Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
32
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 32 SO 128/11
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 2.923,80 Euro zu zahlen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 2.923,80 Euro festgesetzt. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung der von ihr aufgewendeten Sozialhilfeleistungen für eine Frühförderung in einer Pflegefamilie.
Die am 1984 geborene lebte gemeinsam mit ihren Kindern, den am 2007 geborenen Zwillingen und bis Anfang Januar 2008 in einer Obdachlosenunterkunft in , Landkreis Lüneburg. Am 05.01.2008 zog sie mit ihren Kindern in das Mutter-Kind-Heim der in ,. Ab 11.07.2008 gewährte die Klägerin den beiden Kindern im Rahmen von Eingliederungshilfe mobile Frühförderung durch die GmbH mit einer Einheit pro Woche in der Einrichtung. Ab 21.09.2009 wurde das Kind in einer Kurzzeitpflegefamilie übernommen. Am 01.05.2010 wurde die Kurzzeitpflege in eine Vollzeitpflege umgewandelt.
Die Kindesmutter lebte noch bis zum 30.09.2009 ohne ihre Kinder in der Mutter-Kind-Einrichtung der. Danach wurde sie als obdachlos entlassen. Seit dem 15.10.2009 lebt sie im Übergangshaus im in.
Mit Schreiben vom 09.03.2009 machte die Klägerin erstmals die Erstattung der Kosten der Frühförderung der Kinder gegenüber dem Beklagten geltend. Mit Schreiben vom 22.05.2009 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung ab. Daraufhin verfolgte die Klägerin ihren Anspruch zunächst nicht weiter.
Mit Schreiben vom 03.06.2010 machte die Klägerin erneut einen Kostenerstattungsanspruch geltend. Sie vertrat die Auffassung, dass die Zuständigkeit für die Kostenübernahme der Frühförderung gemäß § 107 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Verbindung mit § 98 Abs. 2 SGB XII bei dem für den letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Kindesmutter zuständigen Sozialhilfeträger liege. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Kindesmutter sei in und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gewesen.
Mit Schreiben vom 10.06.2010 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung erneut ab.
Mit dem am 24.05.2011 beim Sozialgericht Lübeck eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Klage auf Zahlung der für das Kind in der Zeit vom 10.06.2010 bis zum 17.03.2011 für die Frühförderung erbrachten Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 2.923,80 Euro erhoben. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Der Beklage habe die Kosten der Frühförderung des Kindes in der Pflegefamilie in dem streitbefangenen Zeitraum zu erstatten. Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit bezüglich der Kosten der Frühförderung sei nach diesen Vorschriften der gewöhnliche Aufenthalt der Kindesmutter zum Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes in die Pflegefamilie. § 107 SGB XII entspreche inhaltsgleich dem § 104 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Nach § 104 BSHG sei die örtliche Sozialhilfezuständigkeit nicht auf eine bestimmte Sozialleistungsmaßnahme bezogen, sondern allein abhängig von der Unterbringung in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil. Der gewöhnliche Aufenthalt der Kindesmutter sei vor dem 05.01.2008 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten begründet gewesen, da die Familie in gewohnt habe. Gemäß § 105 SGB X bestünde ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Frühförderung ab 10.06.2010. Das Schreiben vom 03.06.2010 mit dem die Kostenerstattung geltend gemacht worden sei, sei spätestens am 10.06.2010 bei dem Beklagten eingegangen. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 10.06.2010 und dann mit Schreiben vom 02.05.2011 die Kostenerstattung abgelehnt.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr 2.923,80 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Eine örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergebe sich jedenfalls nicht aus §§ 107, 98 Abs. 2 SGB XII. Nach § 107 SGB XII gelte § 98 Abs. 2 SGB XII entsprechend. Diese Vorschrift begründe allerdings nur einen Kostenanspruch für stationäre Leistungen. Dem Wortlaut könne insoweit entnommen werden, dass damit solche Leistungen nicht abgedeckt seien, die außerhalb der Einrichtung entstünden, wie z. B. die Kosten eines Behindertenfahrdienstes oder der ambulanten Krankenhilfe. Die örtliche Zuständigkeit für ambulante Leistungen richte sich bei den über den bloßen Einrichtungsaufenthalt hinausgehenden Leistungen ausschließlich nach § 98 Abs. 1 SGB XII, so dass insoweit die Zuständigkeit der Klägerin bestehe. Die Kosten der streitgegenständlichen Frühförderung würden von einem mobilen Dienst außerhalb der Pflegefamilie erbracht. Auf solche Leistungen erstrecke sich dann der Anwendungsbereich des § 98 SGB XII nicht. Bei Leistungen, die zwar während des Aufenthalts in der Pflegefamilie entstünden, aber auch außerhalb der Pflegefamilie erforderlich wären, könne es sich nicht um eine stationäre Leistung im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII handeln. Die Rechtsprechung zu § 97 Abs. 2 BSHG könne nicht auf die Neuregelung in § 98 SGB XII übertragen werden. § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG habe vorgesehen, dass die Zuständigkeit für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung der örtliche Zuständigkeit bei dem vorigen Träger bleiben solle. § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII stelle demgegenüber nicht auf eine Hilfeform ab, sondern auf eine konkrete Leistung, nämlich die stationäre Leistung. Aus den §§ 8, 9 SGB XII ergebe sich, dass der Gesetzgeber zwischen Leistung und Hilfe differenziere. Dementsprechend müsse auch nach der Systematik des Gesetzes davon ausgegangen werden, dass es sich bei der stationären Leistung des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ausschließlich um die Leistung nach § 35 SGB XII handele und eine Anwendung auf Leistungen der Eingliederungshilfe unzulässig sei.
Der Kammer haben neben der Gerichtsakte die den streitbefangenen Vorgang betreffenden Verwaltungsakten der Klägerin (1 Bd.) und des Beklagten (1 Bd.) vorgelegen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist als (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Klägerin hat ihre Begehren zu Recht mit einer Leistungsklage geltend gemacht, da die Beteiligten nicht in einem Über- bzw. Unterordnungsverhältnis stehen. Es handelt sich vielmehr um ein Gleichordnungsverhältnis, in dem ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte (vgl. Meyer-Ladewig u. a., SGG, 10. Auflage, § 54 Rn. 41). Auch die weiteren Voraussetzungen der Leistungsklage liegen vor. Insbesondere ist das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben, da der Beklagte weiterhin eine Kostenerstattung ablehnt.
Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der für das Kind in der Zeit vom 10.06.2010 bis zum 17.03.2011 erbachten Sozialhilfeaufwendungen wegen Frühförderung in der Pflegefamilie in Höhe von 2.923,80 Euro.
Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB X liegen vor. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen und soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Dieser Tatbestand ist hier erfüllt. Für die in dem streitbefangenen Zeitraum erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Frühförderung war nicht die Klägerin, sondern der Beklagte sachlich und örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 107 in Verbindung mit § 98 Abs. 2 SGB XII. Nach § 107 SGB XII gilt § 98 Abs. 2 SGB XII entsprechend, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil untergebracht ist. Diese Voraussetzungen lagen in dem streitbefangenen Zeitraum vor. Das Kind war bei einer anderen Familie als bei seinen Eltern bzw. seiner Mutter untergebracht. Es befand sich in einer Vollzeitpflegefamilie.
Gemäß § 107 in Verbindung mit § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist für die Leistungen der Familienpflege nach § 107 SGB XII der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich das Kind bzw. der Jugendliche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt des Beginns der Familienpflege hatte oder in den 2 Monaten vor Beginn der Familienpflege zuletzt gehabt hatte (Böttiger in Juris PK § 107 SGB XII, Rn 39). Danach ist der Beklagte örtlich zuständig. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Kindes war in und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Dort hatte die Familie in einer Obdachlosenunterkunft gewohnt. Der Aufenthalt der Familie in der Mutter-Kind-Einrichtung der in L konnte gemäß § 109 SGB XII keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Nach dieser Vorschrift gilt der Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne von § 98 Abs. 2 nicht als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des 12. Kapitels des SGB XII und damit des § 98 SGB XII.
Die Zuständigkeit für die Leistungen bei Unterbringung in einer anderen Familie nach § 107 SGB XII erstreckt sich auf alle rechtmäßig erbrachten Sozialhilfeleistungen in der Zeit, in der das Kind oder der Jugendliche in der Pflegefamilie untergebracht ist (Böttiger in juris PK-SGB XII § 107 SGB XII Rn. 46). Das gilt auch für die so genannten Zusammenhangskosten, also z.B. Kosten für die Leistungen der Eingliederungshilfe an Kinder oder Jugendliche, die neben bzw. außerhalb der Hilfe in der Familienpflegestelle erbracht werden (a. a. O.; Schellhorn u.a., SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 107 Rn 15; so wohl auch Mergler/Zink, SGB XII, § 107 Rn. 21). Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Leistung diesem Buch entspricht. Eine Einschränkung des Umfangs der Kostenerstattung sieht diese Vorschrift nicht vor. Vor diesem Hintergrund ist § 107 SGB XII als spezielle Zuständigkeitsvorschrift, die insoweit § 98 Abs. 2 SGB XII vorgeht, zu werten. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob § 98 Abs. 2 SGB XII auch die so genannten Zusammenhangskosten umfasst (so Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rn. 55; a. A.: Hauck/Noftz, SGB XII, § 98 Rn. 58; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage, § 98 Rn. 17). Jedenfalls für Leistungen während der Unterbringung in einer anderen Familie nach § 107 SGB XII umfasst die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers des letzten gewöhnlichen Aufenthalts sämtliche während des Aufenthalts in der Familie gewährten Leistungen. Dieses Ergebnis entspricht auch der Auslegung des § 104 BSHG durch die Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 17.12.2003 – 5 C 14/02 – juris; VG Magdeburg, Urteil vom 20.03.2007 – 6 A 346/04 – juris). § 104 BSHG ist inhaltsgleich in das SGB XII übernommen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass im Rahmen der Übernahme in das neue Gesetz eine Änderung des Regelungsinhalts der Norm vorgenommen werden sollte.
Diese Auslegung des § 107 SGB XII entspricht auch dem Zweck dieser Norm. Zweck der Vorschrift ist es, dem Träger am Ort der Familienpflege von den entsprechenden Kosten zu entlasten und diese demjenigen Träger aufzuerlegen, der auch für eine Kostentragung im Falle der stationären Versorgung des Kindes bzw. des Jugendlichen in einer Einrichtung zuständig wäre. Nach Sinn und Zweck der Regelung soll der Träger der Sozialhilfe am Ort einer Unterbringung von den Zufälligkeiten des mit dieser Lage verknüpften tatsächlichen Aufenthaltsorts eines Hilfebedürftigen entlastet werden (Böttiger in juris PK - SGB XII § 107 SGB XII, Rn. 8, 8.1).
Der Anspruch der Klägerin ist auch in dem geltend gemachten Umfang begründet. Die Höhe der in dem streitbefangenen Zeitraum ihr aufgewendeten Kosten ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Der Zulassung der Berufung bedurfte es gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, da es sich um eine Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts handelt und der Wert des Beschwerdegegenstandes 10.000,00 Euro nicht übersteigt.
Richter am Sozialgericht
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung der von ihr aufgewendeten Sozialhilfeleistungen für eine Frühförderung in einer Pflegefamilie.
Die am 1984 geborene lebte gemeinsam mit ihren Kindern, den am 2007 geborenen Zwillingen und bis Anfang Januar 2008 in einer Obdachlosenunterkunft in , Landkreis Lüneburg. Am 05.01.2008 zog sie mit ihren Kindern in das Mutter-Kind-Heim der in ,. Ab 11.07.2008 gewährte die Klägerin den beiden Kindern im Rahmen von Eingliederungshilfe mobile Frühförderung durch die GmbH mit einer Einheit pro Woche in der Einrichtung. Ab 21.09.2009 wurde das Kind in einer Kurzzeitpflegefamilie übernommen. Am 01.05.2010 wurde die Kurzzeitpflege in eine Vollzeitpflege umgewandelt.
Die Kindesmutter lebte noch bis zum 30.09.2009 ohne ihre Kinder in der Mutter-Kind-Einrichtung der. Danach wurde sie als obdachlos entlassen. Seit dem 15.10.2009 lebt sie im Übergangshaus im in.
Mit Schreiben vom 09.03.2009 machte die Klägerin erstmals die Erstattung der Kosten der Frühförderung der Kinder gegenüber dem Beklagten geltend. Mit Schreiben vom 22.05.2009 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung ab. Daraufhin verfolgte die Klägerin ihren Anspruch zunächst nicht weiter.
Mit Schreiben vom 03.06.2010 machte die Klägerin erneut einen Kostenerstattungsanspruch geltend. Sie vertrat die Auffassung, dass die Zuständigkeit für die Kostenübernahme der Frühförderung gemäß § 107 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Verbindung mit § 98 Abs. 2 SGB XII bei dem für den letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Kindesmutter zuständigen Sozialhilfeträger liege. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Kindesmutter sei in und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gewesen.
Mit Schreiben vom 10.06.2010 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung erneut ab.
Mit dem am 24.05.2011 beim Sozialgericht Lübeck eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Klage auf Zahlung der für das Kind in der Zeit vom 10.06.2010 bis zum 17.03.2011 für die Frühförderung erbrachten Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 2.923,80 Euro erhoben. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Der Beklage habe die Kosten der Frühförderung des Kindes in der Pflegefamilie in dem streitbefangenen Zeitraum zu erstatten. Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit bezüglich der Kosten der Frühförderung sei nach diesen Vorschriften der gewöhnliche Aufenthalt der Kindesmutter zum Zeitpunkt der Aufnahme des Kindes in die Pflegefamilie. § 107 SGB XII entspreche inhaltsgleich dem § 104 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Nach § 104 BSHG sei die örtliche Sozialhilfezuständigkeit nicht auf eine bestimmte Sozialleistungsmaßnahme bezogen, sondern allein abhängig von der Unterbringung in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil. Der gewöhnliche Aufenthalt der Kindesmutter sei vor dem 05.01.2008 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten begründet gewesen, da die Familie in gewohnt habe. Gemäß § 105 SGB X bestünde ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Frühförderung ab 10.06.2010. Das Schreiben vom 03.06.2010 mit dem die Kostenerstattung geltend gemacht worden sei, sei spätestens am 10.06.2010 bei dem Beklagten eingegangen. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 10.06.2010 und dann mit Schreiben vom 02.05.2011 die Kostenerstattung abgelehnt.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr 2.923,80 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Eine örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergebe sich jedenfalls nicht aus §§ 107, 98 Abs. 2 SGB XII. Nach § 107 SGB XII gelte § 98 Abs. 2 SGB XII entsprechend. Diese Vorschrift begründe allerdings nur einen Kostenanspruch für stationäre Leistungen. Dem Wortlaut könne insoweit entnommen werden, dass damit solche Leistungen nicht abgedeckt seien, die außerhalb der Einrichtung entstünden, wie z. B. die Kosten eines Behindertenfahrdienstes oder der ambulanten Krankenhilfe. Die örtliche Zuständigkeit für ambulante Leistungen richte sich bei den über den bloßen Einrichtungsaufenthalt hinausgehenden Leistungen ausschließlich nach § 98 Abs. 1 SGB XII, so dass insoweit die Zuständigkeit der Klägerin bestehe. Die Kosten der streitgegenständlichen Frühförderung würden von einem mobilen Dienst außerhalb der Pflegefamilie erbracht. Auf solche Leistungen erstrecke sich dann der Anwendungsbereich des § 98 SGB XII nicht. Bei Leistungen, die zwar während des Aufenthalts in der Pflegefamilie entstünden, aber auch außerhalb der Pflegefamilie erforderlich wären, könne es sich nicht um eine stationäre Leistung im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII handeln. Die Rechtsprechung zu § 97 Abs. 2 BSHG könne nicht auf die Neuregelung in § 98 SGB XII übertragen werden. § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG habe vorgesehen, dass die Zuständigkeit für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung der örtliche Zuständigkeit bei dem vorigen Träger bleiben solle. § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII stelle demgegenüber nicht auf eine Hilfeform ab, sondern auf eine konkrete Leistung, nämlich die stationäre Leistung. Aus den §§ 8, 9 SGB XII ergebe sich, dass der Gesetzgeber zwischen Leistung und Hilfe differenziere. Dementsprechend müsse auch nach der Systematik des Gesetzes davon ausgegangen werden, dass es sich bei der stationären Leistung des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ausschließlich um die Leistung nach § 35 SGB XII handele und eine Anwendung auf Leistungen der Eingliederungshilfe unzulässig sei.
Der Kammer haben neben der Gerichtsakte die den streitbefangenen Vorgang betreffenden Verwaltungsakten der Klägerin (1 Bd.) und des Beklagten (1 Bd.) vorgelegen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist als (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Klägerin hat ihre Begehren zu Recht mit einer Leistungsklage geltend gemacht, da die Beteiligten nicht in einem Über- bzw. Unterordnungsverhältnis stehen. Es handelt sich vielmehr um ein Gleichordnungsverhältnis, in dem ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte (vgl. Meyer-Ladewig u. a., SGG, 10. Auflage, § 54 Rn. 41). Auch die weiteren Voraussetzungen der Leistungsklage liegen vor. Insbesondere ist das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben, da der Beklagte weiterhin eine Kostenerstattung ablehnt.
Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der für das Kind in der Zeit vom 10.06.2010 bis zum 17.03.2011 erbachten Sozialhilfeaufwendungen wegen Frühförderung in der Pflegefamilie in Höhe von 2.923,80 Euro.
Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB X liegen vor. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen und soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Dieser Tatbestand ist hier erfüllt. Für die in dem streitbefangenen Zeitraum erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Frühförderung war nicht die Klägerin, sondern der Beklagte sachlich und örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 107 in Verbindung mit § 98 Abs. 2 SGB XII. Nach § 107 SGB XII gilt § 98 Abs. 2 SGB XII entsprechend, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil untergebracht ist. Diese Voraussetzungen lagen in dem streitbefangenen Zeitraum vor. Das Kind war bei einer anderen Familie als bei seinen Eltern bzw. seiner Mutter untergebracht. Es befand sich in einer Vollzeitpflegefamilie.
Gemäß § 107 in Verbindung mit § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist für die Leistungen der Familienpflege nach § 107 SGB XII der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich das Kind bzw. der Jugendliche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt des Beginns der Familienpflege hatte oder in den 2 Monaten vor Beginn der Familienpflege zuletzt gehabt hatte (Böttiger in Juris PK § 107 SGB XII, Rn 39). Danach ist der Beklagte örtlich zuständig. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Kindes war in und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Dort hatte die Familie in einer Obdachlosenunterkunft gewohnt. Der Aufenthalt der Familie in der Mutter-Kind-Einrichtung der in L konnte gemäß § 109 SGB XII keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Nach dieser Vorschrift gilt der Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne von § 98 Abs. 2 nicht als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des 12. Kapitels des SGB XII und damit des § 98 SGB XII.
Die Zuständigkeit für die Leistungen bei Unterbringung in einer anderen Familie nach § 107 SGB XII erstreckt sich auf alle rechtmäßig erbrachten Sozialhilfeleistungen in der Zeit, in der das Kind oder der Jugendliche in der Pflegefamilie untergebracht ist (Böttiger in juris PK-SGB XII § 107 SGB XII Rn. 46). Das gilt auch für die so genannten Zusammenhangskosten, also z.B. Kosten für die Leistungen der Eingliederungshilfe an Kinder oder Jugendliche, die neben bzw. außerhalb der Hilfe in der Familienpflegestelle erbracht werden (a. a. O.; Schellhorn u.a., SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 107 Rn 15; so wohl auch Mergler/Zink, SGB XII, § 107 Rn. 21). Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Leistung diesem Buch entspricht. Eine Einschränkung des Umfangs der Kostenerstattung sieht diese Vorschrift nicht vor. Vor diesem Hintergrund ist § 107 SGB XII als spezielle Zuständigkeitsvorschrift, die insoweit § 98 Abs. 2 SGB XII vorgeht, zu werten. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob § 98 Abs. 2 SGB XII auch die so genannten Zusammenhangskosten umfasst (so Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rn. 55; a. A.: Hauck/Noftz, SGB XII, § 98 Rn. 58; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage, § 98 Rn. 17). Jedenfalls für Leistungen während der Unterbringung in einer anderen Familie nach § 107 SGB XII umfasst die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers des letzten gewöhnlichen Aufenthalts sämtliche während des Aufenthalts in der Familie gewährten Leistungen. Dieses Ergebnis entspricht auch der Auslegung des § 104 BSHG durch die Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 17.12.2003 – 5 C 14/02 – juris; VG Magdeburg, Urteil vom 20.03.2007 – 6 A 346/04 – juris). § 104 BSHG ist inhaltsgleich in das SGB XII übernommen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass im Rahmen der Übernahme in das neue Gesetz eine Änderung des Regelungsinhalts der Norm vorgenommen werden sollte.
Diese Auslegung des § 107 SGB XII entspricht auch dem Zweck dieser Norm. Zweck der Vorschrift ist es, dem Träger am Ort der Familienpflege von den entsprechenden Kosten zu entlasten und diese demjenigen Träger aufzuerlegen, der auch für eine Kostentragung im Falle der stationären Versorgung des Kindes bzw. des Jugendlichen in einer Einrichtung zuständig wäre. Nach Sinn und Zweck der Regelung soll der Träger der Sozialhilfe am Ort einer Unterbringung von den Zufälligkeiten des mit dieser Lage verknüpften tatsächlichen Aufenthaltsorts eines Hilfebedürftigen entlastet werden (Böttiger in juris PK - SGB XII § 107 SGB XII, Rn. 8, 8.1).
Der Anspruch der Klägerin ist auch in dem geltend gemachten Umfang begründet. Die Höhe der in dem streitbefangenen Zeitraum ihr aufgewendeten Kosten ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Kammer hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Der Zulassung der Berufung bedurfte es gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, da es sich um eine Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts handelt und der Wert des Beschwerdegegenstandes 10.000,00 Euro nicht übersteigt.
Richter am Sozialgericht
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