Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 153/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine von Anfang an fehlerhafte, vorläufige Bewilligung kann auch ohne Anfechtung des vorläufigen Bescheides Vertrauensschutz begründen. Eine Korrektur des Fehlers im Rahmen der endgültigen Bewilligung ist dann nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X möglich.
Eine vorläufige Bewilligung nach § 41a SGB II zieht für die endgültige Berechnung eine Durchschnittsbildung aller im Bewilligungszeitraum erzielten Einkünfte nach sich. Für eine einschränkende Auslegung (Begrenzung auf schwankendes Erwerbseinkommen) ist angesichts des klaren Wortlauts der Norm und der Beratungen zum Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch kein Raum.
Eine vorläufige Bewilligung nach § 41a SGB II zieht für die endgültige Berechnung eine Durchschnittsbildung aller im Bewilligungszeitraum erzielten Einkünfte nach sich. Für eine einschränkende Auslegung (Begrenzung auf schwankendes Erwerbseinkommen) ist angesichts des klaren Wortlauts der Norm und der Beratungen zum Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch kein Raum.
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 10.8.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2017 verurteilt, Leistungen für die Zeit vom 1.3. bis 31.5.2016 ohne Anrechnung anteiligen Mutterschaftsgeldes zu gewähren. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 10.8.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2017 verurteilt, Leistungen für September 2016 unter Ansatz einer Durchschnittsberechnung nach § 41a Abs. 4 SGB II zu gewähren. Der Beklagte erstattet 2/3 der außergerichtlichen Kosten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die endgültige Leistungsberechnung nach vorläufiger Bewilligung.
Die Kläger bezogen als 3-Personen-Bedarfsgemeinschaft (BG) im Bewilligungszeitraum September 2015 bis Februar 2016 SGB II-Leistungen, ergänzend zu Erwerbseinkommen des Klägers zu 2) und Kindergeld des 2013 geb. Klägers zu 3).
Im Oktober 2015 wurde das zweite Kind der Kläger zu 1) und 2) geboren (Kläger zu 4)). In einem Änderungsbescheid vom 7.12.2015 waren zunächst Leistungen für den Kläger zu 4) ohne das noch nicht gewährte Kindergeld und ohne Elterngeld bewilligt worden.
Mutterschaftsgeld erhielt die Klägerin zu 1) sowohl für den Zeitraum vor (646 EUR) als auch nach (832 EUR) der Geburt des Klägers zu 4) im November 2015 ausgezahlt. Das Elterngeld wurde ab dem 3. Lebensmonat in Höhe von 300 EUR + 75 EUR Geschwisterbonus gewährt. Für den letzten Lebensmonat (27.9. bis 26.10.2016) stand der Klägerin zu 1) noch der Grundbetrag von 300 EUR zu.
Die Informationen über den Bezug des Elterngeldes und die November-Zahlung des Mutterschaftsgeldes lagen dem Beklagten im Januar 2016 vor.
Auf einen Fortzahlungsantrag für den Bewilligungsabschnitt März bis August 2016 bewilligte der Beklagte vorläufig nach § 40 SGB II i.V.m. § 328 SGB III Leistungen unter Ansatz eines Erwerbseinkommens des Klägers zu 2) in Höhe von 950 EUR brutto/757,86 EUR netto, Elterngeld in Höhe von 287,68 EUR monatlich (=375 EUR Elterngeld abzüglich 57,32 EUR Freibetrag aus früherer Erwerbstätigkeit der Klägerin zu 1) abzüglich 30 EUR Versicherungspauschale), sowie 190 EUR Kindergeld für den Kläger zu 3).
Die bloß vorläufige Bewilligung war im Bescheid vom 23.2.2016 mit den noch vorzulegenden Einkommensnachweisen des Klägers zu 2) begründet worden.
Das Mutterschaftsgeld nach der Geburt des zweiten Kindes hatte der Beklagte zunächst in einer Summe im Monat November 2015 angerechnet (Bescheid vom 20.6.2016), auf Widerspruch dann aber auf eine Anrechnung mit 1/6-Beträgen, beginnend ab Dezember 2015 erkannt.
Die Auszahlung des Kindergeldes für den Kläger zu 4) ab Juli 2016 hatte der Beklagte mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 20.6.2016 umgesetzt.
Für den Bewilligungsabschnitt September 2016 bis Februar 2017 waren ebenfalls "bis zur Vorlage aller Einkommensnachweise" nur vorläufige Leistungen nach § 41a Abs. 1 SGB II bewilligt worden (Bescheid vom 23.8.2016). Grundlage der vorläufigen Bewilligung war ein Erwerbseinkommen des Klägers zu 2) in Höhe von 950 EUR brutto/757,86 EUR netto, Elterngeld in Höhe von 212,68 EUR (=300 EUR Elterngeld abzüglich 57,32 EUR Freibetrag aus früherer Erwerbstätigkeit der Klägerin zu 1) abzüglich 30 EUR Versicherungspauschale) im September 2016, sowie 380 EUR Kindergeld.
Ab November 2016 weitete der Kläger zu 2) seine Tätigkeit aus, was der Beklagte mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 10.11.2016 für die Monate Dezember 2016 bis Februar 2017 umsetzte (Einkommen in Höhe von 1.150 EUR brutto/889,17 EUR netto).
Eine Mieterhöhung ab Januar 2017 und eine Betriebskosten-Nachforderung flossen in einen Änderungsbescheid vom 23.2.2017 ein.
Die endgültige Bewilligung für den Zeitraum März bis August 2016 verfügte der Beklagte in Form einer monatsgenauen Einkommensanrechnung:
• Erwerbseinkommen monatlich mit 950 EUR brutto/757,86 EUR netto • 1/6 Mutterschaftsgeld (229,67 EUR) in den Monaten März bis Mai 2016 • Elterngeld in Höhe von monatlich 287,68 EUR • Kindergeld für den Kläger zu 3) in Höhe von 190 EUR • Kindergeld für den Kläger zu 2) ab Juli in Höhe von 190 EUR.
Der gegen den endgültigen Bewilligungsbescheid erhobene Widerspruch, gerichtet auf eine nach § 41a SGB II gebotene Durchschnittsberechnung aller Einkommen, blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 6.12.2017 machte der Beklagte geltend, eine Durchschnittsberechnung müsse nur für schwankendes Erwerbseinkommen erfolgen; die Kläger hätten durchgehend feststehende Einkünfte erzielt.
Die hiergegen am 4.1.2018 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage (S 34 AS 152/18) ist zur Klage S 37 AS 153/18 verbunden worden, deren Gegenstand die endgültige Bewilligung für den Zeitraum September 2016 bis Februar 2017 ist. Auch insoweit war gegen die monatsgenaue Abrechnung mit Bescheid vom 10.8.2017:
• Erwerbseinkommen monatlich mit 950 EUR brutto/757,86 EUR netto für September bis November 2016 und mit 1.150 EUR brutto/889,17 EUR netto ab Dezember 2016 • Elterngeld in Höhe von 212,68 EUR im September 2016 • Kindergeld von jeweils 190 EUR von September bis Dezember 2016 und von jeweils 192 EUR für Januar und Februar 2017
im Widerspruchsverfahren vergeblich eine Durchschnittsberechnung aller Einkommen eingewandt worden (Widerspruchsbescheid vom 6.12.2017).
Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung eines tatsächlichen Zuflusses von Elterngeld im September 2016 mit zwei Beträgen (300 EUR + 375 EUR) machen die Kläger noch geltend,
- dass im Bewilligungsabschnitt März bis August 2016 das zunächst nicht berücksichtigte Mutterschaftsgeld aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht nachträglich angerechnet werden könne und - dass im Bewilligungsabschnitt September 2016 bis Februar 2017 das im September 2016 ausgezahlte Elterngeld nach § 41a Abs. 4 SGB II nur mit einem Durchschnittsbetrag von 1/6 angerechnet werden dürfe
Demgemäß beantragt der Bevollmächtigte der Kläger,
1. den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.8.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2017 zu verurteilen, Leistungen für die Zeit vom 1.3. bis 31.5.2016 ohne Anrechnung anteiligen Mutterschaftsgeldes zu gewähren;
2. den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.8.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2017 zu verurteilen, Leistungen für September 2016 unter Ansatz einer Durchschnittsberechnung nach § 41a SGB II zu gewähren.
Die Beklagtenvertreterin beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die nachgereichten Kontobelege, die beigezogenen Leistungsakten, sowie die verbundene Klageakte S 34 AS 152/18 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere war nicht zu prüfen, ob den Klägern bezüglich des Klageantrags zu 2. entgegengehalten werden kann, es fehle an einer Beschwer, da eine saldierende Berechnung der Leistungsansprüche über alle Monate hinweg geringere Leistungen ergeben würde.
Der Beklagte hat monatsgenau abgerechnet, die Kläger sind daher befugt, gezielt nur die Berechnung für einzelne Monate anzufechten, auch wenn sie dabei auf eine Berechnungsweise Bezug nehmen, der eine monatsübergreifende Saldierung inhärent ist (s. dazu BSG vom 30.3.2017 – B 14 AS 18/16 R).
Auswirkungen hat die monatsübergreifende Berechnungsweise auf die Höhe des maßgeblichen Einkommensbetrages, d. h. für die Begründung der Klage.
Wegen der horizontalen Einkommensanrechnung gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II sind auch alle vier Kläger von der begehrten Veränderung der Bedarfsberechnung betroffen, obwohl das im Streit stehende Mutterschaftsgeld und das Elterngeld Einkommen der Klägerin zu 1) sind.
Die Klage ist auch begründet:
I.
Mit dem Klageantrag zu 1. machen die Kläger zu Recht geltend, dass der Beklagte den ihm vor Erlass des vorläufigen Bewilligungsbescheides bekannt gegebenen Zufluss des Mutterschaftsgeldes mit einem einmaligen Betrag im November 2015 nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 45 SGB X noch nachträglich hätte anrechnen können.
Die für den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 23.2.2016 noch geltende Ermächtigungsgrundlage des § 328 SGB III gibt dem Beklagten nicht das Recht, einen anfänglichen Fehler (die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes als laufendes Einkommen im Zuflussmonat) im Rahmen der endgültigen Leistungsbewilligung ohne Vertrauensschutz zu korrigieren.
Das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses bei der Gewährung von Pflichtleistungen (ständige BSG-Rechtsprechung, statt vieler BSG vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R) verpflichtete den Beklagten, den bei Erlass des vorläufigen Bescheides bekannten Einkommenszufluss zu berücksichtigen. Eine noch ungeklärte Sach- oder Rechtslage bestand insoweit nicht: Mutterschaftsgeld ist kraft seiner nur gelegentlichen Auszahlung eine Einmalleistung i. S. von § 11 Abs. 3 SGB II (BayLSG vom 13.2.2014 – L 7 AS 755/13 NZB), hätte also mit 1/6-Beträgen ab Dezember 2015 angerechnet werden können und müssen – vorbehaltlich der Prüfung, ob der Betrag im März 2016 noch vorhanden war (s. dazu BSG vom 29.11.2012 – B 14 AS 33/12 R).
Auch dies – die mögliche Entreicherung – hätte der Beklagte vor Erlass der vorläufigen Bewilligung zeitnah prüfen können und müssen.
Dass er Leistungen ohne die bezeichneten Prüfungen bewilligt hatte, beruhte auf einer fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage, was nicht zu Lasten der redlichen Kläger gehen kann.
Das gilt ungeachtet der zu § 328 SGB III noch offenen Streifrage, ob Teile einer vorläufigen Bewilligungsentscheidung, bezüglich derer kein Grund für einen Vorbehalt vorliegt, endgültig bewilligt sind bzw. ob dies zumindest dann gilt, wenn sich die Begründung der Vorläufigkeit nur auf bestimmte Teile des Bescheides, z. B. ein schwankendes Erwerbseinkommen, bezieht. Denn auch wenn eine vorläufige Bewilligung nach § 328 SGB III stets alle Regelungsbestandteile umfassen sollte (s. dazu BSG vom 29.4.2015 – B 14 AS 31/14 R), ist eine vorläufige Bewilligung, die ein mitgeteiltes und anzurechnendes Einkommen unbeachtet lässt, ein von Anfang an rechtswidrig begünstigender Bescheid, der nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X geändert werden kann.
Es schadet daher nicht, dass die Kläger die Vorläufigkeit der Bewilligung im Bescheid vom 23.2.2016 nicht angefochten hatten.
Soweit die Auffassung vertreten wird, dass eine unzulässige Vorläufigkeitsklausel mangels Widerspruchs später nicht mehr angefochten werden könne (so z. B. BSG vom 15.8.2002 – B 7 AL 24/01 R), betrifft das Fälle einer Bewilligung unter Absehung einer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorläufige Leistungsgewährung (hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs). Hier dagegen hatte der Beklagte den Nachweis über den Zufluss des Mutterschaftsgeldes angefordert und erhalten und allein in Verkennung der Rechtslage ohne Berücksichtigung dieser Information eine fehlerhafte Entscheidung getroffen.
Maßstab für eine zulässige, spätere Korrektur ist daher § 45 SGB X. Eine solche Entscheidung liegt hier nicht vor. Abgesehen davon, dass die hier angefochtene, endgültige Bewilligung mit Bescheid vom 10.8.2017 nicht in eine Teilaufhebungsentscheidung nach § 45 SGB X umgedeutet werden kann, haben die Kläger weder ihre Mitteilungspflichten verletzt, noch hätte sie bei leichtester Überlegung bei Zugang des vorläufigen Bewilligungsbescheides erkennen können, dass die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes fehlerhaft unterblieben war.
Damit steht fest, dass die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes in den Monaten März, April und Mai 2016 rechtswidrig erfolgte und antragsgemäß aufgehoben werden muss. Die Kläger haben in diesem Zeitraum infolgedessen Anspruch auf entsprechend höhere Leistungen.
II.
Maßstab für die Prüfung der Einkommensanrechnung im Bewilligungsabschnitt September 2016 bis Februar 2017 ist § 41a SGB II. Dessen Absatz 4 sieht vor, dass bei der abschließenden Feststellung zunächst nur vorläufig bewilligter Leistungen, wie hier mit Bescheid vom 23.8.2016, "ein monatliches Durchschnittseinkommen" zugrunde zu legen ist – sofern, wie hier, keine der enumerativ genannten Ausnahmen vorliegt.
Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut setzt § 41a SGB II für die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens nicht voraus, dass es sich um schwankendes und über die gesamten Monate des Bewilligungsabschnitts hinweg erzieltes Erwerbseinkommen handeln muss. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung, dass mit § 41a Abs. 4 "die bislang in § 2 Absatz 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung mögliche Bildung eines Durchschnittseinkommens für die abschließende Entscheidung übernommen" werde (BT-Drs. 18/8041, S. 53), die explizite Beschränkung auf Erwerbseinkommen, wie in § 2 Abs. 3 Alg II-VO a. F., findet aber im Wortlaut des § 41a Abs. 4 ebenso wenig Niederschlag wie eine § 3 Abs. 4 Alg II-VO entsprechende Regelung zur Durchschnittsbildung von Einkommen, das nur in einzelnen Monate des Bewilligungsabschnitts erzielt wird.
Mit Blick auf § 4 Alg II-VO kann auch allein mit Verweis auf eine Ablöseregelung zu § 2 Abs. 3 Alg II-VO nicht auf eine Beschränkung der Durchschnittsbildung gemäß § 41a Abs. 4 auf Erwerbseinkommen geschlossen werden. Es ist vielmehr so, dass die in § 41a Abs. 4 zur Pflicht erklärte Durchschnittsberechnung allein an die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung anknüpft.
Die mittlerweile in den Durchführungshinweisen der BA erfolgte Beschränkung der Durchschnittsberechnung auf schwankendes Erwerbseinkommen macht durchaus Sinn, ist aber als Reaktion auf den massiven Missmut der Rechtsanwender auf die völlig missratene Regelung des § 41a SGB II zu werten. Für eine "teleologische Reduktion", d. h. die Schließung einer Regelungslücke oder eines vom Gesetzgeber übersehenen Regelungsdefizits ist angesichts der ausführlichen Beratungen im Gesetzgebungsverfahren kein Raum.
Die Art und Weise der Einkommensanrechnung berührt keine Grundrechtsbelange, die eine einschränkende Norminterpretation gebieten. Es bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten, die, gemessen am Ziel einer Verwaltungsvereinfachung, grotesk unbefriedigende Gesetzesfassung zu korrigieren, wenn dies gewollt ist; bis dahin sind die damit verbundenen Konsequenzen hinzunehmen.
Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass ungeachtet vom Zeitpunkt des Zuflusses und der Einkommensart eine Verteilung sämtlicher Einkünfte über den sechsmonatigen Bewilligungsabschnitt hinweg zu erfolgen hat.
Ausweislich der überreichten Unterlagen und Kontobelege hat der Kläger zu 2) Erwerbseinkommen erhalten von:
September 950,00 EUR brutto 757,86 EUR netto Oktober 690,91 EUR brutto 551,17 EUR netto November 950,00 EUR brutto 757,86 EUR netto Dezember 1.150,00 EUR brutto 896,25 EUR netto Januar 1.150,00 EUR brutto 896,25 EUR netto Februar 1.150,00 EUR brutto 898,15 EUR netto
Ergibt einen Durchschnittsbetrag von 1.006,82 EUR brutto/792,93 EUR netto, abzüglich der Freibeträge sind demnach 512,25 EUR anzurechnen.
Der im Januar 2017 überwiesen Bonus vom Energieversorger (insgesamt 125 EUR) bleibt nach § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II anrechnungsfrei; es handelt sich um eine freiwillige Leistung, deren Erhalt die Lage der Kläger nicht so günstig beeinflusst, dass der Bezug von SGB II-Leistungen daneben nicht gerechtfertigt wäre.
Ausweislich der überreichten Unterlagen und Kontobelege hat die Klägerin zu 2) Einkommen erhalten von:
September 300 EUR + 375 EUR Elterngeld
Nach § 6 BEEG wird Elterngeld im Laufe des Monats gezahlt, für den es bestimmt ist. Wegen der lebensmonatlichen Zahlweise sind beide Zahlungen als laufendes Einkommen anzurechnen. Letztlich kommt es darauf nicht an, weil auch Einmaleinkommen in die Durchschnittsberechnung nach § 41a Abs. 4 SGB II einbezogen wird, so dass der Gesamtbetrag abzüglich 2 x 57,32 EUR Freibetrag: 6 Monate den monatlichen Anrechnungsbetrag von 63,39 EUR (= 93,39 EUR abzüglich 30 EUR Versicherungspauschale) ergibt.
Für die beiden Kinder sind monatlich jeweils 190,67 EUR anzurechnen [(4 x 190 EUR + 2 x 192 EUR): 6 Monate].
Statt der berücksichtigten 487,86 EUR Erwerbseinkommen, 212,68 EUR Elterngeld und 380 EUR Kindergeld sind daher anzurechnen: 512,25 EUR Erwerbseinkommen, 63,39 EUR Elterngeld und jeweils 190,67 EUR Kindergeld.
Danach haben die Kläger Anspruch auf höhere Leistungen im September 2016.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt der Beschränkung der Klageanträge Rechnung.
Die Berufung wird zugelassen. Der Rechtstreit ist wegen der strittigen Auslegung zur Durchschnittsberechnung in § 41a Abs. 4 SGB II von allgemeiner Bedeutung.
Tatbestand:
Streitig ist die endgültige Leistungsberechnung nach vorläufiger Bewilligung.
Die Kläger bezogen als 3-Personen-Bedarfsgemeinschaft (BG) im Bewilligungszeitraum September 2015 bis Februar 2016 SGB II-Leistungen, ergänzend zu Erwerbseinkommen des Klägers zu 2) und Kindergeld des 2013 geb. Klägers zu 3).
Im Oktober 2015 wurde das zweite Kind der Kläger zu 1) und 2) geboren (Kläger zu 4)). In einem Änderungsbescheid vom 7.12.2015 waren zunächst Leistungen für den Kläger zu 4) ohne das noch nicht gewährte Kindergeld und ohne Elterngeld bewilligt worden.
Mutterschaftsgeld erhielt die Klägerin zu 1) sowohl für den Zeitraum vor (646 EUR) als auch nach (832 EUR) der Geburt des Klägers zu 4) im November 2015 ausgezahlt. Das Elterngeld wurde ab dem 3. Lebensmonat in Höhe von 300 EUR + 75 EUR Geschwisterbonus gewährt. Für den letzten Lebensmonat (27.9. bis 26.10.2016) stand der Klägerin zu 1) noch der Grundbetrag von 300 EUR zu.
Die Informationen über den Bezug des Elterngeldes und die November-Zahlung des Mutterschaftsgeldes lagen dem Beklagten im Januar 2016 vor.
Auf einen Fortzahlungsantrag für den Bewilligungsabschnitt März bis August 2016 bewilligte der Beklagte vorläufig nach § 40 SGB II i.V.m. § 328 SGB III Leistungen unter Ansatz eines Erwerbseinkommens des Klägers zu 2) in Höhe von 950 EUR brutto/757,86 EUR netto, Elterngeld in Höhe von 287,68 EUR monatlich (=375 EUR Elterngeld abzüglich 57,32 EUR Freibetrag aus früherer Erwerbstätigkeit der Klägerin zu 1) abzüglich 30 EUR Versicherungspauschale), sowie 190 EUR Kindergeld für den Kläger zu 3).
Die bloß vorläufige Bewilligung war im Bescheid vom 23.2.2016 mit den noch vorzulegenden Einkommensnachweisen des Klägers zu 2) begründet worden.
Das Mutterschaftsgeld nach der Geburt des zweiten Kindes hatte der Beklagte zunächst in einer Summe im Monat November 2015 angerechnet (Bescheid vom 20.6.2016), auf Widerspruch dann aber auf eine Anrechnung mit 1/6-Beträgen, beginnend ab Dezember 2015 erkannt.
Die Auszahlung des Kindergeldes für den Kläger zu 4) ab Juli 2016 hatte der Beklagte mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 20.6.2016 umgesetzt.
Für den Bewilligungsabschnitt September 2016 bis Februar 2017 waren ebenfalls "bis zur Vorlage aller Einkommensnachweise" nur vorläufige Leistungen nach § 41a Abs. 1 SGB II bewilligt worden (Bescheid vom 23.8.2016). Grundlage der vorläufigen Bewilligung war ein Erwerbseinkommen des Klägers zu 2) in Höhe von 950 EUR brutto/757,86 EUR netto, Elterngeld in Höhe von 212,68 EUR (=300 EUR Elterngeld abzüglich 57,32 EUR Freibetrag aus früherer Erwerbstätigkeit der Klägerin zu 1) abzüglich 30 EUR Versicherungspauschale) im September 2016, sowie 380 EUR Kindergeld.
Ab November 2016 weitete der Kläger zu 2) seine Tätigkeit aus, was der Beklagte mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 10.11.2016 für die Monate Dezember 2016 bis Februar 2017 umsetzte (Einkommen in Höhe von 1.150 EUR brutto/889,17 EUR netto).
Eine Mieterhöhung ab Januar 2017 und eine Betriebskosten-Nachforderung flossen in einen Änderungsbescheid vom 23.2.2017 ein.
Die endgültige Bewilligung für den Zeitraum März bis August 2016 verfügte der Beklagte in Form einer monatsgenauen Einkommensanrechnung:
• Erwerbseinkommen monatlich mit 950 EUR brutto/757,86 EUR netto • 1/6 Mutterschaftsgeld (229,67 EUR) in den Monaten März bis Mai 2016 • Elterngeld in Höhe von monatlich 287,68 EUR • Kindergeld für den Kläger zu 3) in Höhe von 190 EUR • Kindergeld für den Kläger zu 2) ab Juli in Höhe von 190 EUR.
Der gegen den endgültigen Bewilligungsbescheid erhobene Widerspruch, gerichtet auf eine nach § 41a SGB II gebotene Durchschnittsberechnung aller Einkommen, blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 6.12.2017 machte der Beklagte geltend, eine Durchschnittsberechnung müsse nur für schwankendes Erwerbseinkommen erfolgen; die Kläger hätten durchgehend feststehende Einkünfte erzielt.
Die hiergegen am 4.1.2018 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage (S 34 AS 152/18) ist zur Klage S 37 AS 153/18 verbunden worden, deren Gegenstand die endgültige Bewilligung für den Zeitraum September 2016 bis Februar 2017 ist. Auch insoweit war gegen die monatsgenaue Abrechnung mit Bescheid vom 10.8.2017:
• Erwerbseinkommen monatlich mit 950 EUR brutto/757,86 EUR netto für September bis November 2016 und mit 1.150 EUR brutto/889,17 EUR netto ab Dezember 2016 • Elterngeld in Höhe von 212,68 EUR im September 2016 • Kindergeld von jeweils 190 EUR von September bis Dezember 2016 und von jeweils 192 EUR für Januar und Februar 2017
im Widerspruchsverfahren vergeblich eine Durchschnittsberechnung aller Einkommen eingewandt worden (Widerspruchsbescheid vom 6.12.2017).
Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung eines tatsächlichen Zuflusses von Elterngeld im September 2016 mit zwei Beträgen (300 EUR + 375 EUR) machen die Kläger noch geltend,
- dass im Bewilligungsabschnitt März bis August 2016 das zunächst nicht berücksichtigte Mutterschaftsgeld aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht nachträglich angerechnet werden könne und - dass im Bewilligungsabschnitt September 2016 bis Februar 2017 das im September 2016 ausgezahlte Elterngeld nach § 41a Abs. 4 SGB II nur mit einem Durchschnittsbetrag von 1/6 angerechnet werden dürfe
Demgemäß beantragt der Bevollmächtigte der Kläger,
1. den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.8.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2017 zu verurteilen, Leistungen für die Zeit vom 1.3. bis 31.5.2016 ohne Anrechnung anteiligen Mutterschaftsgeldes zu gewähren;
2. den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.8.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2017 zu verurteilen, Leistungen für September 2016 unter Ansatz einer Durchschnittsberechnung nach § 41a SGB II zu gewähren.
Die Beklagtenvertreterin beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die nachgereichten Kontobelege, die beigezogenen Leistungsakten, sowie die verbundene Klageakte S 34 AS 152/18 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere war nicht zu prüfen, ob den Klägern bezüglich des Klageantrags zu 2. entgegengehalten werden kann, es fehle an einer Beschwer, da eine saldierende Berechnung der Leistungsansprüche über alle Monate hinweg geringere Leistungen ergeben würde.
Der Beklagte hat monatsgenau abgerechnet, die Kläger sind daher befugt, gezielt nur die Berechnung für einzelne Monate anzufechten, auch wenn sie dabei auf eine Berechnungsweise Bezug nehmen, der eine monatsübergreifende Saldierung inhärent ist (s. dazu BSG vom 30.3.2017 – B 14 AS 18/16 R).
Auswirkungen hat die monatsübergreifende Berechnungsweise auf die Höhe des maßgeblichen Einkommensbetrages, d. h. für die Begründung der Klage.
Wegen der horizontalen Einkommensanrechnung gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II sind auch alle vier Kläger von der begehrten Veränderung der Bedarfsberechnung betroffen, obwohl das im Streit stehende Mutterschaftsgeld und das Elterngeld Einkommen der Klägerin zu 1) sind.
Die Klage ist auch begründet:
I.
Mit dem Klageantrag zu 1. machen die Kläger zu Recht geltend, dass der Beklagte den ihm vor Erlass des vorläufigen Bewilligungsbescheides bekannt gegebenen Zufluss des Mutterschaftsgeldes mit einem einmaligen Betrag im November 2015 nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 45 SGB X noch nachträglich hätte anrechnen können.
Die für den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 23.2.2016 noch geltende Ermächtigungsgrundlage des § 328 SGB III gibt dem Beklagten nicht das Recht, einen anfänglichen Fehler (die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes als laufendes Einkommen im Zuflussmonat) im Rahmen der endgültigen Leistungsbewilligung ohne Vertrauensschutz zu korrigieren.
Das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses bei der Gewährung von Pflichtleistungen (ständige BSG-Rechtsprechung, statt vieler BSG vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R) verpflichtete den Beklagten, den bei Erlass des vorläufigen Bescheides bekannten Einkommenszufluss zu berücksichtigen. Eine noch ungeklärte Sach- oder Rechtslage bestand insoweit nicht: Mutterschaftsgeld ist kraft seiner nur gelegentlichen Auszahlung eine Einmalleistung i. S. von § 11 Abs. 3 SGB II (BayLSG vom 13.2.2014 – L 7 AS 755/13 NZB), hätte also mit 1/6-Beträgen ab Dezember 2015 angerechnet werden können und müssen – vorbehaltlich der Prüfung, ob der Betrag im März 2016 noch vorhanden war (s. dazu BSG vom 29.11.2012 – B 14 AS 33/12 R).
Auch dies – die mögliche Entreicherung – hätte der Beklagte vor Erlass der vorläufigen Bewilligung zeitnah prüfen können und müssen.
Dass er Leistungen ohne die bezeichneten Prüfungen bewilligt hatte, beruhte auf einer fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage, was nicht zu Lasten der redlichen Kläger gehen kann.
Das gilt ungeachtet der zu § 328 SGB III noch offenen Streifrage, ob Teile einer vorläufigen Bewilligungsentscheidung, bezüglich derer kein Grund für einen Vorbehalt vorliegt, endgültig bewilligt sind bzw. ob dies zumindest dann gilt, wenn sich die Begründung der Vorläufigkeit nur auf bestimmte Teile des Bescheides, z. B. ein schwankendes Erwerbseinkommen, bezieht. Denn auch wenn eine vorläufige Bewilligung nach § 328 SGB III stets alle Regelungsbestandteile umfassen sollte (s. dazu BSG vom 29.4.2015 – B 14 AS 31/14 R), ist eine vorläufige Bewilligung, die ein mitgeteiltes und anzurechnendes Einkommen unbeachtet lässt, ein von Anfang an rechtswidrig begünstigender Bescheid, der nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X geändert werden kann.
Es schadet daher nicht, dass die Kläger die Vorläufigkeit der Bewilligung im Bescheid vom 23.2.2016 nicht angefochten hatten.
Soweit die Auffassung vertreten wird, dass eine unzulässige Vorläufigkeitsklausel mangels Widerspruchs später nicht mehr angefochten werden könne (so z. B. BSG vom 15.8.2002 – B 7 AL 24/01 R), betrifft das Fälle einer Bewilligung unter Absehung einer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorläufige Leistungsgewährung (hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs). Hier dagegen hatte der Beklagte den Nachweis über den Zufluss des Mutterschaftsgeldes angefordert und erhalten und allein in Verkennung der Rechtslage ohne Berücksichtigung dieser Information eine fehlerhafte Entscheidung getroffen.
Maßstab für eine zulässige, spätere Korrektur ist daher § 45 SGB X. Eine solche Entscheidung liegt hier nicht vor. Abgesehen davon, dass die hier angefochtene, endgültige Bewilligung mit Bescheid vom 10.8.2017 nicht in eine Teilaufhebungsentscheidung nach § 45 SGB X umgedeutet werden kann, haben die Kläger weder ihre Mitteilungspflichten verletzt, noch hätte sie bei leichtester Überlegung bei Zugang des vorläufigen Bewilligungsbescheides erkennen können, dass die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes fehlerhaft unterblieben war.
Damit steht fest, dass die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes in den Monaten März, April und Mai 2016 rechtswidrig erfolgte und antragsgemäß aufgehoben werden muss. Die Kläger haben in diesem Zeitraum infolgedessen Anspruch auf entsprechend höhere Leistungen.
II.
Maßstab für die Prüfung der Einkommensanrechnung im Bewilligungsabschnitt September 2016 bis Februar 2017 ist § 41a SGB II. Dessen Absatz 4 sieht vor, dass bei der abschließenden Feststellung zunächst nur vorläufig bewilligter Leistungen, wie hier mit Bescheid vom 23.8.2016, "ein monatliches Durchschnittseinkommen" zugrunde zu legen ist – sofern, wie hier, keine der enumerativ genannten Ausnahmen vorliegt.
Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut setzt § 41a SGB II für die Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens nicht voraus, dass es sich um schwankendes und über die gesamten Monate des Bewilligungsabschnitts hinweg erzieltes Erwerbseinkommen handeln muss. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung, dass mit § 41a Abs. 4 "die bislang in § 2 Absatz 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung mögliche Bildung eines Durchschnittseinkommens für die abschließende Entscheidung übernommen" werde (BT-Drs. 18/8041, S. 53), die explizite Beschränkung auf Erwerbseinkommen, wie in § 2 Abs. 3 Alg II-VO a. F., findet aber im Wortlaut des § 41a Abs. 4 ebenso wenig Niederschlag wie eine § 3 Abs. 4 Alg II-VO entsprechende Regelung zur Durchschnittsbildung von Einkommen, das nur in einzelnen Monate des Bewilligungsabschnitts erzielt wird.
Mit Blick auf § 4 Alg II-VO kann auch allein mit Verweis auf eine Ablöseregelung zu § 2 Abs. 3 Alg II-VO nicht auf eine Beschränkung der Durchschnittsbildung gemäß § 41a Abs. 4 auf Erwerbseinkommen geschlossen werden. Es ist vielmehr so, dass die in § 41a Abs. 4 zur Pflicht erklärte Durchschnittsberechnung allein an die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung anknüpft.
Die mittlerweile in den Durchführungshinweisen der BA erfolgte Beschränkung der Durchschnittsberechnung auf schwankendes Erwerbseinkommen macht durchaus Sinn, ist aber als Reaktion auf den massiven Missmut der Rechtsanwender auf die völlig missratene Regelung des § 41a SGB II zu werten. Für eine "teleologische Reduktion", d. h. die Schließung einer Regelungslücke oder eines vom Gesetzgeber übersehenen Regelungsdefizits ist angesichts der ausführlichen Beratungen im Gesetzgebungsverfahren kein Raum.
Die Art und Weise der Einkommensanrechnung berührt keine Grundrechtsbelange, die eine einschränkende Norminterpretation gebieten. Es bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten, die, gemessen am Ziel einer Verwaltungsvereinfachung, grotesk unbefriedigende Gesetzesfassung zu korrigieren, wenn dies gewollt ist; bis dahin sind die damit verbundenen Konsequenzen hinzunehmen.
Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass ungeachtet vom Zeitpunkt des Zuflusses und der Einkommensart eine Verteilung sämtlicher Einkünfte über den sechsmonatigen Bewilligungsabschnitt hinweg zu erfolgen hat.
Ausweislich der überreichten Unterlagen und Kontobelege hat der Kläger zu 2) Erwerbseinkommen erhalten von:
September 950,00 EUR brutto 757,86 EUR netto Oktober 690,91 EUR brutto 551,17 EUR netto November 950,00 EUR brutto 757,86 EUR netto Dezember 1.150,00 EUR brutto 896,25 EUR netto Januar 1.150,00 EUR brutto 896,25 EUR netto Februar 1.150,00 EUR brutto 898,15 EUR netto
Ergibt einen Durchschnittsbetrag von 1.006,82 EUR brutto/792,93 EUR netto, abzüglich der Freibeträge sind demnach 512,25 EUR anzurechnen.
Der im Januar 2017 überwiesen Bonus vom Energieversorger (insgesamt 125 EUR) bleibt nach § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II anrechnungsfrei; es handelt sich um eine freiwillige Leistung, deren Erhalt die Lage der Kläger nicht so günstig beeinflusst, dass der Bezug von SGB II-Leistungen daneben nicht gerechtfertigt wäre.
Ausweislich der überreichten Unterlagen und Kontobelege hat die Klägerin zu 2) Einkommen erhalten von:
September 300 EUR + 375 EUR Elterngeld
Nach § 6 BEEG wird Elterngeld im Laufe des Monats gezahlt, für den es bestimmt ist. Wegen der lebensmonatlichen Zahlweise sind beide Zahlungen als laufendes Einkommen anzurechnen. Letztlich kommt es darauf nicht an, weil auch Einmaleinkommen in die Durchschnittsberechnung nach § 41a Abs. 4 SGB II einbezogen wird, so dass der Gesamtbetrag abzüglich 2 x 57,32 EUR Freibetrag: 6 Monate den monatlichen Anrechnungsbetrag von 63,39 EUR (= 93,39 EUR abzüglich 30 EUR Versicherungspauschale) ergibt.
Für die beiden Kinder sind monatlich jeweils 190,67 EUR anzurechnen [(4 x 190 EUR + 2 x 192 EUR): 6 Monate].
Statt der berücksichtigten 487,86 EUR Erwerbseinkommen, 212,68 EUR Elterngeld und 380 EUR Kindergeld sind daher anzurechnen: 512,25 EUR Erwerbseinkommen, 63,39 EUR Elterngeld und jeweils 190,67 EUR Kindergeld.
Danach haben die Kläger Anspruch auf höhere Leistungen im September 2016.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt der Beschränkung der Klageanträge Rechnung.
Die Berufung wird zugelassen. Der Rechtstreit ist wegen der strittigen Auslegung zur Durchschnittsberechnung in § 41a Abs. 4 SGB II von allgemeiner Bedeutung.
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