Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SO 1498/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2149/18 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Juni 2018 abgeändert.
Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin über den 31. Mai 2018 hinaus bis zum 31. Juli 2018 vorläufig Leistungen gemäß dem Bescheid vom 28. Mai 2013 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Gegenstand des am 30. Mai 2018 beim Sozialgericht Mannheim (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist in der Sache das Begehren der Antragstellerin auf Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im bisherigen Umfang über den 31. April 2018 hinaus. Die 1960 geborene Antragstellerin leidet an einer spastischen Tetraplegie bei komplettem Querschnittssyndrom C6 nach Verkehrsunfall 1979. Mit Bescheid vom 28. Mai 2013 bewilligte ihr das Landratsamt R. die Kostenübernahme einer ambulanten Betreuung durch den Pflegedienst i. von Juni 2013 bis Mai 2015. Diese Leistungsbewilligung wurde bis zum 30. September 2015 verlängert. Mit Bescheid vom 12. August 2015, dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 17. August 2015 zugestellt (Bl. 276 Verwaltungsakten), bewilligte ihr der Antragsgegner "mit Wirkung vom" 1. Oktober 2015 Leistungen der Hilfe zur Pflege in geringerer Höhe. Der Bescheid enthielt den Zusatz, die Hilfe werde monatlich weiterbewilligt, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 17. September 2015 Widerspruch.
Im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes schlossen die Beteiligten im Dezember 2015 im Beschwerdeverfahren L 7 SO 4373/15 ER-B beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg folgenden außergerichtlichen Vergleich:
1. Die Abklärung einer Inkontinenz und von Schluck- und Hustenstörung erfolgt durch einen neutralen Arzt. 2. Auf Basis der neutralen ärztlichen Beurteilung bewertet der Antragsgegner den pflegerischen Hilfebedarf der Antragstellerin neu. 3. Nach der Hilfebedarfsermittlung erlässt der Antragsgegner einen Widerspruchsbescheid. 4. Der Antragsgegner gewährt der Antragstellerin vorläufig Leistungen gemäß dem Bescheid vom 28.05.2013 über den 30.09.2015 hinaus bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides. 5. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt und stellen die Kostenentscheidung in das Ermessen des Gerichts.
Nach Durchführung weiterer Sachverhaltsermittlungen erlies der Antragsgegner am 19. März 2018 einen Bescheid mit folgenden Verfügungssätzen: 1. Auf ihren Widerspruch vom 17.09.2017 hebe ich meinen Bewilligungsbescheid vom 12.08.2015 auf. 2. Die zu Ihrer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens werden übernommen. Die Zuziehung eines Rechtsanwaltes wird als notwendig anerkannt. 3. Die aufgrund des Vergleichs vom 28.12.2015 ab dem 01.10.2015 erfolgende vorläufige Leistungsgewährung in dem Umfang des Bewilligungsbescheides des R. vom 28.05.2013 wird bis zum 31.05.2018 verlängert und für endgültig erklärt. 4. Für den Monat Juni 2018 wird Ihnen Hilfe zur Pflege durch Übernahme der Kosten eines ambulanten Pflegedienstes für eine 24-Stunden-Betreuung bewilligt und auf einen maximalen Monatsbetrag von 9.000,00 EUR begrenzt.
In dem Bescheid wird weiter ausgeführt, die Hilfe werde Monat für Monat weiterbewilligt, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Bescheid enthält zu Verfügungssatz 3 folgende Begründung: "In dem im Rahmen des Eilverfahrens geschlossenen Vergleichs habe ich mich verpflichtet, über den 30.09.2015 hinaus bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides Hilfe zur Pflege gemäß dem Bescheid vom 28.05.2013 zu gewähren. Dieser Verpflichtung komme ich hiermit nach. Ich habe die Bewilligung in diesem Leistungsumfang auf den 31.05.2018 befristet, weil ich die Hilfegewährung für den Monat Juni 2018 umgestellt habe". Dem Bescheid ist die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, dieser könne innerhalb eines Monats nach Zustellung durch Widerspruch angefochten werden.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 22. April 2018 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.
Den am 30. Mai 2018 beim SG gestellten Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr ab dem Monat Juni 2018 vorläufig, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen der Hilfe zur Pflege in monatlicher Höhe von 13.358,00 EUR abzüglich eines bereits zuerkannten Betrags von 9.000,00 EUR zu bewilligen, hat das SG mit Beschluss vom 12. Juni 2018 abgelehnt mit der Begründung, ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Hiergegen richtet sich die am 15. Juni 2018 beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Beschwerde. Mit Schreiben vom 19. Juni 2018 hat sich der Antragsgegner verpflichtet, auch die Kosten für die Hilfe zur Pflege für den Monat Juni 2018 in Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten vorläufig zu übernehmen.
II.
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist nur im tenorierten Umfang begründet.
1. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.
Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab. Eine einstweilige Anordnung darf mithin nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG NVwZ 2005, 927; NZS 2008, 365). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind deshalb bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen nicht nur summarisch, sondern mit Blick auf das sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie dem grundrechtlich geschützten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) abschließend zu prüfen. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen. Maßgeblich für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu Tage getreten sind, vom Senat zu verwerten (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Februar 2013 - L 7 SO 4442/12 ER-B - und 24. August 2016 - L 7 AS 2113/16 ER-B -).
2. Nach diesen Maßstäben ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
a) Die Antragstellerin kann keine Ansprüche aus dem am 28. Dezember 2015 geschlossenen außergerichtlichen Vergleich mehr geltend machen, in welchem sich der Antragsgegner verpflichtet hatte, Leistungen bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids zu gewähren. Denn das Widerspruchsverfahren ist durch den Erlass des Abhilfebescheids vom 19. März 2018 vollständig abgeschlossen. Dieser enthält vier Verfügungssätze. In Verfügungssatz 1 wird der Bewilligungsbescheid vom 12. August 2015 in vollem Umfang aufgehoben, in Verfügungssatz 2 werden die Kosten des Widerspruchsverfahrens übernommen und in Verfügungssatz 3 werden die geltend gemachten Leistungen endgültig übernommen. Damit liegt eine vollständige Abhilfeentscheidung nach § 85 Abs. 1 SGG vor, mit der das Widerspruchsverfahren beendet ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 85 Rdnr. 2b). Eine Vollabhilfe ist gegeben, wenn die Behörde den durch einen Widerspruch angegriffenen Bescheid auf eben diesen Widerspruch hin in vollem Umfang aufhebt, d.h. wenn sie den Widerspruch dadurch bescheidet, dass sie – durch ihn veranlasst – den angegriffenen Bescheid insgesamt "aus der Welt schafft" (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. Februar 1991 – 8 C 83/88 – juris Rdnr. 11; LSG Sachsen, Beschluss vom 4. August 2015 – L 3 AS 1030/11 B PKH – juris Rdnr. 20). Erst mit dem Verfügungssatz 4 des Bescheides hat der Antragsgegner eine Regelung für die Folgezeit getroffen, hinsichtlich dessen ein neues Widerspruchsverfahren eröffnet ist (vgl. zur Möglichkeit, gleichzeitig mit der Aufhebung einen inhaltlich ähnlichen Bescheid zu erlassen nochmals BVerwG a.a.O.).
b) Einem Anspruch der Antragstellerin auf Übernahme der Kosten in bisheriger Höhe steht der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII entgegen. Dieser greift bei allen Leistungsformen ein. Er gilt nicht nur im Verhältnis ambulanter zu stationären Leistungen, sondern auch im Verhältnis zwischen verschiedenen ambulanten Leistungen untereinander und zwischen verschiedenen stationären Leistungen untereinander. § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII normiert eine weitere Prüfungsebene neben § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (so ausdrücklich Müller-Grune in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Stand 23. Januar 2017, § 9 Rdnr. 32) und enthält einen "allgemein gültigen Versagungstatbestand hinsichtlich der Wünsche und eines etwaigen Wahlrechts des Leistungsberechtigten" (Adolph in Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2014, § 9 SGB XII Rdnr. 27). Der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII ist insbesondere weder ausdrücklich (etwa durch eine Formulierung "Wünschen nach Satz 2") noch nach dem systematischen Aufbau der Vorschrift auf § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB XII beschränkt. Vielmehr statuiert § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ganz allgemein das Wunschrecht des Leistungsberechtigten, Satz 2 enthält eine bereichsspezifische sachliche Einschränkung hierzu und Satz 3 statuiert einen allgemeinen Mehrkostenvorbehalt. Abgesehen davon, dass sich ein Wille des Gesetzgebers, den Mehrkostenvorbehalt nur auf den Satz 2 zu beschränken, dem Normtext und auch der Entstehungsgeschichte nicht entnehmen lässt, wäre ein solcher Wille auch aus teleologischer Sicht nicht nachvollziehbar: Die Zielrichtung, unverhältnismäßige Mehrkosten zu Lasten des Steuerzahlers zu vermeiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1994 – 5 C 28/91 – juris Rdnr. 28; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 9 Rdnr. 39), ist gerade nicht auf die von § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB XII geregelte Konstellation beschränkt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 - L 7 SO 3516/14 – juris Rdnr. 56).
Mehrkosten sind dann "unverhältnismäßig", wenn die hieraus folgende Mehrbelastung des So-zialhilfehaushalts zum Gewicht der vom Hilfebedürftigen angeführten Gründe für die von ihm getroffene Wahl der Hilfemaßnahme nicht mehr im rechten Verhältnis steht, so dass die Frage nach der (Un-)Verhältnismäßigkeit wunschbedingter Mehrkosten sich nicht in einem rein rech-nerischen Kostenvergleich erschöpft, sondern eine wertende Betrachtungsweise verlangt (so zur Vorgängerregelung [§ 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG] BVerwG, Urteil vom 17. November 1994 – 5 C 11/93 – juris Rdnr. 14; BVerwG, Beschluss vom 18. August 2003 – 5 B 14/03 – juris Rdnr. 3).
Der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII setzt zudem voraus, dass zumindest gleich geeignete Möglichkeiten der Bedarfsdeckung existieren (Beschluss des Senats vom 2. September 2010 – L 7 SO 1357/10 ER-B – juris Rdnr. 9 m.w.N.), die der Antragstellerin auch zumutbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. September 1993 – 5 C 50/91 – juris Rdnr. 14 zu § 3 Abs. 2 Satz 2 BSHG; BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1994 – 5 C 28/91 – juris Rdnr. 29 zu § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG; Beschluss des Senats vom 2. September 2010 – L 7 SO 1357/10 ER-B – juris Rdnr. 10 m.w.N.). Hierzu hat der Leistungsträger den zu deckenden Hilfebedarf des betroffenen behinderten Menschen konkret festzustellen. Zudem darf sich die Prüfung von Hilfsangeboten nicht allein darauf beschränken, ob eine zur Eingliederung objektiv geeigneter sowie zur Betreuung des Hilfesuchenden bereiter anderweitiger Dienst vorhanden ist; von Bedeutung ist vielmehr auch, ob ein Wechsel des Pflege- und Betreuungsdienstes für den behinderten Menschen – unter Beachtung seiner konkreten Lebenssituation einschließlich seiner sozialen Einbindung – ohne schwerwiegende Beeinträchtigung des Eingliederungserfolgs überhaupt möglich ist (vgl. Beschluss des Senats vom 2. September 2010 – L 7 SO 1357/10 ER-B – juris Rdnr. 10 m.w.N.; Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 7 SO 3516/14 – juris Rdnrn. 59, 61).
Vorliegend dürfte mit dem Pflegedienst P. ein anderweitiger Dienst existieren, der zur Betreuung der Antragstellerin bereit und in der Lage ist und der insbesondere auch einen entsprechenden Versorgungsvertrag abgeschlossen hat (vgl. Bl. 512 Verwaltungsakten).
Es ist weiter nicht glaubhaft gemacht, dass durch einen Wechsel des Pflege- und Betreuungsdienstes eine derart schwerwiegende Beeinträchtigung des Eingliederungserfolgs zu befürchten wäre, die einen Wechsel des Pflegedienstes unzumutbar erscheinen ließe.
Soweit sich die Antragstellerin auf die Ausführungen im Wissenschaftlichen-Paraplegiologischen Gutachten des Prof. Dr. W. vom 3. August 2016 bezieht, wonach die ärztlich-pflegerische Behandlung in unveränderter Form fortzusetzen sei, kann daraus nicht zwingend abgeleitet werden, dass diese Leistungen auch nur durch den bisherigen Pflegedienst erbracht werden könnten. Das Gutachten enthält insoweit nur Angaben zu dem erforderlichen Umfang der Pflege, nicht jedoch dazu, dass diese nur in zumutbarer Weise durch den bisherigen Pflegedienst erbracht werden könnte. Auch der von Dr. S. im Attest vom 16. April 2018 (Bl. 28 der Senatsakten) bescheinigte Umstand, dass sich die Antragstellerin an ihre bisherige "Pflegecrew" sehr gut gewöhnt hat und auf Veränderungen mit heftigen somatischen und psychischen Beschwerden reagiert, führt nicht zur Unzulässigkeit des Mehrkostenvorbehalts. Denn dem Attest kann nicht entnommen werden, auf welche Art von Veränderungen die Antragstellerin in der geschilderten Weise reagiert. Dem Attest kann vielmehr entnommen werden, dass bisher schon Veränderungen der Pflegesituation eingetreten sind (wie z.B. Wechsel der Pflegepersonen), die zwar heftige, aber nicht anhaltende psychische und somatische Beschwerden hervorgerufen haben. Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, dass ein grundlegender Wechsel der Pflegesituation mit dem Wechsel des Pflegedienstes nicht verbunden ist, da die Antragstellerin weiterhin in ihrer häuslichen Umgebung und im selben Tagesrhythmus betreut und gepflegt werden soll.
Die Kosten des bisherigen Pflegedienstes i. liegen bei monatlich ca. EUR 13.300,00 (Januar 2018: 13.347,84 EUR; Februar 2018: 12.640,02 EUR, März 2018: 14.157,85 EUR). Demgegenüber belaufen sich die voraussichtlichen Kosten des Pflegedienstes P. auf monatlich 8.860,50 EUR (vgl. Kostenvoranschlag vom 17. Oktober 2017; Bl. 513 Verwaltungsakten). Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren einen Kostenvoranschlag des Pflegedienstes P. vom 3. April 2018 über monatliche Kosten von EUR 18.513,00 vorgelegt hat (Bl. 55 Senatsakten), bezieht sich dieser auf die Leistung "Pflege und Betreuung mit 24 Stunden Anwesenheit durch zwei geschulte Familienbetreuerinnen mit pflegerischer Grundausbildung". Dass von diesem Angebot die gleichzeitige Anwesenheit von zwei Pflegekräften umfasst ist, schließt der Senat daraus, dass darin die Rundumpflege mit einem Betrag von täglich 648,00 EUR veranschlagt ist und damit mit genau dem doppelten Betrag wie die Kosten der Rundumpflege im Angebot vom 17. Oktober 2017. Ein Pflegebedarf in diesem Umfang ist jedoch nicht glaubhaft gemacht. So hat Prof. Dr. W. im Wissenschaftlich-Paraplegiologischen Gutachten vom 3. August 2018 zum Umfang des Hilfebedarfs ausgeführt, bei der Blasenentleerung bestehe Hilfebedarf 10-mal tagsüber und 1- bis 2-mal nachts, wobei hierbei gleichzeitig eine Umlagerung erfolgen könne. Der weiter aufgeführte Hilfebedarf wegen der Schluck- und Hustenstörung tritt danach nach den Angaben der Antragstellerin bei der Nahrungsaufnahme auf, die aber mit pflegerischer Hilfe erfolgt. Zudem kann dem vorgelegten Protokoll des derzeit tätigen Pflegedienstes über den Tagesablauf in der Zeit vom 16. bis 22. Juni 2015 (Bl. 529 bis 549 der Verwaltungsakten) ein derart hoher nächtlicher Pflegebedarf nicht entnommen werden. Das Erfordernis einer (gleichzeitigen) Anwesenheit von zwei Pflegepersonen rund um die Uhr ist danach nicht glaubhaft gemacht. Darüber hinaus dürfte auch das Argument, durch die P. werde die Leistung durch eine einzelne Person erbracht und es sei vollkommen undenkbar, dass ein Mitarbeiter hintereinander drei Schichten lang arbeite, nicht zutreffend sein. Das Angebot der P. vom 17. Oktober 2017 betrifft vielmehr eine 24-Stunden-Betreuung durch (jeweils) eine Person. Dies bedeutet, dass jeweils nur eine Pflegekraft anwesend ist, es sich hierbei jedoch nicht um dieselbe Person handeln muss, sondern - wie bisher auch zeitlich versetzt - ein Pflegeteam zum Einsatz kommt.
Die Antragstellerin kann auch auf die Inanspruchnahme der Pflege und Betreuung durch einen Pflegedienst wie z.B. die P. mit Gesamtkosten von bis zu 9.000,00 EUR monatlich verwiesen werden, da die Mehrkosten des bisherigen Pflegedienstes diese um 50 % übersteigen und damit unverhältnismäßig hoch sind (vgl. Müller-Grune in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Stand 23. Januar 2017, § 9 Rdnrn. 35f. m.w.N.).
3. Darüber dürfte auch ein Anordnungsgrund nicht vorliegen. Ein Anordnungsgrund besteht erst dann, wenn es nach einer an den Umständen des Falles orientierten Interessenabwägung für den Betroffenen unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 86b Rdnr. 28). Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Antragsgegner verpflichtet hat, auch die im Monat Juni 2018 anfallenden Kosten in tatsächlicher Höhe vorläufig zu übernehmen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass gem. § 8 Abs. 1 Satz 3 des zwischen der Antragstellerin und der i. geschlossenen Vertrages über Leistungen der Pflege, der hauswirtschaftlichen Versorgung sowie über ergänzende Pflege vom 20. März 2002 für die i. eine Kündigungsfrist von sechs Wochen gilt. Eine Kündigung aus wichtigem Grund kann gem. § 8 Abs. 2 Satz 2 des Vertrages erst dann erfolgen, wenn die Antragstellerin mit der Bezahlung zweier Rechnungen der i. ganz oder teilweise trotz Mahnung länger als vier Wochen in Verzug ist. Eine Kündigung ist bisher weder ausgesprochen noch liegen die Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund vor. Die i. hat zwar mit Schreiben vom 12. Juni 2018 angekündigt, die Pflege einzustellen, wenn die Antragstellerin sich nicht bereit erkläre, die vom Kostenträger nicht übernommenen Kosten ab dem 18. Juni 2018 selbst zu übernehmen. Gleichwohl hat sie die Erbringung der Pflegeleistungen ab diesem Zeitpunkt nicht eingestellt, obwohl sich der Antragsgegner erst mit Schreiben vom 19. Juni 2018, an den Bevollmächtigen der Antragstellerin am 20. Juni 2018 weitergeleitet, zur vorläufigen Übernahme der Kosten für die Hilfe zur Pflege für den Monat Juni 2018 bereit erklärt hat. Zudem ist - worauf bereits das SG hingewiesen hat - nicht ersichtlich, dass sich die Antragstellerin mit einem anderen Pflegedienst in Verbindung gesetzt hat, um ggf. kurzfristig ihre Pflege sicherzustellen. Soweit sie insoweit das Angebot der P. vom 3. April 2018 vorgelegt hat, entspricht dieses offensichtlich nicht ihrem Pflege- und Betreuungsbedarf, sondern ist bezogen auf Pflege und Betreuung mit 24 Stunden Anwesenheit durch zwei geschulte Familienbetreuer.
Gleichwohl wird der Antragsgegner verpflichtet, noch für eine Übergangszeit vorläufig Leistungen im bisherigen Umfang zu gewähren, um der Antragstellerin die Möglichkeit zu geben, einen neuen Pflegevertrag abzuschließen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass die Verpflichtung des Antragsgegners zur zeitweiligen Weitergewährung allein auf dem Umstand beruht, dass es die Antragstellerin bisher unterlassen hat, sich um eine kostenangemessene Pflege zu bemühen.
5. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin über den 31. Mai 2018 hinaus bis zum 31. Juli 2018 vorläufig Leistungen gemäß dem Bescheid vom 28. Mai 2013 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Gegenstand des am 30. Mai 2018 beim Sozialgericht Mannheim (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist in der Sache das Begehren der Antragstellerin auf Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im bisherigen Umfang über den 31. April 2018 hinaus. Die 1960 geborene Antragstellerin leidet an einer spastischen Tetraplegie bei komplettem Querschnittssyndrom C6 nach Verkehrsunfall 1979. Mit Bescheid vom 28. Mai 2013 bewilligte ihr das Landratsamt R. die Kostenübernahme einer ambulanten Betreuung durch den Pflegedienst i. von Juni 2013 bis Mai 2015. Diese Leistungsbewilligung wurde bis zum 30. September 2015 verlängert. Mit Bescheid vom 12. August 2015, dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 17. August 2015 zugestellt (Bl. 276 Verwaltungsakten), bewilligte ihr der Antragsgegner "mit Wirkung vom" 1. Oktober 2015 Leistungen der Hilfe zur Pflege in geringerer Höhe. Der Bescheid enthielt den Zusatz, die Hilfe werde monatlich weiterbewilligt, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 17. September 2015 Widerspruch.
Im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes schlossen die Beteiligten im Dezember 2015 im Beschwerdeverfahren L 7 SO 4373/15 ER-B beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg folgenden außergerichtlichen Vergleich:
1. Die Abklärung einer Inkontinenz und von Schluck- und Hustenstörung erfolgt durch einen neutralen Arzt. 2. Auf Basis der neutralen ärztlichen Beurteilung bewertet der Antragsgegner den pflegerischen Hilfebedarf der Antragstellerin neu. 3. Nach der Hilfebedarfsermittlung erlässt der Antragsgegner einen Widerspruchsbescheid. 4. Der Antragsgegner gewährt der Antragstellerin vorläufig Leistungen gemäß dem Bescheid vom 28.05.2013 über den 30.09.2015 hinaus bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides. 5. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt und stellen die Kostenentscheidung in das Ermessen des Gerichts.
Nach Durchführung weiterer Sachverhaltsermittlungen erlies der Antragsgegner am 19. März 2018 einen Bescheid mit folgenden Verfügungssätzen: 1. Auf ihren Widerspruch vom 17.09.2017 hebe ich meinen Bewilligungsbescheid vom 12.08.2015 auf. 2. Die zu Ihrer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens werden übernommen. Die Zuziehung eines Rechtsanwaltes wird als notwendig anerkannt. 3. Die aufgrund des Vergleichs vom 28.12.2015 ab dem 01.10.2015 erfolgende vorläufige Leistungsgewährung in dem Umfang des Bewilligungsbescheides des R. vom 28.05.2013 wird bis zum 31.05.2018 verlängert und für endgültig erklärt. 4. Für den Monat Juni 2018 wird Ihnen Hilfe zur Pflege durch Übernahme der Kosten eines ambulanten Pflegedienstes für eine 24-Stunden-Betreuung bewilligt und auf einen maximalen Monatsbetrag von 9.000,00 EUR begrenzt.
In dem Bescheid wird weiter ausgeführt, die Hilfe werde Monat für Monat weiterbewilligt, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Der Bescheid enthält zu Verfügungssatz 3 folgende Begründung: "In dem im Rahmen des Eilverfahrens geschlossenen Vergleichs habe ich mich verpflichtet, über den 30.09.2015 hinaus bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides Hilfe zur Pflege gemäß dem Bescheid vom 28.05.2013 zu gewähren. Dieser Verpflichtung komme ich hiermit nach. Ich habe die Bewilligung in diesem Leistungsumfang auf den 31.05.2018 befristet, weil ich die Hilfegewährung für den Monat Juni 2018 umgestellt habe". Dem Bescheid ist die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, dieser könne innerhalb eines Monats nach Zustellung durch Widerspruch angefochten werden.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 22. April 2018 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.
Den am 30. Mai 2018 beim SG gestellten Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr ab dem Monat Juni 2018 vorläufig, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen der Hilfe zur Pflege in monatlicher Höhe von 13.358,00 EUR abzüglich eines bereits zuerkannten Betrags von 9.000,00 EUR zu bewilligen, hat das SG mit Beschluss vom 12. Juni 2018 abgelehnt mit der Begründung, ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Hiergegen richtet sich die am 15. Juni 2018 beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Beschwerde. Mit Schreiben vom 19. Juni 2018 hat sich der Antragsgegner verpflichtet, auch die Kosten für die Hilfe zur Pflege für den Monat Juni 2018 in Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten vorläufig zu übernehmen.
II.
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist nur im tenorierten Umfang begründet.
1. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.
Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab. Eine einstweilige Anordnung darf mithin nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG); z.B. BVerfG NVwZ 2005, 927; NZS 2008, 365). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind deshalb bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen nicht nur summarisch, sondern mit Blick auf das sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebende Gebot der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie dem grundrechtlich geschützten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) abschließend zu prüfen. Ist in diesen Fällen im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen. Maßgeblich für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu Tage getreten sind, vom Senat zu verwerten (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Februar 2013 - L 7 SO 4442/12 ER-B - und 24. August 2016 - L 7 AS 2113/16 ER-B -).
2. Nach diesen Maßstäben ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
a) Die Antragstellerin kann keine Ansprüche aus dem am 28. Dezember 2015 geschlossenen außergerichtlichen Vergleich mehr geltend machen, in welchem sich der Antragsgegner verpflichtet hatte, Leistungen bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids zu gewähren. Denn das Widerspruchsverfahren ist durch den Erlass des Abhilfebescheids vom 19. März 2018 vollständig abgeschlossen. Dieser enthält vier Verfügungssätze. In Verfügungssatz 1 wird der Bewilligungsbescheid vom 12. August 2015 in vollem Umfang aufgehoben, in Verfügungssatz 2 werden die Kosten des Widerspruchsverfahrens übernommen und in Verfügungssatz 3 werden die geltend gemachten Leistungen endgültig übernommen. Damit liegt eine vollständige Abhilfeentscheidung nach § 85 Abs. 1 SGG vor, mit der das Widerspruchsverfahren beendet ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 85 Rdnr. 2b). Eine Vollabhilfe ist gegeben, wenn die Behörde den durch einen Widerspruch angegriffenen Bescheid auf eben diesen Widerspruch hin in vollem Umfang aufhebt, d.h. wenn sie den Widerspruch dadurch bescheidet, dass sie – durch ihn veranlasst – den angegriffenen Bescheid insgesamt "aus der Welt schafft" (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. Februar 1991 – 8 C 83/88 – juris Rdnr. 11; LSG Sachsen, Beschluss vom 4. August 2015 – L 3 AS 1030/11 B PKH – juris Rdnr. 20). Erst mit dem Verfügungssatz 4 des Bescheides hat der Antragsgegner eine Regelung für die Folgezeit getroffen, hinsichtlich dessen ein neues Widerspruchsverfahren eröffnet ist (vgl. zur Möglichkeit, gleichzeitig mit der Aufhebung einen inhaltlich ähnlichen Bescheid zu erlassen nochmals BVerwG a.a.O.).
b) Einem Anspruch der Antragstellerin auf Übernahme der Kosten in bisheriger Höhe steht der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII entgegen. Dieser greift bei allen Leistungsformen ein. Er gilt nicht nur im Verhältnis ambulanter zu stationären Leistungen, sondern auch im Verhältnis zwischen verschiedenen ambulanten Leistungen untereinander und zwischen verschiedenen stationären Leistungen untereinander. § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII normiert eine weitere Prüfungsebene neben § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (so ausdrücklich Müller-Grune in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Stand 23. Januar 2017, § 9 Rdnr. 32) und enthält einen "allgemein gültigen Versagungstatbestand hinsichtlich der Wünsche und eines etwaigen Wahlrechts des Leistungsberechtigten" (Adolph in Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Mai 2014, § 9 SGB XII Rdnr. 27). Der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII ist insbesondere weder ausdrücklich (etwa durch eine Formulierung "Wünschen nach Satz 2") noch nach dem systematischen Aufbau der Vorschrift auf § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB XII beschränkt. Vielmehr statuiert § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ganz allgemein das Wunschrecht des Leistungsberechtigten, Satz 2 enthält eine bereichsspezifische sachliche Einschränkung hierzu und Satz 3 statuiert einen allgemeinen Mehrkostenvorbehalt. Abgesehen davon, dass sich ein Wille des Gesetzgebers, den Mehrkostenvorbehalt nur auf den Satz 2 zu beschränken, dem Normtext und auch der Entstehungsgeschichte nicht entnehmen lässt, wäre ein solcher Wille auch aus teleologischer Sicht nicht nachvollziehbar: Die Zielrichtung, unverhältnismäßige Mehrkosten zu Lasten des Steuerzahlers zu vermeiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1994 – 5 C 28/91 – juris Rdnr. 28; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 9 Rdnr. 39), ist gerade nicht auf die von § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB XII geregelte Konstellation beschränkt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 - L 7 SO 3516/14 – juris Rdnr. 56).
Mehrkosten sind dann "unverhältnismäßig", wenn die hieraus folgende Mehrbelastung des So-zialhilfehaushalts zum Gewicht der vom Hilfebedürftigen angeführten Gründe für die von ihm getroffene Wahl der Hilfemaßnahme nicht mehr im rechten Verhältnis steht, so dass die Frage nach der (Un-)Verhältnismäßigkeit wunschbedingter Mehrkosten sich nicht in einem rein rech-nerischen Kostenvergleich erschöpft, sondern eine wertende Betrachtungsweise verlangt (so zur Vorgängerregelung [§ 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG] BVerwG, Urteil vom 17. November 1994 – 5 C 11/93 – juris Rdnr. 14; BVerwG, Beschluss vom 18. August 2003 – 5 B 14/03 – juris Rdnr. 3).
Der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII setzt zudem voraus, dass zumindest gleich geeignete Möglichkeiten der Bedarfsdeckung existieren (Beschluss des Senats vom 2. September 2010 – L 7 SO 1357/10 ER-B – juris Rdnr. 9 m.w.N.), die der Antragstellerin auch zumutbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. September 1993 – 5 C 50/91 – juris Rdnr. 14 zu § 3 Abs. 2 Satz 2 BSHG; BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1994 – 5 C 28/91 – juris Rdnr. 29 zu § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG; Beschluss des Senats vom 2. September 2010 – L 7 SO 1357/10 ER-B – juris Rdnr. 10 m.w.N.). Hierzu hat der Leistungsträger den zu deckenden Hilfebedarf des betroffenen behinderten Menschen konkret festzustellen. Zudem darf sich die Prüfung von Hilfsangeboten nicht allein darauf beschränken, ob eine zur Eingliederung objektiv geeigneter sowie zur Betreuung des Hilfesuchenden bereiter anderweitiger Dienst vorhanden ist; von Bedeutung ist vielmehr auch, ob ein Wechsel des Pflege- und Betreuungsdienstes für den behinderten Menschen – unter Beachtung seiner konkreten Lebenssituation einschließlich seiner sozialen Einbindung – ohne schwerwiegende Beeinträchtigung des Eingliederungserfolgs überhaupt möglich ist (vgl. Beschluss des Senats vom 2. September 2010 – L 7 SO 1357/10 ER-B – juris Rdnr. 10 m.w.N.; Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 7 SO 3516/14 – juris Rdnrn. 59, 61).
Vorliegend dürfte mit dem Pflegedienst P. ein anderweitiger Dienst existieren, der zur Betreuung der Antragstellerin bereit und in der Lage ist und der insbesondere auch einen entsprechenden Versorgungsvertrag abgeschlossen hat (vgl. Bl. 512 Verwaltungsakten).
Es ist weiter nicht glaubhaft gemacht, dass durch einen Wechsel des Pflege- und Betreuungsdienstes eine derart schwerwiegende Beeinträchtigung des Eingliederungserfolgs zu befürchten wäre, die einen Wechsel des Pflegedienstes unzumutbar erscheinen ließe.
Soweit sich die Antragstellerin auf die Ausführungen im Wissenschaftlichen-Paraplegiologischen Gutachten des Prof. Dr. W. vom 3. August 2016 bezieht, wonach die ärztlich-pflegerische Behandlung in unveränderter Form fortzusetzen sei, kann daraus nicht zwingend abgeleitet werden, dass diese Leistungen auch nur durch den bisherigen Pflegedienst erbracht werden könnten. Das Gutachten enthält insoweit nur Angaben zu dem erforderlichen Umfang der Pflege, nicht jedoch dazu, dass diese nur in zumutbarer Weise durch den bisherigen Pflegedienst erbracht werden könnte. Auch der von Dr. S. im Attest vom 16. April 2018 (Bl. 28 der Senatsakten) bescheinigte Umstand, dass sich die Antragstellerin an ihre bisherige "Pflegecrew" sehr gut gewöhnt hat und auf Veränderungen mit heftigen somatischen und psychischen Beschwerden reagiert, führt nicht zur Unzulässigkeit des Mehrkostenvorbehalts. Denn dem Attest kann nicht entnommen werden, auf welche Art von Veränderungen die Antragstellerin in der geschilderten Weise reagiert. Dem Attest kann vielmehr entnommen werden, dass bisher schon Veränderungen der Pflegesituation eingetreten sind (wie z.B. Wechsel der Pflegepersonen), die zwar heftige, aber nicht anhaltende psychische und somatische Beschwerden hervorgerufen haben. Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, dass ein grundlegender Wechsel der Pflegesituation mit dem Wechsel des Pflegedienstes nicht verbunden ist, da die Antragstellerin weiterhin in ihrer häuslichen Umgebung und im selben Tagesrhythmus betreut und gepflegt werden soll.
Die Kosten des bisherigen Pflegedienstes i. liegen bei monatlich ca. EUR 13.300,00 (Januar 2018: 13.347,84 EUR; Februar 2018: 12.640,02 EUR, März 2018: 14.157,85 EUR). Demgegenüber belaufen sich die voraussichtlichen Kosten des Pflegedienstes P. auf monatlich 8.860,50 EUR (vgl. Kostenvoranschlag vom 17. Oktober 2017; Bl. 513 Verwaltungsakten). Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren einen Kostenvoranschlag des Pflegedienstes P. vom 3. April 2018 über monatliche Kosten von EUR 18.513,00 vorgelegt hat (Bl. 55 Senatsakten), bezieht sich dieser auf die Leistung "Pflege und Betreuung mit 24 Stunden Anwesenheit durch zwei geschulte Familienbetreuerinnen mit pflegerischer Grundausbildung". Dass von diesem Angebot die gleichzeitige Anwesenheit von zwei Pflegekräften umfasst ist, schließt der Senat daraus, dass darin die Rundumpflege mit einem Betrag von täglich 648,00 EUR veranschlagt ist und damit mit genau dem doppelten Betrag wie die Kosten der Rundumpflege im Angebot vom 17. Oktober 2017. Ein Pflegebedarf in diesem Umfang ist jedoch nicht glaubhaft gemacht. So hat Prof. Dr. W. im Wissenschaftlich-Paraplegiologischen Gutachten vom 3. August 2018 zum Umfang des Hilfebedarfs ausgeführt, bei der Blasenentleerung bestehe Hilfebedarf 10-mal tagsüber und 1- bis 2-mal nachts, wobei hierbei gleichzeitig eine Umlagerung erfolgen könne. Der weiter aufgeführte Hilfebedarf wegen der Schluck- und Hustenstörung tritt danach nach den Angaben der Antragstellerin bei der Nahrungsaufnahme auf, die aber mit pflegerischer Hilfe erfolgt. Zudem kann dem vorgelegten Protokoll des derzeit tätigen Pflegedienstes über den Tagesablauf in der Zeit vom 16. bis 22. Juni 2015 (Bl. 529 bis 549 der Verwaltungsakten) ein derart hoher nächtlicher Pflegebedarf nicht entnommen werden. Das Erfordernis einer (gleichzeitigen) Anwesenheit von zwei Pflegepersonen rund um die Uhr ist danach nicht glaubhaft gemacht. Darüber hinaus dürfte auch das Argument, durch die P. werde die Leistung durch eine einzelne Person erbracht und es sei vollkommen undenkbar, dass ein Mitarbeiter hintereinander drei Schichten lang arbeite, nicht zutreffend sein. Das Angebot der P. vom 17. Oktober 2017 betrifft vielmehr eine 24-Stunden-Betreuung durch (jeweils) eine Person. Dies bedeutet, dass jeweils nur eine Pflegekraft anwesend ist, es sich hierbei jedoch nicht um dieselbe Person handeln muss, sondern - wie bisher auch zeitlich versetzt - ein Pflegeteam zum Einsatz kommt.
Die Antragstellerin kann auch auf die Inanspruchnahme der Pflege und Betreuung durch einen Pflegedienst wie z.B. die P. mit Gesamtkosten von bis zu 9.000,00 EUR monatlich verwiesen werden, da die Mehrkosten des bisherigen Pflegedienstes diese um 50 % übersteigen und damit unverhältnismäßig hoch sind (vgl. Müller-Grune in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Stand 23. Januar 2017, § 9 Rdnrn. 35f. m.w.N.).
3. Darüber dürfte auch ein Anordnungsgrund nicht vorliegen. Ein Anordnungsgrund besteht erst dann, wenn es nach einer an den Umständen des Falles orientierten Interessenabwägung für den Betroffenen unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 86b Rdnr. 28). Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Antragsgegner verpflichtet hat, auch die im Monat Juni 2018 anfallenden Kosten in tatsächlicher Höhe vorläufig zu übernehmen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass gem. § 8 Abs. 1 Satz 3 des zwischen der Antragstellerin und der i. geschlossenen Vertrages über Leistungen der Pflege, der hauswirtschaftlichen Versorgung sowie über ergänzende Pflege vom 20. März 2002 für die i. eine Kündigungsfrist von sechs Wochen gilt. Eine Kündigung aus wichtigem Grund kann gem. § 8 Abs. 2 Satz 2 des Vertrages erst dann erfolgen, wenn die Antragstellerin mit der Bezahlung zweier Rechnungen der i. ganz oder teilweise trotz Mahnung länger als vier Wochen in Verzug ist. Eine Kündigung ist bisher weder ausgesprochen noch liegen die Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund vor. Die i. hat zwar mit Schreiben vom 12. Juni 2018 angekündigt, die Pflege einzustellen, wenn die Antragstellerin sich nicht bereit erkläre, die vom Kostenträger nicht übernommenen Kosten ab dem 18. Juni 2018 selbst zu übernehmen. Gleichwohl hat sie die Erbringung der Pflegeleistungen ab diesem Zeitpunkt nicht eingestellt, obwohl sich der Antragsgegner erst mit Schreiben vom 19. Juni 2018, an den Bevollmächtigen der Antragstellerin am 20. Juni 2018 weitergeleitet, zur vorläufigen Übernahme der Kosten für die Hilfe zur Pflege für den Monat Juni 2018 bereit erklärt hat. Zudem ist - worauf bereits das SG hingewiesen hat - nicht ersichtlich, dass sich die Antragstellerin mit einem anderen Pflegedienst in Verbindung gesetzt hat, um ggf. kurzfristig ihre Pflege sicherzustellen. Soweit sie insoweit das Angebot der P. vom 3. April 2018 vorgelegt hat, entspricht dieses offensichtlich nicht ihrem Pflege- und Betreuungsbedarf, sondern ist bezogen auf Pflege und Betreuung mit 24 Stunden Anwesenheit durch zwei geschulte Familienbetreuer.
Gleichwohl wird der Antragsgegner verpflichtet, noch für eine Übergangszeit vorläufig Leistungen im bisherigen Umfang zu gewähren, um der Antragstellerin die Möglichkeit zu geben, einen neuen Pflegevertrag abzuschließen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass die Verpflichtung des Antragsgegners zur zeitweiligen Weitergewährung allein auf dem Umstand beruht, dass es die Antragstellerin bisher unterlassen hat, sich um eine kostenangemessene Pflege zu bemühen.
5. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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