Zwecksetzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversiche-rung nicht identisch.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 30.10.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Eigenan-teil zur Anschaffung eines Therapiesesseldreirades in Höhe von 255,00 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides und trägt ergänzend vor, dass der beantragte Gegenstand als Hilfsmittel nach § 33 SGB V dekla-riert und bewilligt worden und aus medizinischer und rechtlicher Sicht auch als solcher zu beurteilen sei. Sofern der Kläger die Auffassung vertrete, dass es sich bei dem Thera-piesesseldreirad um eine Leistung zur Teilhabe nach § 55 SGB IX handele, sei er darauf zu verweisen, dass er Rechtsmittel gegen den Bescheid der AOK hätte einlegen können bzw. das Widerspruchsverfahren hätte weiter verfolgen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug ge-nommen, der Gegentand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 12.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2014 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichts-gesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils für das von der AOK Plus als Hilfsmittel bewilligte Therapiedreirad in Höhe von 255,00 EUR gegen die Beklagte.
Die Beklagte ist für die Entscheidung über die begehrte Leistung zuständig. Die Zustän-digkeit ergibt sich aus § 14 Abs. 2 SGB IX, da die AOK Plus den Antrag des Klägers un-verzüglich i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX an die Beklagte weitergeleitet hat. Denn mit der Weiterleitung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX wird die Zuständigkeit gesetzlich be-stimmt. Der zweitangegangene Träger darf den Antrag bei unverzüglicher Weiterleitung weder zurückgeben, noch an einen anderen Rehabilitationsträger weiterleiten. Selbst wenn "eigentlich" der weiterleitende, also der erstangegangene Träger objektiv zuständig ist, steht dies der Wirksamkeit der Weiterleitung nicht entgegen. Der Rehabilitationsträ-ger, dem der Antrag zugeleitet wird, hat vielmehr unabhängig von der tatsächlichen Zu-ständigkeit den Rehabilitationsbedarf festzustellen. Er hat deshalb gegenüber demjeni-gen, der die Leistung beantragt hat, alle denkbaren Rechtsgrundlagen – auch nach den Leistungsgesetzen anderer Träger zu prüfen – selbst wenn er für deren Leistungen nicht Rehabilitationsträger sein kann. Insoweit bleibt der zweitangegangene Träger zuständig und für die Erbringung der erforderlichen Leistungen verantwortlich, obwohl auch das Leistungsrecht des erstangegangenen Trägers maßgebend sein kann. Ausgehend hier-von hatte die Beklagte alle in Betracht kommenden Leistungsvorschriften, mithin auch solche des SGB V, zu prüfen. Auch für das Gericht gilt eine umfassende Prüfungspflicht.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der vollständigen Kosten (ohne Eigen-anteil) für das Therapiedreirad nach den Vorschriften des SGB V.
Nach § 33 Abs.1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmit-teln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu si-chern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszuglei-chen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Bei dem Dreirad des Klägers handelt es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im vorgenannten Sinne, weil es speziell für die Bedürfnisse behinder-ter Menschen konstruiert worden ist und nur von kranken und behinderten Menschen benutzt wird (zur Eigenschaft eines Gegenstandes als "Gebrauchsgegenstand des tägli-chen Lebens" vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 16.09.1999 – B 3 KR 1/99, Rn. 14, zit. nach juris ). Das Dreirad ist auch nicht durch die zu § 34 Abs. 4 SGB V erlassene Rechtsverordnung von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung aus-geschlossen.
Die Versorgung mit dem Therapiesesseldreirad durch die gesetzliche Krankenkasse kann vorliegend nur unter dem in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V normierten Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs erfolgt sein. Denn ein Anspruch auf Versorgung "zur Si-cherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" kann nicht angenommen werden. Dafür dürften nämlich ebenso wirksame, aber wirtschaftlich günstigere Alternativen zur Verfü-gung stehen. Maßnahmen oder Hilfen zur Bewegungsförderung fallen nur ausnahms-weise in die Leistungszuständigkeit der Krankenkassen. Zur Krankenbehandlung gehö-ren regelmäßig nur Maßnahmen mit Behandlungs- und Therapiecharakter, die einen eindeutigen Krankheitsbezug aufweisen. Bloße allgemeine Maßnahmen der Erhaltung und Förderung der Gesundheit genügen diesen Anforderungen nach der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts nicht, selbst wenn sie von qualifizierten Fachkräften unter ärztlicher Betreuung und Überwachung durchgeführt werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2010 – B 3 KR 5/10 R, Rn. 20 f. m.w.N., juris).
Das Dreirad ist dem Kläger dementsprechend offenbar unter dem Gesichtspunkt des Be-hinderungsausgleichs von der Krankenkasse gewährt worden. Die Ermöglichung allein des Fahrradfahrens für einen behinderten Menschen, der ein handelsübliches Fahrrad nicht benutzen kann, fällt nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversiche-rung. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht, dass der gesetzlichen Krankenversicherung die medizinische Rehabilitation obliegt, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion ein-schließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben füh-ren und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Die Förderung der Selbst-bestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Le-ben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln fällt danach nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie die Auswirkung der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben ("allgemein") beseitigt oder mildert und damit ein "Grundbedürfnis" des täglichen Lebens betrifft (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 3/02 R, Rn,. 10 m.w.N., juris). Zu derartigen Grundbe-dürfnissen gehören die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Kör-perpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperli-chen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommu-nikation mit anderen sowie das Erlernen eines Lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfassen. Auch die elementare "Bewegungsfreiheit" wird als Grundbe-dürfnis anerkannt (vgl. BSG a.a.O., Rn. 11, juris). Es wird bei Gesunden durch die Fähig-keit des Gehens, Laufens, Stehens etc. sichergestellt. Ist diese Fähigkeit durch eine Be-hinderung beeinträchtigt, so richtet sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels in erster Li-nie danach, ob dadurch der Bewegungsradius in diesem Umfang erweitert wird, dem ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht.(vgl. BSG, a.a.O., Rn. 12, juris). In der Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen, zumindest bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres lassen sich die Lebensbereiche allerdings nicht in der Weise trennen, wie bei Erwachsenen, nämlich in die Bereiche Beruf, Gesellschaft und Freizeit. Das Bundessozialgericht hat deshalb stets nicht nur die Teilnahme am allgemeinen Schulun-terricht als Grundbedürfnis von Kindern und Jugendlichen angesehen, sondern auch ein Grundbedürfnis in der Teilnahme an der sonstigen üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses. Der durch die Hilfsmittelver-sorgung anzustrebende Behinderungsausgleich ist auf eine möglichst weitgehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet. Er setzt nicht voraus, dass das begehrte Hilfsmittel nachweislich unver-zichtbar ist, eine Isolation des Kindes zu verhindern. Denn der Integrationsprozess ist ein multifaktorielles Geschehen, bei dem die einzelnen Faktoren nicht isoliert betrachtet und bewertet werden können. Es reicht deshalb bei Kindern und Jugendlichen aus, wenn durch das begehrte Hilfsmittel die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft wesentlich gefördert wird (vgl.BSG, a.a.O., Rn. 13, juris).
Da dem Kläger aufgrund seiner Behinderung eine Teilnahme an vielen der üblichen Be-tätigungen Gleichaltriger nicht möglich ist, ist ihm das Dreirad von der Krankenkasse un-ter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ge-währt worden. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch gegen die AOK Plus auf Gewäh-rung des Hilfsmittels, d.h. des Dreirades ohne Eigenbeteiligung. Denn bei aufgrund von § 33 SGB V gewährten Hilfsmitteln, die neben ihrer Zweckbestimmung im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ersetzen (hier: Fahrrad) haben die Versicherten einen Eigenanteil für ersparte Aufwendungen in Höhe des wirtschaftlichen Wertes des ersetzten Gebrauchsgegenstandes selbst zu tragen (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2010 – B 3 KR 5/10 R, Rn. 28, juris). Wirtschaftlicher Maßstab hier-für sind die durchschnittlichen Anschaffungskosten für ein handelsübliches Marken-fahrrad für Kinder bzw. Jugendliche mit zwei Rädern (vgl. BSG a.a.O.) Insoweit ist der von der AOK Plus festgelegte Betrag von 255,00 EUR nach den Ermittlungen des Gerichts in einschlägigen Internetportalen nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme des von der Krankenkasse nicht getragenen Eigenanteils in Höhe von 255,00 EUR. Als Rechtsgrundla-ge für den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils kommt inso-weit nur § 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Nr. 7 SGB IX in Betracht.
Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistun-gen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Auf-gabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Men-schen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Ge-sundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Le-bensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Ge-sellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 55 SGB IX werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 – 6 des SGB IX nicht erbracht werden. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX gehört zu den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft insbesondere die Versorgung mit Hilfsmitteln, die nicht bereits durch die Versorgung mit Körperersatzstücken sowie orthopädischen und ande-ren Hilfsmitteln nach § 31 SGB IX oder durch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsle-ben nach § 33 SGB IX erfasst sind. Der Kläger ist zwar, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist und keiner näheren Erör-terung bedarf, aufgrund seiner Behinderung in der Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzu-haben, eingeschränkt. Ein Leistungsanspruch gegen die Beklagten kommt wegen § 55 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 SGB IX gleichwohl nicht in Betracht.
Mit der Gewährung des Therapiedreirades ist von der Krankenkasse im Rahmen der Er-füllung des Grundbedürfnisses zugleich auch die Integration des behinderten Klägers in das Lebensumfeld nicht behinderter Jugendliche, mithin also auch die Teilhabe am Le-ben in der Gemeinschaft und damit der Rehabilitationszweck des § 55 Abs. 1 SGB IX er-füllt worden. Da das Therapiedreirad bereits nach dem Vierten Kapitel des SGB IX von der Krankenkasse erbracht worden ist, kommen weitere diesbezügliche Leistungen der Beklagten nicht in Betracht. Die Beklagte ist insbesondere kein "Auffang-Rehabilitationsträger" für Leistungen, die nach den Vorschriften anderer Gesetze nicht gewährt werden können.
Die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln im Sinne der medizinischen Rehabilitation (§ 31 SGB IX) und der sozialen Rehabilitation (§ 55 Abs. 2 SGB IX) ist nicht am Begriff des Hilfsmittels selbst vorzunehmen. Maßgebend ist vielmehr, welche Bedürfnisse mit dem Hilfsmittel befriedigt werden sollen, also welchen Zwecken und Zielen das Hilfsmittel dienen soll (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 32/07 R, Rn. 17, m.w.N., juris). Da sich die Lebensbereiche in der Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen nicht in der Weise trennen lassen wie bei Erwachsenen, nämlich in die Bereiche Beruf, Ge-sellschaft und Freizeit (s.o.), ist der durch die Hilfsmittelversorgung mit einem Therapie-dreirad anzustrebende Behinderungsausgleich im Rahmen der gesetzlichen Kranken-versicherung auf eine möglichst weitgehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet (s o.). Vor diesem Hintergrund stellt das von der Krankenversicherung gewährte Hilfsmittel nicht nur ein Hilfsmittel im Sinne der medizinischen Rehabilitation, sondern zugleich ein Hilfsmittel der sozialen Rehabilitation dar, mit der Folge, dass gemäß § 55 Abs. 1 SGB IX i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX neben der Rehabilitationsleistung der Krankenversicherung keine weiteren Leis-tungen der Beklagten in Betracht kommen. Die Zuständigkeit der Krankenkasse ist inso-weit abschießend, da sie durch die Gewährung des Therapiedreirades als Leistung der medizinischen Rehabilitation auch Belange der sozialen Rehabilitation erfüllt hat.
Sofern der Kläger geltend macht, dass er nicht über die notwendigen finanziellen Mittel zur Aufbringung des Eigenanteils i. H. v. 255,00 EUR verfüge und seine Eltern im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stünden, vermag dies keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Soweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kosten für ein handelsübliches Fahrrad aus den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft jeweils gewährten Regelbedarfen zu bestreiten wären. Insoweit ist dem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, dass das Dreirad des Klägers ein von Gesunden benutztes han-delsübliches Zweirad ersetzt. Für ein solches wären weder vom Leistungsträger nach dem SGB II noch vom Leistungsträger nach dem SGB XII gesondert Leistungen zu er-bringen.
Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung folgt aus § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme des Eigenanteils für ein von der Kranken-versicherung als Hilfsmittel bewilligtes Therapiedreirad streitig.
Der am 26.09.2004 geborene Kläger leidet unter anderem an einem CDG-Syndrom und einer spastischen Hemiparese. Auf seinen Antrag bewilligte die AOK Plus, Gesundheits-kasse für Sachsen und Thüringen, dem Kläger mit Bescheid vom 13.08.2013 finanzielle Mittel für ein Therapiesesseldreirad in Höhe von 3.161,40 EUR. Es sei jedoch ein Eigenan-teil in Höhe von 255,00 EUR zu leisten. Mit Schreiben vom 02.09.2014 machte der Kläger gegenüber der AOK Plus geltend, dass es sich bei dem Therapiesesseldreirad auch um eine Leistung zur Teilhabe nach § 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) handele und ein Eigenanteil nicht anfallen dürfe. Er bat um entsprechende Überprüfung und be-antragte vorsorglich auch die Gewährung des Therapiesesseldreirades zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Mit Schreiben vom 03.09.2014, welches am 08.09.2014 bei der Beklagten einging, leitete die AOK Plus das Schreiben des Klägers vom 02.09.2014 an die Beklagte weiter und gab zur Begründung an, dass nach ihrer Prüfung die Beklagte für den Antrag des Klägers zuständig sei.
Mit Bescheid vom 12.09.2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Ein-gliederungshilfe in Form der Kostenübernahme des Eigenanteils für das Therapieses-seldreirad ab. Zur Begründung gab sie an, der Eigenanteil sei der Betrag, den der Versi-cherte zu den Kosten eines Hilfsmittels zuzahlen müsse. Der Eigenanteil entspreche dem Betrag, den der Versicherte hätte ausgeben müssen, wenn er das Produkt ohne medizinisch notwendige Versorgung gekauft hätte. Das bedeute, dass der Kläger mit die-sem Betrag ein Dreirad hätte kaufen können, wenn er kein spezifisches Therapiesessel-dreirad benötigen würde. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehöre die Versor-gung mit Hilfsmitteln, die als Leistung der medizinischen Rehabilitation zu erbringen wä-re. Leistungen der medizinischen Rehabilitation entsprächen aber jeweils den Rehabili-tationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die bei der gesetzlichen Kran-kenversicherung geltenden Festpreise für Hilfsmittel hätten auch für die Hilfsmitteler-bringung durch die Sozialhilfe Geltung. Eigenanteile, die aufgrund der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu leisten sei-en, könnten deshalb nicht Bestandteile der Eingliederungshilfe sein. Dementsprechend könne über den Festbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus keine Kos-tenübernahme für die Versorgung mit einem Therapiesesseldreirad als medizinische Rehabilitationsleistung im Rahmen der Eingliederungshilfe erfolgen.
Hiergegen legte der Kläger am 20.09.2014 Widerspruch ein und machte geltend, dass die faktische Leistung des Therapiesesseldreirades durch den zu leistenden Eigenanteil in Höhe von 255,00 EUR gefährdet sei. Insofern bestehe noch ein sozialrechtlicher Hilfebe-darf.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2014 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation genau den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprächen. Eine Übernahme des Eigenanteils im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII könne bereits aus diesem Grund nicht erfolgen. Denn Eigenanteile, die aufgrund der Vorschriften des SGB V geleistet werden müssten, seien keine Bestandteile der Einglie-derungshilfe. Sozialhilfe erhalte gemäß § 2 SGB XII nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen Sozialleistungsträgern erhalte. In diesem Sinne sei dem Kläger bereits durch die gesetzliche Krankenversicherung als vorrangigem Sozialleistungsträger die erforderliche Hilfe als Festzuschuss unter Anrechnung eines Eigenanteils gewährt wor-den.
Mit der am 03.12.2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger das auf die Übernahme des Eigenanteils für das Therapiesesseldreirad gerichtete Begehren weiter. Er trägt vor, § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sehe ausdrücklich vor, dass Leistungen zur Teilhabe neben ande-ren Sozialleistungen erbracht werden könnten. Insoweit sei ein Nebeneinander von Leistungen nach dem SGB IX und dem SGB V möglich. Ein Therapiesesseldreirad kön-ne sowohl ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB V als auch ein Hilfsmittel im Sinne von § 31 SGB IX sein. Es diene vor allem zur Integration in den Kreis Gleichaltriger und sei somit eine Leistung zur Teilhabe. Der Anspruch gegen die Beklagte beruhe gerade nicht auf den die medizinischen Rehabilitation betreffenden Regelungen des Kapitels 4 in Teil 1 des SGB IX, sondern auf den Vorschriften über die Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft, mithin auf den Regelungen des Kapitels 7 in Teil 1 des SGB IX. Darüber hinaus stünden die Leistungsbeschränkungen des SGB V einer Leistungspflicht im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht entgegen. Die Abgren-zung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur sozialen Re-habilitation erfolge nämlich nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegen-ständen. Entscheidend sei vielmehr der Leistungszweck. Leistungszwecke des SGB V bzw. der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation könnten sich überschneiden. Die Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Ge-meinschaft sei mit der Zwecksetzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversiche-rung nicht identisch.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 30.10.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Eigenan-teil zur Anschaffung eines Therapiesesseldreirades in Höhe von 255,00 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides und trägt ergänzend vor, dass der beantragte Gegenstand als Hilfsmittel nach § 33 SGB V dekla-riert und bewilligt worden und aus medizinischer und rechtlicher Sicht auch als solcher zu beurteilen sei. Sofern der Kläger die Auffassung vertrete, dass es sich bei dem Thera-piesesseldreirad um eine Leistung zur Teilhabe nach § 55 SGB IX handele, sei er darauf zu verweisen, dass er Rechtsmittel gegen den Bescheid der AOK hätte einlegen können bzw. das Widerspruchsverfahren hätte weiter verfolgen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug ge-nommen, der Gegentand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 12.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2014 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichts-gesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils für das von der AOK Plus als Hilfsmittel bewilligte Therapiedreirad in Höhe von 255,00 EUR gegen die Beklagte.
Die Beklagte ist für die Entscheidung über die begehrte Leistung zuständig. Die Zustän-digkeit ergibt sich aus § 14 Abs. 2 SGB IX, da die AOK Plus den Antrag des Klägers un-verzüglich i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX an die Beklagte weitergeleitet hat. Denn mit der Weiterleitung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX wird die Zuständigkeit gesetzlich be-stimmt. Der zweitangegangene Träger darf den Antrag bei unverzüglicher Weiterleitung weder zurückgeben, noch an einen anderen Rehabilitationsträger weiterleiten. Selbst wenn "eigentlich" der weiterleitende, also der erstangegangene Träger objektiv zuständig ist, steht dies der Wirksamkeit der Weiterleitung nicht entgegen. Der Rehabilitationsträ-ger, dem der Antrag zugeleitet wird, hat vielmehr unabhängig von der tatsächlichen Zu-ständigkeit den Rehabilitationsbedarf festzustellen. Er hat deshalb gegenüber demjeni-gen, der die Leistung beantragt hat, alle denkbaren Rechtsgrundlagen – auch nach den Leistungsgesetzen anderer Träger zu prüfen – selbst wenn er für deren Leistungen nicht Rehabilitationsträger sein kann. Insoweit bleibt der zweitangegangene Träger zuständig und für die Erbringung der erforderlichen Leistungen verantwortlich, obwohl auch das Leistungsrecht des erstangegangenen Trägers maßgebend sein kann. Ausgehend hier-von hatte die Beklagte alle in Betracht kommenden Leistungsvorschriften, mithin auch solche des SGB V, zu prüfen. Auch für das Gericht gilt eine umfassende Prüfungspflicht.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der vollständigen Kosten (ohne Eigen-anteil) für das Therapiedreirad nach den Vorschriften des SGB V.
Nach § 33 Abs.1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmit-teln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu si-chern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszuglei-chen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Bei dem Dreirad des Klägers handelt es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im vorgenannten Sinne, weil es speziell für die Bedürfnisse behinder-ter Menschen konstruiert worden ist und nur von kranken und behinderten Menschen benutzt wird (zur Eigenschaft eines Gegenstandes als "Gebrauchsgegenstand des tägli-chen Lebens" vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 16.09.1999 – B 3 KR 1/99, Rn. 14, zit. nach juris ). Das Dreirad ist auch nicht durch die zu § 34 Abs. 4 SGB V erlassene Rechtsverordnung von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung aus-geschlossen.
Die Versorgung mit dem Therapiesesseldreirad durch die gesetzliche Krankenkasse kann vorliegend nur unter dem in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V normierten Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs erfolgt sein. Denn ein Anspruch auf Versorgung "zur Si-cherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" kann nicht angenommen werden. Dafür dürften nämlich ebenso wirksame, aber wirtschaftlich günstigere Alternativen zur Verfü-gung stehen. Maßnahmen oder Hilfen zur Bewegungsförderung fallen nur ausnahms-weise in die Leistungszuständigkeit der Krankenkassen. Zur Krankenbehandlung gehö-ren regelmäßig nur Maßnahmen mit Behandlungs- und Therapiecharakter, die einen eindeutigen Krankheitsbezug aufweisen. Bloße allgemeine Maßnahmen der Erhaltung und Förderung der Gesundheit genügen diesen Anforderungen nach der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts nicht, selbst wenn sie von qualifizierten Fachkräften unter ärztlicher Betreuung und Überwachung durchgeführt werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2010 – B 3 KR 5/10 R, Rn. 20 f. m.w.N., juris).
Das Dreirad ist dem Kläger dementsprechend offenbar unter dem Gesichtspunkt des Be-hinderungsausgleichs von der Krankenkasse gewährt worden. Die Ermöglichung allein des Fahrradfahrens für einen behinderten Menschen, der ein handelsübliches Fahrrad nicht benutzen kann, fällt nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversiche-rung. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht, dass der gesetzlichen Krankenversicherung die medizinische Rehabilitation obliegt, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion ein-schließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben füh-ren und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Die Förderung der Selbst-bestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Le-ben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln fällt danach nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie die Auswirkung der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben ("allgemein") beseitigt oder mildert und damit ein "Grundbedürfnis" des täglichen Lebens betrifft (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 3/02 R, Rn,. 10 m.w.N., juris). Zu derartigen Grundbe-dürfnissen gehören die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Kör-perpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperli-chen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommu-nikation mit anderen sowie das Erlernen eines Lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfassen. Auch die elementare "Bewegungsfreiheit" wird als Grundbe-dürfnis anerkannt (vgl. BSG a.a.O., Rn. 11, juris). Es wird bei Gesunden durch die Fähig-keit des Gehens, Laufens, Stehens etc. sichergestellt. Ist diese Fähigkeit durch eine Be-hinderung beeinträchtigt, so richtet sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels in erster Li-nie danach, ob dadurch der Bewegungsradius in diesem Umfang erweitert wird, dem ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß erreicht.(vgl. BSG, a.a.O., Rn. 12, juris). In der Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen, zumindest bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres lassen sich die Lebensbereiche allerdings nicht in der Weise trennen, wie bei Erwachsenen, nämlich in die Bereiche Beruf, Gesellschaft und Freizeit. Das Bundessozialgericht hat deshalb stets nicht nur die Teilnahme am allgemeinen Schulun-terricht als Grundbedürfnis von Kindern und Jugendlichen angesehen, sondern auch ein Grundbedürfnis in der Teilnahme an der sonstigen üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses. Der durch die Hilfsmittelver-sorgung anzustrebende Behinderungsausgleich ist auf eine möglichst weitgehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet. Er setzt nicht voraus, dass das begehrte Hilfsmittel nachweislich unver-zichtbar ist, eine Isolation des Kindes zu verhindern. Denn der Integrationsprozess ist ein multifaktorielles Geschehen, bei dem die einzelnen Faktoren nicht isoliert betrachtet und bewertet werden können. Es reicht deshalb bei Kindern und Jugendlichen aus, wenn durch das begehrte Hilfsmittel die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft wesentlich gefördert wird (vgl.BSG, a.a.O., Rn. 13, juris).
Da dem Kläger aufgrund seiner Behinderung eine Teilnahme an vielen der üblichen Be-tätigungen Gleichaltriger nicht möglich ist, ist ihm das Dreirad von der Krankenkasse un-ter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ge-währt worden. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch gegen die AOK Plus auf Gewäh-rung des Hilfsmittels, d.h. des Dreirades ohne Eigenbeteiligung. Denn bei aufgrund von § 33 SGB V gewährten Hilfsmitteln, die neben ihrer Zweckbestimmung im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ersetzen (hier: Fahrrad) haben die Versicherten einen Eigenanteil für ersparte Aufwendungen in Höhe des wirtschaftlichen Wertes des ersetzten Gebrauchsgegenstandes selbst zu tragen (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2010 – B 3 KR 5/10 R, Rn. 28, juris). Wirtschaftlicher Maßstab hier-für sind die durchschnittlichen Anschaffungskosten für ein handelsübliches Marken-fahrrad für Kinder bzw. Jugendliche mit zwei Rädern (vgl. BSG a.a.O.) Insoweit ist der von der AOK Plus festgelegte Betrag von 255,00 EUR nach den Ermittlungen des Gerichts in einschlägigen Internetportalen nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme des von der Krankenkasse nicht getragenen Eigenanteils in Höhe von 255,00 EUR. Als Rechtsgrundla-ge für den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils kommt inso-weit nur § 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Nr. 7 SGB IX in Betracht.
Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistun-gen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Auf-gabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Men-schen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Ge-sundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Le-bensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Ge-sellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 55 SGB IX werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 – 6 des SGB IX nicht erbracht werden. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX gehört zu den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft insbesondere die Versorgung mit Hilfsmitteln, die nicht bereits durch die Versorgung mit Körperersatzstücken sowie orthopädischen und ande-ren Hilfsmitteln nach § 31 SGB IX oder durch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsle-ben nach § 33 SGB IX erfasst sind. Der Kläger ist zwar, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist und keiner näheren Erör-terung bedarf, aufgrund seiner Behinderung in der Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzu-haben, eingeschränkt. Ein Leistungsanspruch gegen die Beklagten kommt wegen § 55 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 SGB IX gleichwohl nicht in Betracht.
Mit der Gewährung des Therapiedreirades ist von der Krankenkasse im Rahmen der Er-füllung des Grundbedürfnisses zugleich auch die Integration des behinderten Klägers in das Lebensumfeld nicht behinderter Jugendliche, mithin also auch die Teilhabe am Le-ben in der Gemeinschaft und damit der Rehabilitationszweck des § 55 Abs. 1 SGB IX er-füllt worden. Da das Therapiedreirad bereits nach dem Vierten Kapitel des SGB IX von der Krankenkasse erbracht worden ist, kommen weitere diesbezügliche Leistungen der Beklagten nicht in Betracht. Die Beklagte ist insbesondere kein "Auffang-Rehabilitationsträger" für Leistungen, die nach den Vorschriften anderer Gesetze nicht gewährt werden können.
Die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln im Sinne der medizinischen Rehabilitation (§ 31 SGB IX) und der sozialen Rehabilitation (§ 55 Abs. 2 SGB IX) ist nicht am Begriff des Hilfsmittels selbst vorzunehmen. Maßgebend ist vielmehr, welche Bedürfnisse mit dem Hilfsmittel befriedigt werden sollen, also welchen Zwecken und Zielen das Hilfsmittel dienen soll (vgl. BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 32/07 R, Rn. 17, m.w.N., juris). Da sich die Lebensbereiche in der Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen nicht in der Weise trennen lassen wie bei Erwachsenen, nämlich in die Bereiche Beruf, Ge-sellschaft und Freizeit (s.o.), ist der durch die Hilfsmittelversorgung mit einem Therapie-dreirad anzustrebende Behinderungsausgleich im Rahmen der gesetzlichen Kranken-versicherung auf eine möglichst weitgehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet (s o.). Vor diesem Hintergrund stellt das von der Krankenversicherung gewährte Hilfsmittel nicht nur ein Hilfsmittel im Sinne der medizinischen Rehabilitation, sondern zugleich ein Hilfsmittel der sozialen Rehabilitation dar, mit der Folge, dass gemäß § 55 Abs. 1 SGB IX i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX neben der Rehabilitationsleistung der Krankenversicherung keine weiteren Leis-tungen der Beklagten in Betracht kommen. Die Zuständigkeit der Krankenkasse ist inso-weit abschießend, da sie durch die Gewährung des Therapiedreirades als Leistung der medizinischen Rehabilitation auch Belange der sozialen Rehabilitation erfüllt hat.
Sofern der Kläger geltend macht, dass er nicht über die notwendigen finanziellen Mittel zur Aufbringung des Eigenanteils i. H. v. 255,00 EUR verfüge und seine Eltern im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) stünden, vermag dies keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Soweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kosten für ein handelsübliches Fahrrad aus den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft jeweils gewährten Regelbedarfen zu bestreiten wären. Insoweit ist dem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, dass das Dreirad des Klägers ein von Gesunden benutztes han-delsübliches Zweirad ersetzt. Für ein solches wären weder vom Leistungsträger nach dem SGB II noch vom Leistungsträger nach dem SGB XII gesondert Leistungen zu er-bringen.
Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung folgt aus § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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