L 10 Vs 105/96

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 3 Vs 117/95
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 Vs 105/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 21. August 1996 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "erhebliche Gehbehinderung" (Merkzeichen "G") und "Notwendigkeit ständiger Begleitung" (Merkzeichen "B") nach den Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG).

Bei der 1916 geborenen Klägerin stellte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 28.08.1991 eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 wegen Gesundheitsstörungen im Bereich der Beine, der Wirbelsäule und des Kreislaufsystems fest.

Am 26.04.1994 beantragte die Klägerin die Neufeststellung der Behinderung. Sie begehrte eine Erhöhung des GdB und - wie bereits mehrfach in der Vergangenheit - die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "G". Dabei machte sie Kniegelenksveränderungen, Durchblutungsstörungen, Herzrhytmusstörungen, eine Sehbehinderung und eine Hirnleistungsschwäche geltend. Sie habe Schmerzen, die bis in die Hüfte und in den Rücken zögen und ihr selbst kurze Wegstrecken unmöglich machten. Auch ihre Krampfadern verursachten starke Beschwerden.

Der Beklagte zog von den behandelnden Ärzten der Klägerin Befund- und Behandlungsberichte bei und stellte mit Bescheid vom 10.11. 1994 eine Behinderung mit einem GdB von 80 wegen

1. Hirnleistungsbeeinträchtigung (Teil-GdB aufgrund ärztlicher Einschätzung 40),

2. Sehminderung (Reduzierung der Sehleistung auf jeweils 0,4 auf dem linken und dem rechten Auge - Teil-GdB 30),

3. Funktionseinschränkung der unteren Gliedmaßen (Teil-GdB 30),

4. Funktionsbeeinträchtigung von Herz und Kreislauf (Teil-GdB 30),

5. Funktionsstörung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20)

fest.

Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" wurden - wie schon früher - verneint. Die versorgungsärztliche Stellungnahme enthielt hierzu den Vermerk: "ortübliche Wegstrecken können zurückgelegt werden; Bericht 2/93: Fährt noch Fahrrad".

Mit ihrem Widerspruch vom 09.12.1994 wandte sich die Klägerin gegen die Nichtanerkennung der Nachteilsausgleiche "G" und "B". Selbst kurze Wegstrecken bereiteten ihr erhebliche Schwierigkeiten. Auch bei langsamen Gehen mit Pausen sei sie nicht in der Lage, noch 2 km zu Fuß zurückzulegen. Wegen ihrer Kreislaufbeschwerden und Schwindelanfälle könne sich häufig nicht einmal die Wohnung verlassen und müsse sich hinlegen. Zudem habe sie Angst vor einem weiteren Schlaganfall und bedürfe auch wegen dieses ständigen psychischen Drucks und zeitweilig bestehender räumlicher Orientierungsstörungen einer Begleitperson. Es treffe nicht zu, daß sie sich noch mit dem Fahrrad im Straßenverkehr bewegen könne.

Sie benutze das Rad nur noch bei kurzen Einkäufen im Dorf als Lastenträger und schiebe es dann. Im übrigen sei sie auf Busfahrten und hierbei auf Begleitung angewiesen, wie Zeugen bestätigen könnten. Nach Einholung einer weiteren ärztlichen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.03.1995 die Feststellung der Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G" und "B" erneut ab. Der eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 08.03.1995).

Die Klägerin hat am 24.03.1995 bei dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt hat. Zur Begründung hat sie sich auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren bezogen.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Sachaufklärung Befund- und Behandlungsberichte von dem Augenarzt Dr. C und dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. L eingeholt. Dr. C hat gemeint, wegen der Sehstörungen sei erhöhte Vorsicht geboten, jedoch sei die Orientierungsfähigkeit nicht so stark herabgesetzt, daß eine Teilnahme am Straßenverkehr nicht mehr möglich sei. Gleiches gelte für die Notwendigkeit einer Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Dr. L hat eine Begutachtung für sinnvoll erachtet. Ein an die Ärzte Dr. Q, Arzt für innere Medizin, Arbeitsmedizin und Sozialmedizin, sowie den Neurologen und Psychiater Dr. X und den Orthopäden Dr. I erteilter Gutachtenauftrag ist nicht durchgeführt worden, nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin die Beweisfragen beanstandet, ihre Abänderung beantragt und mitgeteilt hat, daß die Klägerin nur zu Untersuchungsterminen erscheinen werde, wenn ihr Befinden dies erlaube und die von ihr angeführten Orientierungsstörungen beständen, damit sie auch festgestellt werden könnten. Außerdem müsse der Bevollmächtigte bei den Untersuchungen anwesend sein können und die Sachverständigen müßten die Behauptung, sie würde noch Fahrrad fahren außer Acht lassen. Im übrigen hat die Klägerin eine Untersuchung als überflüssig abgelehnt.

Mit Gerichtsbescheid vom 21.08.1996 hat das SG die Klage abgewiesen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides Bezug genommen.

Gegen die dem Sohn der Kläger als deren Bevollmächtigten am 28.08.1996 übermittelte Entscheidung hat dieser am 26.09.1996 bei dem erkennenden Gericht Berufung eingelegt. Die Klägerin trägt vor, die Behauptung des Sozialgerichts, sie weigere sich, sich untersuchen zulassen, sei eine bewußt falsche Unterstellung. Sie sei zu Untersuchungen, die sich lediglich auf die begehrten Nachteilsgleiche erstreckten, bereit. Von der Befragung ihrer Hausärzte habe sie erst durch den Gerichtsbescheid erfahren. Insoweit liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Ihre Orientierungsstörungen beruhten nicht auf ihren beeinträchtigten Sehvermögen sonders seien Folge des Schlaganfalles. Deshalb werde beantragt, den behandelnden Arzt für Neurologie und Psychiartrie Dr. S, bei dem sie sich wegen ihrer Orientierungsstörungen in Behandlung befunden habe, nach § 109 SGG gutachterlich zu hören und im übrigen durch Zeugenvernehmung Beweis zu erheben.

An sie gerichtete, durch Niederlegung bei der Post zugestellte Schriftstücke würden wegen Unzuverlässigkeit der Post nicht mehr abgeholt, so daß für die Einhaltung von Fristen, auch Rechtsmittelfristen, keine Verantwortung übernommen werden könne.

Entsprechend ihren schriftlichen Äußerungen beantragt die Klägerin,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 21.08.1996 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 10.11.1994 und 06.03.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.1995 zu verurteilen, für die Zeit ab 26.04.1994 bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G" und "B" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Seines Erachtens entspricht der angefochtene Gerichtsbescheid der Sach- und Rechtslage.

Der Senat hat die Klägerin unter Fristsetzung aufgefordert, sich abschließend dazu zu äußern, ob sie bereit sei, sich von Amts wegen untersuchen zu lassen, ferner ob sie bereit und in der Lage sei, einen vorläufigen Kostenvorschuß in Höhe von etwa 1800,00 DM für ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu zahlen und sie den Antrag nach § 109 SGG uneingeschränkt stelle.

Sie hat bezüglich der Untersuchungen auf ihre bisherigen Schriftsätze hingewiesen und weiterhin behauptet, die Beweisfragen des Sozialgerichts seien überzogen. Die Frage eines Kostenvorschusses erübrige sich dadurch, daß die beantragte gutachterliche Stellungnahme bereits abgegeben worden sei und vorgelegt werde. Die Klägerin hat hierzu eine Bescheinigung von Dr. S vom 10.01.1997 übersandt, in der es heißt, sie sei bis 1995 bei ihm behandelt worden. Sie leide zunehmend an Orientierungsstörungen, so daß sie z. B. von ihrer Bushaltestelle ihre Wohnung nicht mehr habe finden können. Auch in E finde sie sich nicht mehr zurecht, so daß sie immer in Begleitung einer Freundin ausgehe. Ihre Gedächtnisleistung habe sich verschlechtert, manchmal sei sie verwirrt, sei dann hilflos und gerate in Panik. Gelegentlich könne sie sich an ein vorher geführtes Telefongespräch nicht mehr erinnern. Auf Grund der geschilderten Symptomatik sei er der Auffassung, daß die Voraussetzungen der Vergünstigungsmerkmale "G" und "B" jetzt vorlägen.

In einem durch den Senat eingeholten Befund- und Behandlungsbericht vom 07.02.1997 hat Dr. S diese Angaben bestätigt.

Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist von dem Termin zur mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis benachrichtigt worden, daß auch bei seinem Ausbleiben oder dem der Klägerin verhandelt und entschieden werden könne. Die Mitteilung ist, da der Bevollmächtigte nicht erreichbar war, beim Postamt in Aachen niedergelegt worden. Eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung ist, wie bei gewöhnlichen Briefen üblich, in den Hausbriefkasten eingelegt worden, wie der Postzustellungsurkunde zu entnehmen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der von den Beteiligten zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gewechselten Schriftsätze, außerdem auf den Inhalt der über die Klägerin geführten Schwerbehindertenakte. Alle diese Unterlagen haben zur mündlichen Verhandlung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat in dieser Streitsache verhandeln und entscheiden können, obgleich die Klägerin nicht zum Termin erschienen ist und sich auch nicht hat vertreten lassen. Denn auf diese in § 110 Abs. 1 und § 126 SGG vorgesehene Rechtsfolge ist sie in der Terminmitteilung hingewiesen worden. Die Terminsmitteilung ist ihr auch ordnungsgemäß zugestellt worden. Zwar verweigert sie, wirksam vertreten durch ihren Sohn (§ 73 Abs. 2 SGG), die Entgegennahme von gerichtlichen Mitteilungen, die ihr durch die Post gemäß § 63 Abs. 1 und 2 SGG, § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt werden sollen. Dennoch ist die Zustellung wirksam, denn die Terminsmitteilung ist nach § der 182 Zivilprozeßordnung - ZPO - (vgl. dazu § 3 Abs. 3 VwZG) ordnungsgemäß beim Postamt Aachen niedergelegt worden (Wohnort des Bevollmächtigten: Aachen). Außerdem hat der Postbedienstete die erforderliche schriftliche Mitteilung über die Niederlegung hinterlassen, wie sich aus der Postzustellungsurkunde, einer öffentlichen Urkunde im Sinne von § 415 ZPO, ergibt.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Dem steht nicht entgegen, daß der Gerichtsbescheid dem Sohn der Klägerin in unzulässiger Weise mit Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist. Der Bevollmächtigte der Klägerin gehört nämlich nicht zu dem Kreis von Personen, an die nach § 5 Abs. 2 VwZG gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden kann (Rechtsanwälte und ähnliche). Eine Zustellung ist auch nicht nach § 5 Abs. 1 VwZG (Zustellung durch Behörde) oder auf andere zulässige Weise erfolgt. Der Mangel bei der Zustellung bewirkt allerdings nur, daß die Berufungsfrist nicht zu laufen beginnt, schließt aber die Existenz des Gerichtsbescheides nicht aus, denn er ist zugegangen. Die Berufung ist sogar innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist eingelegt worden (Zugang laut Empfangsbekenntnis: 28.08.1996, Berufung: 26.09.1996).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit überzeugenden Gründen abgewiesen. Es ist nicht feststellbar, daß die angefochtenen Bescheide vom 10.11.1994 und 06.03.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.1995 rechtswidrig sind. Insbesondere läßt sich nicht feststellen, daß die Klägerin in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt und bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung auf fremde Hilfe angewiesen ist.

Gemäß § 60 Abs. 1 SchwbG ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als übliche Strecke gilt eine Entfernung von etwa 2000 m, die in einer Zeit von etwa einer halben Stunde zurückgelegt werden kann.

Ständige Begleitung ist gemäß § 60 Abs. 2 SchwbG bei Schwerbehinderten notwendig, die zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig fremder Hilfe bedurfen. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, (Ausgabe 1983 Seite 127 ff., Ausgabe 1996, Seite 165 ff.) können die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens als erfüllt angesehen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB um mindestens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenkes, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlußkrankheiten mit einem GdB von 40.

Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70, bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen.

Bei geistig Behinderten sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die Behinderten sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich nutzen nur schwer zurecht finden. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB um 100 immer und mit einem GdB um 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht.

Gemäß den Anhaltspunkten (Ausgabe 1983 Seite 130, Ausgabe 1996 Seite 168) ist die Notwendigkeit stänidger Begleitung - auch ohne besondere Untersuchung - anzunehmen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden, hochgradig Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig Behinderten und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist.

Alle Voraussetzungen, die eine besondere Untersuchung des Behinderten entbehrlich erscheinen lassen können, liegen bei der Klägerin - ausweislich der in den Akten erkennbaren Berichte - nicht vor. Die Leistungsbeeinträchtigung, die zu einer geistigen Verwirrung und Orientierungsstörungen führen könnte, ist lediglich mit einem Teil-GdB um 40 bewertet. Die Sehminderung bedingt lediglich einen Einzel-GdB von 30. Ob Funktionsstörungen der Beine und der Wirbelsäule mit Einzel-GdB-Werten von 30 und 20 insgesamt zu einem GdB von 50 für den Teilfunktionsbereich "Beweglichkeit der Beine" führen und damit eine Untersuchung entbehrlich machen könnten, ist nicht nachgewiesen. Die Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten des Herzen und Kreislaufs sind lediglich mit einem Teil-GdB von 30 eingeschätzt.

Ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" (§§ 59, 60 SchwbG) vorliegen, kann im vorliegenden Fall dementsprechend nur durch Einholung von Sachverständigengutachten nach Untersuchung der Klägerin ermittelt werden. Die von der Versorgungsverwaltung, dem Sozialgericht und dem Senat eingeholten Berichte sowie die von der Klägerin beigebrachte Äußerung des Nervenarztes Dr. S reichen für eine zuverlässige Beurteilung der gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin nicht aus. So hat der Augenarzt Dr. C darauf hingewiesen, daß er aus seiner fachlichen Kenntnis heraus eine Orientierungsstörung nicht annehmen könne. Auch der Hausarzt Dr. L hat darauf hingewiesen, daß durch Sachverständigengutachten festgestellt werden müsse, ob die Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G" und "B" vorliegen. Der Neurologe Dr. S, der zwar die genannten Voraussetzungen für erfüllt hält, stützt sich dafür aber wesentlich auf fremdamnamnestische Angaben, die möglicherweise der Sohn der Klägerin gemacht hat. Es ist jedoch in erster Linie zu prüfen, ob die Befunderhebung durch Dr. S hinreichend exakt ist. Das kann nur durch einen gerichtlichen Sachverständigen erfolgen. Darüber hinaus ist es fast eineinhalb Jahre her, daß Dr. S die Klägerin untersucht hat. Das bedeutet nicht nur, daß der aktuelle Gesundheitszustand nicht bekannt ist, sondern läßt vor allem Zweifel an der Schwere der Erkrankung der Klägerin aufkommen. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß die Annahme einer erheblichen Gehbehinderung und die/oder Notwendigkeit einer Begleitung bei der Klägerin dagegen sein können, insbesondere wenn man eine Kombination der verschiedenen Leiden in ihren Auswirkungen vermutet. Indes begnügt sich das SchwbG nicht mit verringerten Beweisanforderungen, vielmehr ist auch zum Nachweis einer Behinderung und der Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche der volle Beweis erforderlich. Wenn die Klägerin sich den gerichtlich angeordneten Beweiserhebungen nicht stellt, hat sie die Nachteile daraus selbst zu tragen.

Untersuchungen durch gerichtliche Sachverständige kann die Klägerin im übrigen nicht mit der Begründung zurückweisen, die Beweisfragen des Gerichts seien nicht sachgerecht. In der Beweisanordnung vom 05.03.1996 wird im wesentlichen danach gefragt, welche Gesundheitsstörungen bei der Klägerin vorliegen, ob sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert hat, wie hoch der durch die einzelnen feststellbaren Gesundheitsstörungen bedingte GdB ist und ob die Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G" und "B" vorliegen. Offenbar ist insbesondere der Bevollmächtigte der Klägerin der Meinung, daß sich die Klägerin nicht untersuchen lassen brauche, wie sich aus seinem gesamten Vorbringen ergibt, so daß die Behauptung, die Beweisfragen seien nicht sachgerecht, nur vorgeschoben erscheint. Wenn die Klägerin stattdessen medizinisch nicht vorgebildete Personen als Zeugen vernommen haben will, die die Voraussetzungen für "G" und "B" bestätigen sollen, so geht dies an der Sache vorbei. Der Beweis der erheblichen Tatsachen, bei denen es auch auf die Beurteilung der Zumutbarkeit ankommt, kann in vorliegendem Fall nicht durch medizinisch nicht vorgebildete Personen, sondern nur durch (sozial-)medizinisch vorgebildete Sachverständige geführt werden.

Es steht der Klägerin frei, der Versorgungsverwaltung in Zukunft die Bereitschaft zu einer ärztlichen Untersuchung zu erklären. Festzuhalten bleibt: die Nachteile einer bislang gebotenen, unverständlicherweise aber unterbliebenen Beweiserhebung hat die Klägerin indes selbst zu tragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Ein Anlaß, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden. Die Voraussetzung des § 160 SGG sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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