Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 7 U 19/12
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 8 U 33/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 28. April 2014 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerinnen begehren als Rechtsnachfolgerinnen des verstorbenen J (Versicherter) Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund anerkannter Berufskrankheit nach Nr. 4111 – chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren ((mg/cbm) X Jahre) – der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1948 geborene Versicherte war nach einer Ausbildung im polnischen Bergbau vom 1. September 1963 bis zum 24. Juni 1966 in der Zeit vom 21. Juli 1966 bis zum 30. September 1974 als Bergmann im untertägigen Steinkohlebergbau in Polen tätig. Am 4. Oktober 1989 verzog der Versicherte in die Bundesrepublik Deutschland. Er beantragte mit Schreiben vom 11. Oktober 2008 die Anerkennung seiner Lungenerkrankung als Berufskrankheit.
Die Beklagte nahm daraufhin entsprechende Ermittlungen auf, holte insbesondere Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie ärztliche Gutachten bzw. Stellungnahmen von W vom 11. August 2009, D vom 27. April 2010 sowie Prof. M vom 21. Juli 2010 und 9. Mai 2011 ein. Der Versicherte übersandte der Beklagten einen mit Datum vom 7. März 2000 ausgestellten Staatsangehörigkeitsausweis der Bundesrepublik Deutschland; einen Vertriebenenausweis besaß er nicht.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2011 teilte die Beklagte dem Versicherten mit, ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass der Lungenerkrankung bestehe nicht, weil er die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) nicht erfülle. Tätigkeiten, die geeignet gewesen seien, eine Berufskrankheit nach Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV zu verursachen, hätte der Versicherte ausschließlich im polnischen Steinkohlebergbau verrichtet. Somit sei für die Prüfung eines eventuellen Leistungsanspruches aus Anlass einer Berufskrankheit das FRG maßgebend. Voraussetzung für den Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland sei, dass der Versicherte zum Kreis der Vertriebenen im Sinne des § 4 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG), die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt seien, gehöre (§ 1a FRG). Der Nachweis der Spätaussiedlereigenschaft werde mit der Bescheinigung nach § 15 BVFG geführt. Vom Versicherten sei lediglich der Staatsangehörigkeitsausweis, der ihn als deutschen Staatsangehörigen ausweise, vorgelegt worden. Im Besitz eines Vertriebenenausweises bzw. einer Spätaussiedlerbescheinigung sei er nicht.
Den gegen den Bescheid vom 12. Oktober 2011 am 20. Oktober 2011 erhobenen Widerspruch des Versicherten, mit dem geltend gemacht wurde, nach Auskunft der zuständigen Behörde in Polen sei nicht Polen zuständig, sondern Deutschland, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2012 als unbegründet zurück. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit einer Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV. Eine Exposition im Sinne der BK Nr. 4111 habe in der Bundesrepublik Deutschland nicht vorgelegen. Nach dem Territorialitätsprinzip erfasse das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland nur die Sachverhalte, die im Inland einträten. Ausnahmen seien gesondert geregelt, z.B. in § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII), und § 4 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV), und dem FRG. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB VII und des § 4 SGB IV lägen offensichtlich nicht vor. Das FRG finde mangels Vorliegens einer Vertriebenen-/Spätaussiedlereigenschaft keine Anwendung. Nach dem Beitritt Polens zur EU zum 1. Mai 2004 gelte Art. 38 VO Nr. 883/2004, wonach Leistungen aufgrund einer Berufskrankheit bei dem Mitgliedstaat geltend zu machen seien, bei dem die letzte bzw. alleinige schädigende Tätigkeit ausgeübt worden sei. Für die Anwendung des Art. 38 komme es nicht auf den Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland an, sondern auf das Vorliegen des sog. Leistungsfalles einer Berufskrankheit. Dieser liege nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung ab dem 23. August 2004 und somit nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union vor.
Hiergegen hat der Versicherte am 23. März 2012 beim Sozialgericht Schleswig Klage erhoben. Nach einer Auskunft der polnischen Sozialversicherungsanstalt in O hänge die Zuständigkeit von der Frage ab, ob die EU-Verordnung Nr. 883/2004 oder das Deutsch-Polnische Sozialversicherungsabkommen aus dem Jahr 1975 Anwendung finde. Nach einer weiteren Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 13. März 2012 ergebe sich Folgendes: Die Frage der Zuständigkeit für Ansprüche auf Sozialleistungen von Bürgern der EU, die ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt hätten, richte sich grundsätzlich nach der EU-Verord-nung Nr. 883/2004 vom 29. April 2004. Frühere bilaterale Abkommen über soziale Sicherheit, die zwischen Mitgliedstaaten geschlossen worden seien, fänden keine Anwendung mehr. Nach Art. 8 Abs. 1 VO gälten einzelne Bestimmungen früherer Abkommen allerdings dann fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger und in Anlage II der Verordnung ausdrücklich aufgeführt seien. Auf Personen, die bereits 1989 aus Polen in die Bundesrepublik übergesiedelt seien, könnten daher die Regelungen des Sozialversicherungsabkommens Anwendung finden. Nach Art. 7 des Abkommens richte sich die Zuständigkeit für Renten der Unfallversicherung nach dem jeweiligen Wohnsitzstaat, woraus sich die Zuständigkeit des Deutschen Unfallversicherungsträgers ergebe. Ob und inwieweit sich im Einzelfall und im vorliegenden Fall nach dem Sozialversicherungsabkommen die Regelungen als günstiger darstellten, als nach der EU-Verordnung, sei dann zu prüfen, wenn die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers festgestellt sei, was hier der Fall sei.
Der Versicherte hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Oktober 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2012 zu verurteilen, ihm – dem Versicherten – die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4111 der BKV zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Strittig sei die Anwendung des Deutsch-Polnischen Sozialversicherungsabkommens (DPSVA) vom 9. Oktober 1975, was sich nach den Übergangsvorschriften des Art. 27 Abs. 2 bis 4 DPSVA vom 8. Dezember 1990 bestimme. Im März 2008 habe sich das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einer Entscheidung zur Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 8 FRG (L 2 KN 139/07 U vom 20. März 2008) bereits mit der Anwendung dieser Übergangsvorschriften auseinandergesetzt. Danach gelte bei einer Übersiedlung nach Deutschland vor dem 1. Januar 1990 nicht pauschal die Weiteranwendung des Abkommens aus 1975, sondern nur hinsichtlich der Ansprüche und Anwartschaften aus bis zur Einreise zurückgelegter Versicherungszeiten. Bei lediglich vorliegender Expositionszeit in Polen und erst später in Deutschland eingetretenem Versicherungsfall könne von einer Anwartschaft auf die spätere Berufskrankheit nicht ausgegangen werden. Nach den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten sei der Leistungsfall der Berufskrankheit Nr. 4111 am 23. August 2004 eingetreten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. April 2014 den Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach der Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV zu gewähren. Entgegen der Auffassung der Beklagten finde im vorliegenden Fall das DPSVA 1975 Anwendung. Die Anwendung des DPSVA 1975 bestimme sich nach den Übergangsvorschriften des Art. 27 Abs. 2-4 DPSVA 1990. Demnach bleibe das DPSVA 1975 für alle bis zum 31. Dezember 1990 erworbenen An¬sprüche und Anwartschaften gültig. Vorliegend gehe das Gericht von einer bis zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 4. Oktober 1989 erworbenen "Anwartschaft" des Versicherten aus, da der Versicherungsfall einer Berufskrankheit Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV auf Grundlage der durchgeführten Ermittlungen nicht erst am 23. August 2004, sondern bereits vor dem 1. Januar 1990, nämlich im Jahre 1997, eingetreten sei. Unter Zugrundelegung der arbeitsmedizinisch-internistischen Stellungnahmen von Prof. M vom 21. Juli 2010 und 9. Mai 2011 lasse sich der Versicherungsfall einer Berufskrankheit auf das Jahr 1997 datieren. Zu diesem Zeitpunkt seien beim Versicherten Lungenfunktionsprüfungen durchgeführt und ein Lungenemphysem bildgebend gesichert worden. Erst die ab dem 23. August 2004 erhobenen Befunde rechtfertigten die Zuerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grade. Damit war der Leistungsfall festzustellen. Der Versicherungsfall einer Berufskrankheit Nr. 4111 sei jedoch bereits im Jahre 1997 eingetreten.
Gegen das der Beklagten am 6. Juni 2014 zugestellte Urteil hat diese am 13. Juni 2014 Berufung eingelegt. Da sich die beruflichen Expositionen ausschließlich in Polen, also außerhalb des Geltungsbereiches des Sozialgesetzbuches ereignet hätten, könne mangels der personellen Voraussetzungen nach dem FRG eine Entschädigung durch den deutschen Unfallversicherungsträger nur unter den Voraussetzungen des DPSVA von 1975 in Verbindung mit den Übergangsvorschriften des Art. 27 Abs. 2-4 DPSVA 1990 erfolgen. Wenn man die Entscheidungsgründe im Urteil vom 28. April 2014 richtig interpretiere, schließe sich auch das Sozialgericht der Auffassung an, von einer Anwartschaft erst bei eingetretenem Versicherungsfall auszugehen. Warum aber dann von einer bis zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 4. Oktober 1989 erworbenen "Anwartschaft" des Versicherten ausgegangen werde, sei argumentativ nicht nachvollziehbar. Bei einem vom erstinstanzlichen Gericht angenommenen Versicherungsfall der Berufskrankheit Nr. 4111 im Jahre 1997 sei der Versicherungsfall nicht vor, sondern deutlich nach dem 1. Januar 1990 eingetreten. Bis zum 1. Januar 1990 erworbene Ansprüche oder Anwartschaften begründeten sich damit gerade nicht.
Der Versicherte ist 10. März 2016 verstorben. Der Rechtsstreit ist von den Rechtsnachfolgerinnen fortgeführt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 28. April 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die zitierte Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. März 2008 betreffe nicht den vorliegenden Sachverhalt. In dieser gehe es vielmehr um einen Kläger, der als Vertriebener (Vertriebenenausweis A) anerkannt gewesen sei. Vorliegend sei der Versicherte deutscher Staatsangehöriger gewesen. Dies bedeute, dass die rechtlichen Regelungen des FRG keine Anwendung fänden. Unter Berücksichtigung der Unionsregelungen, der VO Nr. 883/2004 und dem DPSVA aus den Jahren 1975 und 1990 werde der Schluss gezogen, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes die Berufskrankheit von dem deutschen Unfallversicherungsträger zu entschädigen sei.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter erklärt. Am 25. Oktober 2017 hat eine mündliche Verhandlung vor dem Einzelrichter stattgefunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen. Diese sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Oktober 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2012 verurteilt, dem Versicherten die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV zu gewähren.
Es ist zweifelhaft, ob die neben der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) erhobene Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) deshalb unzulässig ist, weil diese auf ein unzulässiges unbestimmtes unechtes Grundurteil ohne einen vollstreckungsfähigen Inhalt richtet (vgl. dazu Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht, Urteil vom 12. Oktober 2016 – L 8 U 21/14 –, Rn. 36, juris). Der Antrag, der die "gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4111" der Anlage 1 zur BKV zum Gegenstand hat, deutet hierauf hin. Andererseits dürfte es das Sozialgericht unterlassen haben, insoweit in der mündlichen Verhandlung auf einen sachdienlichen Antrag hinzuwirken (vgl. dazu § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Hinweise hierzu finden sich zumindest in der Verhandlungsniederschrift nicht. Das klägerische Begehren ist erkennbar vornehmlich auf die Gewährung einer Verletztenrente gerichtet.
Die Klage ist jedenfalls – insgesamt – unbegründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist nicht zu bestanden. Ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere in Form einer Verletztenrente besteht nicht.
Gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Ermächtigungsgrundlage für die Bezeichnung von Berufskrankheiten ist § 9 Abs. 1 SGB VII. Danach sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 und 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). In der Anlage 1 zur BKV ist unter Nr. 4111 eine chronische obstruktive Bronchitis oder ein Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren als Berufskrankheit erfasst.
Es fehlt hier an der Verrichtung einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 und 6 SGB VII begründenden versicherten Tätigkeit. Als solche kann die Tätigkeit im Steinkohlebergbau in Polen, bei der der Versicherte allein den maßgeblichen Expositionen ausgesetzt war, nicht angesehen werden. Denn es gilt grundsätzlich nach § 3 SGB IV das Territorialitätsprinzip. Gemäß § 3 Nr. 1 SGB IV gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes – des Sozialgesetzbuches – beschäftigt oder selbstständig tätig sind. Ein im SGB IV oder SGB VII geregelter Ausnahmefall hierzu liegt nicht vor.
Die Anwendbarkeit des SGB VII folgt auch nicht aus den Vorschriften des über- und zwischenstaatlichen Rechts, dessen Regelungen – wie es § 6 SGB IV klarstellend bestimmt – unberührt bleiben.
Die Klägerinnen können sich zunächst nicht auf das FRG berufen. Dieses ist zwar grundsätzlich neben der VO (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit anwendbar (s. Anhang XI der VO). Der Versicherte unterfiel jedoch nicht dem nach § 1 FRG eröffneten Anwendungsbereich des Gesetzes, da er insbesondere nicht als Vertriebener im Sinne des § 1 BVFG oder Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG anerkannt war (vgl. § 1a FRG). Weiterhin ist eine Anwendbarkeit nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FRG nicht begründet. Denn der Versicherte war einerseits nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 FRG zum Zeitpunkt des letzten Tages der gefährdenden Tätigkeit nicht bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Ein Fall des § 5 Abs. 4 Satz 2 FRG andererseits liegt ebenfalls nicht vor, da für einen Übergang der durch die Berufskrankheit entstandenen Verpflichtungen nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze auf einen deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nichts ersichtlich ist.
Nichts anderes ergibt sich aus der VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004. Art. 38 VO enthält eine besondere Bestimmung für Leistungen bei Berufskrankheiten, wenn die betreffende Person in mehreren Mitgliedstaaten dem gleichen Risiko ausgesetzt war. Die Vorschrift lautet wie folgt: Hat eine Person, die sich eine Berufskrankheit zugezogen hat, nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Tätigkeit ausgeübt, die ihrer Art nach geeignet ist, eine solche Krankheit zu verursachen, so werden die Leistungen, auf die sie oder ihre Hinterbliebenen Anspruch haben, ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des letzten dieser Mitgliedstaaten gewährt, dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Vorschrift des Art. 38 VO betrifft nach ihrer Überschrift Sachverhalte, bei denen die betreffende Person in mehreren Mitgliedstaaten dem gleichen Risiko ausgesetzt gewesen ist. Dies war hier gerade nicht der Fall. Diese Vorschrift spricht im Umkehrschluss vielmehr dafür, dass, wenn der Versicherte nur in einem Mitgliedstaat dem Risiko ausgesetzt gewesen ist, auch nur dieses zuständig bleiben soll.
Auch die weiteren in der VO (EG) Nr. 883/2004 enthaltenen Regelungen vermögen einen Anspruch der Klägerinnen nicht zu begründen. Art. 17, 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 und 20 Abs. 1 VO enthalten Regelungen zu Sachleistungen, während die Klägerinnen mit der Verletztenrente Geldleistungen beanspruchen. Art. 21 VO, der Geldleistungen zum Gegenstand hat, verhilft ebenso nicht weiter. Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 VO haben ein Versicherter und seine Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen oder sich dort aufhalten, Anspruch auf Geldleistungen, die vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht werden. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts können diese Leistungen jedoch vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 VO). Hiermit wird keine Regelung darüber getroffen, wer zuständiger Mitgliedstaat ist.
Der geltend gemachte Anspruch folgt schließlich nicht aus Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VO i.V.m. § 27 Abs. 2 bis 4 DPSVA 1990. Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VO gelten einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung der VO Nr. 883/2004 geschlossen wurden, fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass diese Bestimmungen in Anhang II der VO aufgeführt sind. In Anhang II wird als weiter in Kraft befindlich das Deutsch-Polnische Abkommen vom 9. Oktober 1975 über die Renten- und Unfallversicherung beschrieben, unter den in Art. 27 Abs. 2 bis 4 des Sozialversicherungsabkommens vom 8. Dezember 1990 festgelegten Bedingungen.
In Betracht kommt hier die Norm des Art. 27 Abs. 2 Satz 1 DPSVA 1990. Hiernach werden die vor dem 1. Januar 1991 aufgrund des Abkommens vom 9. Oktober 1975 (DPSVA 1975) von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen Ansprüche und Anwartschaften durch dieses Abkommen nicht berührt, solange diese Personen auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaats beibehalten. Es kann indessen nicht davon ausgegangen werden, dass der Versicherte mit seiner ausschließlich im polnischen Bergbau ausgeübten expositionsbelasteten Tätigkeit bereits eine Anwartschaft in diesem Sinne erworben hat, die ihn zu Leistungen der Beklagten berechtigen würde. Dabei ist dem SGB VII der Begriff der Anwartschaft fremd. Vielmehr werden hier Leistungen vom Eintritt des Versicherungsfalls abhängig gemacht (vgl. §§ 26 ff. SGB VII). Vor diesem Hintergrund ist auch im Rahmen des Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 für den Erwerb einer Anwartschaft auf den Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (vgl. ebenso Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. März 2008 – L 2 KN 139/07 U –, Rn. 29 zu Art. 27 Abs. 3 DPSVA 1990; siehe auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Juli 2006 – L 17 U 118/04 –, Rn. 24; jeweils juris). In diesem Sinne stellt auch Art. 7 Abs. 2 DPSVA 1975 auf die im Gebiet des anderen Staates eingetretenen Krankheiten ab. Der Eintritt des Versicherungsfalls ist jedoch frühestens für das Jahr 1997 (vgl. Prof. M , Stellungnahme vom 21. Juli 2010, Seite 3) anzunehmen; dieser liegt damit deutlich nach dem 1. Januar 1991.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung Eingang des Rechtsmittels bei Gericht bis zum 31. Dezember 2017
Diese Entscheidung kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundessozialgericht einzulegen. Sie muss bis zum Ablauf der Monatsfrist beim Bundessozialgericht eingegangen sein und die angefochtene Entscheidung bezeichnen.
Postanschriften des Bundessozialgerichts: bei Brief und Postkarte 34114 Kassel
bei Eilbrief, Telegramm, Paket und Päckchen Graf-Bernadotte-Platz 5 34119 Kassel
Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundessozialgericht (ERVVOBSG) in der Fassung der Änderungsverordnung vom Dezember 2015 (BGBl I) an die elektronische Gerichtspoststelle zu übermitteln ist. Weitere Informationen hierzu können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
1. Rechtsanwälte,
2. Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,
3. selbstständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
4. berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6. Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
7. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nrn. 3 bis 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die Organisationen zu den Nrn. 3 bis 7 müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Nrn. 1 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.
In der Begründung muss dargelegt werden, dass
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
- die Entscheidung von einer zu bezeichnenden Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- ein zu bezeichnender Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.
Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck ist kostenfrei bei allen Gerichten erhältlich. Er kann auch über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) heruntergeladen und ausgedruckt werden.
Im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs ist der Vordruck in Papierform auszufüllen, zu unterzeichnen, einzuscannen, qualifiziert zu signieren und dann in das elektronische Gerichtspostfach des Bundessozialgerichts zu übermitteln.
Falls die Beschwerde nicht schon durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt ist, müssen der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den Belegen innerhalb der Frist für die Einlegung der Beschwerde beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
III. Ergänzende Hinweise
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um zwei weitere Abschriften. Dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Tatbestand:
Die Klägerinnen begehren als Rechtsnachfolgerinnen des verstorbenen J (Versicherter) Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund anerkannter Berufskrankheit nach Nr. 4111 – chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren ((mg/cbm) X Jahre) – der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1948 geborene Versicherte war nach einer Ausbildung im polnischen Bergbau vom 1. September 1963 bis zum 24. Juni 1966 in der Zeit vom 21. Juli 1966 bis zum 30. September 1974 als Bergmann im untertägigen Steinkohlebergbau in Polen tätig. Am 4. Oktober 1989 verzog der Versicherte in die Bundesrepublik Deutschland. Er beantragte mit Schreiben vom 11. Oktober 2008 die Anerkennung seiner Lungenerkrankung als Berufskrankheit.
Die Beklagte nahm daraufhin entsprechende Ermittlungen auf, holte insbesondere Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie ärztliche Gutachten bzw. Stellungnahmen von W vom 11. August 2009, D vom 27. April 2010 sowie Prof. M vom 21. Juli 2010 und 9. Mai 2011 ein. Der Versicherte übersandte der Beklagten einen mit Datum vom 7. März 2000 ausgestellten Staatsangehörigkeitsausweis der Bundesrepublik Deutschland; einen Vertriebenenausweis besaß er nicht.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2011 teilte die Beklagte dem Versicherten mit, ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass der Lungenerkrankung bestehe nicht, weil er die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) nicht erfülle. Tätigkeiten, die geeignet gewesen seien, eine Berufskrankheit nach Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV zu verursachen, hätte der Versicherte ausschließlich im polnischen Steinkohlebergbau verrichtet. Somit sei für die Prüfung eines eventuellen Leistungsanspruches aus Anlass einer Berufskrankheit das FRG maßgebend. Voraussetzung für den Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland sei, dass der Versicherte zum Kreis der Vertriebenen im Sinne des § 4 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG), die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt seien, gehöre (§ 1a FRG). Der Nachweis der Spätaussiedlereigenschaft werde mit der Bescheinigung nach § 15 BVFG geführt. Vom Versicherten sei lediglich der Staatsangehörigkeitsausweis, der ihn als deutschen Staatsangehörigen ausweise, vorgelegt worden. Im Besitz eines Vertriebenenausweises bzw. einer Spätaussiedlerbescheinigung sei er nicht.
Den gegen den Bescheid vom 12. Oktober 2011 am 20. Oktober 2011 erhobenen Widerspruch des Versicherten, mit dem geltend gemacht wurde, nach Auskunft der zuständigen Behörde in Polen sei nicht Polen zuständig, sondern Deutschland, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2012 als unbegründet zurück. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit einer Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV. Eine Exposition im Sinne der BK Nr. 4111 habe in der Bundesrepublik Deutschland nicht vorgelegen. Nach dem Territorialitätsprinzip erfasse das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepublik Deutschland nur die Sachverhalte, die im Inland einträten. Ausnahmen seien gesondert geregelt, z.B. in § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII), und § 4 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV), und dem FRG. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB VII und des § 4 SGB IV lägen offensichtlich nicht vor. Das FRG finde mangels Vorliegens einer Vertriebenen-/Spätaussiedlereigenschaft keine Anwendung. Nach dem Beitritt Polens zur EU zum 1. Mai 2004 gelte Art. 38 VO Nr. 883/2004, wonach Leistungen aufgrund einer Berufskrankheit bei dem Mitgliedstaat geltend zu machen seien, bei dem die letzte bzw. alleinige schädigende Tätigkeit ausgeübt worden sei. Für die Anwendung des Art. 38 komme es nicht auf den Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland an, sondern auf das Vorliegen des sog. Leistungsfalles einer Berufskrankheit. Dieser liege nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung ab dem 23. August 2004 und somit nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union vor.
Hiergegen hat der Versicherte am 23. März 2012 beim Sozialgericht Schleswig Klage erhoben. Nach einer Auskunft der polnischen Sozialversicherungsanstalt in O hänge die Zuständigkeit von der Frage ab, ob die EU-Verordnung Nr. 883/2004 oder das Deutsch-Polnische Sozialversicherungsabkommen aus dem Jahr 1975 Anwendung finde. Nach einer weiteren Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 13. März 2012 ergebe sich Folgendes: Die Frage der Zuständigkeit für Ansprüche auf Sozialleistungen von Bürgern der EU, die ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt hätten, richte sich grundsätzlich nach der EU-Verord-nung Nr. 883/2004 vom 29. April 2004. Frühere bilaterale Abkommen über soziale Sicherheit, die zwischen Mitgliedstaaten geschlossen worden seien, fänden keine Anwendung mehr. Nach Art. 8 Abs. 1 VO gälten einzelne Bestimmungen früherer Abkommen allerdings dann fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger und in Anlage II der Verordnung ausdrücklich aufgeführt seien. Auf Personen, die bereits 1989 aus Polen in die Bundesrepublik übergesiedelt seien, könnten daher die Regelungen des Sozialversicherungsabkommens Anwendung finden. Nach Art. 7 des Abkommens richte sich die Zuständigkeit für Renten der Unfallversicherung nach dem jeweiligen Wohnsitzstaat, woraus sich die Zuständigkeit des Deutschen Unfallversicherungsträgers ergebe. Ob und inwieweit sich im Einzelfall und im vorliegenden Fall nach dem Sozialversicherungsabkommen die Regelungen als günstiger darstellten, als nach der EU-Verordnung, sei dann zu prüfen, wenn die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers festgestellt sei, was hier der Fall sei.
Der Versicherte hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Oktober 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2012 zu verurteilen, ihm – dem Versicherten – die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4111 der BKV zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Strittig sei die Anwendung des Deutsch-Polnischen Sozialversicherungsabkommens (DPSVA) vom 9. Oktober 1975, was sich nach den Übergangsvorschriften des Art. 27 Abs. 2 bis 4 DPSVA vom 8. Dezember 1990 bestimme. Im März 2008 habe sich das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einer Entscheidung zur Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 8 FRG (L 2 KN 139/07 U vom 20. März 2008) bereits mit der Anwendung dieser Übergangsvorschriften auseinandergesetzt. Danach gelte bei einer Übersiedlung nach Deutschland vor dem 1. Januar 1990 nicht pauschal die Weiteranwendung des Abkommens aus 1975, sondern nur hinsichtlich der Ansprüche und Anwartschaften aus bis zur Einreise zurückgelegter Versicherungszeiten. Bei lediglich vorliegender Expositionszeit in Polen und erst später in Deutschland eingetretenem Versicherungsfall könne von einer Anwartschaft auf die spätere Berufskrankheit nicht ausgegangen werden. Nach den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten sei der Leistungsfall der Berufskrankheit Nr. 4111 am 23. August 2004 eingetreten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. April 2014 den Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach der Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV zu gewähren. Entgegen der Auffassung der Beklagten finde im vorliegenden Fall das DPSVA 1975 Anwendung. Die Anwendung des DPSVA 1975 bestimme sich nach den Übergangsvorschriften des Art. 27 Abs. 2-4 DPSVA 1990. Demnach bleibe das DPSVA 1975 für alle bis zum 31. Dezember 1990 erworbenen An¬sprüche und Anwartschaften gültig. Vorliegend gehe das Gericht von einer bis zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 4. Oktober 1989 erworbenen "Anwartschaft" des Versicherten aus, da der Versicherungsfall einer Berufskrankheit Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV auf Grundlage der durchgeführten Ermittlungen nicht erst am 23. August 2004, sondern bereits vor dem 1. Januar 1990, nämlich im Jahre 1997, eingetreten sei. Unter Zugrundelegung der arbeitsmedizinisch-internistischen Stellungnahmen von Prof. M vom 21. Juli 2010 und 9. Mai 2011 lasse sich der Versicherungsfall einer Berufskrankheit auf das Jahr 1997 datieren. Zu diesem Zeitpunkt seien beim Versicherten Lungenfunktionsprüfungen durchgeführt und ein Lungenemphysem bildgebend gesichert worden. Erst die ab dem 23. August 2004 erhobenen Befunde rechtfertigten die Zuerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grade. Damit war der Leistungsfall festzustellen. Der Versicherungsfall einer Berufskrankheit Nr. 4111 sei jedoch bereits im Jahre 1997 eingetreten.
Gegen das der Beklagten am 6. Juni 2014 zugestellte Urteil hat diese am 13. Juni 2014 Berufung eingelegt. Da sich die beruflichen Expositionen ausschließlich in Polen, also außerhalb des Geltungsbereiches des Sozialgesetzbuches ereignet hätten, könne mangels der personellen Voraussetzungen nach dem FRG eine Entschädigung durch den deutschen Unfallversicherungsträger nur unter den Voraussetzungen des DPSVA von 1975 in Verbindung mit den Übergangsvorschriften des Art. 27 Abs. 2-4 DPSVA 1990 erfolgen. Wenn man die Entscheidungsgründe im Urteil vom 28. April 2014 richtig interpretiere, schließe sich auch das Sozialgericht der Auffassung an, von einer Anwartschaft erst bei eingetretenem Versicherungsfall auszugehen. Warum aber dann von einer bis zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 4. Oktober 1989 erworbenen "Anwartschaft" des Versicherten ausgegangen werde, sei argumentativ nicht nachvollziehbar. Bei einem vom erstinstanzlichen Gericht angenommenen Versicherungsfall der Berufskrankheit Nr. 4111 im Jahre 1997 sei der Versicherungsfall nicht vor, sondern deutlich nach dem 1. Januar 1990 eingetreten. Bis zum 1. Januar 1990 erworbene Ansprüche oder Anwartschaften begründeten sich damit gerade nicht.
Der Versicherte ist 10. März 2016 verstorben. Der Rechtsstreit ist von den Rechtsnachfolgerinnen fortgeführt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 28. April 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die zitierte Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. März 2008 betreffe nicht den vorliegenden Sachverhalt. In dieser gehe es vielmehr um einen Kläger, der als Vertriebener (Vertriebenenausweis A) anerkannt gewesen sei. Vorliegend sei der Versicherte deutscher Staatsangehöriger gewesen. Dies bedeute, dass die rechtlichen Regelungen des FRG keine Anwendung fänden. Unter Berücksichtigung der Unionsregelungen, der VO Nr. 883/2004 und dem DPSVA aus den Jahren 1975 und 1990 werde der Schluss gezogen, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes die Berufskrankheit von dem deutschen Unfallversicherungsträger zu entschädigen sei.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter erklärt. Am 25. Oktober 2017 hat eine mündliche Verhandlung vor dem Einzelrichter stattgefunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen. Diese sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Oktober 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2012 verurteilt, dem Versicherten die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4111 der Anlage 1 zur BKV zu gewähren.
Es ist zweifelhaft, ob die neben der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) erhobene Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) deshalb unzulässig ist, weil diese auf ein unzulässiges unbestimmtes unechtes Grundurteil ohne einen vollstreckungsfähigen Inhalt richtet (vgl. dazu Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht, Urteil vom 12. Oktober 2016 – L 8 U 21/14 –, Rn. 36, juris). Der Antrag, der die "gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4111" der Anlage 1 zur BKV zum Gegenstand hat, deutet hierauf hin. Andererseits dürfte es das Sozialgericht unterlassen haben, insoweit in der mündlichen Verhandlung auf einen sachdienlichen Antrag hinzuwirken (vgl. dazu § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Hinweise hierzu finden sich zumindest in der Verhandlungsniederschrift nicht. Das klägerische Begehren ist erkennbar vornehmlich auf die Gewährung einer Verletztenrente gerichtet.
Die Klage ist jedenfalls – insgesamt – unbegründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist nicht zu bestanden. Ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere in Form einer Verletztenrente besteht nicht.
Gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Ermächtigungsgrundlage für die Bezeichnung von Berufskrankheiten ist § 9 Abs. 1 SGB VII. Danach sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 und 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). In der Anlage 1 zur BKV ist unter Nr. 4111 eine chronische obstruktive Bronchitis oder ein Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren als Berufskrankheit erfasst.
Es fehlt hier an der Verrichtung einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 und 6 SGB VII begründenden versicherten Tätigkeit. Als solche kann die Tätigkeit im Steinkohlebergbau in Polen, bei der der Versicherte allein den maßgeblichen Expositionen ausgesetzt war, nicht angesehen werden. Denn es gilt grundsätzlich nach § 3 SGB IV das Territorialitätsprinzip. Gemäß § 3 Nr. 1 SGB IV gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes – des Sozialgesetzbuches – beschäftigt oder selbstständig tätig sind. Ein im SGB IV oder SGB VII geregelter Ausnahmefall hierzu liegt nicht vor.
Die Anwendbarkeit des SGB VII folgt auch nicht aus den Vorschriften des über- und zwischenstaatlichen Rechts, dessen Regelungen – wie es § 6 SGB IV klarstellend bestimmt – unberührt bleiben.
Die Klägerinnen können sich zunächst nicht auf das FRG berufen. Dieses ist zwar grundsätzlich neben der VO (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit anwendbar (s. Anhang XI der VO). Der Versicherte unterfiel jedoch nicht dem nach § 1 FRG eröffneten Anwendungsbereich des Gesetzes, da er insbesondere nicht als Vertriebener im Sinne des § 1 BVFG oder Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG anerkannt war (vgl. § 1a FRG). Weiterhin ist eine Anwendbarkeit nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FRG nicht begründet. Denn der Versicherte war einerseits nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 FRG zum Zeitpunkt des letzten Tages der gefährdenden Tätigkeit nicht bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Ein Fall des § 5 Abs. 4 Satz 2 FRG andererseits liegt ebenfalls nicht vor, da für einen Übergang der durch die Berufskrankheit entstandenen Verpflichtungen nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze auf einen deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nichts ersichtlich ist.
Nichts anderes ergibt sich aus der VO (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004. Art. 38 VO enthält eine besondere Bestimmung für Leistungen bei Berufskrankheiten, wenn die betreffende Person in mehreren Mitgliedstaaten dem gleichen Risiko ausgesetzt war. Die Vorschrift lautet wie folgt: Hat eine Person, die sich eine Berufskrankheit zugezogen hat, nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Tätigkeit ausgeübt, die ihrer Art nach geeignet ist, eine solche Krankheit zu verursachen, so werden die Leistungen, auf die sie oder ihre Hinterbliebenen Anspruch haben, ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des letzten dieser Mitgliedstaaten gewährt, dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Vorschrift des Art. 38 VO betrifft nach ihrer Überschrift Sachverhalte, bei denen die betreffende Person in mehreren Mitgliedstaaten dem gleichen Risiko ausgesetzt gewesen ist. Dies war hier gerade nicht der Fall. Diese Vorschrift spricht im Umkehrschluss vielmehr dafür, dass, wenn der Versicherte nur in einem Mitgliedstaat dem Risiko ausgesetzt gewesen ist, auch nur dieses zuständig bleiben soll.
Auch die weiteren in der VO (EG) Nr. 883/2004 enthaltenen Regelungen vermögen einen Anspruch der Klägerinnen nicht zu begründen. Art. 17, 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 und 20 Abs. 1 VO enthalten Regelungen zu Sachleistungen, während die Klägerinnen mit der Verletztenrente Geldleistungen beanspruchen. Art. 21 VO, der Geldleistungen zum Gegenstand hat, verhilft ebenso nicht weiter. Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 VO haben ein Versicherter und seine Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen oder sich dort aufhalten, Anspruch auf Geldleistungen, die vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht werden. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts können diese Leistungen jedoch vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 VO). Hiermit wird keine Regelung darüber getroffen, wer zuständiger Mitgliedstaat ist.
Der geltend gemachte Anspruch folgt schließlich nicht aus Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VO i.V.m. § 27 Abs. 2 bis 4 DPSVA 1990. Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VO gelten einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung der VO Nr. 883/2004 geschlossen wurden, fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass diese Bestimmungen in Anhang II der VO aufgeführt sind. In Anhang II wird als weiter in Kraft befindlich das Deutsch-Polnische Abkommen vom 9. Oktober 1975 über die Renten- und Unfallversicherung beschrieben, unter den in Art. 27 Abs. 2 bis 4 des Sozialversicherungsabkommens vom 8. Dezember 1990 festgelegten Bedingungen.
In Betracht kommt hier die Norm des Art. 27 Abs. 2 Satz 1 DPSVA 1990. Hiernach werden die vor dem 1. Januar 1991 aufgrund des Abkommens vom 9. Oktober 1975 (DPSVA 1975) von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen Ansprüche und Anwartschaften durch dieses Abkommen nicht berührt, solange diese Personen auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaats beibehalten. Es kann indessen nicht davon ausgegangen werden, dass der Versicherte mit seiner ausschließlich im polnischen Bergbau ausgeübten expositionsbelasteten Tätigkeit bereits eine Anwartschaft in diesem Sinne erworben hat, die ihn zu Leistungen der Beklagten berechtigen würde. Dabei ist dem SGB VII der Begriff der Anwartschaft fremd. Vielmehr werden hier Leistungen vom Eintritt des Versicherungsfalls abhängig gemacht (vgl. §§ 26 ff. SGB VII). Vor diesem Hintergrund ist auch im Rahmen des Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 für den Erwerb einer Anwartschaft auf den Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (vgl. ebenso Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. März 2008 – L 2 KN 139/07 U –, Rn. 29 zu Art. 27 Abs. 3 DPSVA 1990; siehe auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Juli 2006 – L 17 U 118/04 –, Rn. 24; jeweils juris). In diesem Sinne stellt auch Art. 7 Abs. 2 DPSVA 1975 auf die im Gebiet des anderen Staates eingetretenen Krankheiten ab. Der Eintritt des Versicherungsfalls ist jedoch frühestens für das Jahr 1997 (vgl. Prof. M , Stellungnahme vom 21. Juli 2010, Seite 3) anzunehmen; dieser liegt damit deutlich nach dem 1. Januar 1991.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung Eingang des Rechtsmittels bei Gericht bis zum 31. Dezember 2017
Diese Entscheidung kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundessozialgericht einzulegen. Sie muss bis zum Ablauf der Monatsfrist beim Bundessozialgericht eingegangen sein und die angefochtene Entscheidung bezeichnen.
Postanschriften des Bundessozialgerichts: bei Brief und Postkarte 34114 Kassel
bei Eilbrief, Telegramm, Paket und Päckchen Graf-Bernadotte-Platz 5 34119 Kassel
Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundessozialgericht (ERVVOBSG) in der Fassung der Änderungsverordnung vom Dezember 2015 (BGBl I) an die elektronische Gerichtspoststelle zu übermitteln ist. Weitere Informationen hierzu können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
1. Rechtsanwälte,
2. Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,
3. selbstständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
4. berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6. Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
7. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nrn. 3 bis 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die Organisationen zu den Nrn. 3 bis 7 müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Nrn. 1 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.
In der Begründung muss dargelegt werden, dass
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
- die Entscheidung von einer zu bezeichnenden Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- ein zu bezeichnender Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.
Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck ist kostenfrei bei allen Gerichten erhältlich. Er kann auch über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) heruntergeladen und ausgedruckt werden.
Im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs ist der Vordruck in Papierform auszufüllen, zu unterzeichnen, einzuscannen, qualifiziert zu signieren und dann in das elektronische Gerichtspostfach des Bundessozialgerichts zu übermitteln.
Falls die Beschwerde nicht schon durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt ist, müssen der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den Belegen innerhalb der Frist für die Einlegung der Beschwerde beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
III. Ergänzende Hinweise
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um zwei weitere Abschriften. Dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Rechtskraft
Aus
Login
SHS
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