L 1 SF 486/16 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 21 SF 130/14 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 SF 486/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 10. März 2016 (S 21 SF 130/14 E) aufgehoben und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung des Beschwerdeführers für das Verfahren S 21 AS 621/14 auf 559,30 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Meiningen (S 21 AS 621/14) des vom Beschwerdeführer vertretenen Klägers.

Der Kläger begehrte mit der am 28. März 2014 beim SG erhobenen Klage die Zahlung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2014 ohne Berücksichtigung des im Januar 2014 erhaltenen Überbrückungsgeldes in Höhe von 1.564,00 Euro, dass die Beklagte monatlich in Höhe von 260,67 Euro berücksichtigt hatte. Zuvor - am 26. März 2014 - hatte er im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung beim SG die Auszahlung der Leistungen ohne Berücksichtigung des Überbrückungsgeldes beantragt (S 21 AS 619/14 ER). Zur Begründung der Klage führte der Beschwerdeführer aus, der Kläger habe das Überbrückungsgeld am 3. Januar 2014 erhalten und innerhalb von zwei Wochen ausgegeben, eine Anrechnung hätte daher bereits aus diesem Grunde nicht erfolgen dürfen. Hilfsweise mache er eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten geltend. Sie hätte den Kläger auf die Möglichkeit der Rücknahme eines Antrages für den Monat Januar 2014 hinweisen müssen. Mit Beschluss vom 6. Mai 2014 (S 21 AS 619/14 ER) verpflichtete das SG die Beklagte dem Kläger Leistungen vom 1. April bis 30. Juni 2014 ohne Anrechnung von Einkommen aus Überbrückungsgeld zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2014 teilte die Beklagte in der Hauptsache (S 21 AS 621/14) mit, sie habe dem Kläger nunmehr ab Februar 2014 Leistungen ohne Anrechnung des Überbrückungsgeldes als Einkommen gewährt. Ab April 2014 seien die Leistungen bereits in Ausführung des Beschlusses vom 6. Mai 2014 nachgezahlt worden. Im Monat Januar 2014 sei das Überbrückungsgeld noch anzurechnen. Sie erklärte sich bereit 5/6 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu übernehmen. Mit Beschluss vom 26. Mai 2014 bewilligte das SG dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Kostenbeteiligung unter Beiordnung des Beschwerdeführers. Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2014 nahm der Beschwerdeführer das Teilanerkenntnis der Beklagten an und erklärte den Rechtsstreit für erledigt. Unter dem 6. Juni 2014 beantragte er die Festsetzung folgender Gebühren für das Klageverfahren:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 300,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 100,00 Euro Einigungs-/Aussöhnungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 300,00 Euro Entgelte für Post-und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Zwischensumme 720,00 Euro Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 136,80 Euro Summe 856,80 Euro

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss (richtig: Vergütungsfestsetzungsbeschluss) vom 20. August 2014 die dem Beschwerdeführer im Rahmen der PKH zustehende Vergütung auf 380,80 Euro (Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 150,00 Euro, Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 150,00 Euro, Auslagen/Pauschale 20,00 Euro Nr. 7002 VV RVG, Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 60,80 Euro) fest. Die Mittelgebühr bei der Verfahrensgebühr erscheine hier nicht gerechtfertigt. Eine Terminsgebühr sei nicht entstanden, weil nur ein Teilanerkenntnis vorliege. Die Einigungsgebühr entstehe in Höhe der Verfahrensgebühr.

Hiergegen hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Die Terminsgebühr entstehe auch bei Annahme eines Teilanerkenntnisses. Die Reduzierung der Verfahrens- und Einigungsgebühr auf 150,00 Euro sei willkürlich.

Mit Beschluss vom 10. März 2016 hat das SG die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung nach § 55 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) auf 380,80 Euro festgesetzt. Die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG sei angefallen. Der Betragsrahmen betrage 50,00 Euro bis 550,00 Euro, die Mittelgebühr 300,00 Euro. Die Mittelgebühr falle nur an, wenn sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebe. Hier sei der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als unterdurchschnittlich zu bewerten. Diese habe sich in der Klagebegründung und der Annahme des Teilanerkenntnisses erschöpft. Zudem seien erhebliche Synergieeffekte dadurch aufgetreten, dass zeitgleich mit der Klage auch ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz eingereicht wurde und die Antragsschrift sich nahezu mit der Klageschrift decke. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sei durchschnittlich gewesen. Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger sei überdurchschnittlich, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse als Bezieher von Leistungen nach dem SGB II deutlich unterdurchschnittlich gewesen. Die fiktive Terminsgebühr falle bei der Annahme eines Teilanerkenntnisses und einer (teilweisen) Klagerücknahme - wie hier - nicht an. Die Erledigungsgebühr sei in Höhe der Verfahrensgebühr zu erstatten.

Gegen den am 4. April 2016 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführer am 6. April 2016 "sofortige" Beschwerde eingelegt. Die Reduzierung der Mittelgebühren bezüglich der Verfahrens- und Einigungsgebühr sei nicht gerechtfertigt. Einerseits werde im Beschluss festgestellt, dass die anwaltliche Tätigkeit hinsichtlich Schwierigkeit und Umfang durchschnittlich gewesen sei, andererseits sei aufgrund von Synergieeffekten mit dem parallel anhängigen Eilverfahren eine Kürzung der Verfahrens- und Einigungsgebühr auf die Hälfte des Mittelwertes vorgenommen worden. Nicht berücksichtigt worden sei, dass der Verwaltungsaufwand für jedes einzelne Verfahren im gleichen Umfang anfalle. Es habe eine zusätzliche Besprechung mit dem Kläger stattfinden müssen, ob das Teilanerkenntnis so angenommen werde. Der Beschwerdegegner verweist auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 11. Mai 2016) und die Akten dem Thüringer Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Zuständig für die Entscheidung ist nach der aktuellen Geschäftsverteilung des Thüringer Landessozialgerichts i.V.m. der Geschäftsverteilung des Senats, die Berichterstatterin des 1. Senats.

Anzuwenden ist das RVG in der Fassung ab 1. August 2013 (n.F.), denn die Bestellung und Beiordnung des Beschwerdeführers sind nach diesem Zeitpunkt erfolgt (§ 60 Abs. 1 S 1 RVG). Im sozialgerichtlichen Verfahren gibt es keine sofortige Beschwerde. Damit ist das Begehren des Beschwerdeführers als Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 10. März 2016 auszulegen. Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft (ständige Rechtsprechung des 6. Senats des Thüringer Landessozialgerichts, vgl. u.a. Be-schluss vom 15. März 2011 - L 6 SF 975/10 B, nach juris) und zulässig. Der Beschwerdewert übersteigt 200,00 Euro.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Kläger war kostenprivilegierter Beteiligter i.S.d. § 183 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).

Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Rechtsprechung des 6. Senats des Thüringer Landessozialgerichts, vgl. u.a. Beschlüsse vom 19. März 2012 - L 6 SF 1983/11 B und 17. Dezember 2010 - L 6 SF 808/10 B; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 73a Rn. 14 f.; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage 2015, § 14 Rn. 12). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Dezember 2010 - L 6 SF 808/10 B, nach juris); dann erfolgt eine Festsetzung - wie hier - nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

Die beantragte Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr (300,00 Euro) war unbillig; angemessen war eine Gebühr in Höhe von 225,00 Euro (3/4 der Mittelgebühr). Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war im Vergleich mit den übrigen beim Sozialgericht anhängigen Verfahren (nicht eingeschränkt auf Verfahren nach dem SGB II) unter dem Durchschnitt. Zu berücksichtigen ist vor allem der zeitliche Aufwand im Verfahren, den der Rechtsanwalt für die Sache tatsächlich betrieben hat und objektiv verwenden musste (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 18. August 2011 - Az.: L 6 SF 872/11 B und 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B, nach juris). Der Beschwerdeführer fertigte den Klageschriftsatz, schilderte dort knapp den Sachverhalt und nahm dann kurz zu der von ihm aufgeworfenen Frage der Zurücknahme des Antrags auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Verwendung von Textauszügen aus einem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Januar 2014 (L 7 AS 642/12) sowie einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 20. August 2009 (B 14 AS 34/08 R) Stellung. Auf das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Januar 2014 hatte der Beschwerdeführer bereits im Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Bezug genommen. Des Weiteren enthielt der Schriftsatz formelhafte Ausführungen zur Bewilligung von PKH ohne Bezug zum Rechtsstreit. Hierbei handelt es sich offensichtlich um Ausführungen, die in einer Vielzahl von Verfahren ohne Individualisierung vorgetragen werden. Sie können nur einen minimalen Aufwand verursachen und führen nicht zu einer wesentlichen Erhöhung des Aufwands. Insoweit sind, worauf bereits die erste Instanz hingewiesen hat, Synergieeffekte zu berücksichtigen. Darüber hinaus nahm der Beschwerdeführer das Teilanerkenntnis der Beklagten an und erklärte den Rechtsstreit für erledigt. Soweit er erklärt hat, bezüglich der Annahme des Teilanerkenntnisses habe es einer weiteren Besprechung mit dem Kläger bedurft, hat er dies nicht weiter substantiiert. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war allenfalls durchschnittlich. Eine Subsumtion des tatsächlichen Geschehens unter rechtliche Regelungen ist nur ansatzweise erfolgt. Zu bedeutenden Rechtsproblemen, Gutachten oder medizinischen Unterlagen hatte der Beschwerdeführer nicht Stellung zu nehmen. Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger war allerdings überdurchschnittlich, denn er begehrte für sechs Monate die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Anrechnung eines monatlichen Betrages in Höhe von 260,67 Euro. Seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind unterdurchschnittlich und kompensieren die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit. Ein besonderes Haftungsrisiko des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich.

Das SG hat zutreffend den Anfall einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG verneint. Insoweit nimmt der Senat in entsprechender Anwendung des § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Gründe II des erstinstanzlichen Beschlusses Bezug, denen er sich anschließt.

Die Erledigungsgebühr Nrn. 1005, 1006 VV-RVG ist in Höhe der Verfahrensgebühr in Höhe von 225,00 Euro festzusetzen.

Zu vergüten sind weiter die zwischen den Beteiligten nicht streitige Pauschale Nr. 7002 VV-RVG und die Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG. Damit errechnet sich die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wie folgt:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 225,00 Euro Erledigungsgebühr nach Nr. 1006, 1005 VV-RVG 225,00 Euro Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7002 VV-RVG 20,00 Euro Zwischensumme 470,00 Euro Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 89,30 Euro Summe 559,30 Euro

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG). Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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